Sünden der Vergangenheit

110 7 1
                                    


John verstärkte den Griff um das Heft seiner Waffe. Er war sich nicht sicher, was diese Frau namens Angela von ihm wollte und mit einer solch schlagkräftigen Gruppe im Rücken tat er sich nicht leicht damit seine beste Verteidigungsmöglichkeit niederzulegen. Sein Blick huschte kurz hinüber zu Berdon und Alanna.

Die Elfe wirkte blass und fahl, offenbar kurz davor ohnmächtig zu werden, was der Hauptmann mit Zureden und Abstützten zu verhindern versuchte . Ihre Waffen hatten sie beide fallen gelassen, ob nun einerseits unfreiwillig oder nicht. 'Diese Kulls scheinen ja wirklich eine Art Urangst in ihr ausgelöst zu haben.' meinte der Titan nachdenklich. Er hatte schon tausende von Soldaten auf dem Schlachtfeld erlebt, die ebenfalls mitten im Gefecht einfach wimmernd zusammengebrochen waren. Häufig nach heftigem Artilleriebeschuss oder Luftangriffen. Er wandte sich wieder der Frau und den Urgals zu, die nun langsam zu ihnen herübertrabten, wobei die Kräuterhexe fröhlich lächelte im Gegensatz zu den grimmig dreinblickenden Fratzen der Kull.

Vorneweg lief die große Katze mit ihrem struppigen, hellbraunen Fell und ließ John dabei nicht aus den Augen. Ihr Schwanz peitschte hinter ihr hin und her. Da schoss ihm eine Erinnerung durch den Kopf und er senkte rasch das Schwert.

Er kannte diese Angela aus den Büchern und ebenso ihren mysteriösen Begleiter, die Werkatze Solembum!

'Falls es wirklich dieselbe Angela sein sollte, dürfte sie auf meiner Seite stehen. Immerhin war sie eine Verbündete der Varden und von Eragon. Nur, wenn es wirklich die Kräuterhexe ist, müsste sie mittlerweile weit über hundert Jahre alt sein, obwohl sie aussieht wie Mitte 30. Äußerst ungewöhnlich. Und woher kennt sie mich überhaupt, beziehungsweise, weshalb nannte sie mich Drachenritter?' fragte er sich argwöhnisch und beschloss die ganze Sache mit Vorsicht zu genießen.

Inzwischen war die Gruppe bis auf wenige Meter zu ihnen gestoßen und die große Werkatze umkreiste ihn immer wieder mit aufgestelltem Schweif und einem durchbohrendem Blick. Ein äußerst unangenehmes Gefühl kroch ihm über die Haut und veranlasste ihn fast dazu, das Schwert wieder anzuheben. Nur mühsam konnte er es unterdrücken. Angela hingegen kam fröhlich grinsend direkt auf ihn zugestapft, streckte die Hand aus und meinte erneut: „Hach, es freut mich wirklich, euch endlich kennenzulernen John. Mir fällt ein großer Stein vom Herzen, jetzt da ihr endlich wahrhaftig vor mir steht!" John reichte ihr zwei Finger seiner rechten Hand, da die Ganze viel zu groß gewesen wäre und erwiderte höflich: „Die Freude ist ganz meinerseits Ma'am. Eure Rettung ist mir höchst willkommen, aber sagt, woher kennt ihr meinen Namen? Ich glaube nicht, dass wir uns schon einmal begegnet sind." „Oh nein, ganz bestimmt nicht! So ein Gesicht hätte ich mir auf jeden Fall gemerkt. Nein, ein gemeinsamer, schuppiger Freund hat ihn mir genannt. Aber dazu später mehr, hier gibt es zu viele Ohren, die nur zu gerne lauschen wollen." antwortete die Frau zwinkernd und schüttelte seine Hand kurz, aber kräftig.

Der Titan horchte auf. Ein gemeinsamer, schuppiger Freund? 'Hat sie etwa mit Tymdek geredet? Nein, das kann nicht sein. Er weiß nichts von meiner Gefangennahme und sonst hätte sie auch Feyth und Keno als Gefangene erwarten müssen. Danach sieht es aber nicht aus. Und Dun'var ist wohl kaum als Freund zu bezeichnen.' überlegte er nachdenklich und nickte zustimmend. Ein brennender Schmerz brachte ihn dazu, sich erneut ans zerfetzte Auge zu fassen. Angela schnalzte missmutig mit der Zunge. „Das sieht böse aus mein Guter. Ich werde sofort danach sehen, wenn wir zurück im Dorf sind. Diese verdammten Fanghur, ich hatte wirklich nicht gedacht, dass sie es wagen würden euch anzugreifen, aber na gut. So blieb uns zumindest ein womöglich weitaus blutigerer Kampf erspart. Nichts für ungut. Braucht ihr etwas gegen die Schmerzen?" Beiläufig wischte sie sich die Hirn- und Blutreste, die vom Handschlag mit John stammten, am Zipfel ihres braunen Rockes ab. „Nein, es geht schon, danke." entgegnete der Soldat und warf einen kurzen Blick auf die Kull, welche mitsamt ihrem Anführer immer noch hinter der kleinen Frau standen und ihn neugierig beäugten. Scheinbar hatte Angela tatsächlich die Befehlsgewalt über diese Horde muskelbepackter Krieger.

„Ihr! Ich hätte es wissen müssen, dass ihr uns nicht in Ruhe lassen würdet, nachdem Alanna mit euch in Tenfolt gesprochen hat. Was denkt ihr euch eigentlich dabei, uns mit Hilfe dieser Tiere zu überfallen? Ihr wisst genau, was Alanna damals durchgemacht hat, Kräuterweib, ihr selbst seid es gewesen, der sie aus dieser Hölle befreit hat!" brüllte Berdon aufgebracht dazwischen. Er hielt Alanna mit ihrem Arm um seine Schulter gelegt auf den Beinen und hatte die linke Hand wütend zu einer Faust geballt. Die Elfe war mittlerweile tatsächlich ohnmächtig geworden und wirkte wie eine bleiche, leblose Marionette. Fast schon tat sie John leid, denn um dermaßen abzutreten, war ein wirklich traumatisierendes Erlebnis notwendig. Auch Angelas gute Stimmung schien wie verflogen zu sein, als sie bedrückt den Blick auf Alanna richtete. Seufzend meinte sie: „Tut mir Leid Berdon. Glaubt mir, wäre es mir möglich gewesen, hätte ich auf die Hilfe meiner Freunde verzichtet, aber wer konnte schon ahnen, dass ein Fanghur-Angriff eure gesamte Einheit auslöschen würde? Aber hütet eure Zunge! Beleidigt sie noch einmal und ich verwandle euch in eine Kröte!" „Droht mir so viel ihr wollt Hexe, das ändert nichts an der Tatsache, dass Alanna wahrscheinlich durchdreht, wenn sie wieder aufwacht und in einem Urgal-Dorf ist! Da könnt ihr sie gleich lebendig in den Schlund eines Nïdhwals werfen! Und mich gleich hinterher!" geiferte der Hauptmann unbeeindruckt weiter und erhielt prompt eine schallende Ohrfeige von der kleinen Frau, die sich dafür auf ihre Zehenspitzen hatte stellen müssen.

„Ihr denkt wirklich, ich würde sie diese Erinnerung freiwillig noch einmal durchleben lassen? Schämt euch Berdon! Ich hatte keine andere Wahl, es gab niemand anderen! Oder, wäre John vielleicht freigelassen worden, wenn ich euch nett darum gebeten hätte? Wohl kaum, da hätte ich vermutlich eher noch einen Drachen nach einer Schuppe fragen können, als zu versuchen mit eurem Dickschädel zu diskutieren. Mir gefällt die Situation genauso wenig wie euch, also haltet einfach bitte den Mund und sorgt dafür, dass es so schnell wie möglich vorbei ist. Hier, flößt ihr diese Flüssigkeit ein. Es sollte Alanna für ungefähr einen Tag schlafen lassen, hoffentlich Zeit genug um alles zu regeln." sagte sie ernst und reichte ihm eine winzige Glasphiole, die sie aus einer kleinen Tasche zog, welche an ihrer Hüfte hing. Eine grün-braune Flüssigkeit schwappte darin herum. Berdon schwieg, nahm die Phiole jedoch widerwillig entgegen und entkorkte sie mühselig. Sofort stieg John ein beißender Geruch von moderndem Holz, Pfefferminze, Baldrian und Alkohol in die Nase. Der Hauptmann unterdrückte einen Würgreflex und fragte zähneknirschend: „Was soll das sein?" Ein Lächeln zog sich über Angelas Mundwinkel. „Verschiedene Baumwurzelextrakte, Baldrian, Pfefferminze, Melisse, Schnaps und Hasenküttel. Glaubt mir, wenn ich euch sage, dass ihr die restlichen Zutaten nicht wissen wollt. Keine Sorge, es ist ungefährlich. Ich nutze es selbst in geringen Dosen, wenn der Lärm um mich herum zu laut ist, um einzuschlafen." Angewidert hob der Mann das Fläschchen vor seine Augen, bis er es schließlich zögerlich an Alannas Lippen setzte und langsam die Flüssigkeit einflößte. Fast augenblicklich begann die Atmung der Elfe gleichmäßiger zu werden und die Farbe kehrte allmählich in ihr Gesicht zurück.

*Menschen sind schon eine recht eigentümliche Rasse, nicht wahr? Doch ihr scheint eine Ausnahme zu sein, Herr Miller.*ertönte plötzlich eine kratzig-rauchige Stimme in Johns Kopf und unwillkürlich schnellte sein Blick zu Solembum hinunter, der sich inzwischen neben ihn gesetzt hatte und Berdon skeptisch beobachtete. „Was meint ihr?" wollte der Titan mit gesenkter Stimme wissen. Die Werkatze wandte sich ihm zu. *Euer Verstand ist – einzigartig. Voller Chaos und doch geordnet. Der liebende Vater, der rachsüchtige Mörder, der seelenlose Soldat, das unbändige Biest. Ihr seid ein überaus faszinierender Mensch John Miller. Ich warte gespannt darauf, was ihr noch alles vollbringen werdet.* John zog verärgert die Augenbrauen zusammen, bereute es aufgrund seiner Verletzung jedoch sofort.

'Was soll das nun wieder bedeuten? Ist es in dieser Welt brauch sich in Rätseln auszudrücken? Ich bin es langsam leid, dass ständig jemand in meinen Kopf eindringt und meine Erinnerungen durchstöbert. So etwas wie Privatsphäre kennen hier offenbar nur die wenigsten.' dachte er verstimmt, während seine Hand erneut das verletzte Auge betastete. Es war ungewöhnlich, dass die Naniten zwar die Blutgefäße repariert hatten, aber immer noch nicht damit begannen, seinen Augapfel zu rekonstruieren. *Wie ihr wollt, Drachenritter.* meinte Solembum zusammenhangslos, drehte sich auf der Stelle um und verschwand mit aufgestelltem Schweif zwischen den verschiedenen Kadavern von Fanghur, Pferden und Menschen. Perplex sah der Soldat ihm einige Augenblicke hinterdrein, bis er verstand, dass die Werkatze wohl seinen Gedanken gelauscht hatte.

„Listiger kleiner Fellball." knurrte er leise.

„Ah ich sehe schon, Solembum hat sich bereits vorgestellt. Nehmt es ihm bitte nicht übel, falls er etwas hochtrabend klang, so sind Werkatzen nun einmal." sagte Angela besänftigend und betastete sanft die schweren Ketten, die um seine Unterarme gewunden waren. Ihre merkwürdige Lanze hatte sie sich auf den Rücken geschnallt. „Ich respektiere fremde Gewohnheiten Ma'am, aber seit ich hier in diesem Land unterwegs bin, habe ich nur eine einzige Person getroffen, die nicht gleich meinen Geist untersucht hat, als wäre er ein offen herumliegendes Buch. Selbst ihr könntet mich in diesem Moment untersuchen, ohne dass mir etwas auffallen würde. Das ist, gelinde gesagt, beunruhigend." entgegnete John ernst. Er ging in die Hocke, um der kleinen Frau einen besseren Blick auf die Ketten zu erlauben. „Ich verstehe eure Bedenken voll und ganz mein Guter. Wenn ihr wollt kann ich euch beibringen euren Geist vor solcherlei Eingriffen zu schützen, sonst endet ihr womöglich noch irgendwann einmal als Marionette eines weniger freundlichen Magiers. Aber auch das muss warten, bis wir unter uns sind." erklärte sie und kratzte sich nachdenklich am Kinn. Der Soldat horchte auf. Hatte sie gerade wirklich angeboten ihm eine Abwehrmöglichkeit gegen Angriffe auf seinen Verstand zu lehren? „Das würde mir wirklich enorm weiterhelfen, ich weiß das sehr zu schätzen Ma'am." „Mhm." Angelas Gesicht legte sich in tiefe Falten.

Mit einem Fingerklopfen meinte sie nachdenklich: „Sie hat euch also wirklich mit den Drachenketten gefesselt. Das verkompliziert die Sache doch etwas." „Wieso? Könnt ihr sie mir etwa nicht abnehmen?" Sie schüttelte den Kopf. „Nein, es sei denn, ihr wollt beide Arme verlieren. Nur derjenige, der euch diese Fesseln angelegt hat, kann sie auch wieder abnehmen." Johns Miene wurde ausdruckslos, als sein Verstand über diesen Satz nachdachte.

Nüchtern wollte er wissen: „Das bedeutet, ich bin an sie gebunden, so lange, wie sie es will? Oder gibt es einen Weg die Elfe dazu zu zwingen, mich freizugeben?" Erneut schüttelte die Kräuterhexe ihr Haupt. „Nein, Alanna muss es aus freien Stücken tun, ansonsten würden sich die Ketten in eure Rüstung brennen und euch auf ewig davon abhalten je wieder auch nur einen Finger gegen die Schwarze Rose zu erheben." „Meint ihr brennen im Sinne von Hitze, oder mit Hilfe von Magie?" fragte der Soldat abwägend. Er wusste, dass der Atlas einem brennenden Metall standhalten würde und die oberste Priorität im Moment hatte es für ihn, diese Ketten loszuwerden. Doch Angela machte diese Überlegung sofort zunichte. „Es ist magischer Natur. Aber das ist nicht das eigentliche Problem." Skeptisch zog er seine verbliebene Augenbraue nach oben. „Inwiefern?" „Nun, das ist leicht zu erklären. Es ist nicht so einfach einen Drachen körperlich zu binden, ihr habt ihre Kraft bereits selbst am eigenen Leib zu spüren bekommen, soweit ich weiß. Daher sind diese Ketten erschaffen worden, um den Gefangenen mental zu binden, sie kann euch nach ihrem Belieben kontrollieren. Das habt ihr sicher schon einmal bemerkt, während ihr versucht habt zu fliehen, oder nicht? Ein plötzlicher Gedanke, dass es vielleicht doch nicht der richtige Zeitpunkt ist, oder dass es ohnehin keinen Zweck hat sich zu wehren?" Eine Reihe von Erinnerungen schoss an Johns innerem Auge vorbei, allesamt mit dem gleichen Ablauf, den sie gerade aufgezählt hatte. Er nickte zustimmend. „Ja, das kam ein paar Mal vor. Es gibt also Magie, die mir vorspielt ich würde selbst denken und handeln, obwohl ich von jemandem geleitet werde? Äußerst beunruhigend." meinte der Titan trocken und sein Blick huschte hinüber zu der Elfe, die er nun in einem gänzlich anderem Licht sah. „Genau deswegen ist es wichtig, dass ihr lernt, euren Geist zu beschützen, mein Guter. Auch wenn das im Fall dieser Kette nicht wirklich helfen wird." erklärte Angela und betastete vorsichtig die zerrissene Haut rund um sein kaputtes Auge.

John ließ die Kräuterhexe gewähren, schließlich hatte sie bisher den Eindruck einer freundlichen und ehrlichen Person hinterlassen. Außerdem war sie, wenn ihn sein Gedächtnis nicht im Stich ließ, ohnehin eine Heilerin. „Eieieieiei, die Fanghur haben euch wirklich übel mitgespielt mein Freund. Merkwürdig nur, dass ihr nicht blutet. Naja, jedenfalls kann ich das nicht so lassen, ansonsten entzündet es sich womöglich noch. Mit eurer Erlaubnis werde ich eine meiner Salben darauf tupfen und es notdürftig verbinden." meinte sie ernst und kramte direkt in ihrer kleinen Tasche nach den nötigen Dingen, ohne auf seine Antwort zu warten. „In Ordnung." meinte der Soldat nach einer kleinen Pause. Er war es gar nicht mehr gewohnt, umsorgt zu werden. Das letzte Mal, als er medizinische Hilfe benötigt hatte, war er noch 34 Jahre jung gewesen, damals zu Ende des Dritten Weltkriegs. Seitdem hatten die Naniten jegliche Verletzungen und sonstige Beschwerden geheilt.

„Ah, da haben wir es ja!" rief Angela erfreut aus und zog eine kleine mit Tüchern bedeckte Holzschale zusammen mit einigen weißen Leinenbinden hervor. „So, jetzt bitte stillhalten, wenn ihr meinen Finger nicht in eurem Auge stecken haben wollt." Vorsichtig nahm sie die Tücher von der Schale, in welche eine hellbraune Paste aufbewahrt wurde. Im Gegensatz zum Schlafmittel roch es angenehm nach Kamille. Behutsam tauchte sie Zeige und Mittelfinger ihrer rechten Hand in die Salbe und betupfte damit sorgsam sein verletztes Auge. Sie benötigte nur wenige Augenblicke, um alles ordentlich mit Salbe abzudecken und anschließend zwei Leinenbinden als Schutz um seinen Kopf und über die Verletzung zu wickeln. John hielt während der ganzen Prozedur still, betrachtete jedoch mit seinem verbliebenen Auge weiterhin die schlafende Alanna, welche mittlerweile von Berdon sanft auf die Arme genommen worden war.

Hatte sie ihn wirklich hintergangen?

War alles nur Schauspielerei gewesen?

Nein, dafür schien sie zu emotional gewesen zu sein bei ihrem nächtlichen Gespräch und auch ihr Versagen im Bezug auf Lyath hatte der Elfe wirklich zugesetzt. Selbst sein logischer Verstand half ihm nicht bei dieser Einschätzung, denn beide Seiten wogen einander auf. Er beschloss abzuwarten, vielleicht konnte ihm die Kräuterhexe mehr über Alanna erzählen, schließlich schien sie die Elfe ja schon lange zu kennen.

„Und fertig, das sollte fürs erste reichen. Sobald wir zurück im Dorf sind, werde ich es mir noch einmal genauer ansehen. Es ist eine Weile her, seit ich das letzte Mal jemandem mit einem dermaßen verletzten Auge geholfen habe." zwitscherte Angela fröhlich und packte ihre Sachen wieder ordentlich in die Tasche. Langsam bewegte John seinen Kopf hin und her, blickte nach oben und nach unten, um zu prüfen, ob seine Beweglichkeit eingeschränkt worden war. Als dies nicht der Fall war, stand er aus der Hocke auf und nickte der kleinen Frau anerkennend zu. „Vielen Dank Madam." Seine Miene blieb dabei unverändert ausdruckslos, doch die Kräuterhexe schien sich nicht daran zu stören. Im Gegenteil, sie lächelte freundlich und wandte sich dann dem Kull-Anführer zu, um einige Worte in einer gutturalen Sprache mit ihm zu wechseln, von der der Titan nicht einmal die Worte richtig verstehen konnte. Kurz darauf brüllte der Anführer seinen Untergebenen irgendetwas zu, woraufhin zehn der Urgals Berdon und Alanna in ihre Mitte nahmen und davonführten. „Wo genau bringen die uns hin Hexe?" wollte der Hauptmann knurrend wissen, während er sich höchst widerwillig in Bewegung setzte. „In ihr Dorf Berdon und tut nichts Unüberlegtes! Sie verstehen euch voll und ganz, also vermeidet es sie zu beleidigen. Hört einfach auf das was sie sagen, dann passiert euch nichts." rief ihm Angela mit erhobenem Zeigefinger zu. Dann waren sie auch schon über den Pass und daher aus ihrem Blickfeld verschwunden.

Die Kräuterhexe wandte John zu und klatschte in die Hände. „So, ich glaube aber auch für uns ist es jetzt Zeit aufzubrechen. Es sei denn, ihr wollt noch kurz nach euren Habseligkeiten sehen, die man euch abgenommen hat." „Ja, lasst mich kurz nach meinem Helm und dem Messer schauen. Vielleicht hatte ich ja das Glück, dass Alannas Pferd nicht von den Fanghur mitgenommen wurde." entgegnete der Soldat sachlich und drehte sich um.

Aufmerksam schritt er durch die blutigen Überreste des Kampfes.

Schließlich fand er das tote Pferd der Elfe tatsächlich, begraben unter dem Leichnam eines Fanghur. Mühelos hob er das knapp fünf Meter lange Reptil herunter und begann die blutigen Satteltaschen zu durchsuchen. Der Helm war nicht schwer zu finden, da er außen am Sattel befestigt war und auch ein paar Tücher um das Schwert einzuwickeln fand er ohne größere Probleme unter einem zusammengelegten Umhang. Nur sein Kampfmesser schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Er durchsuchte jede Falte, jede Ritze in den Taschen, doch nichts deutete auf die Waffe hin. John trauerte ihm jedoch nicht groß hinterher, ein Messer war einfach zu ersetzen und er war nicht der Typ, der große Erinnerungen mit simplen Waffen verband. Es waren Tötungswerkzeuge, nicht mehr. Er packte seinen Helm und trottete zurück zu Angela, die lächelnd auf ihn wartete.

Zu seiner Überraschung hielt sie sein Kampfmesser in den Händen. „Solembum hat es mir gebracht, kurz nachdem ihr los seid. Er meinte, einer der toten Soldaten hätte es in Händen gehalten mit einer Fanghurleiche vor den Füßen." meinte sie, als er fragend blickte. „Der Tod eines Soldaten. Das hätte ich nicht erwartet, bei diesen Schwächlingen." entgegnete er teilnahmslos und nahm die Waffe dankend entgegen. „Unterschätzt nicht den Mut des Verzweifelten John." widersprach die Kräuterhexe und warf einen kurzen Blick auf das in Tücher gewickelte Schwert. „Ah, sehr schön, ihr habt etwas gefunden um Larva einzuwickeln, wunderbar. Ich werde mich wohl noch einmal mit einem gewissen Herrn Drachenreiter unterhalten müssen, wo er die Schwertscheide verloren hat. Nun gut, lasst uns aufbrechen. Es ist nicht weit bis zu ihrem Dorf." Sie drehte sich munter zu den Urgals um, die in der Zwischenzeit Berdons und Alannas Waffen aufgelesen hatten und miteinander tuschelten.

Skeptisch zog John seine verbliebene Augenbraue nach oben. „Larva? Ist das der Name dieser Waffe?" Angela nickte. „Ja, aber lasst uns alles weitere unter vier Augen besprechen. Ihr wisst schon, überall Ohren." Der Titan nickte langsam, schob das Messer in seine Halterung, befestigte den Helm an einem speziellen Einklinkhaken an seiner Hüfte und schulterte das zweihändige Schwert. „Wie weit ist es bis zum Dorf?" fragte er, während er neben die Kräuterhexe trat, die gerade erneut mit dem Anführer redete. „Nicht lange, es sind nur ungefähr zwei Meilen den Weg bergab und etwas hinein in die Wildnis." entgegnete Angela lächelnd. Sie kletterte auf den Rücken eines nahe stehenden Kull, der sich extra dafür hinkniete, dann gab der Anführer ein lautes Brüllen von sich und der gesamte Tross setzte sich zackig in Bewegung.

John war überrascht von der Geschwindigkeit, dieser muskelbepackter Riesen. Sie rannten zwar bei weitem nicht so schnell wie er es gekonnt hätte, aber immerhin genauso schnell wie ein Pferd in vollem Galopp. So passierten sie den Bergübergang innerhalb weniger Sekunden und der Blick war frei auf die riesige Wüste, die sich im Regenschatten des Gebirges gebildet hatte.

Im Gegensatz zum Aufstieg, wo der Fuß des Berges gemächlich angewachsen war, befand sich hier eine Art Klippe, als hätte irgendeine Macht der Natur einen Teil des Gebirges abgespalten. Lange Serpentinen schlängelten sich am steilen Hang empor, um einen Auf- oder Abstieg überhaupt zu ermöglichen.

„Das ist Du Istalri Gata, der Brennende Pfad. Die Elfen gaben dieser Wüsten den Namen, da man selbst durch das Schuhwerk hindurch Brandblasen beim Laufen auf dem heißen Sand bekommt. Auch auf einem Drachen reitend braucht man für den Überflug einen halben Tag, vorausgesetzt, man durchquert sie an der breitesten Stelle." rief Angela ihm erklärend zu und deutete auf die riesige, von Sand bedeckte Ebene unterhalb der Klippen. Der Titan warf einen kurzen prüfenden Blick darauf. 'Eine gewöhnliche Regenschattenwüste. Die dürfte kein Problem darstellen, wenn ich zuvor meinen Wassertank auffüllen und Proviant mitnehmen kann.' befand er und konzentrierte sich wieder auf den Weg vor ihm.

Dieser führte recht schwach absteigend nach unten, wohl um die Pferde, mit denen die Händler ihre Karren zogen, zu schonen. Sie rannten jedoch nur wenigen Minuten entlang der Serpentinen, bis sie auch schon wieder anhielten und nun am Beginn einer Kurve und vor einer kahlen Felswand standen. Ohne groß zu zögern schritten die Urgals allerdings weiter auf den Fels zu. John wollte gerade fragen, was sie vorhatten, als er verblüfft beobachtete, wie der Anführer mitsamt den nach ihm gehenden Männern im Berg verschwand! 'Das muss wohl die magische Form eines Hologramms sein. Raffiniert, kein Mensch würde auf die Idee kommen, dass hier ein geheimer Pfad liegt.' dachte der Titan, während er langsam hinterherlief. Einer der Kull hinter ihm knurrte wohlmeinend: „Geht einfach hindurch, Eisenfaust, es ist nur eine Illusion." Im nächsten Moment war er bereits durch den bildhaften Schleier getreten und fand sich in einer wohlausgeleuchteten Höhle mit zahlreichen Fackeln an den Wänden wieder, an deren Ende er bereits wieder Tageslicht erblicken konnte. Es war ein Tunnel durch den Berg.

Ehrfürchtige Stille breitete sich unter der Gruppe aus, während sie dem Gang folgten. Interessiert betrachtete der Soldat die braungrauen Wände, die mit allerhand Zeichnungen verziert waren. Ein großer feuerspeiender Drache vor einer Schar davonlaufender zweibeiniger Gestalten, ein Wolf mit vier kleinen Jungtieren, kleine bärtige Gestalten, die von großen gehörnten Gestalten gejagt wurden und noch vieles mehr. Er behielt seine Gedanken für sich, um die Urgals nicht unüberlegt zu beleidigen. Für ihn mochte diese Art Aufzeichnungen primitiv sein, aber für sie hatte es wohl eine große Bedeutung. Schließlich erreichten sie den Tunnelausgang, an dem zwei Wachen sie mit einem Kopfrecken begrüßten. Dann betraten sie das Dorf.

Es bestand aus mehreren großen Hütten, welche aus Holz und Stroh gefertigt waren, einem großen Teich inmitten der Häuser, sowie mehrere in die karge Felswand geschlagene Wohnhöhlen, welche durch ein stabiles Gerüst aus dicken Holzbalken und Planken mit dem Boden verbunden waren. Vor jeder einzelnen Behausung hing ein langes Stück gewebten Stoffs, in das irgendwelche Bilder hineingearbeitet waren und in der Mitte des Dorfplatzes, neben dem Teich, stand zwei hohe Marterpfähle nebeneinander, in die die grotesken Fratzen eines Wolfs und eines Bären eingeschnitzt waren. Ein Blick zur Decke und zu seiner Rechten verriet ihm, dass der Berg an diesen Stellen abgetragen worden war und die Aussicht auf den Himmel und auf die Wüste freigab.

Rund um den Teich tollten einige Kinder herum, planschten mit den Händen im Wasser oder spielten Fangen. Zu seiner Verwunderung trugen die Kleinen noch keine Hörner auf dem Schädel und besaßen sogar nicht einmal irgendwelche Ansätze dafür. Sie sahen aus wie gewöhnliche Menschenkinder, wenn man ihre graue Haut und die gelben Augen außer Acht ließ. Allesamt trugen sie ledernen Lendenschurze, ansonsten nichts. Um die Kinder herum standen die Mütter, die bis auf ihre femininen Brüste und dem längeren Haar ihren Ehemännern absolut ähnlich sahen, in kleinen Gruppen da. Sie jedoch waren alle nur normal groß und keine Riesen im Gegensatz zu ihren Männern. Auch die Frauen trugen lederne Kleidung, die jedoch weitaus mehr Haut verdeckte, als die der Kinder.
John konnte ihre durchdringenden Blicke förmlich auf seiner Haut spüren, während die Gruppe auf den Dorfplatz marschierte und schließlich zum Stehen kam.

Der Anführer drehte sich zu ihm um und grölte laut: „ Ich bin Nar Khartog und es ist mir eine Ehre einen so starken Krieger wie euch im Dorf des Wartok-Stammes willkommen zu heißen, Eisenfaust!" Er warf seinen Kopf in den Nacken und zeigte dem Soldaten seine Kehle. John interpretierte das als Zeichen des Respekts und tat es dem Kull gleich, bevor er trocken entgegnete: „Die Ehre ist ganz meinerseits Häuptling. Habt vielen Dank für die Hilfe bei meiner Befreiung, ich stehe in eurer Schuld." „Bah, wir standen nur untätig rum, es gab keinen Kampf, durch den ihr eine Schuld auf euch hättet laden können. Ihr seid uns in keinster Weise verpflichtet. Seid unser Gast, fühlt euch wie zu Hause. Heute Nacht werden wir ein Festmahl abhalten, um die alte Herbstsonne zu verabschieden und den kalten Wintermond willkommen zu heißen. Ihr seid herzlich dazu eingeladen." meinte Khartog freundlich und der Titan nickte. „Diese Einladung nehme ich gerne an Häuptling."

„So, jetzt aber genug der Formalitäten. Ich möchte gern mit unserem Freund hier unter vier Augen sprechen Khartog. Es ist sehr wichtig." unterbrach Angela das Gespräch einfach rüde, doch anstatt wütend, oder verstimmt zu sein neigte der Häuptling respektvoll den Kopf und sagte: „Wie ihr wünscht, Uluthrek. Falls ihr etwas benötigt, lasst es mich wissen." Dann drehte er sich um und rief seinen Stammesmitgliedern etwas in ihrer gutturalen Sprache zu. „Und ihr kommt mit mir John. Ich brauche Ruhe, für das was jetzt kommt, ihr nicht auch?" fuhr die Kräuterhexe an John gewandt fort, der simpel antwortete: „Wie ihr meint Madam. Ich folge euch."

Sie führte ihn hinaus aus der Menge, vorbei am großen Teich, an dessen Rand einige Kinder saßen und ihn mit großen Augen anstarrten, hin zu einer der am weitest innen liegenden Wohnhöhle des Komplexes. Sie unterschied sich von den anderen Höhlen, da sie einerseits keinen gewebten Stoffstreifen am Eingang hängen hatte und andererseits, dass die Tür aus massivem Holz anstatt der üblichen geflochtenen Weidenzweigtüren. Glücklicherweise war sie jedoch ebenso hoch gegraben wie die anderen, sodass der Soldat nicht den Kopf einziehen musste, als Angela ihn ins Innere bat. Sie schloss die Tür hinter ihnen und meinte erleichtert seufzend: „Hach es gibt doch nichts schöneres als nach getaner Arbeit die Füße hochzulegen und eine heiße Tasse frisch gebrühten Brombeertee zu schlürfen. Bitte setz dich, der Stuhl dort drüben ist extra verzaubert. Er sollte deinem Gewicht standhalten, hoffe ich. Auch eine Tasse Tee?" „Sehr gerne Ma'am." entgegnete John lächelnd und setzte sich vorsichtig auf den massiven Holzstuhl. Er knarzte zwar bedenklich, als die drei Tonnen Gewicht ihn zusammendrückten, aber er schien zu halten. Während er das Schwert auf seinen Schoß legte, sah er sich kurz in der kleinen Höhle um.

Die Einrichtung war relativ karg. Es gab einen gepolsterten Sessel aus Weidengeflecht, einen kleinen Tisch, auf dem mehrere Phiolen, Bücher und Schalen mit allerhand getrockneten Pflanzenteilen standen, drei Stühle, inklusive dem auf dem er saß, ein mittelgroßer, verschlossener Schrank und eine Feuerstelle, an der die Kräuterhexe gerade ein Feuer entfachte, um den Wasserkessel zu erhitzen. Erhellt wurde das alles durch merkwürdige Laternen, die von der Decke hingen und, so wie er es sah, nicht mit einer brennenden Kerze bestückt waren.

„Bevor wir mit den Fragen loslegen, würde ich gerne noch einmal dein Auge untersuchen und besser verarzten. Eine Wunde von der Kralle eines Fanghur sollte man nicht unterschätzen, das könnte böse Folgen haben." schlug Angela vor, als das Feuer entfacht war und sie sich ihm wieder zu wandte. John schüttelte leicht den Kopf. „Das wird nicht nötig sein Ma'am. Ich kann bereits spüren, dass es wieder verheilt, vertraut mir. Trotzdem danke für eure Mühen." Es war keine Lüge, die Naniten hatten tatsächlich endlich mit ihrer Arbeit begonnen. In ein paar Stunden würde sein Auge wieder so gut wie neu sein. Sie warf ihm kurz einen skeptischen Blick zu, ließ sich dann jedoch seufzend in den Sessel, der ihm gegenüber stand, fallen. „Ihr Männer habt allesamt den gleichen Dickschädel. Na schön du harter Bursche, aber komm mir nachher nicht angekrochen, dass es sich entzündet hat. Also gut, dann können wir ja mit ein paar einfachen Fragen beginnen, solange das Wasser noch nicht am kochen ist. Was wollt ihr zuerst wissen?"

Der Soldat brauchte dafür nicht lange nachzudenken.

„Mit wem habt ihr über mich gesprochen? War es Tymdek?" Ein verschmitztes Lächeln trat auf Angelas Gesicht. „Es war zu offensichtlich oder? Ja es war Tymdek, allerdings nicht nur er." John horchte auf. „Dann habt ihr also Feyth und die anderen getroffen? Wie geht's es ihnen, ist alles in Ordnung?" Die Kräuterhexe nickte beruhigend und meinte: „Ja, sie sind alle wohlauf, bis auf Lyath die sich immer noch nicht ganz erholt hat, von dem was man ihr angetan hat. Und Feyth, die vollkommen außer sich war vor Angst, dass dir etwas passiert sei. Ich musste ihr sogar ein bisschen Baldrian verabreichen, so aufgeregt war sie."

'Die Kleine denkt immer zuerst an andere, als an sich selbst.' dachte der Titan und musste unwillkürlich schmunzeln. „Es war nicht meine Absicht die Kleine derart kirre zu machen, als ich mich gegen die Schwarze Rose geworfen hab. Wenigstens geht es allen gut." entgegnete er erleichtert. „Das haben wir ihr auch versucht klar zu machen, dass schon alles in Ordnung sein wird, aber sie hielt partout an ihrer Angst fest. Sie wollte sogar mit mir mitkommen, als ich aufbrach um dich zu befreien, doch das wäre wohl zu viel des Guten gewesen. Wäre es tatsächlich zum Kampf gekommen, dann wäre es bei weitem zu gefährlich gewesen für das kleine Mädchen." „Allerdings."

Eine kleine Pause entstand zwischen den beiden, bis John dann wissen wollte: „Was genau haben die anderen über mich erzählt?" „Alles was ich zu hören brauchte, um zu wissen wer du bist." antwortete die kleine Frau mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen. „Wie meint ihr das?" „Nun, ich habe dein Kommen schon vor zwei Jahren vorhergesehen. Allerdings muss ich sagen, dass du etwas größer bist, als ich angenommen habe, was jedoch sogar ein Vorteil ist, wie ich meine. Es passt einfach besser zusammen." Verwirrt setzte der Soldat zu einer weiteren Frage an, aber Angela kam ihm zuvor. „Noch nicht, mein Lieber. Diese Frage beantworte ich erst, wenn der Tee fertig ist." meinte sie amüsiert grinsend, was John logischer Weise nicht im geringsten befriedigte. Er hielt jedoch seine Neugier im Zaum, solange sie es ihm später immer noch erklären würde, war alles in Ordnung. Auch wenn es ihn wirklich reizte zu erfahren, was die Kräuterhexe damit meinte sein Erscheinen vorhergesehen zu haben.

So also erwiderte er: „Na schön, ich werde darauf zurückkommen. Könnt ihr mir dann sagen, wie ihr es geschafft habt, uns zu überholen, ohne Pferd und abseits des Wegs? Schließlich seid ihr ja lange nach uns aufgebrochen, wenn ihr mit Feyth und den anderen gesprochen habt." „Ah, eine interessante und gleichzeitig einfache Frage. Nun, die Antwort darauf ist wie schon gesagt recht simpel, ich kenne die geheimen Tunnel und Mechanismen der Zwerge hier im Beor-Gebirge, damit war es kein Problem, vor euch am Pass zu sein und meine alten Freunde hier um Hilfe zu bitten." antwortete Angela und langte nach einer kleinen Schachtel, die neben ihr auf dem Tisch stand. Sie öffnete sie und ein süßlicher Geruch stieg dem Titanen in die Nase. „Auch einen? Ich habe sie selbst gebacken." fragte die kleine Frau, während sie einen großen runden Keks herausnahm und herzhaft hineinbiss. Sieh hielt ihm die Dose hin und nachdem sein Magen ein Protestknurren von sich gab, langte er hinein und fischte eines der Gebäckstücke heraus. Er hatte seit knapp zwei Tagen nichts mehr gegessen, nicht gerade optimal bei seinem erhöhten Stoffwechsel. Zunächst zaghaft bis er in den mit Nüssen gespickten Keks und schob ihn sich dann komplett in den Mund, als er ihn für gut befand. „Es schmeckt wirklich sehr gut, danke." lobte John die Kräuterhexe, nachdem er heruntergeschluckt hatte. Sie lächelte und nickte dankbar. „Ja, nicht wahr? Ich frage mich bis heute, wie dieser Bäcker damals sein Geschäft aufgeben musste, obwohl er solche Leckereien verkauft hat. Eine Schande." „In der Tat. Aber um nicht vom eigentlichen Thema abzukommen: Wo ist eigentlich euer kleiner pelziger Freund? Ist er nicht mit uns gekommen?"

„Solembum?" Angela winkte beruhigend ab. „Er geht wohin er gerade will. Meistens jedoch zieht er meine Gesellschaft der Einsamkeit vor." „Also wirklich wie eine Katze mit Persönlichkeit. Manche Dinge ändern sich nie." stellte er halb belustigt fest und nahm sich noch einen Keks. „Wohin wurden eigentlich Alanna und Berdon hingebracht?" fragte er als nächstes. Die Kräuterhexe deutete auf den Boden zu seinen Füßen. „Eine Etage unter uns, im Verließ, wenn du es so nennen willst." „Was wird mit ihnen geschehen?" „Nun, ich werde Berdon mit einigen meiner gehörnten Freunde zurück nach Ilirea geleiten, wo er sich für seine Verbrechen vor Gericht verantworten muss. Was jedoch Alannas Schicksal betrifft, sie wird wohl für eine ganze Weile mit dir reisen müssen. Zumindest solange, bis sie sich freiwillig dazu entscheidet diese Ketten zu lösen." erklärte sie und lächelte, als sie seinen skeptischen Blick bemerkte.

„Und wie genau stellt ihr euch das vor? Wie ihr vielleicht schon wisst, kann ich keinerlei Magie wirken, ich wäre ihr hilflos ausgeliefert. Dazu kommt noch der Effekt dieser vermaledeiten Ketten." entgegnete John zweifelnd. Die Kräuterhexe seufzte leise. „Alanna ist nicht der Bösewicht, für den du sie hältst. Im Grunde ist sie ein liebes Mädchen, das immer nur versucht das Richtige zu tun. Leider hat sie sich mit den falschen Leuten eingelassen. Wenn es dir gelingt ihren Geist vom Einfluss der Schwarzen Rose zu befreien, solltest du keine Probleme mehr mit ihr haben. Bis es jedoch soweit ist, werde ich dir ein Mittelchen mitgeben, das sie ihrer magischen und geistigen Kräfte beraubt. Einverstanden?"

Der Titan schwieg.

Er erinnerte sich an daran, dass Keno, als er ihn befreit hatte auch ein solches Mittel verabreicht worden. Glücklicherweise war es damals schon bereits am abklingen gewesen. Schließlich meinte er ernst: „Ich habe wohl keine Wahl, wenn ich diese Ketten wieder loswerden will, oder?" „Nein." „Dann werde ich wohl nicht drumherum kommen. Einverstanden, ich nehme sie mit." „Sehr gut! Du wirst es mit Sicherheit nicht bereuen. Aber fürs erste heißt es jetzt erstmal Tee zu brühen." sagte Angela fröhlich in die Hände klatschend, erhob sich aus dem Sessel und ging hinüber zum Feuer, wo das Wasser schon hörbar kochte. 'Das hoffe ich auch, für die Elfe.' dachte John grimmig, während er einen kurzen Blick auf die Drachenketten an seinen Unterarmen warf.

Da fiel ihm noch etwas ein.

„Angela, wieso habt ihr mich vorhin Drachenritter genannt?" „Wartet auf den Tee mein Guter." antwortete die kleine Frau knapp und handwerkte weiter an der stählernen Kanne herum. Der Soldat wollte nicht ungeduldig wirken, also blieb er schweigsam sitzen und sah der Kräuterhexe dabei zu, wie sie den Tee zusammenbrühte. Es dauerte einige Minuten, bis sie schließlich die Kanne vom Feuer nahm und zwei bereitgestellte Becher füllte. Einen davon reichte sie mit einem Lächeln an John weiter, der ihn dankend entgegennahm und setzte sich dann mit dem Zweiten zurück in den Sessel. Einen kleinen Schluck vom noch dampfenden Getränk nehmend sagte eindringlich: „So, nun werde ich deine Fragen beantworten. Aber sei gewarnt, diese Antworten beinhalten auch Aspekte, die dir nicht gefallen werden, die dich hoffen lassen, dass ich lüge, aber alles was ich jetzt sagen werde ist wahr."

Das Lächeln auf ihrem Gesicht war einer ernsten Miene gewichen. Er musste kein Genie sein, um zu erkennen, dass es mit ihren Witzeleien nun vorbei war, da es um etwas Größeres ging. Deshalb blieb er weiterhin still und lauschte der nun folgenden Erzählung. „Also hör gut zu und unterbreche mich bitte nicht.

Es begab sich, dass ich vor zwei Jahren, am letzten Sommertag, zu Besuch bei meinem alten Freund Tymdek war, welcher erst vor kurzem mit seiner Brutpartnerin ein Gelege bekommen hatte. Wir plauderten über dies und jenes, doch schon nach kurzer Zeit bemerkten wir, dass eines der Eier, ein smaragdgrünes, zu wackeln und zu rütteln begann. Deutlich hörten wir das Junge gegen die harte Schale pochen. Ich freute mich endlich beim Schlupf eines Drachen dabei sein zu können! Doch alles kam anders, als erwartet. Viele Minuten verstrichen, bis sich endlich die ersten Risse im Ei zeigten und schließlich konnten wir sogar teilweise die Schnauze des Jungen sehen. Dann, zerbrach die Hülle in tausende Splitter und ein gewaltiger Knall hallte über uns alle hinweg.

Es klang, als hätte jemand einen ganzen Berg mit einem gigantischen Hammer zerschmettert. Nur Augenblicke später strömte uns ein heulender Wind entgegen, so stark, dass es uns beide fast von den Beinen gerissen hätte. Und wir hörten eine Stimme, deine Stimme John, die ganz aufgebracht rief: ‚Schließen, schließ es sofort!' Kurz darauf verebbte der Sturm, ebenso schnell wie er begonnen hatte. Der Schaden war jedoch bereits angerichtet.

Als wir nämlich zu Boden sahen, bemerkten wir erschrocken, dass der neugeschlüpfte Drache, der uns eigentlich mit seinen großen Augen hätte ansehen sollen, zusammengezogen auf der Seite lag und stark zitterte, als würde er frieren. Ich beugte mich hinunter und wollte ihn berühren, als ein schattenartiges Wesen aus seinem Brustkorb emporstieg, meine Hand packte und einen blutigen Stich versetzte. Dieses Ding hatte die Umrisse eines kleinen Drachens und breitete seine Schattenschwingen über dem Jungen aus, das nun noch stärker zitterte. Was auch immer es war, mein Gefühl sagte mir, dass es mit dem Knall, dem Wind und der Stimme zu tun haben musste. Wie auch immer, dieser Schatten musste verschwinden, denn was er auch tat, es verschlechterte den Zustand des Kindes. Aus reinem Instinkt, holte ich einen kleinen ungeschliffenen Smaragd aus meiner Tasche und begann mit der Hilfe von Tymdek das Schattenwesen in ihn zu verbannen.

Es dauerte Stunden und kostete uns fast sämtliche Energie, aber schließlich schafften wir es, das Etwas vom Körper des jungen Drachen loszulösen und in dem Edelstein einzuschließen. Sofort hörte das Kleine auf zu zittern und öffnete langsam die Augen. Das dunkle Wesen ließ jedoch nicht locker. Durch meine geistigen Barrieren hindurch rief es verängstigt, ja fast panisch: *Nein! Nicht trennen! Muss beschützen! Beschützen!* Da wurde mir klar, dass es sich bei diesem Ding nicht um einen ungewöhnlichen Parasiten handelte, oder einen verirrten Geist, nein.

Es war ein Teil vom Wesen des kleinen Drachens selbst, das sich abgespalten hatte!

Dieser war inzwischen auf den Beinen und starrte uns mit seinen großen kugelrunden Augen an, dann sprang das Mädchen fröhlich fiepend auf Tymdeks Schnauze. Doch der Schein war trügerisch. Wir hatten ihr nur bedingt geholfen, viel mehr hatten wir ihr etwas weggenommen. Einen Teil ihres ganzen Seins. Wie auch immer sie sich entwickeln sollte, etwas würde für immer fehlen.

In diesem Moment hatte ich eine Vision.

In ihr sah ich dich, in eigenartiger Rüstung und mit einem roten Schwert in der Hand. Auf deiner Schulter saß der kleine Drache, eng an dich gelehnt und deine Hand lag tätschelnd auf ihrem Kopf. Im Sockel des Schwerts steckte der Smaragd in dem ich den Seelensplitter eingesperrt hatte. Dieses Bild blitzte nur für wenige Sekunden vor meinem inneren Auge auf, doch nun wusste ich, dass nicht alles für die Kleine verloren war. Die Stimme, dieser Mann, nein, dieser Drachenritter würde kommen, um über das kleine Mädchen zu wachen. Doch dafür benötigte er noch sein Schwert!

So also, erzählte ich Tymdek von meiner Vision, der meine Meinung teilte und machte mich dann nach einer kurzen Verabschiedung auf in Richtung Du Weldenvarden zur Meisterschmiedin Rhunön. Ich konnte ich sie dazu überzeugen eines der alten Reiterschwerter, die Eragon ihr übergeben hatte, umzuschmieden und den Edelstein im Sockel durch den Smaragd zu ersetzten. Das erforderte einiges an Schweiß und Blutzoll, da sich der Seelensplitter dagegen wehrte, aber schließlich war es vollbracht. Sie taufte das umgeschmiedete Schwert auf den Namen Larva, Böser Geist.

Mit Larva im Gepäck ging ich zu Eragon und erzählte ihm alles. Er erklärte sich dazu bereit das Schwert in der Nähe des Großen Waldes zu verstecken, sodass es irgendwann vom Drachenritter gefunden werden konnte, wenn es soweit war. Als ich schlussendlich wieder bei Tymdek und dem kleinen Drachenmädchen ankam, war weit über ein halbes Jahr ins Land gegangen, doch sie war noch kaum gewachsen, im Gegensatz zu ihrem Bruder, der einige Wochen später als sie geschlüpft war.

Ihr Verstand hingegen schien keine Einschränkungen zu haben und auch einen Namen hatte sie sich inzwischen ausgesucht, Feyth. Und den Rest der Geschichte kennst du bereits.

John?

Alles in Ordnung?"

Der sonst so eisenharte Soldat war während der Erzählung vom Stuhl hinunter auf seine Knie gerutscht, hatte sich vornübergebeugt und angefangen zu weinen. Dicke Tränen tropften von seiner Nase hinunter auf den kalten Fels.

Er war es gewesen!

Der Laborzwischenfall vor zwei Jahren!

Es war seine Schuld gewesen, dass der Generator sich überladen hatte!

Er war derjenige gewesen, der Feyths Leben auf alle Ewigkeit ruinierte!

„Nichts mache ich richtig, alles was ich anfasse zerbricht! Samantha verzeih mir, ich habe dich schon wieder enttäuscht!" schluchzte er und riss sich voller Selbsthass die Augenbinde vom Kopf.




[Eragon Fan-Fiction] Der Titan und die DrachenreiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt