Chapter 98

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Lautes Gerede hallt in der großen Halle wieder und mein Blick wandert zwischen den Stühlen hin und her. Vor einer Stunde hatten wir meinem Vater berichtet, was im Wald vorgefallen war und kurz darauf wurden Alverio los geschickt, um die Natur ebenfalls zu befragen, doch sie kamen mit der gleichen erschütternden Nachricht zurück. Wir mussten nicht lange überlegen, was der Grund der Entführung war. Karmayna war schließlich die Hexe, welche den Bann, um Färöer geschaffen hatte und sobald sie die Inseln verließ, waren wir schutzlos ausgeliefert. Wir haben nur wenig Zeit, in Anbetracht der Tatsache, dass König Härbör sich auf einen Krieg vorbereitet und der Wall jede Sekunde an Magie verliert. So schnell wie möglich wurde eine Versammlung einberufen und die wichtigsten Informationen weitergegeben. Doch als die Frage kam, was wir nun tun sollten, brach das Chaos aus. Wir hatten alle gehofft, dass das Soldaten Lager nur ein Zufall war, doch das uns in kürzester Zeit tatsächlich ein Krieg bevorsteht, bringt Unruhe und Furcht unter die Wesen. Sie hatten die Menschen schon einmal besiegt, doch es waren viele Opfer gefallen und jeder von ihnen kennt noch den Schmerz des Verlustes. Ich meinerseits habe nicht einmal Ansatzweise die Folgen eines Krieges spüren müssen. Bis auf die einzelnen Angriffe des letzten halben Jahres und den Erinnerungen meines Volkes hatte ich nicht einmal Gewalt erlebt. Ich bin beschützt und behütet aufgewachsen, sorglos und naiv.
Die Meinungen in der Versammlung gehen von einem Gegenangriff bis hin zur Kapitulation, doch alle wollen die Bevölkerung von Färöer beschützen. Ich bin so tief in Gedanken, dass ich kaum bemerke, wie die Mitglieder zu einer Entscheidung kommen. Erst die ausbreitende Stille lässt mich wieder in der Wirklichkeit ankommen. Langsam hebe ich meinen Kopf und schaue zu Jake, welcher mit entschlossener Miene in die Runde schaut. König Rayloy ist es schließlich, welcher das Urteil ausspricht: Wir werden Karmayna aus den Fängen der bösen Hexe retten. Der Kommandant der Angriffstruppe wird mit einigen ausgewählten Kämpfern, das Land verlassen und unsere Runenhexe wiederholen. Diese wird die einzige sein, welche den Wall wieder aufbauen kann und uns Schutz bieten wird. Die Überlegung klingt plausibel, doch dann sickern die Informationen in mich und mein Blick wandert erschrocken zu Jake. Der Angriffstruppenkommandant des letzten Krieges war mein Seelenpartner und genau dieser muss nun in die Zone des Feindes. Schwer schlucke ich und blinzele aufkommender Tränen weg. Mein Körper verkrampft sich, als will er sich weigern die Tatsache zu akzeptieren, dass wir für eine unbestimmte Zeit getrennt sein würden. Die Stimmen um mich herum werden zu einem einzigen Rauschen und ich versuche gefasst zu bleiben. Ich kann mir keine Blöße geben. Ich muss standhaft bleiben. All das rede ich mir ein, über Minuten und Stunden, bis schließlich die Versammlung beendet wird. Die Wesen verlassen einen nach dem anderen, den großen Saal, bis schließlich nur noch Jake und Ich am großen Tisch sitzen. Mein Blick ist mittlerweile verzweifelt auf meine Hände gerichtet. In dem matten Versuch nicht die Kontrolle über sie zu verlieren. "Kathlin", durchbricht Jakes beruhigende Stimme, die Leere welche in meinem Kopf herrscht. Wie paralysiert schaue ich nach oben und sehe Jakes von Verzweiflung verzerrtes Gesicht. "Es muss sein. Ich muss meiner Pflicht nachgehen und ich werde doch bald wieder kommen. Du wirst schon sehen, die Zeit vergeht wie im Flug und schon kann ich wieder an deiner Seite sein.", redet er beruhigend auf mich ein, doch von mir kommt nur ein kurzes Nicken. Er hat Recht, doch was könnte alles passieren, wenn er unterwegs ist. Seine Mission besteht nicht wie bei Lian aus spionieren, er muss angreifen und kämpfen. Plötzlich bin ich wieder Herr meines Körpers und springe ruckartig auf, nur um Jake in meine Arme zuziehen. Seine Arme legen sich sanft um mich und ziehen mich noch ein bisschen näher an ihn. Seine Wärme umhüllt mich und gibt mir die Geborgenheit, welche ich gerade so unbedingt brauche. Wir kennen uns noch nicht lange, das Band hat uns zusammengeschweißt, doch wir sind nicht einmal richtig zusammen. Wie kann es nur sein, dass ich so abhängig von ihm bin, dass nur bei dem Gedanken daran, dass er bald weg ist, mein Körper und Geist wie gelähmt vor sich hin starrt. Ein Schluchzen verlässt mich ungewollt und ich verstecke mich an seinem Hals. Seine Hände streichen vorsichtig über meinen Rücken, als wollten sie mir jeden Schmerz nehmen und ihn einfach weg wischen. Nach Ewigkeiten löse ich mich von ihm, ich kann es nicht verhindern und schaue mit tränenverschleierten Augen zu ihm herunter. Ein mattes aber aufmunterndes Lächeln zieht sein Gesicht und er wischt mir behutsam, mit seinen Daumen die Tränen weg. Es wird alles gut., flüstert er mir entgegen und abermals Nicke ich, wobei ich versuchen den Kloß in meinem Hals runterzuschlucken.
Am späten Abend ist es soweit, wir stehen abermals auf dem Hof, doch diesmal steht Runa links neben mir, als würde sie versuchen Jakes Platz zu füllen. Vor uns stehen reisebereit Jake, Lian und zehn weitere Soldaten. Nicht viele für eine Rettungsaktion, doch wir müssen daran denken, dass sie unentdeckt blieben und dass auch Färöer weiterhin beschütz wird. Diesmal darf ich keinerlei Gefühle zeigen, keine letzte Umarmung und keine aufmunternden Worte, nur ein respektvolles Nicken zu den Soldaten. Doch kurz bevor die Gruppe sich umdreht, schaut mir Jake tief in die Augen und ich höre sein Stimme in meinem Kopf, wie sie spricht: Ich liebe dich". Eine Träne rinnt mir über die Wange und ich schaue tatenlos zu, wie sie verschwinden. Runa ist die einzige, welche meinen Gefühlsausbruch mitbekommt. Sie legt vorsichtig einen Arm um mich und deckt mich so vor neugierigen Blicken. Wir stehen noch weitere verzweifelte Minuten draußen, bis mich meine Freundin schließlich rein schiebt. Wie in Trance gehe ich durch die vielen Gänge hoch in mein Zimmer.

Die nächsten Tage bekomme ich kaum mit, denn ich fühle mich leer und verlassen. Nicht einmal die Sorgen, um Jake lassen mich etwas fühlen. Runa versucht allesmögliche, um mich aufzumuntern oder wenigsten abzulenken, doch nichts funktioniert. Ich weiß, dass ich an den Tagen esse und schlafe, doch was dazwischen passiert, verschwindet in unendlicher Dunkelheit.
Am vierten Tag sitze ich gerade am Tisch und verspeise eine heiße Suppe, als ein unglaublicher Schmerz durch meine Brust zuckt. Mein Herz verkrampft sich und ein stummer Schrei verlässt meinen Mund. Doch so schnell, wie es gekommen war, so schnell ist es wieder weg. Ein furchtbares Gefühl begleitet mich seit dem, doch dieser Moment war es auch, welcher wieder Leben in mich brachte. Ich kann noch immer nicht mit voller Freude meinen Tag genießen, doch ich gehe wieder zum Unterricht, unterhalte mich mit meinem Vater und Runa und trainiere mir Zenobio. Irgendwie ging alles weiter, ich weiß wieder was ich an den Tagen gemacht hatte, nehme meine Umgebung wieder war und handele wieder bewusst. Doch meine Gedanken sind immer wieder bei Jake, denn es fühlt sich an, als würde unsere Verbindung geschwächt worden sein. So vergeht eine weitere Woche, bis es schließlich zu einer grausamen Nachricht kommt. Menschliche Soldaten wurden auf Färöer gesichtet.

1165 Wörter ✔

The legends of tomorrowWo Geschichten leben. Entdecke jetzt