Die Nacht

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Nachdem Tymdek sich in die kommende Dunkelheit aufgemacht hatte sammelte John einige größere und kleine Äste für das Feuer. Bevor der große Drache sich jedoch auf den Weg gemacht hatte, war er noch einmal mit dem Menschen in Verbindung getreten und hatte klar gemacht, dass er ihn finden und töten würde, wenn John seiner Tochter etwas antun sollte. Der Titan nahm die Warnung sehr ernst und hatte Tymdek versprochen, nichts dergleichen zu tun.

So saß er nun also gemeinsam mit Feyth und Keno am Lagerfeuer, das er mit Hilfe eines Steins und seinem Messer entzündet hatte. Das kleine Drachenmädchen lag zusammengerollt neben dem verletzten Drachenreiter und sah John über das Feuer hinweg an. Ihre Schuppen ließen kleine Lichtpunkte über die mittlerweile ins Dunkel getauchte Lichtung wandern und lange Schatten krochen hinter ihr, John und Keno im Schein der Flammen auf dem Boden.

*Also, wo kommst du her John? Du meintest, dass es dort wo du herkommst keine Drachen gibt. Was machst du hier?* durchbrach Feyth schließlich die Stille, die sich über die kleine Gruppe gelegt hatte. Der Soldat blickte verloren ins Feuer und fingerte an seinem Helm herum, den er auf seinem Schoß liegen hatte. „Ich komme von weit her Feyth, meine Heimat wird vermutlich nicht einmal mehr in euren größten Karten verzeichnet sein. Und nein, dort gibt es weder Drachen noch Magie." antwortete er, ließ ihre zweite Frage jedoch unbeantwortet. Das Drachenmädchen blieb jedoch hartnäckig: *Aber warum bist du dann hier, wenn dein Land so weit entfernt liegt? Du meintest vorhin, du wärst ein Soldat, bist du etwa wegen dem bevorstehenden Krieg hergekommen?*

John runzelte die Stirn. „Ein Krieg? Nein, ich hatte keine Ahnung davon, dass dieses Land hier kurz vor einem Krieg steht. Um ehrlich zu sein wusste ich bis vor ungefähr einer Woche noch nicht einmal, dass es Nidhan überhaupt gibt. Ich bin rein zufällig hier gelandet." *Das heißt, dass du überhaupt keine Aufgabe hast? Warum bist du dann auf den Weg zu den Drachenreitern?* Er musste unwillkürlich schmunzeln, Feyth war offenbar nicht leicht von ihrem Thema abzubringen. John langte nach einem größeren Stück Holz, warf es auf das Feuer und räusperte sich bevor er entgegnete: „In dem Dorf unweit von meiner Landungsstelle entfernt erzählte man mir von den Drachenreitern und dass sie vielleicht in der Lage dazu wären, mir zu helfen. Da ich keinerlei Möglichkeit habe anderweitig zurück nach Hause zu gelangen, dachte ich mir, dass sie meine einzige Chance sind. Deswegen habe ich mich auf den Weg zu ihnen gemacht." *Oh, ich verstehe.* meinte das Drachenmädchen und er konnte eine leise Enttäuschung aus ihrer Stimme heraushören.

Bevor sie jedoch eine weitere Frage stellen konnte, kam er ihr zuvor: „Wieso hast du mir geholfen auf den Weg zurückzufinden? Dein Vater hat versucht mich bei unserer ersten Begegnung zu töten, doch du hast mir geholfen, wieso?" *Du sahst sehr verloren aus und da ich zu dem Zeitpunkt sowieso gerade nichts zu tun hatte, habe ich dir eben geholfen.* antwortete sie schnell, doch ihr Tonfall und die Tatsache, dass sie gerade von ihm weg sah, ließen John zu der Annahme kommen, dass es einen anderen Grund haben musste. Er wollte Feyth jedoch nicht zwingen, denn offenbar war ihr das Thema sehr unangenehm, also schwenkte er um. „Ich verstehe. Es gäbe da allerdings noch ein Frage, die ich dir gerne Stellen würde. Woher kennst du Keno? Besucht ihr wilden Drachen etwa ab und zu die Drachenreiter oder bist du ihm schon einmal hier im Wald begegnet?"

Sie blickte ihn wieder in die Augen und meinte: *Ich habe ihn kennengelernt, als uns meine Mutter mitsamt ihrem Reiter und ihren Schülern besuchen kam. Er war einer der Schüler, genauso wie sein Drache Shad.* „Ah, deine Mutter ist also der Drache eines Reiters. Das erklärt natürlich einiges." erwiderte John überrascht und warf einen kurzen Seitenblick auf Keno, der leise im Schlaf gestöhnt hatte. „Glaubst du es wäre möglich, dass sie hier in nächster Zeit auftaucht und mich und Keno mitnimmt?" *Mutter und Vater verstehen sich nicht besonders gut, sie wird wohl eine ganze Weile nicht hier aufkreuzen. Warum sollte sie auch? Wegen mir ganz bestimmt nicht.*antwortete das Drachenmädchen und wirkte seltsam bedrückt. John wurde hellhörig. „Wieso nicht? Du bist doch ihre Tochter, oder etwa nicht?" *Gerade das ist das Problem.* seufzte sie und verwirrte ihn dadurch umso mehr. „Ich verstehe nicht. Eine Mutter sollte doch ihre Tochter lieben?" *Ich bin es in ihren Augen nicht würdig ihre Tochter zu sein, wenn es nach ihr ginge, wäre ich schon wohl längst tot.* „Das ist doch absurd." *Ich bin viel zu klein und schwach für mein Alter John! Ich kann noch nicht einmal Feuerspeien, obwohl ich schon über zwei Jahre alt bin! Der einzige der mich so akzeptiert wie ich bin, ist Vater. Er ist es der für mich gegen Mutter einsteht und mich immer noch in seinem Revier duldet, obwohl ich schon längst ein eigenes haben sollte.*rief sie wütend in seinem Kopf.

Der Titan brauchte einen Moment um zu verstehen, was sie gerade gesagt hatte, doch als er es begriff, breitete sich brennender Hass in ihm aus. Der Hass war so stark, dass Feyth auf der anderen Seite des Feuers ein kurzes Jaulen von sich gab und ihn entgeistert anstarrte. „Deine Mutter verabscheut ich also, nur weil du anders bist, als die Anderen? Auf mich wirkst du kerngesund!" knurrte er und zermalmte einen kleinen Ast, den er eigentlich hatte ins Feuer werfen wollen, zu Staub in seiner Faust. *John?* fragte der kleine Drache vorsichtig, immer noch überwältigt von seinem Gefühl des Hasses, das er ausstrahlte. Die Hand immer noch zur Faust geballt, schloss der Soldat die Augen und atmete mehrere Male tief durch. Es war nicht leicht, seine Gedanken wieder zu entspannen, doch nach einiger Zeit öffnete er wieder die Augen und sah Feyth entschuldigend an.

„Verzeih mir bitte, es sind nur Erinnerungen an lang vergangene Tage. Tut mir Leid, das mit deiner Mutter. Ich verabscheue solche Personen." meinte er und sie entgegnete: *Schon in Ordnung. Du musst selbst einiges mitgemacht haben. So starke Gefühle habe ich noch nie gespürt.* „Glaub mir, das willst du gar nicht wissen." murmelte er und blickte wieder verloren in die Flammen. Das Drachenmädchen schloss sich ihm an und sagte, während sie beide in Feuer starrten: *Ich ignoriere Mutter für gewöhnlich, genau das sagt Vater auch immer. Aber was mich viel mehr interessieren würde ist, wie alt bist du eigentlich John? Ich habe noch nie einen derart starken Menschen gesehen. Nicht einmal ein Drachenreiter hätte es ohne Magie gegen Vater geschafft.* Als er keine Anstalten machte ihr zu antworten fügte sie neckisch hinzu: *Ich habe dir mein Alter ja auch gesagt. Also keine Angst dich zu blamieren.*

John seufzte leise und sah zu ihr auf. „Wie alt würdest du mich schätzen?" *Ich weiß nicht. Dein Geist fühlt sich sehr erfahren an, als hättest du eine Menge erlebt, doch dein Gesicht zeigt mir einen jungen Mann. Du könntest dein Aussehen mit Magie verändert haben, andererseits jedoch sagtest du, dass du keine magischen Fähigkeiten besitzt. Wie wäre es mit um die fünfundzwanzig?* Er lachte trocken. „Das wäre schön. Versuche es mit einer Null hinter der Fünf." *Das wären –* sie verstummte und ihre Augen weiteten sich. Ungläubig sah sie ihn an und musste unwillkürlich den Kopf schütteln. John lächelte verwegen und begann mit einem langen Ast im Feuer herum zu stochern. An Feyth gewandt meinte er: „Nein, ich lüge dich nicht an." *Aber wie?* stammelte sie und er erwiderte: „Wie ich so jung aussehe? Wie ich den Kampf gegen deinen Vater überlebt habe? Nun, es ist schwer dir das zu erklären. Am ehesten könntest du es einen Fluch nennen, ja ich denke, das trifft es noch am besten." *Einen Fluch?* „Ja. Die Schamanen meines Stammes haben mich verflucht, um aus mir einen starken Krieger zu machen. Aber sie haben nicht über die Folgen nachgedacht." Das Drachenmädchen wirkte gleichzeitig angespannt und neugierig. *Was für ein Fluch?* wollte sie wissen, doch John schüttelte langsam den Kopf. „Es ist eine Sache, über die ich nur ungern Rede."

Eigentlich hatte er es vermeiden wollen, über dieses Thema zu sprechen, doch die Erklärung von Schamanen mit einem Fluch belegt worden zu sein, schien ihm eine äußerst ironische Darstellung für die Modifikationen an seinem Körper durch die Wissenschaftler. Allerdings wollte er Feyth nicht zu sehr erschrecken, weshalb er es dabei beließ. Sie schien zwar etwas verärgert darüber zu sein, nicht mehr von ihm zu erfahren, doch sie akzeptierte es und meinte: *Nun zumindest erklärt das wenigstens den Unterschied von deiner äußeren Erscheinung und deinem Geist. Irgendwann will ich aber die gesamte Geschichte hören John!" Der Soldat schenkte ihr ein Lächeln.

Es war merkwürdig für ihn, dass er eine Person, die er erst seit wenigen Stunden kannte, besser verstand als einige seiner Freunde in seiner Dimension, mit denen er schon seit Jahren in Kontakt stand ohne sich wirklich näher zu kennen. Das Gespräch mit Feyth wirkte auf ihn so natürlich, als wären sie schon längere Zeit gemeinsam unterwegs. Einerseits empfand er es als unheimlich und fremd, doch andererseits genoss er es, wie auch schon zuvor bei den Dorfbewohnern, dass man ihn einfach so akzeptierte, ohne das auf sein angsteinflößendes Äußeres geachtet wurde. John wollte gerade fragen, ob sie hungrig wäre, als ein lautes Stöhnen seine volle Aufmerksamkeit verlangte.

Er und Feyth sprangen beide überrascht auf und blickten zu Keno, der langsam seine Augen öffnete.



[Eragon Fan-Fiction] Der Titan und die DrachenreiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt