Das letzte Gefecht

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Zur ungefähr gleichen Zeit an Tymdeks Hort:


Shixins Augen huschten wie wild durch die Dunkelheit der Nacht umher. Neben ihm prasselte wie in den Nächten zuvor ein großes Lagerfeuer, dass Mathew für ihn entzündet hatte. Die Flammen züngelten hungrig um das trockene Holz und produzierten eine flackerndes, warmes Licht, das ein regelrechtes Farbenspiel auf seinen schimmernden Armen erzeugte. Doch die Gedanken des Titanen waren anderweitig beschäftigt. 'Wo mag er nur sein? Tymdek ist schon den gesamten Tag auf der Jagd, ohne von sich hören zu lassen.' überlegte er nachdenklich und ließ den Blick weiterhin auf den Nachthimmel und den Wald vor ihm wandern. Es sah dem schwarzen Drachen völlig unähnlich bis so spät in die Nacht seinem Hort fernzubleiben, zumindest von dem Verhalten, dass er bisher von ihm gesehen hatte. Sein Bauchgefühl sagte ihm einfach, dass etwas nicht stimmte, weswegen seine Sinne auf höchster Alarmstufe waren.

Shuilian, die neben ihm saß, betrachtete währenddessen mit großen Augen die tanzenden Flammen und schnappte hin und wieder verspielt nach einem davonfliegenden Funken. Sie schien überhaupt keinen solchen düsteren Gedanken zu hegen, wobei Shixin darüber auch eher froh war. Er wollte das kleine Drachenmädchen nicht unnötig verrückt machen mit seinem Bauchgefühl.

Doch es blieb weiterhin ruhig im Wald.

Hin und wieder meldeten sich einige Tiere zu Wort, insbesondere Eulen, aber nichts, dass wirklich auffällig oder fehl am Platz war. Es vergingen ein paar Minuten in denen das aufregendste Ereignis war, das Shuilian erfreut fiepte, als sie ihre Jagd nach einem Glühwürmchen erfolgreich beendete. Stolz präsentierte sie ihren Fang, der zwischen ihren kleinen Zähnchen steckte, dem Titanen, der sanft lächelte und lobend den Hals tätschelte.

Dann horchte er auf, als seine Augen eine Bewegung am Waldrand wahrnahmen, doch schon einen Moment später erkannte er die Gestalt als Mathew, der von seiner Fütterung der Wölfin zurückkehrte. Geschickt kletterte sein Bruder zu ihnen aufs Felsplateau streichelte dem Drachenküken schmunzelnd über den Kopf, als sie ihn gurrend begrüßte. Anschließend wandte er sich an Zhou zwar ein Auge auf Mathew richtete, mit dem anderen jedoch weiterhin die Gegend absuchte. „Er ist immer noch nicht zurück?" erkundigte sich der Wolfstitan mit gesenkter Stimme, woraufhin Shixin schwach den Kopf schüttelte. „Nein." „Hhm, das ist wirklich ungewöhnlich." bemerkte Gilston nachdenklich und erhob sich wieder aus der Hocke. „Ich werde Lyath fragen, ob das normal ist, aber seit den Ereignissen in Lendol müssen wir vorsichtig sein." Zhou nickte zustimmend und entgegnete: „Ja, ganz deiner Meinung." Daraufhin verabschiedete sich sein Bruder mit erhobener Hand und verschwand in der Höhle hinter ihnen, in der Lyath und ihre Jungen verweilten.

Der roten Drachendame ging inzwischen wieder einigermaßen gut, sodass sie heute Nachmittag sogar eine Weile zu ihm herausgekommen war, um in der Sonne zu baden. Natürlich hatten die Küken dabei nicht gefehlt, sondern für einigen Trubel gesorgt. Der Titan hatte es allerdings überaus putzig gefunden, wie Dekri versucht hatte seine Geschwister ruhig zu halten, um seiner Mutter Ruhe zu gönnen, was natürlich im vorhersehbaren Desaster geendet hatte. Junge Drachen waren einfach unmöglich zu bändigen, solange ihre Mutter oder Vater nicht ein Machtwort sprachen. Oder aber wenn man Mathew war, auf den die Kleinen sogar fast noch besser horchten.

Es vergingen einige Minuten, in denen es sich Shuilian auf Shixins Schoß gemütlich machte und gähnend zusammenrollte. Dann hörte er hinter sich laute Schritte und wenige Momente später legte Mathew ihm die Hand auf die rechte Schulter. „Lyath meint, dass es zwar schon etwas ungewöhnlich wäre, aber er schon öfters in der Nacht fortgeblieben ist. Wir sollten uns nicht so viele Gedanken darum machen." erzählte er ihm, doch Zhou bemerkte, wie er ihm seinen Hakendolch reichte, den er zuvor im Rucksack untergebracht hatte. „Du vertraust der Ruhe also genauso wenig?" fragte er ernst und erhielt als Antwort ein Nicken von seinem Bruder. „Pass heute Nacht auf, Shix. Irgendetwas lauert da draußen. Gilban wirkte vorhin auch etwas paranoid, als ich bei ihr war, hat ständig in den Wald hinter mir gestarrt. Ich will den Teufel nicht an die Wand malen, Tymdek ist stark genug mit so ziemlich allem fertig zu werden, aber Vorsicht ist besser als Nachsicht." erwiderte Mathew leise, aber eindringlich. Shixin nahm seinen Dolch, der im Prinzip eine abgewandelte Form eines Sai darstellte entgegen und stimmte zu: „Wohl gesprochen, Mathew. Hoffen wir, dass deine Zuversicht mehr wiegt, als mein Bauchgefühl." „Dann sind wir ja schon zwei." gab Gilston glucksend zurück und klopfte ihm noch einmal auf die Schulter, ehe er sich wieder zurück in die Höhle verzog.

Vorsichtig, um Shuilian nicht aufzuschrecken, befestigte er den Hakendolch samt Scheide an seinem Gürtel und warf einen kurzen, prüfenden Blick auf sein Schwert, das griffbereit neben ihm lag. Er hatte es damals Xīxuèguǐ getauft, den „Vampir", ein sehr zutreffender Name, wie er selbst fand. Jetzt hoffte er, dass es nicht diese Nacht sein würde, in der er den Blutdurst seines Schwertes löschen musste.
Und zunächst machte es auch nicht den Anschein danach.

Die nächsten Stunden verliefen vollkommen ruhig, lediglich das Knistern des Feuers, der Atem des schlafenden Drachenmädchens und das nächtliche Treiben der Tiere im Wald durchbrachen die endlose Stille der Nacht. Doch der Titan ließ sich nicht in falscher Sicherheit wiegen.

Es musste schon weit nach Mitternacht sein, als das plötzliche Knacken eines Asts am Waldrand seine Aufmerksamkeit erregte.
Sofort sprangen seine beiden Augen in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war und begannen die unmittelbare Umgebung abzusuchen. Aber der Wald war so dicht gewachsen, dass es selbst ihm mit seinen Augen schwer fiel mehr als ein paar Meter weit hineinzuspähen. So war es auch nicht weiter verwunderlich, dass er nichts verdächtiges entdeckte, doch als wenige Augenblicke später ein weiteres Rascheln aus der ungefähr gleichen Richtung folgte, fühlte er sich in seiner Vermutung bestätigt. Dort im Wald war etwas, dass etwas von ihm wollte. Shixin beschloss jedoch so zu tun, als würde er nichts ahnen und wandte den Kopf etwas ab, so als würde es aussehen, dass er in eine andere Richtung blickte. In Wahrheit behielt er seine beiden Augen jedoch stur auf den Abschnitt des Waldrands gerichtet, aus dem die Geräusche gekommen waren.

Dann jedoch ließ er das rechte Auge herumwirbeln, als ein weiteres Rascheln ein paar Dutzend Meter entfernt aus dem Dickicht hervordrang. ‚Mehrere Angreifer von verschiedenen Positionen.' hielt er für sich selbst in Gedanken fest und ein unwillkürlicher Schauer kroch ihm über den Rücken, als er sie bemerkte. Die gespenstisch weißen Gestalten, die zwischen den Bäumen hervortraten und keine andere Möglichkeit mehr zuließen. Die verlorenen Seelen folgten für gewöhnlich nur Wesen wie Menschen oder aber Drachen, wie er erst festgestellt hatte.

Nur eine Sekunde später passierte es.

Ein Pfeil, abgeschossen aus der ersten Position im Wald flog geradewegs auf seinen Kopf zu. Doch für ihn war es so, als würde das Geschoss in Zeitlupe fliegen. Geschwind zog er den Kopf beiseite, sodass der Pfeil wirkungslos an seinem Ohr vorbeisauste und an der Felswand hinter ihm zersplitterte. Er sprang auf die Beine, wobei er Shuilian in den linken Arm nahm und mit der rechten Hand Xīxuèguǐ packte. Zwei weiter Pfeile schnellten aus der Dunkelheit auf ihn zu. Dem ersten wich er gekonnt aus, während er den zweiten an der Scheide seines Schwerts abprallen ließ.

„Alarm!" brüllte er ohne weiter zu zögern, wodurch das kleine Drachenmädchen auf seinem Arm sofort hochschreckte. Ihr Kopf schnellte zu ihm und er rief ihr todernst zu: „Lauf zu deiner Mutter! Hol sie! Böse Männer!" Dabei deutete er zunächst auf die Höhle und danach auf den Wald. Das Küken mochte zwar jung sein, doch es verstand, dass etwas nicht stimmte. Verschreckt sprang es von seinem Arm und eilte hüpfend und laut schrill kreischend in die Höhle Richtung ihrer Mutter.

Währenddessen schulterte Zhou sein Schwert und rastete damit seinen rechten Arm für einen seiner destruktiven Hiebe ein. Dabei beließ er Xīxuèguǐ jedoch in seiner Scheide, die über einen speziellen Einraste-Mechanismus verfügte. Stattdessen zog er gleichzeitig seinen Hakendolch vom Gürtel und warf einen erneuten Blick auf den Wald. Wieder flogen Pfeile in seine Richtung, doch diesmal gleich ein halbes Dutzend. Er musste einen raschen Seitschritt machen und sich nach links wegducken, doch keines der Geschosse fand sein Ziel.

Dann sah er sie.

Über ein Dutzend Gestalten in schwarzen Gewändern und verdeckten Gesichtern rannten aus dem Wald heraus auf das Plateau zu. Sie ergossen sich zusammen aus den beiden Positionen, die er zuvor am Waldrand beobachtet hatte. Mit einer Geschwindigkeit wie es nur ihm möglich war, fokussierte er sie alle nacheinander. Es waren 16 an der Zahl, sowohl Männer als auch Frauen. Aber auch unter ihnen gab es noch einmal wesentliche Unterschiede. Einige von ihnen besaßen elegante Schwerter an den Hüften und ihre Körperform war weitaus schlanker und eleganter als die eines gewöhnlichen Menschen. 'Elfen!' schlussfolgerte Shixin blitzschnell und wich zurück in Richtung des Höhlenzugangs. Gegen gewöhnliche Menschen war er sich ziemlich sicher einen Schlagabtausch auf offenem Feld gegen mehrere Feinde gewinnen zu können, doch mit Elfen auf deren Seite, die ihm in Sachen Schnelligkeit und Stärke fast ebenbürtig waren, war das eine gänzlich andere Angelegenheit. Er musste dafür sorgen, dass sie ihm nicht in den Rücken fallen konnten, wofür die relative Enge der Höhle wie geschaffen war.

Er hatte den Eingang gerade erreicht, als die ersten beiden Angreifer das Plateau erklommen. Sie sahen sich kurz um, bis ihr Blick auf Zhou fiel, der inzwischen seine gewohnte Kampfhaltung eingenommen hatte. Den linken Fuß in leichter Schrittstellung nach vorn, Xīxuèguǐ über der rechten Schulter mit geladenem Arm, während er den linken Arm und damit den Hakendolch leicht angewinkelt vor sich hielt. Zum Glück für ihn, schien es sich bei den beiden um keine wirklich erfahrenen Schwertkämpfer und vor allem Elfen zu handeln. Sie zogen ihre Anderthalbhänder von der Hüfte und stürmten mit erhobenen Schwertern auf ihn zu.

Sie machten sich nicht einmal die Mühe von verschiedenen Seiten anzugreifen, weswegen Shixin leichtes Spiel hatte.

Er wich dem ersten plumpen Angriff des rechten Mannes mit einem simplen Schritt zur Seite aus und fing die Waffe des Zweiten mit der verlängerten Parierstange seines Hakendolchs ein. Eine flinke Drehung des Handgelenks später und der Mann schrie vor Schmerzen auf, als er sein Schwert loslassen musste, bevor der Titan ihm die Hand brechen konnte. Shixin ließ ihnen jedoch keine Zeit überhaupt über einen weiteren Angriff nachzudenken, sondern fixierte mit seinen Augen die Rippen des von ihm aus gesehen rechten Mannes und entlud seinen Schwertarm. Es war dieselbe Bewegung, die vor wenigen Tagen den Stalagmiten pulverisiert hatte, nur dieses Mal mit der zusätzlichen Hebelwirkung seines in der Scheide steckenden Schwertes. Zu schnell für normale Augen krachte Xīxuèguǐ in die Rippen des Mannes, brach diese in dutzende Splitter, wobei nur seine Lederrüstung schlimmeres verhinderte und holte ihn mit so enormer Wucht von den Füßen, dass es ihn gegen seinen Kameraden schleuderte und es im Endeffekt beide gegen die Felswand schmetterte.

Das alles im Bruchteil einer Sekunde.

Das ganze wurde von einem enormen, peitschenartigen Knall begleitet, wie der Schuss aus einer kleinkalibrigen Pistole. Der Staub hatte sich noch nicht einmal gelegt, da hatte der Titan seinen Arm bereits wieder angewinkelt und geladen. Die beiden Männer rührten sich nicht mehr, Blut lief aus ihren vor Schock aufgerissenen Mündern und der Quetschwunde wo Shixins Schwert den einen getroffen hatte, doch sie lebten noch, da war er sich sicher.

Noch während er mit dem einen Auge die beiden Angreifer musterte, hatte er sein zweites Auge wieder auf das Felsplateau vor ihm gerichtet, wo nun vier weitere Gestalten aufgetaucht waren. Zwei von ihnen unverkennbar elfischer Natur. Sofort spannte sich seine gesamte Muskulatur an. Diese Kämpfer waren wohl höchstwahrscheinlich keine Amateure. Er konnte sehen, wie sie sich kurz untereinander austauschten, ehe sie ihre Waffen zogen und langsam auf ihn zukamen. Dabei teilten sie sich fächerförmig in zwei Zweierformationen auf sodass es einem gewöhnlichen Menschen unmöglich gewesen wäre alle im Auge zu behalten.

Nicht so Shixin.

Er bewegte seine Augen unabhängig voneinander und fixierte beide Gruppen mit je einem Auge. Gleichzeitig ging er im Kopf seine Möglichkeiten durch. Solange Mathew und Lyath nicht hier bei ihm waren, musste er alleine die Stellung halten, er konnte nicht zulassen, dass auch nur einer der Angreifer hinter ihn gelangte. Sein Vorteil der Stärke und Schnelligkeit zählte nicht gegenüber den Elfen. Somit blieb ihm nur ein Ass im Ärmel, sein Schlag den keiner von ihnen würde ausweichen können. Seine beste Chance bestand darin, so schnell es ging eine der kleinen Gruppen auszuschalten, um nur noch einen einzelnen Gegner vor sich zu haben. Und das musste möglichst schnell geschehen, sonst wäre es nur eine Frage der Zeit, bis auch die restlichen Angreifer in den Kampf eingreifen würden. Und seine Chancen solch einen Konflikt zu gewinnen, waren verschwindend gering. So also legte er sich einen ungefähren Plan im Kopf zurecht und wartete auf den ersten Angriff, der unweigerlich kommen würde.

Und der kam auch, genauso wie er es erwartet hatte von erfahrenen Schwertkämpfern. Zwei Schwerthiebe gleichzeitig schnellten auf ihn zu, einer geführt von der Frau, einer unverkennbaren Elfe, aus der rechten Gruppe und einer von dem Mann aus der linken Gruppe. Dank seiner speziellen Augen sah er sie geradezu in Zeitlupe auf sich zu fliegen, ein Hieb zielte auf seinen Hals, der andere auf seinen Oberschenkel. Äußerst raffiniert, unterschiedlich hohe Punkte anzugreifen, um ein Ausweichen unmöglich zu machen.

Doch er hatte nicht vor auszuweichen.

Er fixierte mit dem rechten Auge den Führungsarm der Elfe und entlud seinen eigenen Schwertarm gezielt auf ihren Unterarm. Im gleichen Zug trat er einen Schritt vor und parierte den Hieb gegen den Hals mithilfe seines Hakendolchs. Xīxuèguǐ donnerte wie eine Naturgewalt auf den zerbrechlichen Arm der Frau nieder und pulverisierte praktische die Knochen darin. Die Wucht war so groß, dass es ihr denn Ellbogen überspannte und der gesamte Arm in einer unnatürlichen Windung wegklappte, gefolgt vom Peitschenknall vom Schlag des Titanen. Zudem flog ihr das Schwert natürlich einfach aus der Hand und landete nutzlos zu Shixins Füßen. Gleichzeitig hatte er das Schwert des Mannes fest mit der Parierstange seines Dolchs im Griff, sodass dieser seine Waffe dank der rauen Oberfläche des Hakendolchs praktisch nicht mehr bewegen konnte. Ein schrilles Kreischen ertönte aus dem feinen Mund der Elfe die unter Schock auf die Knie fiel. Doch ihr kampfgestählter Kamerad nutze Zhous scheinbar offene Flanke und setzte zum Schlag gegen die ungeschützte rechte Schulter an, während auf der Gegenseite der dritte Mann es ihm mit der linken Schulter gleichtat. Doch Shixin nutzte den Schwung, den er von seinem geladenen Schlag noch im Arm hatte aus, ließ sein Schwert herumwirbeln und führte im nächsten Augenblick einen Aufwärtsschlag gegen den rechten Mann. Gleichzeitig riss er die Waffe und somit den gesamten Arm des zweiten Mannes auf der linken Seite zu sich, sodass er seinen eigenen Kameraden beiseite rempelte und dessen Schlag verhunzte.

Der Gefährte der Elfe hatte genauso wenig Glück.

Er war zu behäbig, als dass er seinen eigenen Schlag abbrechen und dem des Titanen ausweichen konnte, wodurch Xīxuèguǐ eine Sekunde später in seine Schulter krachte und ihn von den Beine holte. Die Wucht des Schlags reichte aus, um den Mann gegen die Höhlenwand zu schmettern und zumindest die Schulter zu zertrümmern. Der Aufprall presste dem Kerl jegliche Luft aus den Lungen, wobei zusätzlich sein Kopf gegen den nackten Fels knallte und ihn ausknockte. Währenddessen war sein linker Arm in geladener Stellung eingerastet und er fokussierte mit seinem linken Auge den linken Arm des Mannes, mit dem er gerade nach dem Hakendolch greifen wollte, um sein Schwert freizubekommen. Aber dazu kam er nicht mehr. Zhou entlud seinen linken Arm und drosch damit auf das linke Handgelenk seines Gegenübers. Die Kräfte die dadurch entstanden waren zu viel für die rechte Schulter des Mannes, die einfach aus dem Gelenk sprang, während der Hakendolch sein Ziel in der linken Hand fand. Knochen zersplitterten unter dem Aufprall von Shixins Faust und der Dolch selbst spießte sich einmal mittig durch die Handwurzel.

