Chapter 106

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Meine Hände umschließen vorsichtig den feinen Stoff der Laterne, welche sanft leuchtet und mir meinen Weg weist. Mit kleinen Schritten gehe ich durch die großen Tore des Palastes hinaus in die unendliche Dunkelheit der Nacht. Nur der Mond und meine Laterne erleuchten die Steine auf welchen ich gehe. Meine Füße führen mich über den Platz und ein kalter Luftzug weht mir ins Gesicht. Doch bin ich nicht lange alleine, neben mir erleuchtet eine weitere Laterne die Nacht, getragen von meinem Vater und Zenobio schmiegt sich sanft an meiner Seite. Nun treten ein weiterer Lichtträger aus den Mauern des Schlosses und ein weiterer. Immer mehr Wesen folgen uns, ein jeder mit einer selbstgebastelten Lichtquelle. Dann schreitet mein Vater voraus und erleuchtet uns den Weg, den Berg hinunter, in Richtung Stadt. Respektvoll folge ich ihm und mit mir jeder Bewohner des Palastes. Wie ein Meer aus Lichtern gleiten wir den Pfad entlang, umgeben von der Natur, welche leise Geräusche von sich gibt. Kein Ton entflieht uns, denn das Schweigen ist unser Geschenk an die Gefallenen. Der Trauerzug bewegt sich immer näher an die Stadt, welche ohne Lichter, wie verlassen wirkt. Doch sobald wir die ersten Häuser erreichen, treten die Bewohner aus ihren Heimen. Zusammen zünden sie die kleinen Kerzen in ihren Leinenlaternen an, dann reihen sie sich in unseren Umzug ein und folgen mit einer trauernden Stille. Mein Blick wandert über die Fassaden der Häuser, die meisten sind zerstört und zusammengebrochen, doch die Dunkelheit verschluckt all die Schäden. Ich kann noch immer das den eisernen Geruch von Blut riechen, vermischt mit dem Gestank von Schwefel, welcher mich an den Kampf erinnert. Ich versuche einen klaren Kopf zu behalten und mache einen Schritt nach dem Anderen. Unsere Körper werfen langgezogene Schatten an die Wände und geben uns die Erscheinung, als wären die Toten unter uns. Immer näher kommen wir unserem Ziel, als eine weitere mir bekannte Familie zu uns stößt. Es ist die Familie von Jake, Victoriá hat eine feine Schnittwunde an der Wange, doch ansonsten scheint es ihr gut zugehen. Doch sie ist nur mit ihrer Mutter dabei und ein schreckliches Gefühl legt sich um mein Herz. Ihr Vater muss den Krieg nicht überstanden haben. Ich muss schwer schlucken, lenke meinen Blick aber wieder nach vorne. Schließlich kommen wir auf dem großen Marktplatz an, welcher die Mitte der Stadt darstellt. In der Mitte sind über hundert Särge aufgestellt, gebaut aus dunklem Holz und verziert mit kleinen Schnitzereien von Tieren und Pflanzen. Die Wesen verteilen sich in einen großen Kreis, um die Toten, bis jedes Geräusch verstummt. Nur der leise Atem der Leute ist zuhören, nicht einmal die Jüngsten unter uns geben etwas von sich. Jeder weiß, dass wir uns nun von geliebten Personen verabschieden, Gefallene der letzten Tage. Meine Gedanken schweifen zu den Soldaten, welche ich trainiert habe, auch von ihnen sind nicht alle zurückgekehrt. Der alte Mann, dem ich geholfen habe ist gestorben und hat seine Familie bei uns gelassen. Einer der Jungs vom Schwertkampftraining musste sein Leben lassen und würde nie mehr nach Hause kommen. Ich denke auch an die Wesen, welche verzweifelt versuchten ihre Heimat auf den Randinseln zu schützen und doch keine Chance hatten. Ich spüre feuchte Tränen in meinen Augen aufsteigen, als ich auch dem Vater von Jake und Victoriá eine gute Reise wünsche. Nach ewigen Minuten des Schweigens erhebt mein Vater seine Laterne über seinen Kopf und lässt sie schlussendlich los. Wie ein Blatt im Wind wird die Seele des Feuers aufgenommen und in die Weiten des Himmels getragen. Nun löse auch ich meine Finger von den Leinen und das Licht segelt in Richtung Sterne, immer mehr Wesen lassen ihr Licht fliegen, bis der Himmel erfüllt ist mit aberhunderten Lichtern. Sie fügen sich dem Sternenhimmel hinzu und mit ihnen, so sagt die Legende, auch die Seelen der Verstorbenen. Leises Schluchzen durchbricht die Stille, die Trauer lässt jeden fühlen und leise Gebete werden den Laternen hinter her geschickt. So vergehen die Minuten und die Wesen verabschieden sich für ein letztes Mal, dann verlassen die ersten den großen Platz. Sie gehen nach Hause in dem Versuch ihren Alltag wieder aufzunehmen, doch es wird Jahre dauern, bis der Schmerz tauber wird. Wir warten bis jeder sich abgewandt hat und erst als der Platz in der Dunkelheit verschwindet, drehen sich mein Vater und ich um. Keiner wartet auf uns, sie alle sitzen zu Hause bei ihren Familien und betrauern ihre Verluste. Lian und Runa sind bei ihren Eltern und auch Jake ist nun bei seiner Mutter und Schwester.

Seite an Seite gehen mein Vater und ich zurück zum Schloss, durch dunkle Gassen und den steilen Pfad hinauf. Bald kommen wir zu Hause an, doch der Palast wirkt ruhig und verlassen. Wir bannen uns den Weg zu einem der Kaminzimmer, in welchem wir uns vor das Feuer auf den Boden setzen. Die Flammen wärmen mein kaltes Gesicht und Zenobio legt schnurrend seinen Kopf auf meinen Schoss. Mein Vater und ich schauen einfach nur dem Flackern des Feuers zu, keiner muss etwas sagen. In diesem Moment lassen wir einfach unsere Gedanken schweifen und nehmen die Gegenwart der Familie war.

847 Wörter ✔

The legends of tomorrowWo Geschichten leben. Entdecke jetzt