Die Stimme der Toten - 38.1. Jaemi

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>Eure Haare sind länger als zuletzt.<

Damit hatte Jaemi nicht gerechnet. Sie alleine war auf ausdrücklichem Wunsch der Botschaft, auf die Reise nach Camo geschickt worden, um eine wichtige Nachricht zu empfangen und dies war nun der Kommentar, für den sie ihr kriegsgezeichnetes Königreich verlassen hatte? Dies war der Satz, für den der Gottherrscher zum ersten Mal, die Stimme erhob und ohne die Mutter als Übersetzerin, zu einem Sterblichen sprach?

Die Botschaft saß wieder etwas erhöht hinter der großen Leinwand, die den ganzen Thronsaal teilte und durch die man ausschließlich deren Silhouette erkennen konnte. Jaemi und Jaeho standen vor der Leinwand, in angemessenem Abstand und sahen zu ihr nach oben. Drei lange marmorstufen und eine Leinwand trennten sie von der Botschaft. Die Königinmutter jedoch, würde dieses mal keine Barriere sein.

Jaemi griff nach ihren Haaren, die sich in sanften Wellen um ihre Finger legten und nun wie jene ihres Bruders aussahen, nachdem sie sich ihren langen Zopf, auf der Flucht aus Loreen heraus, abschneiden hatte müssen. Sie waren seit dem tatsächlich wieder etwas gewachsen und es gefiel ihr.

>Sie sind wie ein tiefer See, im stillsten Dunkel der Nacht. Der Mond reflektiert gewiss daran wundervoll sein Licht.<
>Das ist es, was Ihr uns sagen wolltet?< fragte Jaeho, der die klaren Anweisungen der Botschaft, dass Jaemi alleine kommen sollte, ignorierend mit gekommen war. Und trotz Jaetrus vielfältiger Erziehungsversuche, sich als sehr undiplomatisch herausstellte, vor allem wenn er ungeduldig wurde.
>Ich denke, dass die Wachen Euch draußen beschäftigen werden, Fürst Jaeho, während ich mich mit Eurer Schwester unterhalte.< erklärte die Botschaft.

Jaemi zog die Augenbrauen zusammen. Eigentlich wollte sie nicht wirklich alleine mit der Botschaft sein, doch mit seinem unfehlbaren Gespür als großer Bruder, fing Jaeho dieses Unwohlsein zum Glück sofort auf. Er rollte näher an Jaemi heran und starrte demonstrativ der Leinwand entgegen.

Nach einem tiefen Atemzug, hatte schließlich auch Jaemi eine passende Antwort gefunden >Eure Komplimente ehren mich. Doch ich kann sie im Moment nicht wirklich schätzen. Mein Reich liegt in Trümmern. Die Aufgaben sind so mannigfaltig wie die Krisen, wenn ich so offen sprechen darf. Es rinnt uns die Zeit davon, unser Volk zu retten. Und ich bin nicht zu Hause um zu helfen, während sich unsere Reihen lichten.<

Die Botschaft schwieg einen Moment, dann antwortete sie >Es tut mir leid, dass Euer Freund gestorben ist. Der T Gnaeo war ein berühmter Krieger.<

Jaemi hatte Fürst Gnaeo weder lange, noch intensiv gekannt. Dennoch fiel ihr ein Stein durch den Hals in den Magen und blieb dort liegen. Sie sah die Tränen der Königin vor sich, als diese den Bericht der Manengrunder, über den Verlust ihres besten Freundes, ihnen vorgelesen hatte. Das erschaudernde Stocken in ihrem Atem, die Hand, die sich in ihre Bluse verkrallt hatte. Und Jaenun der Heimatlose, wie er starr dagesessen war, jeder Hauch von Leben und Zuversicht aus ihm gefahren und sich nur seine schwimmenden Augen bewegt hatten. Lehni, der schluchzend an seiner Schulter gelehnt war. Es tat Jaemi leid für ihre Freunde. All das tat ihr leid.

Sie wusste jedoch, ihre guten Manieren nicht zu vergessen, besonders nicht vor dem Oberhaupt eines fremden Landes >Danke. Auch ich muss Euch mein Beileid ausdrücken. Ich hörte, dass Eure Mutter dem Tiedenfieber erlegen ist. Eine furchtbare Krankheit.<
>Sie wurde in einer schwierigen Zeit vom Namensgebergott geholt und zu Ninri gebracht. Für euch schwierig und auch für das Königreich Camo. Doch auch wenn man dagegen wettet, der Tod gewinnt immer.< antwortete die Botschaft mit einer tonlosen Gleichgültigkeit, die nur jahrelange Übung zu Tage bringen konnte. Jaemi musste bei solcher Kälte schlucken.

>Wenn Ihr in dieser schwierigen Zeit Beistand und Rat braucht dann-< versuchte sich Jaeho einzumischen, doch die Botschaft brachte in abrupt zum Schweigen >Fürst von Vijen, Prinz der Dunkelheit! Eure Gedanken mögen bei der lituolischen Königin Bedeutung und Dank finden, doch ich kenne Euch nicht. Ich mag Euch nicht. Ich wollte Eure Schwester wieder sehen, wenn ich so offen sprechen darf. Und zwar um ihr ein mächtiges Geschenk zu machen.<
Jaemi blickte verunsichert zu Jaeho, doch ihr Bruder presste die Lippen eng aufeinander, also wandte sie sich, Mut fassend, wieder der Botschaft zu.
>Bitte sprecht. Was wollt Ihr mir mitgeben?<

>Eine wertvolle Information. Und eine Möglichkeit.< verkündete die Botschaft und klang dabei seltsam aufgeregt. Das einzige Zeichen dafür, wie jung die Botschaft wirklich war.
>Was bedeutet das?<
>Mir wurde ein Titel des Göttlichen der Leere zuteil, wie ihr sicher wisst. Ich sehe alle Dinge, die mir der Göttliche zeigen will. Ich durchschaue Lügen und Pläne und mir werden Möglichkeiten aufgezeigt. Ich weiß, dass die Jentyponier und Manengrunder auf ihrem Schiff, der Xiphias, ein geheimes Treffen abhalten wollen. Sie werden dort die ilazische Gesandtschaft unter Mirayn von Nowkrust treffen, einem Diplomanten höchsten Ranges. Das muss verhindert werden, soviel wisst ihr bereits. Auch hat euch schon eine jentyponische Generälin davon in Kenntnis gesetzt, wann und wo sich die Xiphias aufhalten wird, wenn dieses Treffen stattfinden soll.<
Jaemi schnappte zitternd nach Luft >Ja.< hauchte sie >Das ist in der Tat so. Es ist unsere wichtigste Aufgabe, im Moment, dieses Treffen zu verhindern.<

Hinter dem Vorhang raschelte es. Das umhüllte Haupt der Botschaft nickte >Mein Hofstab wurde von jentyponischer Seite angefragt. Die Ilazier sollen von Camo aus an Bord der Xiphias gebracht werden und ebenso wurde gefragt, ob meine berühmten Hofmusiker zur Unterhaltung, ebenfalls auf die Xiphias kommen können. Es wird anscheinend darauf Wert gelegt, dass alles den Anschein eines höchst bedeutenden Staatsempfang haben sollte. Und nicht die Wahrheit ans Licht kommt, dass all dies nur das feige Treffen eines Haufens Meuterer und Saboteure ist. Die Götter haben die Herrscher Perunas auserkorene, das sollten diese Wichte nicht vergessen!< die Botschaft versuchte ihre Emotionen wieder unter Kontrolle zu bringen >Wie dem auch sei. Es stellt eine Möglichkeit dar, für gewisse andere Saboteure, geheim an Bord der Xiphias zu gelangen. Vielleicht ein Geschwisterpaar, dessen musikalisches Talent, auch in Camo bekannt ist.<

Jaeho räusperte sich >Verehrte Botschaft. Damit gebt Ihr die Neutralität von Camo auf. Ist Euch das bewusst?<
Ein hoch klingendes Lachen, in dem kein Humor steckte >Ja, Fürst von Vijen. Das ist mir bewusst. Camo ist älter als jedes andere Königreich auf diesem Kontinent. Man müsste wohl sagen, dass Camo dieser Kontinent ist. Jedes Volk in Peruna wurde von der camonischen Kultur beeinflusst, jede Sprache hat camonische Lehnwörter, jeder Baustil camonische Einflüsse, jedes Essen camonische Zutaten, jeder Handel folgt den camonischen Regeln. Wir sind das reichste Land auf dem Kontinent und haben vierzehn Werften. Wir besitzen acht Universitäten, achtunddreißig von den besten Theatern des Kontinents, sechs Mitglieder der Weißen Klingen und es haben sich zwei Göttliche in unserem Königreich nieder gelassen. Camo ist Peruna. Und wenn die Manengrunder und Jentyponier, ihre Kultur von den Ilaziern zerstört haben wollen, dann bitte. Sie können die ilazische Sprache, die ilazischen Bräuche und die ilazischen Götter übernehmen, wenn ihnen der Sieg über ein neugeborenes Königeich dies wert ist. Denn das wird passieren! Seht euch doch nur die Leute in den ilazischen Kolonien an. Die Granhainer und Falkzinner und Mithandeer und Faneforren. Seht, wie deren Geschichte ermordet wurde. Man kann nicht behaupten, dass die Ilazier minder mächtig an kulturellem Erbe wären, als wir. Doch sie sind anders. Und sie werden es nicht dulden, dass wir ihrer Kontrolle auf den wichtigsten Lebensebenen entgehen, wenn wir ihnen dazu eine Chance lassen.<

Jaemi hörte ihren Bruder neben sich stockend seufzen und auch sie spielte nervös mit ihren Händen. Die Botschaft klang schon fast, wie ihr Schutzpatron, der Göttliche der Leere mit all diesen bombastischen Vorhersagen. Nur hatten sie gerade erst die Zerstörung ihrer Hauptstadt Panareen durch die Manengrunder überlebt, die ja ebenso von der Karte gewischt werden sollte, um den Eroberern den vollen Einfluss über ihr Volk zu gewähren. Und nun musste sie die selbe Angst wieder verspüren? Historisch betrachtet, waren die Ilazier schon immer ein hungriges Volk gewesen, das Peruna mehrmals überfallen hatte. Selbst die Vorfahren der Jae und Manengrunder waren einige Jahrhunderte unter ilazischer Herrschaft gestanden, sodass viele Nachnamen der Manengrunder, noch immer ilazischen Ursprung hatten. Vielleicht wiesen ihre Gegner deshalb auch eine Affinität zu dem Winterreich auf.

>Ich Danke euch aus tiefstem Herzen für diese Möglichkeit.< murmelte sie und verbeugte sich >Wie kann sich meine Königin für Eure Hilfe erkenntlich zeigen?<

Es raschelte wieder hinter dem Vorhang. Die schemenhafte Gestalt stand auf und nach einem kaum merkbaren Signal, an versteckte Diener hinter den Säulen, wurde der Vorhang empor zur Decke gezogen und entblößte die Gestalt der Botschaft vor ihren Augen. Sie war über und über in Schichten aus prunkvoller Seide gekleidet und sie trug eine edel verzierte Maske, die ihr Gesicht verdeckte, wie es in Camo beim Verhandeln noch Brauch war. In ihr war auch die Krone eingearbeitet, ein filigranes Gestell aus Kristall gefertigt und so fein poliert, dass es in allen Farben strahlte, als der Schein des Kronleuchters auf deren Oberfläche traf.

Die Botschaft bewegte sich die Stufen herunter, als würde sie schweben. Je näher sie kam, desto deutlicher konnte Jaemi die bestickten Gewänder sehen, die alle möglichen Blumen zeigten und auch den Geruch des teuren Rosenparfums riechen, der wohl verbergen sollte, wie heiß es der Botschaft gewiss unter all diesen Gewändern war. Als der camonische Herrscher vor ihnen zu Stehen kam, wurde die mit Ringen besetzte Hand vor Jaemi ausgestreckt und sie spürte Jaehos kritischen Blick auf ihrem Rücken, als sie sich hinunter beugte und einen der Ringe zögerlich küsste. Die Botschaft war einen Hauch kleiner als Jaemi und als sich die Jae wieder aufrichtete, musste das Oberhaupt der Camonen, leicht zu ihr auf blicken. Jaemi wurde eine Hand an die Wange gelegt, die kühl und weich ihre Haut umschloss.
>Eure Königin hat sich bei mir bereits erkenntlich gezeigt.< antwortete die Botschaft endlich >Sie hat mir die Freiheit der Wahl geschenkt und das Selbstvertrauen, auch meine eigenen Entscheidungen zu treffen. Sie sagte: Du wirst niemals verheiratet werden, wenn du das nicht willst. Du bist von den Göttern beschenkt worden, mein Kind. Deine Stimme zählt mehr als die jedes anderen Sterblichen. Dies war eine wahre Befreiung.<

Jaemi freute sich, dass sich die Botschaft durch Chori selbstbewusster fühlte, doch ihr war es unangenehm, so von ihrem Gegenüber angestarrt zu werden, während eine Rede über Hochzeiten gehalten wurde. Sie trat also einen Schritt zurück und lächelte verlegen, was der Botschaft jedoch nicht das richtige Signal sendete. Diese griff wieder nach Jaemis Wange, doch fuhr dieses mal mit dem Daumen die lange Narbe entlang, die von Jamis Mundwinkel, bis unter ihr Kinn reichte.
>Welch grauenvolle Opfer dieser Krieg doch bringt. An welcher Front ist Euch das zugestoßen?<
>Bei der Verteidigung Panareens.< antwortete Jaemi und biss sich verlegen auf die Unterlippe.
>Ihr seid gewiss eine große Kriegerin. Doch ich möchte Euch dazu einladen, darüber nachzudenken, ob Ihr bei mir nicht sicherer seid. Nach dem Ihr die Xiphias vernichtet habt, versteht sich. Doch versprecht, darüber nach zu denken! Das Angebot wird immer bestehen.<

Jaemi schluckte und nickte langsam, was den Kontakt zwischen ihnen beiden unterbracht >Habt Dank.<
>Den werde ich haben. Doch nun geht und rettet Euer Königreich. Die Diener draußen werden Euch beide mit camonischen Gewändern versorgen, wie sie einem Hofmusiker gerecht werden.<

Jaemi verbeugte sich und schob Jaeho mit sich nach draußen. Zwischen den Geschwistern war eine Anspannung zu spüren, keiner der beiden sprach, während ihnen die camonischen Gewänder überreicht wurden, doch als sie den Palast verließen, räusperte sich Jaeho >Die Botschaft hat recht. Hier wärst du vielleicht sicherer, Mi. Außer wenn sie das Tidenfieber nicht in den Griff bekommen.<
Jaemi schnaubte ein Lachen durch die Nase und schob Jaeho über den Paradeplatz zu ihrer Kutsche >Denkst du wirklich, dass ich hier bleiben wollen würde? Bei diesen Verrückten? Die Botschaft erinnert mich zu sehr an Jaetru.<
Jaeho lachte düster.









Die Herrscher Lituoliens - zwei Idioten schreiben GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt