Der Beginn einer langen Reise

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„Und ihr wollt uns wirklich schon verlassen? Wir würden uns freuen, wenn ihr noch ein paar Tage bei uns bleibt. Ihr habt so viel für uns getan John." meinte Ortardt, Misas Vater, während er mit seiner Frau und seiner Tochter zusammen am Dorfeingang stand um John zu verabschieden. Fast alle Familien waren gekommen, bis auf diejenigen, die gerade dabei waren, ihre Häuser zu reparieren. John stand, einen kleinen gefüllten Beutel über der Schulter hängend vor den Dorfbewohnern und war sehr gerührt, von der Gastfreundschaft dieser einfachen Leute.

Er hatte ihnen in den vergangenen drei Tagen geholfen Bäume im Wald zu fällen und die Stämme zu Holzbalken zu zersägen, um die verbrannten Häuser wieder aufzubauen. Außerdem war er Ortardt in seiner Schmiede zu Hand gegangen, doch nach einigen kläglichen Versuchen Nägel zu schmieden, gab er es auf und beschränkte sich darauf Kohle und Erz zu schaufeln und immer wieder den großen Blasebalg zu betätigen. Als Gegenleistung für seine Hilfe hatte John lediglich einen Beutel, eine Karte, einen Kompass und etwas Proviant verlangt. Doch so sehr er es genoss von Menschen umgeben zu sein, die sein Äußeres ignorierten und ihm zu Ehren sogar ein kleines Fest organisiert hatten, musste er daran denken, weiter zu ziehen, um die Drachenreiter zu treffen. Also hatte er beschlossen aufzubrechen.

„Ihr ward wirklich alle sehr gut zu mir Ortardt. Doch die Zeit steht nicht still und ich habe immer noch meinen Auftrag den ich erledigen muss." entgegnete John dem Schmied und hob zum Abschied die Hand. „Es hat mich wirklich gefreut euch helfen zu können und keine Sorge, ich werde euch wieder Besuchen kommen. Bis dahin jedoch, wünsche ich euch alles Gute." „Euch ebenfalls John! Ich hoffe ihr findet, wonach ihr sucht. Aber seid vorsichtig, in den Wäldern und Bergen nördlich von hier leben wilde Drachen und einige Händler meinten sogar, sie würden Menschen anfallen. Gebt auf euch acht und meidet es abseits der Wege zu gehen." meinte der Schmied und winkte dem Soldaten hinterher, der sich im Gehen noch einmal umdrehte und ihm zu rief: „Vielen Dank für die Warnung. Ich werde sie beherzigen! Auf bald!" John hob noch einmal die Hand zum Gruß, dann wandte er sich von den Dorfbewohnern ab und beschleunigte seinen Schritt etwas.

Laut der Karte und Misas Aussage zu Folge hatte er einen Marsch von drei Wochen vor sich, bis er am Berg auf dem die Drachenreiterfestung stand ankommen würde. Der Weg würde ihn zunächst durch einen dichten Wald führen, gefolgt von einem kleinen Ableger des Beor-Gebirges, welchen er überqueren musste. Danach würde ihm ein Vier-Tagemarsch durch eine Wüste bevorstehen, die im Regenschatten des Gebirgsausläufers entstanden war. Zu guter Letzt musste er nur noch eine riesige Ebene durchwandern, die von zahlreichen Gletscherflüssen durchzogen wurde und auf der es mehrere größere Siedlungen gab. Dann würde er am Fuße des Berges ankommen, auf dem die Festung des Drachenreiterordens ruhte. Er hatte sich zwar noch keine Gedanken darüber gemacht, wie er dort hinauf kommen sollte, denn laut Misa war der einzige Weg hinauf der Flug mit einem Drachen. Allerdings machte er sich mehr Sorgen über den Marsch über den Gebirgsausläufer und durch die Wüste.

Es war John direkt ins Auge gesprungen, als Ortardt ihm den Weg gezeigt hatte. Auf dem gesamten Weg von diesem Dorf hier bis hin zu großen Ebene gab es keine andere Siedlung, in der er seine Vorräte auffüllen könnte. Es existierte lediglich ein winziger Handelsposten an einer Oase inmitten der Wüste, doch allein der Weg dorthin würde selbst für ihn mindestens anderthalb Wochen dauern. Sein Proviant reichte jedoch gerade einmal drei Tage, fünf maximal, wenn er es extrem rationierte. Wasser zu finden, wäre kein Problem. Laut der Karte gab es viele kleine Gebirgsbäche, die sich sogar bis hin in den Wald zogen, aber der Nahrungsmangel würde ihm irgendwann schwer zu schaffen machen. Ganz zu schweigen von den Drachen, die angeblich im Wald und im Gebirge hausten.

John hatte keine Angst vor Bären, Wölfen oder Berglöwen, doch auf einen Kampf gegen ein hausgroßes, fliegendes und feuerspeiendes Reptil hatte er wenig Lust. Während er die kleine Anhöhe, auf der das Dorf gebaut worden war, hinabstieg und hinter sich ließ, musste er daran denken, wie ihm seit Beginn der Ausbildung zum Titan eingetrichtert wurde, dass die Titanen die stärksten Wesen auf dem Planeten seien und daher keine Angst vor irgendetwas haben sollten. Er hatte auch keine Angst davor, gegen einen Drachen anzutreten, doch sein Verstand sagte ihm eindeutig, dass er einem solch gewaltigen Wesen deutlich unterlegen war. John war froh, dass Ortardt ihn vor den Drachen gewarnt hatte, es war immer gut zu wissen, welchem Feind man gegenüberstehen wird. Aber im Gegensatz zu seinem Problem mit der Proviantknappheit, welches sich durch Jagen und Beerensammeln bekämpfen ließ, fiel ihm nichts ein, wie er einen Drachen besiegen, beziehungsweise überhaupt bekämpfen sollte. Er dachte die ganze Zeit darüber nach, während er dem Weg folgte, der ihn nach Norden in den großen Wald führen würde. Doch je länger er versuchte eine Lösung zu finden, desto klarer wurde ihm, dass es nur eine einzige Möglichkeit für ihn gab einen Drachen zu besiegen, nämlich ihm gar nicht erst zu begegnen.

Die Stunden verstrichen und Meile um Meile schwand unter seinen Stiefeln dahin. John ließ seinen Blick immer wieder über die Umgebung streifen, hauptsächlich um sich zu vergewissern, nicht angegriffen zu werden, doch andererseits versuchte er seinen Verstand vom Thema Drache abzubringen. Das Gras, welches abseits des Weges wuchs, war kniehoch und hatte ein sattes Grün. Hin und wieder fand sich auch ein kleiner Tümpel in dieser Steppe wieder, von denen immer einige Vögel aufstoben und erbost zwitscherten, wenn der Soldat an ihnen vorbei kam. Es erinnerte ihn entfernt an die Prärie, in der er einen Teil seines Trainings absolviert hatte. Er fragte sich, ob es hier auch eine ähnliche Fauna gäbe wie dort. Nur ein paar Meilen weiter wurde seine Frage beantwortet, als er eine Herde Rinder etwas abseits des Weges friedlich grasen sah. Sie hatten eine verblüffende Ähnlichkeit mit den Bisons, die er damals gesehen hatte. John überlegte kurz, eines der Tiere zu erlegen um etwas Fleisch zu bekommen, verwarf die Idee jedoch schnell wieder, da er nicht vorhatte ein Nachtlager mitsamt Lagerfeuer zu errichten.

Vielmehr würde er einfach weitermarschieren, um zusätzliche Meilen hinter sich zu bringen, eine Vorgehensweise, die er sich bei einigen Geheimoperationen im tiefen Dschungel und in der Wüste angeeignet hatte. So war er zwar den nachtaktiven Raubtieren ausgesetzt, doch die meisten Wildtiere hatten Angst vor Menschen, man musste nur genug Lärm machen, damit sie wussten, man ist in ihrer Nähe, dann wichen sie einem von ganz allein aus. Und die zusätzlichen Meilen bedeuteten zusätzlichen Fortschritt. Er wusste zwar nicht, ob Drachen auch nachtaktiv waren, doch selbst wenn er ein Lagerfeuer entfachen würde, könnte das eine feuerspeiende Echse sicher nicht davon abhalten ihn anzugreifen. Es war ein Risiko, das John vollkommen bereit war einzugehen, denn so stellte er wenigstens kein einfaches Ziel dar, da er sich bewegte, anstatt an einem Lager zu rasten.

Langsam verschwand die Sonne hinter dem Horizont und mit den letzten Lichtstrahlen erreichte der Soldat den großen Wald. Er blieb kurz stehen, um sich die gewaltigen Bäume anzusehen. Der Wald musste unglaublich alt sein, um solche Giganten zu beherbergen. Laut der Karte war dieser Wald fast viermal so breit, wie die Strecke die er heute zurückgelegt hatte. Das hieße, er bräuchte zwei Tage um ihn zu durchqueren, wenn der Weg geradeaus hindurchführte. Doch ihm genügte schon ein Blick in den Wald hinein um zu erkennen, dass der Weg eine scharfe Linkskurve einschlug, keine hundert Meter vom Waldrand entfernt. Seufzend machte er sich wieder auf den Weg, aber schon bald war er gezwungen seine Helmlampen anzuschalten, da die Bäume so dicht beieinander standen, dass sie das schwache Mondlicht komplett blockierten.

Ein mulmiges Gefühl breitete sich in ihm aus. Er fühlte sich bei jedem Schritt den er machte beobachtet und die beklemmende Geräuschkulisse tat ihr übriges. Immer wieder hörte er das Knacken eines am Boden liegenden Astes neben sich, ein Rascheln im Gebüsch und hin und wieder konnte er auch deutlich das Brüllen eines großen Tieres hören, gefolgt von einem mehrstimmigen Jaulen. Sein Körper war derart in Alarmbereitschaft, dass er sogar schon unbewusst sein Messer gezogen hatte und sein Blick hin und her huschte. Dabei achtete er immer darauf, auf dem Weg zu bleiben. Doch dann passierte es.

Er hörte ein lautes Schnauben, dicht neben sich und drehte sich in die Richtung, um einen Angriff abwehren zu können, doch die wilde Bestie entpuppte sich als großer Hirsch, der panisch davon rannte, als ihn der Lichtkegel der Lampen erfasste. Erleichtert atmete John auf und wandte sich um, aber als er auf den Boden blickte sah er dort nur heruntergefallene Äste und Gestrüpp.

Er hatte den Weg verlassen!

Sofort blickte er suchend um sich, um den Weg wieder zu finden, doch da war nichts. Es war so, als hätte der Weg aufgehört zu existieren, obwohl John sich sicher war, dass er keine drei Schritte gemacht hatte ohne auf den Pfad zu achten. 'Was wird hier gespielt? Ist das Magie?' überlegte der Titan verwirrt, während er darüber nachdachte, was zu tun war. Würde er jetzt ohne Anhaltspunkt weitergehen, wäre die Wahrscheinlichkeit groß, dass er sich verlaufen und womöglich gänzlich in die falsche Richtung gehen würde. Also nahm er den Beutel vom Rücken und suchte darin nach dem Kompass. Es dauerte einige Augenblicke, bis er ihn im Schein der Lampen gefunden hatte, dann nahm er ihn in die linke Hand und sah nach, in welcher Richtung Norden lag. So würde er immerhin in die richtige Himmelsrichtung gehen. Zumindest für die Nacht würde es ausreichen und bei Tageslicht, so hoffte er, würde er den Weg schon wiederfinden. Und selbst wenn nicht, käme er mit Hilfe des Kompasses wenigstens wieder aus dem Wald heraus.

So also machte er sich nach der kurzen Zwangspause wieder auf dem Weg, immer darauf achtend nach Norden zu gehen und vor allem den Kompass nicht fallen zu lassen! Zu allem Überfluss musste John nun auch noch immer wieder gegen die Vegetation ankämpfen, die ihm den Weg versperrte. Zum Glück eignete sich sein Kampfmesser auch gut dazu Holz zu durchtrennen. Trotzdem kam er nur mühsam voran und ohne die schützende Panzerung des Atlas hätte er sich wohl schon mehrfach an den Beinen und den Händen aufgeschlitzt. Nach einiger Zeit bemerkte er jedoch etwas, dass ihm weitaus mehr Sorgen machte.

Es war still geworden. So still, dass wenn er kurz innehielt seinen eigenen Herzschlag hören konnte. Da jedoch drang ein anderes Geräusch an seine Ohren. Es hörte sich so an wie ein sich öffnender Fallschirm, doch dafür war es zu rhythmisch. Er blieb stehen und lauschte. Das Geräusch wurde immer lauter und lauter. Es klang wie ein –

'Flügelschlag?' dachte sich John spähte nach oben in die Baumwipfel, doch dort gab es kein Loch, das groß genug war um etwas am Himmel zu erkennen. Da verstummte das Geräusch plötzlich. Instinktiv schaltete der Soldat die Lampen ab und hechtete sich in ein dichtes Gestrüpp. Keine Sekunde zu früh denn wenige Meter vor ihm krachte etwas Großes gegen die Bäume und brachte sie zum umfallen. Es tat einen gewaltigen Schlag, als die Kreatur zusammen mit Bäumen auf dem Boden aufkam und sein Versteck nur um einen knappen Meter verfehlte. John war wie zu Eis erstarrt.

Im Mondlicht konnte er das Tier deutlich erkennen. Es war größer als ein Haus, seine Schuppen glänzten pechschwarz im Licht und die Krallen an seinen Pranken waren länger als Johns Arm. Der lange Schwanz peitschte wütend umher und er hatte das Maul leicht geöffnet, sodass der Titan deutlich die langen, messerscharfen Zähne sehen konnte. Auf dem Rücken saßen seine nun zusammengefalteten Flügel und über das gesamte Rückgrat hinweg, bis auf eine kleine Partie in der Schultergegend, standen spitze Stacheln. Ohne Zweifel war das ein Drache. John wagte es nicht auch nur einen Muskel zu rühren, er hielt sogar die Luft an. Jegliche Bewegung würde das Gestrüpp, in dem er sich versteckte, Rascheln lassen und ihn somit enttarnen.

Das gehörnte Haupt des Drachens schwenkte hin und her und deutlich konnte er hören, wie die Kreatur in der Luft schnupperte. In diesem Moment war er froh, den Atlas zu tragen, der seinen Körpergeruch neutralisierte. Er war nicht besonders erpicht darauf gegen dieses Monstrum zu kämpfen. Nach einigen Augenblicken ließ der Drache ein Knurren von sich hören, wohl wütend darüber, dass sich seine Beute aus dem Staub gemacht hatte. Er fegte mit seinem Schwanz den Baum neben Johns Versteck um, doch der Soldat zwang sich ruhig zu bleiben. Nach einem weiteren Knurren und nochmaligem Umsehen stieß sich der Drache wieder vom Boden ab und verschwand damit aus Johns Blickfeld. Er wartete noch ein paar Minuten, bis das Geräusch der Flügelschläge nicht mehr zu hören war, erst dann wagte er es wieder zu atmen und aus seinem Versteck zu kommen.

Der Drache hatte mit seiner Aktion eine große Lichtung inmitten des dichten Waldes geschaffen und dabei etliche Bäume mit einer Leichtigkeit bei Seite gefegt, als wären es Strohhalme gewesen. Damit stand für den Titan fest, er würde nur im äußersten Notfall gegen ein solches Ungetüm kämpfen, auch wenn es für ihn klar war, dass er bei einer weiteren Begegnung wohl kaum das Glück besäße unentdeckt zu bleiben. 'Selbst der Atlas wird nicht lange gegen solch rohe Gewalt standhalten. Und die Leute glauben immer ich wäre ein unnatürliches Monster, was würden sie wohl sagen, wenn ein leibhaftiger Drache vor ihnen steht?' dachte er sich und beschloss von nun an, sich nachts zu verstecken, anstatt mit einer hellen Suchlampe zu marschieren.



[Eragon Fan-Fiction] Der Titan und die DrachenreiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt