Vergangenheit und Zukunft

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Es dauerte fast noch eine geschlagene Stunde, bis sich alle Anwesenden wieder einigermaßen beruhigt hatten und einstimmig beschlossen, dass eine Portion Schlaf doch gut tun würde nach diesem nervenaufreibenden Tag. So überließen sie Emily und Julia die relativ gemütlichen Pilotensitze im Cockpit des Albatrosses, während Robert und Alex Steven, der von seiner Bewusstlosigkeit offensichtlich direkt in den Schlaf der Gerechten übergegangen war, in das Truppenabteil trugen und dort auf dem Boden hinlegten. Danach gesellte sich Holsted nach vorne zu seiner Frau und Stearn, wobei er auf Johns Anweisung hin Feyth mitnahm, da dem kleinen Drachenmädchen bereits die Augen zugefallen waren, nachdem sie sich an dem Hologramm von Alex satt gesehen hatte.

Nurton selbst jedoch trabte wieder nach draußen nachdem er das Licht im Innern ausgeschalten hatte, um sich an Tiniras Flanke zu legen, was er dem zitronengelben Drachenmädchen unter strengem Blick Dun'vars versprochen hatte. Die beiden Drachen lagen ein paar Meter neben dem großen Sturmtransporter und Tinira hatte ihre Schnauze in Alex' Schoß gelegt, während ihr Schwanz sich liebevoll um sein rechtes Bein geschlungen hatte. Miller konnte schmunzelnd sehen, wie sein Sohn etwas steif da saß, den Rücken an ihre geschuppte Flanke gelehnt und wohl nicht so ganz recht wusste, wie er sich verhalten sollte. Aber er konnte sich jetzt nicht mehr aus der Bredouille reden und musste die Nacht so verbringen, auch wenn der Colonel wusste, dass sein Sohn kein Auge zu machen würde, um die Verwandlung so lange wie möglich hinauszuzögern.

So blieben letzen Endes nur er, Alanna und Aidan übrig. Gemeinsam schritten sie nebeneinander her in Richtung dem Rand des großen Felsplateaus, während das silberne Mondlicht immer wieder von einzelnen Wolken verdeckt wurde. Die KI verhielt sich relativ still, da er auf Johns Bitte hin seine Watcher-Direktive wieder aktiviert hatte, doch auch die Elfe war ungewöhnlich stumm. Ein kurzer Seitenblick auf sie verriet ihm, dass sie leicht beschämt und fast schon schüchtern wirkte, als würde eine große Last auf ihren Schultern liegen und sie erdrücken. Er sah wieder auf und kam dann am Rand der Plattform zum stehen, sodass sich nun ein gähnender, felsiger Abhang vor seinen Füßen auftat, doch die Aussicht war wahrlich atemberaubend.

Eine gigantische grüne Ebene lag vor ihm zu Füßen und dank seiner Drachenaugen und dem grellen Mondlicht konnte er es fast genauso sehen, wie am Tag, mit nur wenigen farbigen Unterschieden. Fast direkt am Fuß des Drachenbergs lag eine relativ große Siedlung, fast schon eine richtige Stadt und er erinnerte sich, dass Eragon sie Drakenfort genannt hatte. Mehrere große Flüsse zogen sich durch ansonsten flache Landschaft, die nur hin und wieder von kleinen Wäldchen unterbrochen wurde und drei größere Städte erhoben sich weit entfernt aus dem Boden. John kannte ihre Namen nicht, da er sie sich auf der Karte nicht wirklich angesehen hatte, aber insbesondere die Siedlung östlich des Berges wirkte selbst auf diese große Entfernung äußerst gewaltig, wobei der breite Fluss an dem sie lag, wohl einer der Faktoren für ihr Wachstum war. Alles in allem war es aber eine sehr friedvolle und vor allem naturbelassene Landschaft, ganz im Gegensatz zu den gigantischen Städtedschungeln, mit ihren riesigen Wolkenkratzern, die einen Großteil seiner eigenen Heimat ausmachten. Selbst ihr Landhaus auf Island, das er seinen Kindern vermacht hatte, war längst nicht so abgeschieden von der Zivilisation, wie das hier.

Miller atmete tief durch und genoss die frische, kalte Höhenluft ehe er sich räusperte und ruhig fragte: „Was für ein Tag, so viel Aufregung hatte ich nicht mehr innerhalb von 24 Stunden seit Ende des vierten Weltkriegs. Aber was bedrückt euch Alanna? Seit ich euch Nirlath's Eldunari zurückgegeben habe, habt ihr im Grunde kein Wort mehr gesagt. Hat es etwas mit dem zu tun, über das ihr mit mir sprechen wolltet, nach eurer Anhörung im Rat?" Er erinnerte sich an ihre doch fast schon aufgelöste Stimmung, als er sie kurz vor dem Kampf von Steven gegen Filia angetroffen hatte. Alanna seufzte leise und blickte traurig gen Boden, sodass er keine Möglichkeit hatte ihr Gesicht zu sehen, ehe sie die Arme vor ihrer schmalen Brust verschränkte. „In – gewisser Weiße ja, John-Vodhr. Wisst ihr noch, dass ich sagte, dass der Rat mich bestrafen wird, sobald wir den Drachenberg erreichen?" erwiderte sie leise und John nickte bestimmt. „Ja, ich erinnere mich. Ihr wolltet euch selbst für eure Taten zur Rechenschaft ziehen lassen. Was haben sie also beschlossen, dass euch dermaßen bedrückt? Werden sie euch einsperren?"

Sie schüttelte ihren immer noch gesenkten Kopf, bevor sie wieder aufblickte und er leicht überrascht kleine schimmernde Tränen in ihren Augen bemerkte. „Nein, meine Strafe ist weitaus härter, John-Vodhr. Wisst ihr, dass ich im Grunde hier in dieser Feste aufwuchs, fernab von meiner Heimat in Du Weldenvarden?" entgegnete sie und anhand ihrer bedrückten Stimme konnte der Colonel deutlich hören, dass die Strafe die sie erhalten hatte offensichtlich weitreichender war, als er vermutet hatte. Also schüttelte er ebenfalls leicht den Kopf und meinte in einem mitfühlenden Ton: „Nein, das habt ihr mir noch nicht gesagt." Gleichzeitig bot er ihr an, sich neben ihn auf die hüfthohe Mauer zu setzen, die einen Großteil des Plateaus umgab und sie nahm die Einladung dankend an, weshalb sie sich beide nebeneinander auf das noch leicht warme Mauerwerk niederließen, ehe die Elfe etwas zittrig fortfuhr:

„Ja. Es vergingen nur knappe 7 Monate nachdem Schattentöter aufgebrochen war, um den neuen Orden fernab der Grenzen Alagäsias zu gründen, als eines der Dracheneier, die er zurückgelassen hatte, bei mir schlüpfte. Ich war so überglücklich und stolz erwählt worden zu sein, genauso wie meine Mutter Nirlath war nicht größer als eine kleine Katze gewesen, als sie damals mit zerknitterten Flügeln und müden Augen aus dem Ei geklettert kam. Es war ein Anblick, bei dem mir einfach nur das Herz vor Freude überlaufen wollte! Kurz darauf, nachdem wir uns aneinander gebunden hatten durch uralten Zauber der Drachenreiter, wurde ich zusammen mit meiner Seelenschwester von Bloedhgarm-Elda aus meinem Zuhause abgeholt, um uns zum Sitz des neuen Ordens zu bringen und unsere Ausbildung zu beginnen. Ihr glaubt gar nicht, wie groß meine Augen waren, als ich die Feste dann das erste Mal sah! Natürlich war sie damals noch bei weitem so ausgebaut wie sie es heute ist, doch sie war immer noch imposant. Eragon-Elda und Schimmerschuppe waren wirklich überaus fürsorgliche und gute Lehrmeister, genauso wie die anderen großen Zauberer meines Volkes, die ihn begleitet hatten.

Über die Jahre hinweg entwickelten wir uns beide prächtig, Nirlath wurde groß und stark, während ich meine Techniken mit Hilfe von Schattentöter immer weiter verbesserte. Er war wie ein Vater für mich, der Vater den ich davor nie hatte und diese Feste hier wurde zu unserem Zuhause. Ich kenne jeden einzelnen Stein und jede einzelne Geheimkammer innerhalb dieser Mauern. Und jetzt – jetzt werde ich es niemals wieder mein Heim nennen können!"

Sie begann zu schluchzen und vergrub das Gesicht in ihren Händen, während schmale Rinnsale an Tränen ihre Wangen hinab rollten. Instinktiv fasste John ihr mitfühlend an die Schulter und ahnte nun, aus was die Strafe bestand. „Sie – sie haben mich aus dem Orden verbannt, John. Ich werde nie wieder einen Fuß in diese Feste oder nach Drakenfort setzen dürfen, solange ich lebe!" krächzte Alanna schluchzend und Miller konnte nicht anders, als sie beruhigend in die Arme zu schließen, wo sie ihren Kopf sofort fest gegen seine Brust drückte und ihrerseits die Arme um ihn schlang. In diesem Moment interessierte es ihn nicht, was sie verbrochen hatte, dass sie ihn in Ketten gelegt hatte.

Die Elfe war keine böse und schlechte Person, sondern hatte lediglich dumme Fehler begangen und falsche Entscheidungen getroffen, wie Angela es damals ausgedrückt hatte.
Und nun hatte man sie als Konsequenz dafür aus ihrem Zuhause verbannt.

Eine recht radikale, aber doch angemessene Bestrafung wie er fand, doch nichtsdestotrotz hatte er großes Mitleid mit ihr. Er wusste nur zu gut, wie es sich anfühlte sein Zuhause zu verlieren. Außerdem verlangte es einfach sein Anstand, den ihm sein Vater in den Kopf hinein gezimmert hatte, eine Frau nicht alleine vor sich hin schluchzen zu lassen!

So hielt er sie also tröstend in den Armen und merkte mitfühlend an: „Es ist eine harte, aber angemessene Strafe, für das was ihre getan habt. Dennoch, ich weiß, wie es ist sein Zuhause zu verlieren. Ihr habt mein Mitgefühl." „Danke – John." brachte sie nur schniefend hervor und es brauchte einige Minuten, ehe sie sich wieder von ihm löste und etwas verlegen versuchte ihre Tränen fortzuwischen. „Ich – ich weiß, einige der älteren Eldunaris wollten mich noch härter bestrafen. Aber sieh mich nur an, jetzt sitze ich wieder hier wie ein kleines Mädchen und heule mich an deiner Schulter aus. Bitte entschuldige John." murmelte sie leicht beschämt und lief etwas rot an, als sie offensichtlich die nassen Stellen auf seinem Hemd entdeckte, wo sie ihren Kopf in seine Brust gedrückt hatte.

„Entschuldigt euch doch nicht für sowas. Eure Tränen beweisen mir nur umso mehr, dass ihr eure Taten tatsächlich bereut." widersprach er mit einer abwiegelnden Handgeste. Daraufhin lächelte Alanna zumindest halbherzig und erwiderte immer noch leicht schniefend: „Danke für deine Worte John-Vodhr, aber du musst mich nicht siezen." Dann holte sie ein feingesticktes Taschentuch aus ihrer Jackentasche, wischte sich damit die Tränen und die Nase und atmete anschließend tief durch, ehe sie mit gesenkter und bedrückter Stimme fortfuhr: „Ich weiß, dass ich eigentlich eine deutlich schwerere Strafe verdient hätte, für all das, was ich über die letzten Jahre getan habe. Nur Meister Eragon habe ich es zu verdanken, dass ich lediglich auf Lebenszeit verbannt wurde. Aber ich habe in seinen Augen gesehen, wie enttäuscht er von mir war, diesen Blick den er mir dort unten in der Ratskammer gab, werde ich nie vergessen." „Das verstehe ich gut, wenn er wirklich eine Art Vaterfigur für dich war. Jemanden zu enttäuschen, der dir nahesteht, tut mehr weh als ein Schuss durchs Herz." bemerkte der Titan und musste selbst etwas bedrückt zu Boden schauen, als er unwillentlich an Samantha und Melissa denken musste.

Selbst jetzt noch nach über 200 Jahren, war dieser eine Tag immer noch in sein Gedächtnis gebrannt, als wäre es erst gestern geschehen und nur dank der kleinen Feyth machte er Fortschritte in seinem Umgang damit. Kleine Schritte, aber besser als gar keinen Fortschritt.

Der Elfe schien auf jeden Fall aufgefallen zu sein, dass sich seine Stimmung geändert hatte, weshalb sie sich schnell entschuldigte: „Oh! Das tut mir Leid John, ich wollte dich nicht an etwas Schlechtes erinnern." Er hob jedoch ebenso schnell die Hand, um sie zu beruhigen. „Ist schon gut Alanna. Ich muss lernen damit umzugehen und das beinhaltet auch daran erinnert zu werden. Aber sag, was genau hast du nun vor, jetzt da dich der Orden verbannt hast und du nicht zurückkehren kannst?" entgegnete er dankbar nickend und hob dann fragend eine Augenbraue in ihre Richtung. Sie wandte ihren Blick erneut zu ihm und zuckte leicht mit den Schultern. „Ich weiß es noch nicht, John-Vodhr. Ich werde wohl zunächst auf jeden Fall mit euch und den anderen Reitern nach Lendol fliegen, um mich bei Lyath für alles zu entschuldigen. Und falls sie mir nicht den Kopf von den Schultern reißt, habe ich noch keine Pläne was ich danach mache." John nickte nachdenklich und setzte dann hinterher: „Das ist gut. Aber was ist mit deiner Familie in Du Weldenvarden? Wenn ich mich recht entsinne hast du deine Mutter vorhin erwähnt. Wäre es nicht denkbar in deine alte Heimat zurückzukehren? Unter deinesgleichen wärst du immerhin sicher vor weiteren Vergeltungsangriffen der Schwarzen Rose."

„Nein!" kam es wie aus der Pistole geschossen von ihr zurück, was Miller leicht verdutzt beide Augenbrauen anheben lies. Hastig, wie ein ertapptes Kind, fügte die Elfe daraufhin hinzu: „Das kann ich nicht, John-Vodhr, so sehr ich es auch gern würde. Mein Volk hasst mich, für das was ich getan habe und selbst wenn es heute nur wenige wissen, Gerüchte breiten sich aus wie ein Laubfeuer. Und was meine Mutter betrifft: Ich habe bereits versucht mit ihr zu sprechen, an den Tagen, in denen du im Koma lagst. Sie will nichts mehr von mir wissen und weigert sich, mich als ihre Tochter anzusprechen. Du siehst, wo auch immer meine Zukunft mich hinführt, sie liegt nicht in Du Weldenvarden." Sie wirkte dabei sehr niedergeschlagen und insbesondere der Teil mit ihrer Mutter schien ihr geradezu weh zu tun.

Der Colonel legte missmutig seine Stirn in Falten, als er verärgert erwiderte: „Eine Mutter, oder aber auch ein Vater, sollte ihre Kinder immer lieben, ganz gleich was sie auch getan haben. Denn meistens sind sie nur vom falschen Pfad abgewichen und brauchen ihre Eltern, um den richtigen Weg wiederzufinden. Sich von dir abzuwenden ist zumindest in meinen Augen ein Affront gegen jeden anderen liebenden Vater oder Mutter." Danach herrschte für einige Momente eine merkwürdige Stille zwischen den beiden, ehe Alanna leise antwortete: „Danke für deine gut gemeinten Worte, John-Vodhr. Ich – nehme es ihr aber nicht übel. Der Krieg gegen Galbatorix hat damals viel von ihr abverlangt, insbesondere da mein leiblicher Vater noch vor meiner Geburt bei einem kleinen Grenzzwischenfall mit den Menschen tragisch ums Leben kam. Sie war schon damals deswegen sehr, sehr zerrüttet innerlich und mein Verrat hat ihr jetzt wohl den letzten Rest gegeben. Vielleicht werde ich eines Tages zu ihr gehen, um mit ihr über alles zu sprechen, doch für erste denke ich, dass es besser wäre wenn ich von dort fern bleibe." „Ich verstehe. Natürlich, das ist allein deine Entscheidung. Allerdings bleibt immer noch die Frage, was du tun wirst nach deiner Konfrontation mit Lyath." stimmte Miller zu was sie nur mit einem „Mhm." beantwortete.

Was folgte war wieder einige Minuten Schweigen, bevor Alanna wie von der Tarantel gestochen hochschrak, sich in die versteckte Brusttasche griff und Nirlath's Eldunari hervorholte. „Bist du verrückt? Nein!" raunte sie laut, wobei John davon etwas irritiert war, da sie im Normalfall in Gedanken mit ihrer Seelenschwester sprach.

Was hatte sie dazu gebracht eine Erwiderung laut heraus zusagen, deren Ton peinlich beschämt klang? Er horchte auf, als sie sich an ihn wandte und ihm den honiggelben Seelenstein entgegenhielt. Sein Blick wurde skeptisch, als er durch seine Drachenaugen bemerkte, dass die Elfe blassrosa angelaufen war an den Wangen. „Verzeihung John-Vodhr, aber Nirlath würde gerne noch einmal mit dir sprechen." meinte sie kleinlaut, während langsam seine geschuppte Hand ausstreckte, um den Eldunari in Empfang zu nehmen. „Gerne doch, solange sie nicht wieder anfängt in meinem Kopf mit Dun'var zu streiten." sagte er deshalb schmunzelnd, um die Stimmung etwas aufzulockern und bekam als Antwort von ihr ein halb gequältes Lächeln, ehe sie vorsichtig den goldgelben Edelstein in seine Handfläche legte.

Sofort schoss Nirlath's Präsenz durch seinen Kopf und wie schon zuvor wirbelte sie durch seine gesamten Gedanken, was ihm äußerst unangenehm war, da er wusste, dass sie praktisch jede einzelne seiner Erinnerungen wie die Seiten eines offenen Buches einsehen konnte. Allerdings verebbte das Gefühl durchforstet zu werden dieses Mal deutlich schneller als zuvor, sodass er schließlich nur noch die geistige Präsenz der Drachendame am Rande seines Verstands wahrnehmen konnte, als stünde sie am Rand seines Augenwinkels, genau so, dass er zwar wusste, dass sie da war, aber sie nicht wirklich sehen konnte.

*Schön euch noch einmal sprechen zu können, John. Unser Gespräch vorhin lief leider etwas aus dem Ruder, als mein Brutpartner meinte seinen eigenen Dickschädel durchsetzen zu wollen.* begrüßte ihn Nirlath dann mit vor Selbstsicherheit geradezu strotzender Stimme. Ihre Entschuldigung klang auch eher wie eine gut gemeinte Mitteilung, als von Herzen kommend, fast so, als hätte Alanna sie dazu gezwungen. Das überraschte den Titanen jedoch nicht sonderlich und er entgegnete höflich: „Die Freude ist ganz meinerseits Nirlath.", wobei er als kleinen Seitenhieb, laut mit Alanna und nicht direkt mit der Drachendame redete.

Wenn er etwas in seinen über 200 Jahren Militärdienst gelernt hatte, dann war es mit aufgeblasenen und eitlen Persönlichkeiten umzugehen.
Eine Tatsache die anscheinend auch Nirlath bemerkte, denn schon ihr nächster Satz hatte einen weitaus höflicheren und ehrlicheren Tonfall, als der erste.

*Es ist überaus selten, dass sich meine Seelenschwester so freizügig mit einem Mann unterhält, was bedeutet, dass ihr, ihr uneingeschränktes Vertrauen gewonnen habt. Und dafür möchte ich euch wirklich ganzen Herzens Danken, Rotauge. Sie hat so viel Leid in ihrem Leben erfahren, dass ich mich oft gefragt habe, ob sie jemals wieder glücklich sein kann, aber ihr habt es geschafft dieses Gefühl wieder in ihr zu entfachen. Tausend Dank, Jäger.* erklärte sie untypisch sanft und gefühlvoll und doch gleichermaßen direkt, was John durchaus verdutzte, vor allem, da er bemerkte, wie sich Alanna leicht beschämt von ihm abwandte. Irgendetwas versuchte sie vor ihm geheim zu halten und sein Blick wurde ernster, als er antwortete: „Was meint ihr damit, Nirlath?" Ein verärgertes Schnauben grollte durch seinen Kopf, bevor die Drachendame knurrend erwiderte: *Alanna ist wie ein kleines Küken in dieser Sache! Obwohl sie euch so sehr schätzt hat sie Angst davor, euch von ihrer Vergangenheit zu erzählen und nun habe ich beschlossen es für sie zu tun, auch wenn sie sich dagegen sträubt!*

„Das ist nicht wahr ich habe keine Angst! Es ist nur – " platzte es daraufhin aus der Elfe heraus doch sie brachte ihren Satz nicht zu Ende, sondern verkrampfte die Hände zu Fäusten und starrte niedergeschlagen zu Boden.

*Natürlich ist es hart darüber zu sprechen, Dummkopf! Aber wenn du es selbst ihm nicht erzählen willst, wem denn dann? Also, wenn du es nicht kannst, werde ich es eben tun so gut ich kann!* bemerkte die im Eldunari eingesperrte Drachendame scharf. Ihr Ton glich nun wieder demselben, wie sie ihn schon in ihrem ersten Gespräch angestimmt hatte, nur deutlich gefühlsvoller und mit einem leicht enttäuschten Unterton, was Miller äußerst skeptisch stimmte. Was auch immer Nirlath vorhatte, es war offensichtlich, dass es Alanna großen innerlichen Schmerz bereitete auch nur daran zu denken, weswegen er versuchte höflich abzulehnen: „Ich bin euch dankbar, dass ihr mir etwas über eure Vergangenheit erzählen wollt, Nirlath, aber ihr müsst nicht, nur um mir etwas zu beweisen. Alanna scheint das Ganze wirklich stark mitzunehmen." *Ach papperlapapp! Unsinn! Ihr seid genau der, dem sie es schon längst hätte erzählen sollen, nach allem was ihr für sie getan habt! Also spitzt die Ohren und hört gut zu Rotauge, ich werde mich nicht wiederholen!* widersprach ihm Nirlath energisch und lies ihm nicht einmal mehr die Zeit an eine weitere Erwiderung zu denken, ehe sie zu erzählen begann:

*Es ist nun knapp 20 Jahre her, seit jenem Tag. 20 Jahre, eingesperrt in dieses Seelenstein, den die Elfen Eldunari genannt haben. Ihr glaubt gar nicht, was für eine langweilige Existenz das ist, keinen eigenen Körper mehr zu besitzen! Aber ich schweife ab. Das ganze Unglück begann, als uns Großmeister Eragon auf eine Mission zu den Urgaldörfern im nördlichen Buckel schickte, um den dortigen jährlichen Wettkämpfen beizuwohnen. Es war eine große Ehre für uns, als Repräsentanten des gesamten Ordens zu dienen und ohne Widerworte akzeptierten wir den Auftrag. Ich erspare euch die Details, da ich mich selbst nicht mehr so recht an diesen lächerlichen Wettkampf erinnere, glaubt mir ich hatte mehr Aufregung einem Spatz beim Nestbau zuzuschauen, als diese grauen Bastarden beim Ringkampf zu beobachten.*

John dachte sich noch nichts groß dabei, als sie die Urgals als graue Bastarde bezeichnete, immerhin hatte er bereits erlebt, wie die Drachendame innerlich tickte. gespannt folgte er daher ihrer weiteren Erzählung. *Jedenfalls machten wir direkt in der ersten Woche, der vier Wochen andauernden Spiele, Bekanntschaft mit einem Stamm von Kulls, die keinen Hehl daraus machten, was sie von dem Wettkampf und von uns Drachen und Drachenreitern hielten. Sie hassten und verabscheuten uns, behaupteten wir wären dafür verantwortlich, dass ihr Volk immer schwächer und schwächer würde, der übliche Schwachsinn halt. Zu dem Zeitpunkt dachten wir uns beide noch nichts groß dabei, immerhin gab es schon so genug Leute, die den Drachen und Reitern nicht gerade freundlich gegenüber eingestellt waren. Was sollte uns da ein kleiner Stamm von Kull schon scheren?

Ha, weit gefehlt!

Ich weiß bis heute noch nicht, wie sie es geschafft haben, aber irgendwie müssen sie uns etwas ins Essen oder den Wein gemischt haben, denn das Letzte an das ich mich erinnere, bevor mein Geist im Innern meines Eldunaris erwachte, war, dass ich sehr schläfrig wurde noch während eines großen Festmahls am Ende der zweiten Woche. Diese feigen, eierlosen Bastarde haben mich mit irgendeinem verfluchten Gift betäubt und im Schlaf umgebracht!* fuhr sie fort und wurde in den letzten Sätzen geradezu tobend vor Wut, was ihr der Colonel anhand ihrer Schilderung nicht wirklich übel nehmen konnte.

Es war wie ein gewaltiger Hurrikan an grollendem Hass und Wut, der durch seine Gedanken fegte, untermalt von einem tiefen, gefährlichen Knurren. Selbst er wurde etwas von ihren Emotionen angesteckt und formte einen leicht grimmigen Gesichtsausdruck, während er auf den schwach pulsierenden Eldunari in seiner Hand blickte. Es dauerte einige Momente, bis Nirlath sich wieder etwas fing und mit einem grollenden und bissigen Unterton mit ihrer Erzählung fortfuhr:

* Es war pures Glück, dass ich mein Herz der Herzen schon zuvor als übermütiges junges Küken ausgespien hatte, ansonsten wäre ich an jenem Tag tatsächlich gestorben und hätte meine Seelenschwester allein in ihrem Leiden gelassen. So jedoch bekam ich durch die Verbindung zu ihr mit, was geschehen war und was noch kommen sollte. Die Kulls hatten sie verschleppt, in irgendeine Art Höhle, wenn ich mich richtig an die Blickfetzen erinnere, die zu mir durchsickerten. Ich versuchte sie zu beruhigen, doch als sie begriff, dass mein leiblicher Körper gestorben war, machte sie das nur umso panischer. Aber erst danach begann der wahre Schrecken. Diese Bastarde – was sie ihr antaten werde ich ihrem Volk niemals verzeihen! Ich werde es euch nicht beschreiben, Rotauge, aber ich bin sicher, dass ihr euch selbst denken könnt, was ich meine.*

Johns Herz stockte für einen Moment, als ihm klar wurde, worauf Nirlath anspielte.

Purer Hass gefolgt von Ungläubigkeit schäumte in ihm auf. „Nein, sie haben nicht –" flüsterte er und sein Blick schnellte hinüber zu Alanna.

Sein Blut gefror ihm in den Adern. Die Elfe hatte sich zu einem Häuflein Elend zusammengekauert, die Arme fest über ihre eigene Brust gelegt, die Augen fest zugepresst und schwere Schluchzer erschütterten ihren zarten Körper, während dicke Tränen ihre Wangen herabflossen.

Diese Bastarde hatten sich wirklich an ihr vergriffen!

Ohne groß nachzudenken rückte er näher an sie heran und schloss sie in eine innige, behütende Umarmung, wobei er darauf achtete Nirlath's Eldunari nicht fallen zu lassen. „Schhhh, alles gut Alanna, alles ist gut. Nirlath und ich sind ja da, niemand kann dir etwas antun. Ganz ruhig." flüsterte er beruhigend, während er sie sanft in seinen Armen hin und her wog, so wie er es mit seinen Kindern immer gemacht hatte, wenn diese weinend zu ihm gekommen waren. Dabei streichelte er ihr gleichzeitig sanft über Kopf und spürte deutlich die starken Zuckungen die den Körper der Elfe immer wieder erfassten während sie ihr Gesicht abermals tief in seine Brust vergrub. Allerdings achtete Miller gut darauf sie nicht an bestimmten Stellen zu berühren, denn genau das war es, was Alanna als Opfer einer Vergewaltigung nicht gebrauchen konnte!

Eine unglaubliche Wut strömte zusätzlich zu seinem starken Mitleidsgefühl in seinen Kopf. Er hatte dutzende, wenn nicht gar hunderte oder tausende Vergewaltigungen, oder Anfänge einer solchen in den zwei Weltkriegen gesehen. Jedes Mal war ihm dabei die Galle hochgekommen und er hatte so viele Täter wie er konnte damals in Haft nehmen lassen, oder sogar selbst erschossen, nachdem er zum Titan wurde. Der schiere Gedanke daran, dass sich jemand sexuell an einer hilflosen Person, sei es nun Mann oder Frau, vergreifen wollte, brachte ihm zum würgen. Wenn es etwas gab, das er auf der Welt genauso stark hasste wie Sklaverei, dann waren es Vergewaltigungen.

Er konnte spüren, wie sich Nirlath größtenteils von seinem Verstand loslöste, sehr wahrscheinlich, um ihrer Seelenschwester in Weise beizustehen, die er nicht einmal gänzlich begreifen konnte. So saßen sie also etliche Minuten da, während Alanna voller Schrecken und Trauer an ihre grässlichen Erinnerungen sich die Seele aus dem Leib weinte und sachte vom Colonel hin und her gewiegt wurde, um ihr zumindest versuchsweise etwas Beistand zu leisten.

Langsam begannen große Wolkenberge sich über dem nächtlichen Himmel auszubreiten und als Aidan ihm dann leise flüstern mitteilte: „Verzeihen sie mein Eingreifen Colonel, doch meine Sensoren zeigen mir, dass es jeden Augenblick anfangen wird zu regnen. Ich empfehle ihnen Schutz zu suchen.", nickte er dankbar und nahm Alanna anschließend vorsichtig auf die Arme, was diese nicht einmal wirklich mitbekam sondern sich instinktiv noch weiter zusammenkauerte. Ihr langes blondes Haar wallte über seinen rotgeschuppten Unterarm hinweg, als er behutsam aufstand und begann sie sachten Schrittes zurück zum Albatross zu tragen, gerade als die ersten Tropfen anfingen auf sein Haupt und Schultern zu nieseln.

Der rote Kies knirschte unter seinen eher behelfsmäßigen Schuhen. Sein Trittgefühl war immer noch Welten davon entfernt normal zu sein, doch es reichte mittlerweile vollkommen, um sicher über das lose Kiesbett zu schreiten.

Von weitem konnte er schon sehen, wie sich Dun'var halb schlafend erhob, um näher an seine Tochter und Alex zu rücken, ehe er sich wieder hinlegte und seinen gewaltigen Flügel über den beiden ausbreitete, um sie vor dem aufkommenden Regen zu schützen. Er und Aidan schafften es gerade noch so ins Innere des Albatross zu eilen, ehe der fast sintflutartige Regen einsetzte.

Angelockt vom Schließen der Laderampe kam Robert nach hinten ins Truppenabteil gestolpert, wo Steven nach wie vor schlafend auf dem Boden inmitten der beiden Sitzreihen lag. Als der Pilot seinen Vater mit der weinenden und schwach schluchzenden Alanna auf den Armen sah hob er verstehend die Hand, nickte kurz und verschwand dann wieder ins vordere Abteil, um die beiden allein zu lassen.

Behutsam trat der Colonel über Steven hinweg und setzte sich auf einen der freien Plätze, wo er damit fortfuhr die Elfe beruhigend hin und her zu wiegen und leise: „Schhhh, alles ist gut.", zu flüstern. Von außen konnte er den Regen gegen die Hülle des Fliegers prallen hören, was ein trommelndes Geräusch erzeugte, das ihn seinen Ohren sogar fast beruhigend klang.

Er hatte keine Ahnung wie lange es dauerte, vielleicht Stunden, doch schließlich wurden Alanna's Schluchzer leiser und leiser, bis sie schließlich ganz verebbten und ihr Körper und Geist endlich die nötige Ruhe bekamen. Sachte drehte er ihr verweintes Gesicht zu ihm und sah voller Mitleid ihre rotgeweinten Augen mitsamt den dicken Tränenspuren die überall auf ihren Wangen vorzufinden waren. „Was für einen kranken Geist muss man haben, um solch einer Schönheit so etwas anzutun." murmelte er grimmig, bevor er spürte, wie sich Nirlath's Präsenz wieder in seine Gedanken drängte. Im Gegensatz zu zuvor, fühlte sich die Drachendame jedoch müde und mitgenommen an, was kein Wunder war, wenn man bedachte, dass sie ihrer Seelenschwester die ganze Zeit über beigestanden hatte.