Der schwarzgekleidete Angreifer brüllte wie am Spieß, als sie seine Extremitäten in unnatürlichen Winkeln verbogen und rasch setzte der Titan einen Ellbogencheck gegen seinen Kopf hinterher, der direkt auf die Nase traf und ein ekelhaft knirschendes Geräusch erzeugte, ehe es ihm die Lichter ausknipste.
Aber noch ehe sich Shixin wieder richtig aufrichten konnte, verspürte er einen brennenden Schmerz in seinem linken Oberschenkel.

Hastig machte er einen Satz zurück und bemerkte den handlangen, recht tiefen Schnitt auf der Seite seines Schenkels. Blaues Nanitenblut quoll dort hervor und instinktiv fixierte er den letzten verbleibenden Angreifer der zweiten Welle. Der Mann, der zweite der beiden Elfen, hatte sich nach dem Zusammenprall mit seinem Kamerad schnell gefangen und einen Schnitt gegen ihn geführt, als er noch mit dem anderen beschäftigt gewesen war.
Glücklicherweise war solch eine Wunde für ihn eher ein Kratzer.

Er nahm wieder seine gewohnte Haltung ein und fixierte mit dem linken Auge weiterhin den Elf, der nun gut zwei Schritte vor ihm zurückwich, das Schwert mit beiden Händen angewinkelt vor sich haltend. Es war jedoch die Szenerie im Hintergrund, auf dem Plateau, welche seine Aufmerksamkeit erregte. Dort hatten sich mittlerweile sieben weitere vermummte Angreifer versammelt, die allesamt ihren Bogen gezückt und einen Pfeil auf ihn angelegt hatten. Geschickt wie eine Katze sprang der Mann zur Seite, sodass seine Kameraden freies Schussfeld hatten und schon im nächsten Moment sausten sieben Pfeile auf den Titanen zu, der nur noch instinktiv reagierte.

Er drehte Xīxuèguǐ blitzschnell in seiner Hand, sodass er nun mit der flachen Seite zuschlagen würde. Im selben Schritt sprang er zur Seite und entlud gleichzeitig seinen Schwertarm im exakt passenden Moment. Er entkam vieren der Pfeile allein durch seinen Sprung, doch die restlichen drei schlug er einfach mit seinem Schwert zu Boden, wobei sie allerdings praktisch schon beim Zusammenprall mit der Schwertscheide zerschellten.

Er war gerade im Begriff sich wieder aufzurichten und seine Haltung einzunehmen, als er ein schabendes Geräusch, gefolgt von einem wütenden Brüllen hinter sich hören konnte. Keinen Moment später brüllte Mathew von irgendwo hinter ihm: „Runter Shix!"

Er dachte erst gar nicht darüber nach, sondern ließ sich einfach schnurstracks nach hinten zu Boden fallen.
Und das keine Sekunde zu früh.

Schon im nächsten Augenblick schoss ein Strahl blutroter Flammen tosend über ihn hinweg und äscherten alles in ihrem Weg ein, das es nicht mehr geschafft hatte zur Seite auszuweichen. Der Flammenstrom hielt einige Sekunden lang an, ehe Lyath ihr gigantisches Maul zuklappte und erneut ein wütendes Brüllen ausstieß. Shixins Gesicht fühlte sich so an, als hätte er seinen Kopf zulange in den Backofen gesteckt, doch er ignorierte den brennenden Schmerz und sprang wieder auf die Beine. Ein Blick nach vorn verriet ihm, dass die meisten Angreifer es geschafft hatten dem Feueratem zu entkommen, bis auf zwei, deren verkohlte Überreste verkrümmt auf dem blanken Fels lagen. Ansonsten befand sich auch niemand mehr auf dem Plateau außer den fünf Kämpfern, die er bisher außer Gefecht gesetzt hatte und links und rechts am Höhleneingang bewusstlos herumlagen. Rasch trat er jedoch beiseite, als Lyath sich anschickte an ihm vorbei ins Freie zu stürmen.

Hinter ihr eilte Mathew herbei, die Pistole geladen und entsichert. „Die Schwarze Rose?" fragte er nur und Shixin nickte bestätigend, was dem Wolfstitanen ein dumpfes Knurren entlockte. Dann erklärte er rasch: „Eines der Küken hat das Funkgerät etwas angeknabbert, wir sind auf uns allein gestellt! Wir haben Dekri bei den Kleinen gelassen, auf jetzt, wir müssen Lyath helfen, diese Banditen zu vertreiben!" Abermals nickte Zhou. „Genau das hatte ich vor."

Zusammen eilten sie hinter der Drachendame her, die inzwischen das Plateau hinter sich gelassen hatte und hinunter vor den Waldrand gesprungen war. Lautes Rufen von Elfen und Menschen gefolgt von ihrem Gebrüll erfüllte die Luft und als die beiden Titanen auf dem Plateau ankamen, konnten sie deutlich sehen, wie Feuerschuppe mit Zähnen, Krallen und Schwanz versuchte ihre Gegner niederzuringen, welche rings um sie herumstanden und etwas ratlos wirkten, wohingegen wiederum einige andere immer wieder in Richtung Himmel spähten. Diese Geste war zu auffällig für Shixin und er tat genau das gleiche, indem er das rechte Auge nach oben schnellen ließ.

Fast augenblicklich verkrampften sich seine Muskeln und er packte Mathew, der gerade im Begriff war auf einen der Angreifer zu zielen, um mit ihm aus der Gefahrenzone zu hechten. Im selben Atemzug rief er Lyath zu: „Vorsicht von oben Lyath!" Die gewaltige Drachendame schaffte es noch sich seiner Anweisung nach auszurichten, doch schon im nächsten Moment krachte etwas ebenso großes in ihre Seite, gefolgt von einem zweiten Aufschlag nur wenige Sekunden später, der glatt das Plateau mit abriss. Feiner Gesteinsstaub und Dreck wirbelten durch die Luft und verdeckten kurz die Sicht auf das, was vor der Höhle vor sich ging.

Die beiden Titanen sprangen zackig wieder auf die Beine und versuchten etwas in dem durcheinander zu erkennen. Was folgte war ein rubinroter Feuerstrahl, der die Staubwolke durchstieß und einige kräftige Flügelschläge, die selbst Shixin und Mathew Mühe bereiteten auf den Beinen zu bleiben. Doch damit verflüchtigte sich der Staub und gab den Anblick auf etwas frei, dass selbst die erfahrenen Soldaten kurz stocken ließ.

Zwei Drachen, ein brauner und ein hellgrüner waren direkt neben Lyath gelandet, beziehungsweise hatte sie der Braune sogar in die Seite gerammt, wo noch seine Krallenspuren auf ihrer rechten Schulter zu sehen waren. Die beiden hatten ungefähr die gleiche Größe wie Feuerschuppe, auch wenn sie etwas schlanker wirkten insgesamt. „Oh verfluchte Scheiße!" fluchte Mathew neben ihm, als die drei Drachen sich gegenseitig anbrüllten, was Zhou instinktiv dazu brachte, sich die Ohren zu zuhalten. Nur einen Moment später gingen sie sich an Kehle. Lyath versetzte dem Grünen, der etwas kleinerer war einen kräftigen Hieb mit der rechten Vorderpranke, der diesen mittig auf die Brust traf und vier tiefe Striemen zurückließ. Im Gegenzug sprang der Braune sie an und versuchte sie umzustoßen, indem er sich mit seiner ganzen Masse gegen sie warf. Dabei schnappte er gleichzeitig nach ihrem Hals, den Lyath jedoch geschickt wegdrehen konnte. Sie hatte keine Wahl, als sich ebenso gegen den Braunen zu stemmen und jaulte auf, als der Grüne daraufhin die Gunst nutzte und ihr kräftig ins rechte Vorderbein biss. Die Drachendame jaulte schmerzerfüllt auf und peitschte mit dem Schwanz gegen ihren Kontrahenten mit nur mäßigem Erfolg.

Dazu kamen nun auch noch die ganzen zweibeinigen Kontrahenten, die stellenweise Hellebarden und Lanzen in Händen hielten und immer wieder kleine Stöße gegen Feuerschuppe führten. Jeder für sich nicht mehr als ein Mückenstich für einen Drachen wie Lyath, doch es war nur eine Frage der Zeit, bis die Masse der Verletzungen ihren Tribut fordern würden.

Es war ein aussichtsloser Kampf.

Shixin packte seinen Bruder an der Schulter und zog ihn kräftig zu sich, um ihm über den tobenden Kampf hinweg etwas zu zuschreien: „Mathew! Nimm die Küken und verschwinde von hier! Pack so viele Eier wie du kannst, aber vor allem die Küken in den Rucksack und verschwinde mit Dekri von hier!" „Was? Nein! Wir müssen Lyath helfen, wir – " versuchte Gilston zu widersprechen, wurde aber jäh von einem weiteren Brüllen unterbrochen. Zhou packte seinen Bruder fester und starrte ihn regelrecht an: „Was willst du tun? Mit der Erbsenkanone einen Drachen töten? Nimm die Küken und Dekri und lauf!" „Aber – " „Jetzt! Lauf, oder wir versagen in unserer Pflicht! Das ist ein Kampf, den wir nicht gewinnen können!" setzte er todernst hinterher und endlich schien Gilston die Situation zu begreifen. Der Wolfstitan blickte noch einmal vorbei, auf die vor Schmerzen brüllende Lyath, ehe er bestimmt nickte und ohne weiter zu zögern in die Höhle zurücksprintete, während er ein lautes Jaulen ausstieß.

Shixin drehte sich stattdessen um und steckte den Hakendolch zurück an den Gürtel. Dann packte er Xīxuèguǐ's Scheide, löste den Einraste-Mechanismus und zog die blutrote Klinge mit einem Ruck heraus. Anschließend steckte er auch die Scheide zurück an den Gürtel und umfasste dann mit der linken Hand das Kreuz seiner Halskette. Er flüsterte nur: „Vergib mir." ehe er sich vom zerstörten Felsvorsprung fallen ließ.

Geschmeidig landete auf dem feuchten Boden und visierte sein erstes Ziel an, eine menschliche Frau, die gerade dabei war mit einer langen Lanze in Feuerschuppes Seite zu stechen. Wie im Automatismus winkelte er seinen rechten Schwertarm vollständig an und schoss auf die Frau zu. Diese bemerkte ihn wohl gerade noch aus dem Augenwinkel und wollte sich zu ihm drehen, doch da war es bereits zu spät. Im Bruchteil einer Sekunde war alles vorbei. Xīxuèguǐ durchteilte den Körper der Frau, als bestünde er aus Butter, ein sauberer Schnitt von der Schädelspitze, bis hinunter zum Schritt. Die Frau kam nicht einmal mehr zum Schreien, sondern der lauten Peitschenknall seines geladenen Schlag ersetzte ihren Todesruf. Mit einem flatschenden Geräusch kippten die beiden Körperhälften weg und eine Pfütze aus Innereien und Blut bildete sich unter seinen Stiefeln.

Doch Zhou beachtete es nicht.

Er hatte bereits sein nächstes Ziel erspäht, einen Mann mit einer Hellebarde, der versuchte Lyaths rechtes Hinterbein zu verletzen. Diesmal sah der Gegner ihn kommen und hob den Schaft der Waffe zum Blocken bereit, aber es machte keinen Unterschied. Ohne die Miene zu verziehen sprang der Titan auf den Mann zu und schlug zu. Das Hartholz der Hellbarde wurde von seinem Schwert einfach zerteil, als bestünde es aus Styropor, er spürte nicht einmal einen wirklichen Widerstand. Der Schnitt traf den Mann am linken Halsansatz und setzte sich diagonal durch den Körper fort. Abermals folgte der charakteristische Knall und ein gurgelnder Schrei entfleuchte der Kehle des Übeltäters, ehe seine beiden Körperhälften sich voneinander trennten und zu Boden fielen.

Erst jetzt bemerkten die übrigen Mitglieder der Schwarzen Rose, dass es noch jemanden außer Lyath gab, der ihnen das Leben schwer machte. Der gleiche Elf wie zuvor am Höhleneingang, zusammen mit zwei weiteren Elfen stellten sich ihm entgegen. Allesamt das Schwert erhoben, bereit es mit ihm aufzunehmen. Shixin empfand jedoch keine Vorfreude oder Furcht.

Er war – bedrückt.

Binnen eines Atemzug hatte er die Distanz zwischen sich und den Elfen hinter sich gebracht. Das Schwert hoch über den Kopf erhoben. Die Elfen hatten damit gerechnet und wirkten nicht überrascht und versuchten vorherzusehen, wohin der Streich führen würde. Doch das war der Knackpunkt, es würde kein Schwertstreich kommen. Stattdessen hatte er den linken Arm vollends angewinkelt und drosch nun auf den anvisierten Kopf des ersten Elfen. Der Hieb traf den Kämpfer unvorbereitet, doch er hatte Glück, als Zhous Faust durch eine Art unsichtbare Mauer nur wenige Zentimeter vor seiner Schläfe aufgehalten wurde. 'Magie.' stellte der Titan angespannt fest, bemerkte jedoch auch, dass der Elf, dessen Schutzzauber er getroffen hatte, benommen in die Knie ging und schwer zu schnaufen begann.

Gleichzeitig wehrte er den Schwertstreich des zweiten Elfen mit Xīxuèguǐ ab, wobei er die Klinge ablenkte und den dadurch gewonnen Schwung ausnutze um seinerseits einen normalen Schlag gegen seinen Feind zu setzen. Dieser schaffte es ebenfalls seine Waffe für einen Block empor zu reißen, aber es kostete ihn einiges an Mühe dem einhändig geführten Streich standzuhalten. Shixin zögerte nicht lange und trat dem benommenen Elfen mit dem linken Fuß gegen den Kopf und stellte zufrieden fest, dass er die Schutzzauber mit dem ersten Hieb überladen hatte. Im selben Moment registrierte er das Schwert des dritten Elfs, dass dieser gegen seinen Hals schlug.

Entgegen jeglicher Instinkte, die ein normaler Mensch hatte, fing er die scharfe Klinge mit seiner gepanzerten linken Hand auf, wobei der körperliche Stoß von der schockabsorbierenden Panzerung geschluckt wurde und mit solchen Schwertern würden sie sie niemals durchtrennt bekommen. So gefangen zog er den Widersacher an sich heran, winkelte blitzschnell den rechten Schwertarm wieder an und entlud den Schlag mittig auf den Elfen. Kein Schutzzauber der Welt konnte ihn vor der geballten Kraft seines Fangschreckenschlags und der extremen Schärfe von Xīxuèguǐ schützen. Ohne Probleme glitt die blutrote Klinge im Bruchteil einer Sekunde durch den gesamten Körper. Eingeweide fielen aus dem oberen Teil, den der Soldat noch in der Hand hielt, ehe er ihn gegen den letzten verbliebenen Elf warf, dem pure Angst ins Gesicht geschrieben stand.

Der Mann wich dem abgetrennten Torso angewidert aus und hob dann die linke Hand gegen Shixin, ehe er etwas in einer fremden Sprache rief. Ein dumpfer Schmerz explodierte in Shixins Brust und ein Schwall von Blut ergoss sich in seinen Hals. Er spie das blaue Nanitenblut aus und griff sich kurz schmerzerfüllt an die Brust, ehe er abermals den rechten Arm anwinkelte und den Elf ins Visier nahm. Dieser war nun in schiere Panik verfallen und versuchte ihm mit einem Hechtsprung auszuweichen, doch es half nichts. Xīxuèguǐ traf ihn noch auf Höhe der Hüfte und trennte feinsäuberlich Ober- von Unterkörper. Der Mann, der wohl durch einen puren Adrenalinschock noch am Leben war, schrie wie ein abgestochenes Schwein und mit einem weiteren Stich seines Schwerts gegen den Kopf erlöste ihn der Titan von seinen Qualen. Danach hielt er kurz inne und spuckte eine weitere Ladung Blut, ehe er sich den Rest mit dem Ärmel seines Hemds abwischte. Der Elf musste wohl ein größeres Blutgefäß in ihm erwischt haben, das die Naniten in aller Eile nun endlich notrepariert hatten.

Ein weiteres, ihm noch fremdes Gebrüll ließ ihn aufhorchen und ungläubig sah er, wie ein dritter Drache mit tiefblauen Schuppen sich nun ebenfalls gegen Lyath warf, die schon kaum mit den beiden zuvor klargekommen war. Zhou atmete tief durch und brüllte laut: „Hey!" in Richtung der Drachen. Gleichzeitig hob er eines der Schwerter vom Boden auf und warf es gegen den Grünen Drachen, der gerade zu einem neuen Anlauf gegen Feuerschuppe ansetzte.

Im nächsten Moment spürte er, wie sich zwei Pfeile in seinen Rücken bohrten und stöhnte mehr vor Überraschung als vor Schmerz auf. Einer der beiden wurde von seiner schusssicheren künstlichen Lunge aufgehalten, während sich der zweite tief in seine Nierengegend bohrte. Knurrend drehte er sich um und entdeckte die beiden Übeltäter, die vielleicht zwanzig Meter entfernt standen, die Bögen erneut auf ihn angesetzt. Er sprang auf sie zu und wich dabei geschickt den Pfeilen aus, was ihm dank seiner Augen keine Probleme bereitete. Er winkelte den Arm gar nicht erst an, sondern schlitzte den ersten der beiden Bogenschützen einfach so die Kehle mit einem aufwärts geführten Schlag auf und erledigte den Zweiten, der davonrennen wollte, indem er ihm Xīxuèguǐ von hinten diagonal in den Torso trieb. Beide, sowohl der Mann als auch die Frau waren sofort tot.

Dann konnte er den Boden direkt hinter sich beben spüren und vollführte instinktiv eine seitliche Hechtrolle. Gerade noch rechtzeitig, denn im nächsten Moment drosch eine grüngeschuppte Pranke genau auf den Fleck Erde, auf dem er gerade noch gestanden hatte. Angespannt rappelte er sich auf und sah sich dann Auge in Auge gegenüber dem grünen Drachen, dem das Schwert, das er zuvor geworfen hatte noch in der Wange steckte. Die Echse brüllte ihn an und große Speichelfetzen klatschten ihm ins Gesicht und auf die Brust. Aber er hatte erreicht, was er wollte. Sofort winkelte er seinen Schwertarm komplett an und machte einen Schritt zur Seite, als der Drache erneut nach ihm schlug. Im Gegensatz zu den Pfeilen, wirkte der Schlag des Drachens geradezu wie eine Schnecke. Wie die Male zuvor visierte er sein Ziel, die noch nicht einmal auf dem Boden aufgekommene Pranke, an und wartete auf den perfekten Moment. Dieser kam genau dann, als die Krallen sein Gesicht passiert hatten und kurz vor dem Boden waren. Xīxuèguǐ zischte knallend durch die Luft und zu schnell für selbst noch seine eigenen Augen, trennte er zwei der Zehen vom Fuß des Drachens ab.

Dickes Drachenblut spritzte wild umher und einige Spritzer trafen den Titanen im Gesicht. Sie brannten wie kochendes Öl, doch es war wohl kein Vergleich dazu, was die Echse gerade fühlte, die vor Schmerzen jaulte und die Pranke eiligst zurückzog. Shixin ließ jedoch nicht locker, nahm etwas Anlauf und sprang dann hoch auf den Rücken des Drachens, der davon offensichtlich überrascht wurde. Er versuchte noch den Kopf nach hinten zu drehen, aber es war zu spät. Zhou stand zwischen seinen Schultern und hatte den Schwertarm bereits wieder angewinkelt, während er das Rückgrat seines Widersachers an anvisierte. Er schickte ein kurzes Stoßgebet gen Himmel, dann hieb er zu.

Xīxuèguǐ's blutrote Klinge schnitt durch die stahlharten Schuppen, als seien sie aus Pappe, durchtrennte Sehnen, Muskeln, Knochen und schließlich auch das Rückenmark. Das alles geschah binnen dem Bruchteil einer Sekunde und der schrille, kreischende Schrei des Drachens der darauf folgte, brannte sich geradezu in Shixins schulderfülltes Gedächtnis. Der Körper unter ihm erschlaffte einfach wie ein totes Stück Fleisch und brachte die Erde leicht zum beben, als er auf dem Boden aufschlug. Doch der Drache war nicht tot. Er jaulte noch schmerzerfüllte und wand seinen Kopf hin und her in der Panik, seinen Körper nicht mehr spüren zu können.

Der Titan hatte ihn querschnittsgelähmt.

Voller Schuldgefühle trat Zhou wankend vor zum Nacken der einst mächtigen Flugechse und flüsterte leise: „Es tut mir leid. Mögest du in Frieden ruhen." Und mit diesen Worten rammte er sein Schwert durch den Hals des Drachen und beendete damit seinen Todeskampf. Große Trauer breitete sich in ihm aus, doch all das verschwand aus seinem Verstand, als ein brennender, stechender Schmerz ihn ergriff.

Die Welt schien für einen kurzen Moment ihre Konturen zu verlieren ehe er sich mit purer Willenskraft zurück ins Bewusstsein kämpfte. Er konnte spüren, wie riesige Zähne durch die Innereien seiner linken Seite pflügten, über seine legierten Knochen schrammten, während er wie wild durch die Luft gewirbelt wurde, dann für einen Moment wurde der Schmerz so unerträglich, dass er nicht anders konnte, als zu schreien, ehe er das Gefühl in seinem linken Arm verlor und sich überschlagend durch die Luft wirbelte. Schließlich kam er hart am Boden auf und biss sich dabei ausversehen auf die Zunge. Milliarden von Sternen tanzten vor seinen Facettenaugen, als er versuchte sich aufzurappeln. Die Schmerzen verebbten so schnell wie sie gekommen waren, als die Naniten einfach die entsprechenden Nervenbahnen blockierten und nach einigen weiteren Augenblicke klarte seine Sicht wieder auf. Er atmete schwer und versuchte erneut sich aufzurappeln.

Dazu stemmte er die rechte und die linke Hand – seine linke Hand!
Nein, sein gesamter linker Arm samt Schulter fehlte, als er erschrocken an sich herunterblickte! Riesige Bissspuren waren in seine gesamte linke Körperhälfte gestanzt, doch er musste sich mit der rechten Hand an den Stumpf seiner fehlenden linken Schulter fassen, um zu begreifen, dass wer auch immer ihn zu fassen bekomme hatte, ihm den Arm samt Schulter ausgerissen hatte!

Blaues Blut strömte noch immer aus der gerissenen, riesigen Wunde und er taumelte leicht, als sich wieder aufrichtete. Immer wieder blitzen kurz Sterne über sein Sichtfeld, sodass er für einen kurzen Moment die Augen schloss, während er sein Schwert mit der ihm verbliebenen rechten Hand aufhob. Er konnte spüren, wie die Naniten die größeren Blutungen stoppten und als er die Augen wieder öffnete, erkannte er, was geschehen war. Der braune Drache hatte ihn kurz nach dem Todesstoß von hinten mit dem Maul gepackt und ihn wie ein Krokodil hin und her geworfen, bis seine Schulter nachgegeben hatte.

Und jetzt sah er den braunen Koloss auf sich zu stampfen, mit weit aufgerissenem Maul.

Ein leichtes Zittern erfasste seine Knie. War es das, was man als Angst bezeichnete?
Angst um sein Leben?
Um das seiner Schützlinge?

Shixin hatte dieses Gefühl schon viele Jahrzehnte nicht mehr verspürt, doch als er im Hintergrund sah, wie Lyath sich todesmutig gegen ihren blauen Artgenossen warf, obwohl sie schon einige Hiebe hatte einstecken müssen und er bemerkte, wie Mathew mit einem prall gefüllten Sack zusammen mit Dekri davon rannte, gefolgt von der Wölfin und ihrem Jungen, wie sie von etlichen vermummten Gestalten verfolgt wurden, da entdeckte er ein weiteres Gefühl, das er damals verspürt hatte.
Damals in der Kirche, als der alte Pfarrer ihn bei sich aufgenommen hatte.
Als er endlich von der Möglichkeit erfuhr, die Dämonen seiner Vergangenheit zu bezwingen.

Das Licht in der Dunkelheit.

Hoffnung.

Zhou atmete tief durch, hielt Xīxuèguǐ wie in einer Zeremonie senkrecht vor seiner Brust und rezitierte eine Zeile aus dem Gebet, das ihm sein Mentor an diesem Tage gelehrt hatte:

„Und muss ich auch wandern in finsterer Schlucht,
Ich fürchte kein Unheil,
Denn du bist bei mir,
Dein Stock und dein Stab geben mir Zuversicht.
Amen."

Mit diesen Worten richtete er den Blick wieder auf den braunen Drachen, der nun fast bei ihm war und blendete alles andere um ihn herum aus. Er winkelte den verbliebenen Arm an und stürmte daraufhin dem Drachen entgegen. Alles was danach geschah lief für Zhou wie in Zeitlupe ab.

Die Echse holte wie schon zuvor ihr Artgenosse zu einem Schlag mit der rechten Pranke aus, den er auf sich zukommen sah. Gekonnt sprintete er darunter durch und visierte stattdessen den rechten Hinterlauf an, der fest auf dem Boden stand. Xīxuèguǐ blitzte im Schein des Mondes blutrot auf, als der geladene Schlag das Bein fast vollständig durchtrennte. Schmerzerfüllt jaulend sackte der Drache daraufhin nach hinten ab und Shixin drehte auf der Stelle um. Sein nächstes Ziel war nun der linke Vorderlauf, den die Echse nun instinktiv fest in die Erde presste. Das Vorderbein war deutlich dünner und mit einem weiteren mächtigen Hieb, schlug er dem Drachen die linke Pranke ab. Der Braune kreischte vor Schmerzen auf und klappte nun komplett in sich zusammen, während der Titan rasch unter ihm hervor rannte. Kläglich versuchte der Drache sich hochzustemmen, doch anders als kriechend würde er nirgendwo mehr hinkommen.

Das genügte ihm fürs erste, denn es gab einen wichtigeren Feind, den es zu erledigen galt.

Schwer atmend rannte er in Richtung von Mathews Fluchtgruppe, die vor allem durch Dekri stark verlangsamt wurde. Voller Verwunderung bemerkte er, dass Gilston inzwischen den Welpen der Wolfsdame in den Armen hielt, während sie sich selbst gegen ihre Verfolger geworfen hatte. Zwei der vermummten Gestalten waren ihr jedoch geschickt ausgewichen und rannten den Flüchtenden immer noch nach, doch ein dritter hatte weniger Glück gehabt, denn die Wölfin zerfleischte ihm gerade lautstark das Gesicht. Allerdings wurde sie von zwei weiteren Männern und einer Elfe bedrängt, die sie mit ihren Schwertern und Lanzen malträtierten.

Zu ihrem Pech bemerkten sie Shixins Erscheinen dadurch viel zu spät. Innerhalb der ersten zwei Sekunden zerteilte er die Elfe mit einem geladenen Schlag vom Kopf bis zum Schritt und warf sich im Anschluss mit voller Wucht gegen den näheren der beiden Männer. Er konnte fühlen, wie die Knochen des Mannes unter seinem Aufprall und den Überschlagungen auf dem Boden zerbrachen wie bröslige Kekse und er sich nicht mehr regte, als sie beide zum Stehen kamen. Stöhnend rappelte er sich auf und deutete mit der Schwertspitze auf den zweiten Mann der ihn angsterfüllt ansah.

„Ich – bin dein – Gegner – " presste er knurrend hervor und fügte dann an die Wölfin gewandt hinzu: „Lauf! Lauf!" Er bezweifelte zwar, dass sie seine Worte wirklich verstand, aber sie warf ihm einen verstörten Blick zu, ehe sie in Richtung von Mathew und ihrem Welpen davoneilte. „Wer bist du?" kreischte der Mann in Panik, als Shixin einen Schritt auf ihn zumachte und erneut den Arm vollends anwinkelte.

„Der – Sensenmann." erwiderte er leise und beendete das Leben des Mannes mit einem gezielten Schlag gegen den Hals, der ihm den Kopf von den Schultern trennte.

Schweren Schritts wandte sich der Titan daraufhin wieder dem Kampf der Drachen zu. Lyath kämpfte wie ein in die Ecke getriebenes Tier. Für jeden Biss und jeden Hieb, den ihr der blaue Drache verpasste, bekam er mindestens zwei zurück. Doch die Drachendame blutete stark und ihm fiel auf, wie ihre Muskeln unter dem blutüberströmten Schuppen krampfhaft zitterten. Sie mochte zwar kämpfen wie eine Löwin, doch ebenso wie er, war sie langsam aber sicher an der Grenze ihrer Kraft angelangt. Er schluckte schwer und musste kurz innehalten, als das Taumelgefühl für einen Moment zurückkehrte.
Selbst sein Körper erreichte langsam aber sicher sein Limit.

Die Naniten benötigten zu viel Energie, um ihn unter diesen Bedingungen kampffähig zu halten. Wenn er es nur schaffen könnte den blauen Drachen zu –

Doch der kleine Flimmer an Hoffnung, an den er sich jetzt noch klammerte erlosch, als er sah, wie der blaue Drache von Lyath zurückwich und auch die zweibeinigen Angreifer innehielten.

Eine rauchige und bittersüße Stimme durchbrach den Lärm des Kampfes. Sie war laut, wohl magisch verstärkt und einhalt gebietend. „Feuerschuppe, bitte, Feuerschuppe. Es gibt keinen Grund für weiteres Blutvergießen. Seht, eure Tochter teilt meine Meinung, oder etwa nicht, kleine Skulblaka?" Lyaths wutverzerrte Schnauze richtete sich auf den Eingang zu ihrer Höhle und auch sie erblickte, was der sich schwankend nähernde Shixin schon bereits entdeckt hatte.

Dort im Eingang stand ein grauhaariger Elf in tiefbrauner Lederrüstung und hielt Shuilian in seinen Händen fest. Vor allem bemerkte er den Dolch, den der Mann an ihre geschuppte Kehle hielt. Geschlagen stürzte Zhou auf die Knie, jeglicher Kampfeswille wie weggefegt. Ein wütendes Brüllen donnerte über den Waldrand hinweg, doch Feuerschuppe wagte es nicht etwas zu tun, aus Angst um das Leben ihrer Tochter. „Ah, ich wusste doch, ihr würdet Vernunft walten lassen. Ihr verdient meinen Respekt Feuerschuppe, ihr habt einen deutlich härteren Kampf abgeliefert als euer Brutpartner es tat. Wobei ihr natürlich Hilfe hattet, von einem Freund. Wärt ihr so freundlich uns von seinem Anblick zu befreien? Ich denke er hat genug Unheil angerichtet." setzte der Elf fort und erntete ein tiefes, drohendes Knurren als Antwort, wohingegen Shixin nicht einmal mehr den Mund aufbrachte, um etwas zu erwidern.

Zu tief saß der Schock.

Der Ton des Elfen wurde daraufhin etwas drohender und eindringlicher: „Glaubt nicht ihr hättet die Wahl, Feuerschuppe. Ob es nun ein Küken mehr oder weniger ist, darauf kommt es mir im Großen nicht an. Die Wahl liegt bei euch. Und entscheidet euch rasch, meine Geduld wird mit zunehmenden Alter nicht größer."

Zhou schloss die Augen und setzte sich in seinen gewohnten Schneidersitz hin.

Behutsam steckte er Xīxuèguǐ zurück in die Scheide, die wie durch ein Wunder immer noch an seinem Gürtel hing und begann leise in sich hineinzulachen.

'Eine Wahl? Was für eine Wahl?'

Es entstand eine kurze Pause, in der er nur seinen eigenen Atem hören konnte, bis er schließlich am Beben der Erde um ihn herum spüren konnte, wie Lyath langsam auf ihn zukam. Er öffnete noch einmal die Augen und versuchte ein Lächeln aufzusetzen, als die schwer verletzte Drachendame ihren Kopf vorsichtig zu ihm hinunterbeugte. „Ich – werde euch – nicht aufhalten – Lyath. Tut – tut was ihr tun – müsst. Es – war mir – eine Ehre." keuchte er ihr als letzte Worte zu und schloss dann abermals seine Augen.

Er spürte ihre sanfte Zunge auf seiner Wange und dann den näherkommenden warmen Atem.

So hatte er schon immer abtreten wollen, zum Wohle seiner Freunde, seiner Familie. Jetzt konnte er endlich loslassen, seine Mission war erfüllt.

Langsam begann sein Bewusstsein in die schwarze Leere zurückzusinken, aus der er sich mit seiner Willenskraft an ein letztes Treibholz geklammert hatte.

Unwillkürlich schweiften seine Gedanken ab und das letzte an das er dachte, bevor das Bewusstsein verlor war die Frage, die er damals dem Pfarrer gestellt hatte, als dieser ihm mitteilte, er würde in den nächsten Monaten sterben.

„Hast du Angst vor dem Tod?"

Dann umfasste ihn das schwarze Nichts.

[Eragon Fan-Fiction] Der Titan und die DrachenreiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt