Chapter 93

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Müde lehne ich mich an den massigen Baumstamm, meine Augen sind nur noch halb offen, doch schlafen kommt für mich trotzdem nicht in Frage, viel zu nah sind wir möglicherweise feindlichen Menschen. Es ist schon eigenartig, wie ich nun auf die Menschen reagiere. Ich war mit ihnen aufgewachsen, ich glaubte achtzehn Jahre selbst einer von ihnen Zusein und nun hatte ich fast schon Angst vor ihnen. Leises Rascheln unter mir lässt mich herunter schauen und beobachten, wie Jake als Eichhörnchen zu uns hinaufkommt. Auf einem stabilen Ast neben mir verwandelt er sich zurück, setzt sich breitbeinig hin und winkelt seine Beine an. Fragend schaue ich zu ihm, ob er neue Informationen sammeln konnte, doch er schüttelt nur den Kopf. Es war irgendwie klar, schließlich ist es bereits mitten in der Nacht und nur noch wenige Soldaten laufen zwischen den Zelten hindurch. Mein Blick wandert über mich, wo Lian sitzt und mit seinen Dolchen spielt. Er war die Ruhe in Person, als spioniere er fast täglich fremde Lager aus, was nicht komplett falsch war. Schließlich war Lian einmal im großen Krieg gegen die Menschen Spion gewesen und ein ziemlich kompetenter noch dazu. Runa kann man nur, als kleinen schwarzen Punkt am Himmel erkennen. Sie zieht als Falke ihre Runden und beobachtet die Lage von oben nun schon seit zwei Stunden. Jedoch scheint sie nicht zu ermüden und ich bewundere die Kriegerin ein weiteres Mal. Meine Augenlieder werden immer schwerer und die Gurte, um meine Hüfte halten mich fest an den Baum gekettet. Immer wieder geht mein Blick über die vielen Zelte unter uns, jedes beinhält um die zwanzig Soldaten und einen Kapitän. Dies hatten wir recht schnell herausgefunden, es ähnelt dem früheren Militär der Menschen, so erzählte Jake. Dieser Aufbau ist um einiges komplexer als unserer, beherbergt aber dementsprechend viele Lücken, in welchen Befehle verloren gehen. Dennoch ist es erschreckend, wie viele Soldaten in nur einem Camp, wie diesem, leben und sich auf einen Kampf vorbereiten, welcher möglicherweise unser Land schaden kann.
Jeder Muskel meines Körpers wird schwerer und die Ereignisse des Tages ziehen an mir. Alles in mir schreit nach etwas Schlaf, doch der Gedanke an einen möglichen Angriff oder Krieg hält mich wach. Irgendwann holt mich die Müdigkeit doch ein und unter den wachenden Augen meiner Kameraden sacke ich in einen unruhigen Schlaf.

Feuer lodert auf, verschlingt ganze Häuser und laute Schreie hallen durch die Stille der Nacht. Ich stehe hilflos und erstarrt im Chaos des Todes. Alles wirkt furchteinflößend und groß aus meinen Augen und mein Blick zuckt zwischen allesverschlingenden Flammen und panischen Wesen hin und her. Etwas feuchtes und klebriges fließt über meine Hände und tropft auf den Boden. Nur mit Mühe wende ich meinen Blick von dem Scenario vor mir ab und blicke auf meine Hände. Erschrocken stolpere ich einige Schritte nachhinten, als ich das Blut sehe, wie es zäh an meinem Arm entlang fließt, in meine Hände und schließlich auf den Boden landet. Stechender Schmerz durchzuckt mich, als ich die Verletzungen an meinen Armen erkenne, sie scheinen hauptsächlich Schnittwunden Zusein, doch auch einige Verbrennungen zerstören den Anblick reiner Haut. Erst jetzt bemerke ich, dass ich mich nicht in meinem eigenen Körper befinde, viel mehr beobachte ich das Geschehene aus den angsterfühlten Augen eines kleines Jungens. Ohrenbetäubende Schreie lassen mich aus meiner Starre erwecken und ich suche, die Umgebung nach der Herkunft dieser Stimme ab. In mir bewegt sich das Gefühl, dass ich unbedingt zu dieser Person muss, denn sie ist die einzige, welche mich hierheraus retten kann. Doch meine Augen können nur das Feuer, die zerstörte Heimat und dunkle Silhouetten erkennen, welche reglos auf den Boden liegen. Ich erkenne keine von ihnen, doch mein Herz zieht sich krampfhaft zusammen, als ich die Leichen sehe. Ein verzweifeltes Schluchzen löst sich aus meinem Mund. Plötzlich rennt eine Frau auf mich zu, ihr Gesicht ist blutverschmiert und ihre Klamotten hängen ihr in Fetzen vom Körper. Erleichterung durchströmt mich, als ich sie sehe, doch gleichzeitig macht sie grenzenlose Sorge in mir breit. Schluchzend kniet sich die Frau vor mich und zieht mich in ihre beschützenden Arme. All die ohrenbetäubende Geräusche verstummen und verbleiben nur als dumpfes Rauschen in meinem Kopf. Hecktisch steht die Frau vor mir wieder auf und zieht mich am Handgelenk aus dem niederbrennenden Dorf in Richtung des dunklen Waldes. Doch kurz bevor wir die ersten Bäume erreichen, verfestigt sich der Griff der Frau hart um mein Handgelenk, schmerzhaft zische ich auf und schaue zu ihr auf. Ihre Augen sind erschrocken aufgerissen und sie starrt in das Nichts vor ihr. Plötzlich bricht sie zusammen und ihre Hand löst sich sanft von meiner, in ihrem Rücken steckt ein blutgetränkter Pfeil. Panisch stolpere ich zurück und starre auf die Person vor mir, ich will schreien. Der junge Körper wollte aufwachen, es soll alles vorbei sein. Wie konnten andere Wesen uns nur so etwas schreckliches antun? Sie hatten uns alles genommen.

Erschrocken richte ich mich auf, meine Augen vor Schreck geweitet und mein Mund zu einem stummen Schrei geweitet. Keuchend atme ich ein und aus, war dass alles nur ein Traum. Doch wie konnte es so realistisch sein? Ich erinnere mich an die Nacht bei den Ruinen, was hatte Jake gesagt. Einige Mitglieder der Königsfamilie konnten Erinnerungen ihres Volkes aufrufen. War dies eine Erinnerungen gewesen, wie ein kleiner Junge miterleben musste, wie seine Familie und Freunde abgeschlachtet wurden und sein Dorf abbrannte. Mein Blick zuckt panisch über das Feld vor mir. Die Morgensonne zieht über das Land und die Zelte, welche in Reih und Glied dastehen. Einzelne Menschen gehen ihren Arbeiten nach, meine Brust zieht sich schmerzhaft zusammen, als ich feststellen muss, dass ihre Vorfahren meinem Volk dieses Grauen antaten und doch sitzen meine Freunde ganz ruhig neben mir und denken nicht mal an Rache. Schwer muss ich schlucken und ziehe die frische Luft tief in meine Lungen. Ich muss wie sie handeln, ich will nur das Beste für mein Land und das ist keinesfalls einen Krieg anzufangen.

Nachdenklich schlucke ich einige Früchte hinunter. Es ist bereits Mittag und wir hatten keinerlei neue Informationen erhalten, die Menschen scheinen gewissenhaft zu schweigen oder wissen selber nichts. Runa dreht schon wieder ihre Kreise über den Köpfen der Menschen und Lian läuft verwandelt unter ihnen, während Jake neben mir sitzt. Lians Spionage ist riskant, doch wir vertrauen auf seine Fähigkeiten und erhoffen uns, wenigsten etwas neues in Erfahrung zubringen. Es wird etwas langweilig, den ganzen Tag auf einem Baum zu hocken und abzuwarten, doch uns bleibt zur Zeit nichts anderes übrig. Außerdem ist es mal ganz angenehm nicht immer im Chaos zustehen. Vielleicht sollte ich die Auszeit etwas genießen, auch wenn wir noch immer in einer brenzligen Lage sind. Seufzend lehne ich mich an den Stamm hinter mir, heute Abend würden wir schon weiterreisen und zu Hause, würde es keine Freizeit mehr geben. Hoffen wir nur, dass heute keine schlechten Nachrichten mehr kommen würden.

1140 Wörter ✔

The legends of tomorrowWo Geschichten leben. Entdecke jetzt