Allerdings war John dennoch leicht verwundert. als sie dankbar meinte: *Habt Dank für eure Unterstützung Rotauge. Ihr habt wirklich keine Ahnung wie viel ihr das bedeutet hat, dass ihr euch so um sie gekümmert habt.* ‚Das ist doch nur selbstverständlich!' erwiderte er in Gedanken, da er wusste, dass sie ihn jetzt ansonsten nicht mehr verstehen würde. Nach einigen weiteren Momenten des Schweigens, in denen er weiter das von Trauer und Grauen gezeichnete Gesicht der Elfe betrachtete, fragte er schließlich respektvoll: ‚Kein Wunder, dass sie in eine Schockstarre verfiel, als die Kull uns zu Hilfe eilten, nachdem was ihr diese Bastarde angetan hatten. Wie konntet ihr überhaupt von dort entkommen Nirlath? Wenn ich mich recht erinnere hat Berdon gegenüber Angela erwähnt, dass die Kräuterhexe Alanna gerettet hat.'

*Mit auch, ja. Doch ihr wirklicher Retter war Berdon selbst. Er war damals der junge Anführer einer Gruppe Söldner, die rein zufällig in der Gegend waren, um eine Räuberbande hochzunehmen. Angela hatte sich ihnen nur zufällig angeschlossen, da sie wohl gerade Lust darauf hatte, wer weiß, was dieses alte Hexenweib schon im Kopf hat. Jedenfalls haben sie die Kulls erschlagen und meine Seelenschwester vor weiteren Gräueltaten gerettet. Ich mag mir gar nicht ausdenken, was geschehen wäre, wenn Berdon uns damals nicht gefunden hätte.* erklärte Nirlath erschöpft und lies den Soldaten damit noch einmal Stutzen. ‚Berdon? Das hätte ich nicht gedacht. Es erklärt zumindest weshalb sie so erpicht darauf war, ihn vor seiner Bestrafung zu schützen.' bemerkte er verblüfft und dachte insgeheim jedoch schon daran, dass das wohl niemals eingetreten wäre, da Angela sich ja darum hatte kümmern wollen.

*Er ist ein guter Mann, dem ich mein ganzes Leben über dankbar sein werde.* sagte die Drachendame bestimmt, worauf der Titan mit einem langsamen Nicken antwortete. Dann jedoch wandte sie sich erneut an ihn, diesmal mit einer bittenden Stimme, was vollkommen untypisch für sie war. *Rotauge? Darf ich euch um etwas bitten? Unter uns?* Er wurde hellhörig. ‚Das kommt darauf an. Worum wollt ihr mich bitten?' *Ihr bedeutet Alanna wirklich sehr viel, mehr als ihr ahnen könnt. Und sie hat nun keinen Ort mehr, den sie ein Zuhause nennen und an den sie zurückkehren kann. Darum bitte ich euch: Nehmt sie bei euch auf. Ich weiß, ich verlange viel von euch, ich habe in ihren Erinnerungen gesehen, wie sie euch aus Angst die Drachenketten angelegt und euer Vertrauen missbraucht hat, aber sie ist nicht böse. Bitte, gebt ihr die Chance sich zu beweisen, indem ihr sie mit auf euer Schiff nehmt.* erklärte Nirlath geradezu unterwürfig und brachte Miller damit zum nachdenken. Er blickte vom honiggelben Edelstand in seiner Hand, hinunter auf das verweinte Gesicht Alanna's.

Einige Minuten verstrichen, ehe sich ein wohlwollendes Schmunzeln auf seine Lippen legte und er freundlich erwiderte: ‚Warum nicht? Eragon meinte ohnehin, dass wir Magier an Bord bräuchten, um eine Chance zu haben. Eine ehemalige Drachenreiterin samt Drachen dürften dafür doch wie geschaffen sein.'

Große Freude schwappte von Nirlath's Geist hinüber in den seinen, als sie dankbar entgegnete: *Danke, Rotauge, tausend Dank. Ich verspreche euch, ihr werdet es nicht bereuen!* „Ich nehme euch beim Wort, Nirlath." flüsterte John daraufhin lächelnd, bevor er ihren Eldunari zurück in die versteckte Brusttasche schob, Alanna sanft auf die Sitzreihe legte, ihren Kopf auf einer zusammengerollten Wolldecke platzierte, die er unter den Sitzen hervorzog und mit einer weiteren Decke ihren Körper zudeckte, um sie vor der doch recht klammen Nachtluft zu schützen. Er selbst setzte sich neben sie und sah kurz zu Aidan auf, der auf seine Handgeste hin sein blaues Licht stark dimmte.

Danach verschränkte Miller die Arme vor der Brust begann auf das Ende der Nach zu warten, während er über Alanna's grausige Vergangenheit nachdachte.

[Eragon Fan-Fiction] Der Titan und die DrachenreiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt