Die Nacht dauerte ungewöhnlich lange. John vermutete, dass es am dichten Wald lag, der selbst das helle Sonnenlicht nur Bruchteilhaft durchschimmern ließ. Er war, sobald es hell genug gewesen war, losgegangen um den Weg wiederzufinden, doch dieser schien weiterhin wie vom Erdboden verschluckt worden zu sein. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als sich mit Hilfe des Kompasses in Richtung Norden durchzuschlagen. Doch obwohl es nun einigermaßen hell war, kam er immer noch nur schwer voran. Die Bäume selbst waren dabei nicht das Problem, sie standen geradeso weit genug auseinander um ihn passieren zu lassen, nein, die kleinen Sträucher, Büsche und heruntergefallene Äste machten ein schnelles Vorankommen quasi unmöglich.
John wünschte sich, er hätte seine Dschungelausrüstung dabei, womit er sich mit Leichtigkeit eine Schneiße ins Unterholz hätte schlagen können. Wenigstens hatte er noch die Wald- und Wiesentarnung auf der Außenhaut seines Atlas, so war er wenigstens relativ gut vor einer Entdeckung geschützt. 'So hat meine Sturheit wenigstens einen Sinn gehabt.' dachte sich John, als er sich daran erinnerte, wie ihm das ObKom mehrere Befehle übersandt hatte eine Wintertarnung aufzutragen, die immer geflissentlich von ihm ignoriert worden waren. Er mochte dieses grüne Muster. Während er sich also weiter durch das Dickicht schlug und immer wieder einen Blick auf den Kompass in seiner Hand warf, dachte er noch einmal an seine Begegnung letzte Nacht.
Der Titan hatte keine Angst vor dem Drachen, dafür hatte er eine zu harte Ausbildung durchlaufen um in Panik zu geraten, aber er konnte die Stärke dieser Kreatur nicht leugnen. Würde er zu einem Kampf gegen ein solches Ungetüm gezwungen werden, so war er sich sicher, dass die einzige Chance für ihn darin bestünde, seine Schnelligkeit auszuspielen. Der Drache mochte größer und stärker sein als er, doch wie jedes andere große Tier musste auch er relativ behäbig sein. Sollte ihn die Echse jedoch zu fassen kriegen, konnte er sich auf mörderische Schmerzen gefasst machen, auch wenn er sich ziemlich sicher war, dass der Atlas ihn zumindest vor den Zähnen, Krallen und dem Feuer schützen würde. John schüttelte sich unfreiwillig, als er an eine andere Sache denken musste, auf deren eintreten er sehr gut verzichten könnte. Er hatte keine große Lust im Verdauungstrakt eines Drachens zu landen, denn wenn er es richtig im Kopf geschätzt hatte, wäre es einem so großen Drachen wie ihm letzte Nacht begegnet war, ein leichtes ihn im Ganzen hinunterzuschlingen. Er wusste zwar, dass der Atlas gegen sämtliche Säuren resistent war, auf einen Feldtest konnte er jedoch gut verzichten. Der Titan versuchte diese Vorstellung aus seinem Kopf zu verdrängen und hielt an einem kleinen Bach inne um kurz zu rasten.
Er setzte sich auf einen herumliegenden Baumstamm, nahm sich den Helm vom Kopf und atmete tief durch. Die Waldluft hatte etwas Angenehmes an sich. Feuchtes Moos, Kiefernadeln, frisches Harz. Solch gute Luft hatte er schon lange nicht mehr gehabt. Es erinnerte ihn an die Zeit vor dem Krieg, bevor die Atombomben fast jegliches Grün vom Antlitz der Erde getilgt hatten. Er nahm den Beutel von der Schulter und fischte den kleinen Laib Brot und die eigenartige Wurst, die ihm Ortardts Frau augenzwinkernd eingepackt hatte, heraus. Sie hatte gemeint, es wäre ein geheimes Rezept ihres Vaters gewesen. Nachdem er sein Messer kurz im klaren Wasser des Bachs abgespült hatte, schnitt er sich eine kleine Scheibe ab und roch daran. Es roch würzig-salzig, mit einem leichten Raucharoma. Für jemanden, der sich seit Jahrzehnten von eingetüteten Militärrationen ernährte, roch es himmlisch. John hatte schon auf dem Fest, dass die Dorfbewohner ihm zu Ehren ausgerichtet hatten, gebratenes Fleisch und gekochte Kartoffeln probiert, doch diese Wurst war etwas Neues. Er biss ein Stück von der abgeschnittenen Scheibe ab und ließ das herzhafte Aroma auf seiner Zunge vergehen. Er seufzte und schloss für einen kurzen Moment genießerisch die Augen. Dann schob er sich den Rest der Wurstscheibe in den Mund und brach sich ein Stück vom Brot ab.
Obwohl es so gut schmeckte und er am liebsten alles aufgegessen hätte, so behielt doch die logisch denkende Seite seines Gehirns die Oberhand und er packte die Sachen zurück in den Beutel, nachdem er den letzen Bissen Brot hinuntergeschluckt hatte. Anschließend nahm er noch einen großen Schluck aus dem Wasserkanister, der neben dem Fusionspack am Rücken verankert war, setzte sich wieder den Helm auf den Kopf, warf sich den Beutel über die Schulter und machte sich wieder, den Kompass in der linken und das Messer in der rechten Hand haltend, auf den Weg.
Die Stunden vergingen und umso länger John sich durch das dichte Unterholz kämpfte, desto merkwürdiger kam ihm der Wald vor. Er konnte zwar deutlich Vögel und andere Tiere hören, doch seinen Augen blieben sie verborgen. Außerdem stieß er hin und wieder auf große Steine, die dermaßen fehl am Platz wirkten, dass es den Anschein hatte, jemand habe sie absichtlich hier platziert, doch zu welchem Zweck? Als er schließlich zum zehnten Mal an einem solchen Stein vorbei kam, hielt er inne um ihn sich genauer anzusehen.
Es war normales Felsgestein, wie es zuhauf im Gebirge vorkam, doch es gab zwei Dinge die John besonders auffielen. Die Steine hatten eindeutige Kratzspuren auf ihrer Oberfläche groß genug um zu den Krallen eines Drachens zu passen, allerdings fragte er sich, wie und wieso ein Drache Steine in den Wald schleppen sollte. Vor allem, da es keinerlei Anzeichen in der Vegetation gab, dass ein so großes Tier hier gelandet war. Doch vor allem, das die Steine nicht schon längst von Pflanzen überwuchert waren, ließ den Titanen grübeln. Jemand oder etwas hatte also Steine hier in den Wald geschleppt und das Ganze war noch nicht allzu lange her. Aber wozu? Er blickte sich um und entdeckte ein paar Meter weiter einen weiteren Stein. Er verglich die Richtung des Steins mit seinem Kompass und stellte fest, dass er etwas mehr nach Westen, als nach Norden führte. Nachdenklich stand er aus der Hocke auf und beschloss den Steinen zu folgen, zumindest solange sie ihn hauptsächlich Richtung Norden führten. 'Wer auch immer diese Dinger hier platziert hat muss einen Grund dafür gehabt haben. Vielleicht führen sie mich irgendwo hin, naja, solange es in die gleiche Richtung geht, in die ich will, wieso nicht.' sagte er sich und setzte sich wieder in Richtung des nächsten Steins in Bewegung.
Während er also den Steinen folgte überkam John wieder das Gefühl beobachtet zu werden. Es war nichts ungewöhnliches sich in einem Wald beobachtet zu fühlen, schließlich gab es hier hunderte, wenn nicht sogar tausende Tiere, doch er wusste, dass ihn etwas verfolgte. Immer wieder knackte über ihm in den Baumwipfel ein Ast und ein paar Mal fiel sogar einer herunter, aber jedes Mal, wenn er nach oben blickte sah er nur das Grün der Blätter und die sich im Wind wiegenden Äste. Sein Verfolger musste ausgezeichnete Fähigkeiten haben, seinen scharfen Augen zu entgehen und zum Glück schien er nicht auf einen Angriff aus zu sein, da er es ansonsten wohl schon längst getan hätte. So also schritt John voran, sich immer im Hinterkopf behaltend, dass ihn jemand oder etwas beobachtete.
Mit der Zeit merkte er, dass ihn die Steine in eine immer stärkere werdende Kurve nach Westen führten. Als die Nadel des Kompass schon fast senkrecht zu seiner eigenen Richtung stand fing er an, an seiner Idee den Steinen zu folgen zu zweifeln. 'Wenn die nächsten zwei Steine immer noch weiter in Richtung Westen führen werde ich wohl oder übel aufhören müssen ihnen zu folgen.' dachte er sich und riss einen kleinen Busch, der ihm im Weg war aus dem Boden und warf ihn bei Seite. Der nächste Stein führte immer noch nach Westen. Als er schon glaubte, die Route verlassen zu müssen trat er zwischen zwei eng beieinander stehenden Bäumen hindurch und –
Befand sich plötzlich wieder auf dem Weg! Überrascht sah er sich um, konnte jedoch keinen weiteren Stein mehr entdecken. John blickte nach links und nach rechts, doch dort war nur der leere Weg. Er glaubte nicht an einen Zufall. Wer auch immer diese Steine in den Wald gebracht hatte, hatte ihm geholfen auf den Weg zurückzufinden. Schmunzelnd blickte er hinauf in die Baumwipfel und rief: „Ich danke dir!" Es kam keine Antwort, doch das hatte er auch nicht erwartet. Froh darüber, den Pfad wiedergefunden zu haben verfiel er in einen schnellen Schritt, um wenigstens noch ein paar Meilen zurückzulegen, da es schon anfing zu dämmern.
Jetzt, da es keine blockierenden Äste oder Büsche mehr gab, kam er sehr gut voran, doch es wurde immer dunkler. Schon bald würde es selbst ihm, mit seinen modifizierten Augen, nicht mehr möglich sein gut zu sehen und weil er nicht vorhatte noch einmal einem jagenden Drachen zu begegnen, wollte er nur ungern im Schein seiner hellen Lampen weitermarschieren. John konnte noch knapp eine Stunde weitergehen, bevor er selbst kaum noch seine eigene Hand vor Augen sehen konnte. Um den Weg ja nicht noch einmal zu verlieren, beschloss er, sich einfach direkt auf ihm hinzulegen, damit er sich ausruhen konnte. So lag er also, in absoluter Dunkelheit, auf dem feuchten Erdboden, hatte die Hände hinter dem Kopf gefaltet und dachte an den vergangenen Tag und vor allem daran, dass er in dieser Wildnis trotz allem einen Verbündeten hatte.
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[Eragon Fan-Fiction] Der Titan und die Drachenreiter
FanfictionDer Soldat John Miller findet sich nach einem schrecklichem Unfall an den Ufern eines ihm unbekannten Landes wieder. Schon sehr bald wird ihm bewusst, dass er sich nicht mehr in seiner eigenen Welt befindet. So also macht er sich auf den Weg, die Dr...