Schmetterlinge im Bauch

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„Warum hast du dir eigentlich den Helm vom Kopf gerissen? Die beiden hättest du doch auch so einfach platt gemacht, vermutlich sogar wesentlich schneller." merkte Steven neugierig an, während er zusammen mit Alex in Richtung der anderen trabte, deren Position schon von weitem her durch Tymdeks und Mimiaths gewaltige Körper einsehbar war. Alex seufzte aufgebend und zuckte mit den Schultern. Er wusste selbst nicht, warum genau er es getan hatte, lediglich eine unbestimmte Vermutung.

Er erinnerte sich nur an eine unglaubliche Wut gegenüber den Ra'zac. Und an den Anblick der verletzten Drachendame. Wie ihre wunderschönen, weißen Schuppen von ihrem eigenen Blut benetzt wurden, das aus den Pfeilwunden der Unholde rann.

„Ich weiß es nicht, es muss wahrscheinlich einfach ein Reflex gewesen sein." antwortete er ausweichend, wobei er versuchte so gelassen wie möglich zu klingen. Seine rauchige Stimme half dabei ganz gut. „Hhm, ja gut, kann natürlich sein. Du hast ja schon en paar Mal sowas gebracht. Aber ich wette der Ra'zac hat extrem gut geschmeckt, im Vergleich zu dem Hund, den du letztes Jahr zerfleischt hast." erwiderte Coule feixend und hob grüßend die mechanische rechte Hand des Juggernauts, als Tymdek unwillkürlich zu ihnen herübersah. Nurton kannte die quatschköpfige Art seines Bruders nur zu gut und war in diesem Moment sogar recht froh darüber, dass Steven nichts in seiner Stimme bemerkt hatte. Ansonsten, da war er sich sicher, würde dieser ihn nonstop deswegen aufziehen. „Der Kläffer hatte es nicht anders verdient. Wenn er versucht Micheals Frau anzufallen, während ich mit ihr vom Einkaufen zurückkomme, muss wohl sein Besitzer froh sein, dass ich ihn nicht auch gleich in der Luft zerrissen hab." entgegnete Alex brummend, doch seine Gedanken schweiften in eine andere Richtung ab. Sie waren mittlerweile nur noch wenige Dutzend Meter von den anderen entfernt.

Und damit auch von Mimiath.

Ihre schneeweißen Schuppen reflektierten das Sonnenlicht mit einem unerreichbar schönen Funkeln, das ihn praktisch in seinen Bann zog. Sie hatte den Kopf erhoben und nach hinten auf ihren muskulösen Rücken gewandt, wo Alina gerade dabei war, die einzelnen Pfeile herauszuziehen und die Wunden zu versorgen. Ihr Gesicht, wenn man es bei Drachen so nannte, ließ seine Augen fast aus ihren Höhlen kullern, als er sie nun genauer betrachten konnte. Ihre Züge waren elegant und makellos, wie ein meisterhaft geschliffener Diamant und auch gleichzeitig genauso so hart und unnachgiebig wie ebenjener. Die himmelblauen Augen verliehen ihr eine ruhige und gütliche Ausstrahlung und passten einfach perfekt zu ihrem Schuppenkleid. Ihr Anblick ließ sein Herz einen kleinen Tick höher schlagen und fast unmerklich beschleunigte er seinen Schritt.

„Oh prima! Ally ist schon da, um sie zu verarzten. Naja, was sind ein paar Pfeile schon für einen erwachsenen Drachen? Da könnte man ihn wohl gleich mit Zahnstochern bewerfen." gluckste Coule und ballte spielerisch beide Hände des Juggernauts zu Fäusten. „Das sind echt riesige Kolosse, ich glaube ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie derartig Respekt vor jemanden, wie Tymdek, Lyath und Mimiath hier. Außer vielleicht vor Dad und Miss Kleist aus der sechsten Klasse." „Es sind wahrlich majestätische Geschöpfe." murmelte Nurton zustimmend und spürte, wie er selbst deutlich nervöser wurde, was ein komisches Gefühl für ihn war.

Er wurde sonst nie nervös, selbst nicht im schlimmsten Kampfgetümmel.

„Ah, da seid ihr beide ja! Ich hoffe doch, es gab keine großen Probleme?" begrüßte Micheal sie, als sie sich zu den anderen gesellten, die in einer Art Halbkreis vor Mimiaths Flanke standen. „Ne, lief alles glatt. Alex hat ihnen ziemlich den Arsch aufgerissen, von denen ist nicht mehr als ein paar Fetzen übrig. Vielleicht finden wir noch irgendwelche Hinweise, wenn wir die Überreste durchstöbern." erwiderte Steven gelassen und versetzte den Juggernaut in den Standby-Modus, wodurch er einfach die Einstiegsluke öffnen und herausspringen konnte, ohne ihn komplett ausschalten zu müssen.

Nurton jedoch hatte nur Augen für das weiße Drachenweibchen, das ihn nun wie ein Berg aus Muskeln und Schuppen überragte. Er musste unwillkürlich schlucken und war froh, dass er seinen Helm mit dem verspiegelten Visor trug, denn der Drache hatte nun ihm ihren Kopf zugewandt und musterte den Titanen neugierig.

„Gut. Am besten machst du dich zusammen mit Shenmi direkt auf den Weg zurück zu den Leichen und durchsuchst sie, da ich nicht vorhabe hier zu bleiben, solange die Möglichkeit für einen Angriff von Ra'zacs besteht." merkte Forke ernst an, was dem Sergeant ein gespieltes Seufzen entlockte. „Hättest du das nicht gleich sagen können? Was hast du überhaupt vor?" „Wir werden die Venator auf etwas Abstand zur Küste bringen. Die Ra'zac und Lethrblaka fürchten tiefe Gewässer und werden es daher nicht wagen, zu uns hinaus aufs Meer zu fliegen." erklärte Jonas mit verschränkten Armen. „Hmpf. Ich hätte nichts dagegen, noch ein paar mehr dieser Viecher zu massakrieren, aber wenn du meinst. Bitte verzeiht, Mimiath, scheinbar ist es uns noch nicht vergönnt, einander näher kennenzulernen." entgegnete Coule und deutete eine kleine Verbeugung in Richtung der Drachendame an. Diese richtete kurz ihren Blick auf den Sergeant und zwinkerte ihm verstehend zu. *Natürlich, dafür ist später immer noch genug Zeit, Krieger. Tut eure Pflicht.* meinte sie höflich und Alex erstarrte zu einer Salzsäule.

Ihre Stimme klang wie ein himmelsgleicher Chor in seinem Kopf wieder. Er hatte noch nie etwas Vergleichbares gehört. So sanft, so fürsorgend, so warmherzig. Sein Herz begann derart laut zu pochen, dass er es deutlich in seinen Ohren hören konnte, als sie sich wieder ihm zuwandte.

„Ha! Hörst du Schatz? Ich bin ein ehrenvoller Krieger!" gluckste Steven und grinste breit, als Shenmi ihm im vorbeigehen einen kleinen Kuss auf den Mund drückte. „Ein Quatschkopf bist du. Auf jetzt!" sagte sie amüsiert und sprang auf den Rücken des Juggernauts, während ihr Verlobter wieder im Inneren Platz nahm und die Luke verschloss. „Also, bis nachher!" rief er den umherstehenden Titanen noch zu, bevor er sich erneut auf den Weg zur Lichtung begab, diesmal in Begleitung von Yang.

Nurton bekam davon allerdings kaum etwas mit, er hatte nur Augen für Mimiath.

„Alles klar, Alex? Du stehst da, wie vom Blitz getroffen." fragte Julia, die inzwischen ihren Helm an der Hüfte hängen hatte, ernst und knuffte ihrem Bruder gegen den rechten Arm, aber er reagierte nicht darauf. Die himmelblauen Augen der Drachendame zogen ihn geradezu magisch an. „Hallo? Erde an Alex? Alles klar, du Dickschädel?" hakte die Pilotin nun eindringlicher nach. Erst jetzt schüttelte er kaum merklich den Kopf und nickte seiner Schwester kurz angebunden zu. „Äh, ja. Alles klar." „Alles klar, ja? Deswegen stehst du auch so da, wie eine Statue und starrst Mimiath an, was? Wie wäre es, wenn du dich erst einmal vorstellst, oder hast du neben deiner Motorik auch deine Höflichkeit verloren?" bemerkte sie kopfschüttelnd und deutete in Richtung des schneeweißen Drachenweibchens, das vom Ausdruck her recht amüsiert über das kleine Geplänkel war.

„Nein. Natürlich nicht." protestierte der goldbraun gepanzerte Titan halbherzig, musste jedoch unwillkürlich schlucken, als Mimiath ihren Kopf behutsam einen knappen Meter vor ihn schob, sodass ihr großes himmelblaues Auge direkt vor seinem Visor schwebte. *Ihr müsst Alex, aus Dunkelschwinges Erinnerung sein. Es freut mich, euch endlich persönlich kennenzulernen. Mein Name ist Mimiath Mondschwinge und der Mann dort bei eurem Kamerad, Giftdorn, ist mein Seelenbruder Trestol Gleifsson. Ihr habt meinen größten Dank, Alex, dafür, dass ihr Dunkelschwinge und Adlerauge bei unserer Rettung geholfen habt.* meinte sie respektvoll und zwinkerte ihm wohlwollend zu. „Ich – nun – äh – danke. K – keine Ursache. Ich bin Alex. Nurton. Oder Titan 08. Aber ihr könnt mich ruhig weiterhin Alex nennen." antwortete er fahrig und verhaspelte sich mehrmals, was dem Drachenweibchen so etwas ähnliches wie ein Kichern entlockte.

Micheal, Jonas und Julia starrten ihren Bruder hingegen halb verwirrt an.
So nervös hatten sie ihn noch nie erlebt.
Lediglich Shixin, in seinem weinrot lackierten Atlas mit hellblauem Visor schien das ganze lockerer zu sehen, genauso wie Kevin, der verstohlen lächelnd neben Trestol kniete.

*Dann werde ich euch weiterhin bei eurem Namen nennen, Alex.* erwiderte Mimiath freundlich und fügte dann neugierig hinzu: *Könntet ihr bitte euren Helm abnehmen? Ich würde meinem Retter gerne ins Gesicht blicken können, während ich mit ihm rede.* „Was? Oh! Ja, natürlich! Wartet. Nein, das geht nicht." entgegnete Nurton und fasste sich bereits an den Helm, als er aus dem Augenwinkel heraus Tymdek erspähte und dann hastig verneinte. Die Drachendame schnaubte überrascht. *Warum? Ihr braucht keine Angst haben, es macht mir nichts aus, ob ihr ein perfektes Gesicht besitzt, oder entstellt seid. Ich will euch lediglich in die Augen sehen können.*

„Das ist nicht das Problem Mondschwinge. Ich denke euch ist es ebenfalls schon unterbewusst aufgefallen, dass Dunkelschwinge einen bestimmten Duft verströmt, der andere Drachen davor warnt ihm und seinen frisch geschlüpften Jungen zu nahezukommen." sprang Shixin seinem Bruder zu Hilfe und trat leichten Schritts neben ihn. Alex sah geschwind zu ihm herüber und bemerkte, dass Zhou neben seiner Railgun und Pistole auch noch sein anderthalbhändiges Schwert in einer elektromagnetischen Halterung auf dem Rücken trug.

Es glich von Form und Aufbau her sehr stark einem altertümlichen "Kriegsmesser" aus dem 16. Jahrhundert und war ein Unikat, das nicht einfach nur aus Stahl gemacht war. Seine Schneide bestand aus speziell hergestelltem amorphem Wolfram, das Mark schlicht Wolframglas nannte und war dadurch unglaublich hart und widerstandsfähig. Der Rest der Klinge bestand aus einem feinabgestimmten Wolframstahl, der einerseits nicht zu hart, aber auch nicht zu weich war, um eine perfekte abfedernde Wirkung für das relativ spröde Wolframglas zu haben, das in Verbindung mit einem extrem harten Schwertrücken nach nur wenigen Schlägen zerbrechen würde. Der Clou an der Waffe war, dass die Schneide aus Wolframglas nie abstumpfte. Einmal bis aufs äußerste geschärft behielt sie diese Schärfe auf lange Zeit hin bei, selbst bei starker Belastung. Erreicht wurde dieses kleine Phänomen durch einen selbstschärfenden Effekt des amorphen Metalls, jeder Schlag, den die Schneide abbekam, schärfte sie einfach nur, anstatt sie abzustumpfen.

Die Parierstange bestand ebenfalls aus gehärtetem Wolframstahl, wohingegen der Griff aus handgeschnitztem Schlangenholz angefertigt war, um das Shixin feinsäuberlich ein Band aus Rauleder gebunden hatte, damit das Schwert besser in der Hand lag und nicht so leicht verrutschte. Den Abschluss bildete ein großer, tropfenförmiger Knauf, der aus extrem hartem Wolframcarbid bestand.

Die gesamte Waffe war gut und gerne 180 Zentimeter lang und besaß eine ähnliche Farbe wie sein weinroter Atlas, nur etwas glänzender. Lediglich das Heft mit dem lederumwickelten Holz, war hellbraun. Eine Scheide brauchte es nicht, da es auch so vollkommen korrosionsbeständig war und es durch die magnetische Haltevorrichtung nicht wirklich zu Verletzungen kommen konnte. Shix besaß trotzdem eine von ihm selbst dekorierte Scheide, in der er das Schwert mit sich trug, falls er ohne Rüstung trainierte. Alles in allem war es eine absolut tödliche Waffe, deren geschwungene Klinge mit Leichtigkeit durch Körperpanzerungen, Fleisch und Knochen drang, insbesondere, solange Zhou sie führte.

*Das habe ich Shixin und diese Nachricht erfüllte mich mit viel Freude, als Tymdek es mir mitteilte. Aber ich verstehe nicht, was es mit eurem Kamerad zu tun hat.* meinte Mimiath zustimmend und nahm etwas mehr Abstand, um beide Titanen gleichzeitig im Blickfeld zu haben.

Beschämt knirschte Alex mit den Zähnen senkte leicht den Kopf. Er hasste das Darwin-Protokoll dafür, ihm einen derart feinen Geruchssinn zu bescheren, der, zusammen mit seinem gesteigerten Aggressionspotential, dafür sorgte, dass schon winzigste Mengen an bestimmten Pheromonen genügten, um ihn austicken zu lassen. Dass Tymdeks Geruch derart stark war, machte die Sache auch nicht gerade einfacher. Er wollte ihr den Wunsch auf keinen Fall abschlagen, doch solange der schwarze Drache in seiner Nähe war, wollte er es nicht riskieren, den Helm für ein Gespräch abzulegen. Er wollte gerade schüchtern vorschlagen, ihr kurz sein Gesicht zu zeigen, dann aber für ein weiteres Gespräch den Kopfschutz mit den Spezialfiltern wieder aufzusetzen, als Shixin das Wort ergriff.

„Das werdet ihr vielleicht erkennen, sobald er einen Helm abnimmt. Alex nimmt diesen Geruch ebenfalls wahr, aber er kann ihn nicht so einfach ausblenden wie ihr es offensichtlich könnt. Allerdings können wir Titanen für eine sehr lange Zeit unseren Atem anhalten. Daher wäre mein Vorschlag, dass er sich zwar den Helm vom Kopf nimmt, jedoch die Luft anhält, um die Duftstoffe nicht einatmen zu müssen. Ich würde dann seine Zeichensprache für euch übersetzen, falls ihr dem Vorschlag zustimmt, Mondschwinge." erklärte sein Bruder ruhig und Nurtons Miene hellte sich wieder auf. Für diese Idee konnte er ihm gar nicht genug danken, da er selbst im Leben nicht darauf gekommen wäre, zumindest, solange er derart fahrig und nervös war.

Das Drachenweibchen zwinkerte ihm bejahend zu und ihre Stimme klang noch neugieriger, als sie erwiderte: *Natürlich, Krieger. Ich bin schon sehr gespannt euch endlich von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen, Alex. Dunkelschwinge wollte mir nichts über euch verraten, was mich nur noch mehr anstachelt.* Der goldbraun gepanzerte Titan sah für einen kurzen Moment hinüber zu Tymdek, der wohlwollend das gewaltige Haupt neigte. Er nickte zurück und dachte insgeheim: 'Danke, Tymdek.' Er wusste nicht, ob Dunkelschwinge seine stille Danksagung mitbekam, oder weshalb er ihm überhaupt dankte, wenn er sich jetzt ohnehin offenbaren würde, es war einfach ein Reflex der Erleichterung. Mit einem großen Atemzug füllte er seine künstliche Lunge bis zum Anschlag mit frischer Luft, bevor er mit leicht zittrigen Händen seinen Helm packte und dann mit einem Zischen vom Kopf zog.

Mimiath erschrak regelrecht und zuckte mit einem überraschten Knurren zurück, als seine krokodilhafte Fratze zum Vorschein kam. Seine goldbraunen Schuppen, die massigen Kiefer mit teilweise herausstehenden, messerscharfen Zähnen, die borstenartigen, matschbraunen Haare auf seinem Kopf und die gelben Reptilienaugen mit ihrer schlitzartigen Pupille.

„Nun könnt ihr mein wahres Gesicht sehen. Ich hoffe, es ist nicht so entsetzlich anzuschauen, wie eure Reaktion es andeutet." übersetzte Shixin, Alex's Gebärdensprache, nachdem dieser den Helm an seiner Hüfte befestigt hatte. Es fiel ihm viel leichter die einzelnen Handzeichen zu formen, als direkt mit Mimiath zu reden, was seiner Nervosität jedoch keinen Abbruch tat. Das Herz schlug ihm immer noch bis zum Hals und er war sich sicher, dass er ohne sein Schuppenkleid knallrot im Gesicht gewesen wäre. Er konnte deutlich sehen, wie ihre ursprüngliche Verwirrung recht schnell in starke Neugier umschlug. Sie hob den Kopf wieder deutlich näher heran und streckte immer wieder ihre gespaltene Zunge aus dem Maul, um seinen Geruch zu kosten, während ihr Auge jeden einzelnen Millimeter seines Kopfes abgraste. *Nein, überhaupt nicht, bitte verzeiht. Ich war nur – überrascht. Ich dachte mir schon, dass ihr kein gewöhnlicher Mensch sein könnt, bei eurem Körperbau, aber das – das habe ich nicht erwartet. Diese Schuppen, eure Augen und euer Geruch – was seid ihr? Ein Drachenmensch?* antwortete sie entschuldigend und aufgeregt zugleich. Alex deutete ein schüchternes Lächeln an, was mit seinem Gebiss einer Drohung nicht unähnlich sah, doch Mimiath schien zu wissen, was er eigentlich meinte.

„Nein, kein Drachenmensch. Meine Veränderungen stammen von fernen Verwandten der Drachen, Tieren, die ihr als Panzerechsen bezeichnet." dolmetschte Zhou ruhig. Ihr Auge schien kurz aufzublitzen. *Panzerechsen? Ich kenne diese Wesen, sie sind recht stark für ihre Größe. Und ihr müsst wohl auch recht stark sein, es alleine mit einem Ra'zac und einem Lethrblaka aufzunehmen und mit nur einem einzigen Kratzer auf der Wange, zu siegen.*meinte sie schmeichelnd und zwinkerte ihm gutmütig zu.

Überrascht runzelte er die Stirn und tastete kurz beide Wangen ab. Er konnte sich nicht daran erinnern, einen Schlag gegen den Kopf abbekommen zu haben, wobei das nicht viel heißen musste. Die Erinnerungen an die Phasen in denen er vollkommen ausrastete waren immer verschwommen und nur bruchstückhaft vorhanden, allerdings spürte er auch nichts, das sich nach einem Schnitt oder Kratzer anfühlte. Und doch bemerkte er einen knapp fingerlangen Schnitt auf seiner rechten Wange. Er schmerzte nicht und es trat auch kein Nanitenblut aus, aber er wunderte sich, warum die Wunde sich noch nicht gänzlich geschlossen hatte. 'Vielleicht hat der Kerl mich doch mit seinem vergifteten Schwert erwischt.' mutmaßte er und spürte auch leicht, das neu entstandene Gewebe und Schuppen, um den Schnitt herum. Sie fühlten sich im Moment noch leicht weicher an, als das umgebende Schuppenkleid. Ein eindeutiges Zeichen dafür, dass die Naniten schon dabei waren, alles zu versorgen.

Nurton zuckte leicht zusammen, als er plötzlich direkt vor dem einen Spalt weit geöffnetem Maul der Drachendame stand und sie ihm zärtlich mit der Zunge über die verletzte Wange fuhr. Ihr Atem fühlte sich warm an und die Zunge erzeugte ein kratzendes Geräusch, als ihre Widerhaken über seine Schuppen glitten. Es war jedoch nicht mit einem einzigen Strich ihrer Zunge zu Ende, nein. Er konnte es nicht genau einsehen, doch von dem, was er noch auf seiner Wange spüren konnte, säuberte sie seine Wunde feinsäuberlich und so behutsam sie konnte. Alex stand erneut wie erstarrt da, während die Drachendame ihn behandelte, als wäre er eines ihrer Jungen, das sich verletzt hatte und so ähnlich fühlte er sich auch.

Nur nicht ganz, wie ein Kind.
Die Prozedur dauerte nur wenige Augenblicke, doch für den Titanen fühlte es sich an wie eine Ewigkeit, eine schöne Ewigkeit.

*Ich weiß, es mag nicht viel sein, doch es ist bis jetzt die einzige Möglichkeit, euch eure Hilfe wirklich zu danken. Schließlich soll sich eure Wunde doch nicht entzünden? Obwohl euch solch ein kleiner Kratzer vermutlich nicht wirklich gekümmert hätte. Aber ich denke, der der gute Wille zählt, oder was meint ihr, Alex?* bemerkte sie freundlich summend und zwinkerte ihm gutmütig zu. Auch Alex konnte nicht anders, fröhlich zu lächeln und aus dem Lächeln wurde ein richtiges Lachen.

Die Augen der anderen Titanen wurden groß und selbst Alina hielt kurz inne, um ihrem Bruder einen verblüfften Blick zu zuwerfen. Nurton derart befreit lachen zu hören, war eine wahre Seltenheit. Sein Lachen war rau, fast schon eher eine Art Grunzen.

Allerdings hatte das Ganze auch eine schlechte Seite, schließlich verbrauchte er gerade seinen gesamten Luftvorrat und würde jeden Moment wieder Luftholen.
Blitzschnell riss Shixin den Helm von Alex's Hüfte und setzte ihn ihm auf, so gut er konnte. Instinktiv übernahm der Echsenmensch von dort an das Aufsetzen und versiegelte den Helm luftdicht, während sein Lachen wieder verebbte.

„Da habt ihr wohl recht, Mondschwinge." erwiderte er glücklich und klopfte Zhou dankbar auf die Schulter. Dann trat er einen Schritt vor und kraulte der schneeweißen Drachendame kurz das gewaltige Kinn, was dieser ein genießerisches Summen entlockte, das ihren gesamten Körper vibrieren ließ. „Hey! Ich bin hier noch nicht fertig! Bitte haltet noch ein paar Minuten still, Mimiath. Es sind nur noch fünf Pfeile." beschwerte sich die Ärztin auf Mondschwinges Rücken lautstark. Erst jetzt schien Nurton zu begreifen, was er gerade tat und machte erschrocken einen Satz zurück.

„Ich –äh – ich – muss noch – dringend etwas erledigen! Wir sehen uns später!" brachte er fahrig heraus, nur um sich dann auch der Stelle umzudrehen, Shixin noch kurz ein „Danke!" zu zuflüstern und dann im Eiltempo in Richtung der Venator davonzurennen. Schon nach wenigen Augenblicken, war er nicht mehr zu sehen.

Mimiath blickte ihm leicht verwirrt hinterher und fragte zögerlich: *Habe ich etwas Falsches gesagt oder getan und ihn beleidigt? Wenn ja, tut mir das sehr leid.* „Oh nein, nein, ihr habt nichts Falsches getan. Wenn ihr etwas darüber nachdenkt, kommt ihr wohl schnell selbst dahinter, was genau mit dem lieben Alex los ist." antwortete Kevin amüsiert und auch Zhou versicherte der Drachendame ruhig: „Es ist alles bestes, Mondschwinge. Macht euch keine Sorgen, er ist nur leicht überwältigt von sich selbst."

*Oh!* meinte sie daraufhin verstehend und Micheal runzelte skeptisch die Stirn, als sie mit einem undefinierbarem Ausdruck Alex hinterher schaute.

„Es ist gerade nicht das passiert, was ich denke, das passiert ist, oder?" knurrte Jonas mit hochgezogener Augenbraue, als Shixin sich wieder zu ihnen gesellte. „Das Schicksal ist wahrhaftig rätselhaft bei manchen, doch derlei Dinge sollte man nicht hinterfragen. Ich für meinen Teil freue mich für ihn, er ist schon zu lang praktisch allein durchs Leben gezogen." entgegnete der rotgerüstete Titan ernst. „Um ihre Frage zu beantworten Sir, meine Scanner zeigen eine deutliche Erhöhung der Pheromonkonzentration, kurz nachdem Captain Nurton seinen Helm abnahm. Daraus schließe ich, dass er und Miss Mondschwinge sich, wie drücken sie es immer aus, ah ja, näher gekommen sind." erklärte Aidan analytisch und fügte erfreut hinzu: „Ein überaus faszinierender Vorgang, ich werde ihn weiteruntersuchen müssen!" „Du willst mich echt verscheißern, oder? Alex hat sich ernsthaft in Mimiath verknallt? Auf den ersten Blick?" murmelte Milten immer noch ungläubig, doch verstummte schlagartig, als er einen dementsprechenden Blick von Forke abbekam.

„Es ist seine Sache." brummte der Admiral ernst und wurde dabei von Julia mit einem kräftigen Nicken bestärkt. Abwehrend hob der Colonel daraufhin beide Hände. „Ganz ruhig, ich freue mich ja auch für ihn. Es ist nur – etwas interessant." erklärte er und sah dabei hoch zur Drachendame. „Das stimmt, aber darüber mache ich mir jetzt keine Gedanken, das ist sein Bier, wie man so schön sagt. Wir werden sehen, wie es sich entwickelt." erwiderte Stearn ruhig. Zhou, der als einziger der Titanen immer noch seinen Helm trug, fügte belehrend hinzu: „Gottes Wege sind nicht immer gerade Linien, Jonas. Mal sind sie verschlungen, steil oder führen durch tiefe Schluchten. Das wichtige ist, nie das Ziel aus den Augen zu verlieren, denn irgendwann wird man es erreichen." „Shixin, bitte, komm mir nicht schon wieder mit deinen Belehrungen über Gott und das Schicksal. Meinen Standpunkt dazu habe ich schon mal mit dir diskutiert." meinte Jonas seufzend und warf seinem Bruder einen genervten Blick zu. „Und ich respektiere deine Meinung." entgegnete Shixin freundlich und wandte sich dann ebenfalls Mimiath zu, die offensichtlich immer noch in Gedanken verloren war.

„Wie auch immer. Kein Wort darüber an Steven, sonst endet das alles noch in völligem Chaos." sagte Micheal bestimmt. „Logisch." „Na klar." „Natürlich." versicherten Milten, Julia und Zhou und auch Aidan versprach: „Ich werde mit dem Sergeant nicht über dieses Thema sprechen, Sir." Selbst Tymdek meldete sich in seinem Kopf zu Worte: *Ich werde mich ebenfalls davor hüten, jemandem davon zu erzählen.* Der schwarze Drache hatte seine Schnauze zu einer Art groteskem Grinsen verzogen, das fast schon bedrohlich wirkte, doch seine amüsierte Stimme verriet, wie er wirklich darüber dachte. Zufrieden und erleichtert zugleich atmete der Admiral durch und rief dann fragend Alina zu: „Wie sieht es aus Ally?"

Die Ärztin, welche im Gegensatz zu den anderen Titanen keinen Atlas, sondern ihr übliches Arztoutfit, einem offenen, weißen Laborkittel, unter dem sie ein weißes Hemd trug, zusammen mit einer weißen Hose und weißen Stiefeln, entgegnete laut: „Fast fertig. Nur noch einen kleinen Verband." Und tatsächlich, schon Momente später sprang sie flink wie eine Katze von Mimiaths Rücken herunter. In der linken Hand hielt sie ein großes Bündel mit blutbeschmierten Pfeilen, während sie in der rechten den kleinen Verbandskoffer trug. Ihr blondes Haar, hatte sie zu einer Art Knoten zusammengesteckt, damit es sie nicht ständig bei ihrer Arbeit behinderte.

„Versucht beim nächsten Mal etwas weniger Pfeile anzuziehen, Mondschwinge. Sonst geht mir über kurz oder lang doch noch das Verbandsmaterial aus." scherzte die sie freundlich und trat dann hinüber zu Kevin, der immer noch neben Trestol kniete. Mimiath schien mit einem kurzen Kopfschütteln wieder aus ihrer Gedankenwelt zu erwachen und wandte sich Kensac zu. *Habt vielen Dank, Heilerin.* sagte sie respektvoll und zwinkerte ihr gutmütig zu. „Oh nichts zu danken, so langsam bekomme ich richtig Übung, wenn es ums behandeln von Drachen geht. Zumindest ist der weiße Verband bei eurem Schuppenkleid nicht so auffällig." erwiderte Alina schmunzelnd, während sie die Pfeile beiseitelegte, ihre teilweise blutbenetzten Handschuhe auszog und neben dem bewusstlosen Reiter in die Hocke ging. „Und jetzt wollen wir doch mal schauen, ob wir euren Reiter nicht wieder auf die Beine kriegen." murmelte sie deutlich ernster und begann vorsichtig im Arztkoffer herumzustöbern, bis sie eine kleine Spritze herauszog, die nicht viel größer war, als ihr kleiner Finger.

Behutsam entfernte sie die sterile Verpackung und klopfte prüfend mit dem Mittelfinger gegen den mit klarer Flüssigkeit gefüllten Glaskörper.

*Was ist das?* fragte das schneeweiße Drachenweibchen skeptisch und musterte die winzige Spritze mit einem misstrauischem Blick. „Ein kleines Aufputschmittelchen, damit er wieder zu sich kommt." antwortete die Ärztin beiläufig und suchte nach einer geeigneten Stelle für den Einstich, den sie schließlich am entblößten Hals des Mannes fand. Mit ruhiger Hand stach sie mit der feinen Kanüle hinein und drückte den Inhalt der Spritze langsam in die Blutbahn. „So, das wars schon. Er sollte jetzt jeden Moment aufwachen." erklärte sie zufrieden und steckte die nun leere Spritze zurück in den Koffer. Kevin erhob sich, für seine Verhältnisse, rasch aus seiner knieenden Position und trat hinüber zu den anderen Titanen, um Mimiath Platz zu machen, die ihren Kopf nun direkt neben Alina schob, um ganz dicht bei ihrem Reiter zu sein, wenn er erwachte.

Es dauerte nur wenige Sekunden, bis Trestol schlagartig die Augen aufriss und sich wie von der Tarantel gestochen aufrichtete.

„Mimiath! Die Ra'zac!" rief er angespannt.

Seine Atmung war stark erhöht und er blickte zunächst panisch umher, was sich jedoch rasch änderte. Das schneeweiße Drachenweibchen stieß ein freudiges Fiepen aus und schleckte ihrem Reiter überglücklich über die Wange, während Alina beruhigend erklärte: „Ganz ruhig, Mr. Gleifsson. Sie sind in Sicherheit. Die Ra'zac und ihre Flugtiere sind tot und eurem Drachen geht es soweit gut."

„Was – was ist geschehen? Ich kann mich nur noch an die Ra'zac und einen dumpfen Schlag erinnern. Und wer seid ihr überhaupt?" entgegnete Trestol leicht verwirrt und streichelte Mimiath zärtlich über das Kinn, als diese begann liebevoll ihre Schnauze an seinem linken Arm zu reiben. „Den genauen Ablauf, muss euch wohl euer Drache berichten. Ich weiß lediglich, dass ihr mit dem Kopf gegen einen dicken Ast gestoßen, der euch ausgeknockt hat. Und mein Name ist Alina Kensac, Titan 16, ich bin Ärztin." meinte sie freundlich und kramte eine kleine Lampe hervor. „Ich müsste euch noch kurz untersuchen." fügte sie dann hinzu und wartete höflich auf sein Einverständnis. Trestols braune Augen weiteten sich überrascht. „Ihr seid ein Titan?" „Ja, oder sehe ich für euch, nach einem normalen Mensch aus?" entgegnete Kensac glucksend und richtete sich etwas auf, sodass er eine Idee dafür bekam, wie groß sie eigentlich war.

Es dauerte einige Momente, bis der Reiter etwas erwiderte, doch seinem Ausdruck nach zu urteilen hatte er sich kurz mit seinem Drachen ausgetauscht. „Bitte verzeiht meine Frage. Mimiath hat mir erzählt, dass ihr und eure Kameraden es waren, die uns vor den Ra'zac und den Lethrblaka gerettet habt. Dafür danke ich euch tausend Mal." „Ihr braucht uns nicht zu danken, Mr. Gleifsson. Wir hatten nur einen kleinen Anteil an eurer Rettung. Ohne Tymdek, wäre wohl einiges mehr schief gegangen." widersprach Micheal höflich und trat mit den anderen Titan etwas näher. Mimiath zog ihren Kopf respektvoll etwas zurück, sodass er nun direkt über Trestol in der Schwebe lag. „Ich überprüfe nun kurz, ob ihr eine Gehirnerschütterung davongetragen habt, in Ordnung?" hakte Alina nach und begann seine Augen zu untersuchen, nachdem der Drachenreiter schluckend nickte.

Währenddessen nutzte Forke die Zeit, sich und die anderen vorstellen. „Ich bin Titan 03,Vizeadmiral Micheal Forke und das sind meine Kameraden, Titan 07, Colonel Jonas Milten, Titan 20 Captain Shixin Zhou, Titan 14, Captain Julia Stearn, Titan 11, Colonel Kevin Pestoun und unser Navigator Aidan. Dunkelschwinge kennt ihr ja mit Sicherheit bereits." begrüßte er Trestol freundlich und die Titanen hoben nacheinander grüßend die Hand, bis auf Aidan, der grün aufleuchtete und höflich sagte: „Es ist mir ein Vergnügen sie kennenzulernen, Mr. Gleifsson."

Gleifsson schluckte erneut, doch zu der Unsicherheit auf seinem Gesicht stahl sich auch ein schwacher Hauch von Hoffnung. „Ihr seid also die Titan-Einheit, die selbstlosen Krieger, von denen uns Eragon-Elda berichtet hat. Es ist mir eine Ehre euch kennenzulernen. Meinen Namen hat euch Mimiath ja offensichtlich bereits genannt. Aber bitte, ihr braucht mich nicht mit meinem Familiennamen anzusprechen, Trestol genügt vollauf." erklärte er respektvoll und musste unwillkürlich zwinkern, als Kensac ihm mit voller Absicht direkt ins Auge leuchtete. „Pupillenreflex und Lidschlagreflex sind völlig normal. Wenn ihr jetzt noch ohne Probleme aufstehen könnt, ist alles in Ordnung." merkte die Ärztin erfreut an und bot dem Reiter eine Hand zur Hilfestellung an, die dieser dankend ergriff und sich schwerfällig erhob.

Danach begrüßte Trestol, Dunkelschwinge und dankte auch dem schwarzen Giganten für seine Hilfe. Anschließend fragte er Mike, was genau vorgefallen sein, als sie hier aufgetaucht waren, da Mimiath ihm nicht genau sagen konnte, was mit ihren Verfolgern geschehen war.

Natürlich erzählte Forke ihm von dem Angriff, doch er überließ das Erklären hauptsächlich Julia, die schließlich selbst dabei gewesen war. Das ganze dauerte einige Minuten da auch Tymdek es sich nicht nehmen ließ seinen Teil beizutragen und von Stearns mutigem Sprung in allen Einzelheiten zu berichten. Scheinbar liebten Drachen es solche einzigartigen Manöver zu besprechen, denn Mimiath stellte neugierig die Ohren auf und wollte alles ganz genau wissen. So kam es, dass Shenmi und Steven von ihrer Erkundung zurückkehrten. Leider hatten sie jedoch nichts nützliches bei den Leichen finden können und waren mit leeren Händen wiedergekommen.

Ihre Vorstellung dauerte noch einmal ein paar Momente, sodass die Sonne schon fast zum Mittag stand, als Micheal zum Aufbruch aufrief. Er wollte so schnell wie möglich einige Meilen Wasser zwischen sich und das Festland bringen, um sicher vor weiteren Übergriffen zu sein. Also brach die Gruppe aus Titanen, Drachen und einem Reiter gemächlich auf, wobei es den Admiral einigermaßen überraschte, wie stark sich der Körper der weißen Drachendame bereits wieder regeneriert hatte. Sie konnte ohne Mühe mit ihnen mithalten und Forke vermutete stark, dass dahinter Kevins Spezialbeeren steckten. Sie waren wirklich unschlagbar als Energielieferanten.

Unterwegs berichtete Mike, Trestol auf dessen Wunsch, was in Lendol vorgefallen war.

Durch seine über anderthalb Jahrhunderte andauernde Militärlaufbahn hatte er schon unzähligen Müttern und Vätern gegenüberstehen müssen, um ihnen vom Tod ihres Sohnes, oder ihrer Tochter zu berichten und ein Außenstehender mochte vielleicht meinen, dass man über die Jahrzehnte diesbezüglich abstumpfte, doch nicht so der Admiral. Sicher, Trestol vom Tod seines Bruders und dessen Familie zu berichten, nahm ihn weitaus weniger mit, als der Tod eines Soldaten, der mehrere Jahre unter ihm gedient hatte, aber tief im Innern verspürte er trotzdem großes Mitgefühl, als der gestandene Mann mit Tränen in den Augen anhalten und sich an Mimiaths Schnauze abstützen musste. Die Drachendame stimmte ein tröstendes Summen an und sie verharrten allesamt einige Minuten in respektvoller Stille, bis der Drachenreiter sich unter Schniefen wieder aufraffte und dankbar ein Taschentuch entgegennahm, das Shixin ihm reichte.

Seine Miene hellte sich zumindest ein wenig auf, als Jonas ihm von Misa erzählte, der es, von einigen kleineren Verbrennungen und ihren erblindeten Augen mal abgesehen, schon wieder recht gut ging und die sich schon freute, ihren Onkel wiederzusehen.

„Ihr solltet jedoch wissen, dass sie durch den Schock, den sie erlitten hat, große Erinnerungslücken besitzt. Zum Beispiel kann sie sich nicht daran erinnern, wie ihr Vater sie vor den Flammen beschützte und dabei tödliche Verletzungen erlitt. In diesem Fall, würde ich dabei sogar von Glück reden, denn der Schmerz, ihre Eltern tot zu wissen, war schon groß genug für, ohne dass sie sich an den verkohlten Körper ihres Vaters oder den ihrer Mutter erinnert. Vielleicht kommen diese Erinnerungen jedoch mit der Zeit wieder zum Vorschein. Wenn dem so ist, solltet ihr, ihr so gut es geht beistehen." erklärte Alina sachlich, während sie vor der Klippe zum stehen kamen. „Ich verstehe. Ja, es wird wohl das Beste sein, wenn sie sich nicht daran erinnert. Ich mag mir gar nicht vorstellen können, was für Todesängste sie durchleiden musste." murmelte Trestol mitgenommen und Mimiath stimmte ein trauriges Jaulen an.

„Die Kleine ist hart im nehmen, ich habe sie schon gestern wieder durch die Gänge laufen sehen. Hab sogar kurz mit ihr gesprochen. Sie klang zwar schon fertig und niedergeschlagen, aber auch irgendwie froh mit jemandem reden zu können. Das wird schon wieder Trestol." meinte Steven aufmunternd und sprang dann mit einem großen Satz über die Kante hinweg in die Tiefe.

Bestürzt streckte die weiße Drachendame ihren Kopf über die Klippe, um zu sehen, ob Coule etwas geschehen war, genauso wie Gleifsson, der hastig nach vorn stürmte. Ein lautes metallisches Krachen ließ verlautbaren, dass der Juggernaut mit seinen magnetischen Fußklauen auf dem Deck der Venator aufgeschlagen war und Shixin legte dem Reiter beruhigend die Hand auf die linke Schulter. „Keine Sorge, es geht ihm gut. Der Anzug hat ihn vor dem Sturz geschützt." bemerkte er, während ihnen Steven von unten herauf winkte.

Mimiath schnaubte verblüfft und auch Trestol entglitt ein erschrockenes Keuchen, als sie beide erfassten, wie gewaltig die Venator eigentlich war.
„Darf ich vorstellen? Das ist unser Schiff, die Venator." erklärte Forke stolz.

„Ich habe noch nie ein derart riesiges Schiff gesehen, schon gleich gar nicht aus Stahl! Selbst Meisterin Saphira dürfte daneben klein wirken." staunte der Drachenreiter, wohingegen das Drachenweibchen spitzfindig meinte: *Es mag vielleicht groß sein, aber dafür kann es auch nur schwimmen und nicht fliegen, wie ein Drache.* Nach kurzem zögern fügte sie jedoch etwas kleinlauter hinzu: *Aber es ist schon sehr beeinruckend.*

„Oh, da wäre ich mir an eurer Stelle nicht so sicher mit dem Fliegen, Mondschwinge." entgegnete Kevin lachend und stieg als erster auf die Strickleiter nach unten, gefolgt von Jonas und Shenmi. *Ein solch großes Schiff, das aus Metall ist, kann nicht fliegen. Selbst mit Magie.* brummte Tymdek leicht überheblich, was Micheal doch ein schwaches Schmunzeln entlockte.

„Versucht eure Flügel beim Gleiten nicht zu sehr in den Wind zu legen, Mimiath, der Verband hält zwar einiges aus, doch ich würde es lieber nicht riskieren, ihn erneut anlegen zu müssen." schlug Alina mit ernster Miene vor, als Mondschwinge und Dunkelschwinge Anstalten machten, sich vom Boden abzustoßen. *Ich werde darauf achten, Heilerin.* versicherte sie ihr und schwang sich dann mit etwas Mühe in die Luft, dicht gefolgt von Tymdek. Seufzend schüttelte Kensac den Kopf und begab sich hinter Julia ebenfalls auf die Leiter.

„Bitte, nach euch, Trestol." sagte Shixin höflich und bedeutete dem Reiter auf die Leiter zu steigen. Trestol zögerte kurz, nickte aber dann entschlossen. „Unten auf dem Schiff, werde ich euch zunächst zu Shad und dann zu Misa führen, wenn es euch recht ist." merkte Mike fragend an, worauf Gleifsson zustimmend nickte. „In Ordnung, ich denke, das wird die bessere der beiden Reihenfolgen sein." antwortete er mit immer noch leicht bedrückter Stimme, die ihm der Admiral beim besten Willen nicht verübeln konnte. Danach verschwand er hinter der Kante und Zhou, Forke und Aidan folgten ihm auf dem Fuße.





Währenddessen stand Alex in der breiten Dusche seines Quartiers. De Atlas und seinen Unteranzug hatte er hastig ausgezogen und war sofort ins Badezimmer verschwunden. Nun stand er vollkommen nackt unter dem aufgedrehten Duschkopf und ließ die Tropfen auf seinen Nacken und Rücken prasseln, während er sich mit der Stirn an die weißen Fliesen gelehnt hatte. Er spürte das Wasser aufgrund seiner Schuppen und der im Rücken sitzenden verstärkten Knochenplatten kaum, doch es war auch das beruhigende Geräusch des künstlichen Regens, auf das er aus war.

Seine Gedanken wirbelten immer noch so wild umher, als hätte jemand eine Granate in einem Aktenschrank hochgehen lassen. Was war das nur für ein Gefühl gewesen, als er mit Mimiath gesprochen hatte? Sein Herz hatte sich angefühlt als wollte es ihm förmlich vor Freude aus der Brust springen, während sein Magen sich gleichzeitig krampfhaft zusammenzog.

Warum war er derart nervös gewesen?

Er war nie nervös! Nicht einmal, als ihm die Kugeln damals links und rechts am Ohre vorbeigeschossen waren, hatte er ansatzweise kalte Füße bekommen. Aber bei Mimiath?

Seine Glieder und vor allem seine Finger zitterten jetzt noch, weswegen er sie zu einer Faust geballt hatte, um das zu unterbinden.

Warum war er in ihrer Nähe derart fahrig? Lag es an ihren wunderschönen, schneeweißen Schuppen oder an den himmelblauen Augen, in denen er sich glatt verlieren könnte?

'Was denke ich eigentlich da? Argh! Ich bin so dermaßen durcheinander. Aber es hat definitiv mit ihr zu tun. In ihrer Nähe fühle ich mich einfach – einfach als – als könnte ich – ' er brachte den Gedanken nicht zu ende.

Es war einfach unbeschreiblich wie er sich in ihrer Nähe fühlte. Auf jeden Fall war es ein gutes Gefühl, da war er sich zu 100 Prozent sicher, aber –

„Hab ich – hab ich mich wirklich in sie verknallt? Fühlt sich so Liebe an?" fragte er sich mit weitaufgerissenen Augen selbst und erhielt die Antwort postwenden von seinem Unterbewusstsein.

Ja. Er hatte sich verliebt.

Alex konnte nicht anders als in sich hineinzugrinsen. „Und wie stellst du dir das bitte vor du Trottel? Sie ist ein Drache!" wollte er überdreht lachend von sich selbst wissen und schlug mit der Faust derart hart gegen die verstärkten Fliesen, dass einige Risse entstanden.

Aber so wahnwitzig es auch war, er konnte es nicht abstreiten. Sein Herz hatte sich entschieden, auch wenn sein Verstand sich noch leicht weigerte es zu zugeben. Leise seufzend drehte er den Wasserhahn zu und stieg tropfend aus der Duschkabine. Er nahm sich eines der großen Handtücher von der Ablage und trocknete sich ab, was dadurch erleichtert wurde, dass seine Schuppen von Natur aus wasserabweisend waren und daher nicht viele Tropfen haften blieben. Danach spannte er sich ein weiteres Handtuch um die Hüfte und blickte dann in den Spiegel.

Nachdenklich fuhr er sich über die rechte Wange, wo noch vor wenigen Minuten ein kleiner Schnitt zu sehen gewesen war. Mittlerweile hatten die Naniten ihn komplett geheilt, doch merkwürdigerweise hatte es angefangen an genau dieser Stelle leicht zu jucken. Es war nicht schlimm, eher lästig, weswegen er ihm nicht sonderlich viel Beachtung schenkte. 'Vielleicht weil Mimiath mich abgeschleckt hat? Ach Quark, is doch egal, morgen wird's weg sein.' dachte er und musste schwach lächeln, als er sich an ihre zärtliche Berührung erinnerte.

Gemächlich trat er aus dem Bad und schlüpfte ins seine normalen Zivilkleider. Eine übergroße, blaue Jeans mit einem hellbraunem Top und stabilen, braunen Lederschuhen, die eine spezielle Einlage für seine besonderen Füße besaßen. Das Handtuch warf er sich über die Schulter und verließ dann sein eher spartanisch eingerichtetes Zimmer, um in Richtung Trainingsraum davon zu trotten.

Gedankenverloren und eine alte Melodie summend stiefelte er alleine durch die verlassenen Gänge der Venator, immer tiefer ins Innere des gewaltigen Schiffs, wo sich sein Ziel befand. Unterwegs traf er überraschenderweise auf Robert, der ebenfalls in zivil unterwegs war und seine typische Jeans mit einem kurzärmligem, fein gestreiftem grau-weißem Hemd trug.

„Hey Alex! Alles klar? Ich dachte du wärst oben bei den anderen? Ist etwas passiert?" grüßte ihn der Pilot lächelnd und riss Nurton damit völlig aus seinen Gedanken. „Wie? Was? Oh, hi Rob, nein, nein, alles in Ordnung. Ich – musste nur unter die Dusche wegen eines kleinen Malheurs. Wie geht's Emily? Erholt sie sich gut?" erwiderte er fahrig. Skeptisch hob Holsted eine Augenbraue an und kostete mit seiner Schlangenzunge instinktiv die Luft. „Emily geht es soweit gut, die Häutung verlief einwandfrei. Aber bei dir bin ich mir nicht ganz so sicher, Alex. Ist wirklich alles okay? Du wirkst etwas – neben der Spur."

„Was? Nein, wirklich, alles gut. Es ist – nichts wildes." Er wich dem Blick seines Bruders aus und kratzte sich unwillkürlich den Handrücken, was Robert nur noch misstrauischer werden ließ. Allerdings behielt dieser seine Bedenken für sich und meinte nur brüderlich: „Alex, falls irgendetwas ist, du weißt wo mein Zimmer ist. Ich bin gern für dich da, wenn du mit jemandem sprechen willst."

„Danke Rob. Vielleicht später – jetzt muss ich erst einmal den Kopf freibekommen, ein paar Runden auf dem Laufband drehen." entgegnete Nurton mit einem schwachen Lächeln und klopfte seinem Bruder auf die Schulter. „Alles klar, wir sehn uns." verabschiedete sich Holsted mit erhobener Hand und beide gingen wieder ihres Weges.

Alex dachte darüber nach, was sein Bruder gesagt hatte. 'Vielleicht sollte ich wirklich mit ihm sprechen.' überlegte er und betrat dann mit neuem Elan den Fitnessraum, um etwas Stress abzubauen. Er war sich sicher, dass es noch ein sehr interessanter Tag werden würde und überlegte, wie er sich das nächste Mal in Mimiaths Nähe verhalten würde.

Doch aus diesen Gedanken wurde nichts, als eine knappe Stunde später ein schriller Alarmton durch die Lautsprecher der Venator schallten zusammen mit Micheals knapper Ansprache:

„Alle Titanen finden sich bitte sofort im oberen Hangar ein! Es gibt einen Notfall bezüglich Vater und voraussichtlich Feyth! Ich wiederhole: Bewegt eure Ärsche sofort in den oberen Hangar! Mike Ende."

[Eragon Fan-Fiction] Der Titan und die DrachenreiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt