Im Gasthaus - Teil 1

70 3 0
                                    


„Was war das für ein Zauber, mit dem ihr Keno belegt habt, Meister Drachenreiter?" wollte John als erstes wissen, während er beruhigend über Feyths Kopf streichelte, die leise, winselnde Laute von sich gab und betroffen, den liegenden Keno betrachtete. Eragon seufzte schwer und schloss für einen Moment die Augen. „Ich habe den Jungen in einen traumlosen Schlaf versetzt, um ihm etwas Ruhe zu verschaffen. Aber ich befürchte, dass ihm das nicht wirklich helfen wird." erklärte der ältere Reiter missmutig und reichte der zitternden Alanna eines der trockenen Tücher.

Die Elfe wirkte immer noch vollkommen schockiert und Tränen rannen ihr über die Wangen. Sie starrte geradewegs auf den Jungen vor ihr und beachtete das Leinentuch nicht einmal ansatzweise. Schattentöter bemerkte ihre geistige Abwesenheit recht schnell und legte ihr fürsorglich die Decke über die Schultern, woraufhin sie erschrocken zusammenzuckte und ihren Blick Eragon zuwandte. Wie schon zuvor bei Miller öffnete sie ihren Mund, um etwas zu sagen, doch es kam nichts heraus, außer einem heftigen Würgen. Skeptisch zog der Titan eine Augenbraue nach oben, wohingegen der Großmeister ihr tröstend die Hand auf die linke Schulter legte. „Es ist der magische Schwur, der sie daran hindert etwas zu sagen, nicht wahr?" fragte er ernst. Alanna nickte abgehackt und Schattentöters Miene wurde angespannter. „Ihr wusstet von diesem Angriff, Alanna?" wollte er mit strenger Stimme wissen und die Elfe nickte abermals, diesmal allerdings weitaus zögerlicher.

Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte John, dass Feyth ihre Ohren spitzte. Und auch er selbst wurde hellhörig. „Am besten wäre es, wenn ihr den Schwur von Alanna nehmt, bevor ihr uns alles erzählt, Meister Eragon." schlug der Titan ernst vor und setzte demonstrativ eine Faust auf den Tisch vor ihm, wodurch dieser bedrohlich knarzte. Er war der Elfe nicht böse, schließlich hatte der Schwur sie ja daran gehindert, ihnen Bescheid zu geben, aber dennoch wollte er Zugriff auf ihr Insiderwissen haben. Der Drachenreiter nickte zustimmend. „Da habt ihr vollkommen recht, Herr Miller. Vielleicht kann sie ja etwas Licht in diese Dunkelheit bringen." Mit diesen Worten schloss er angestrengt die Augen und legte die linke Hand zusätzlich auf Alannas durchnässtes Haar, das ihr auf der Kopfhaut und dem Rücken klebte. Das flackernde Licht des Kamins und der flammenlosen Laternen untermalten diese Szenerie geradezu dramatisch.

*Ich kann ihre Schmerzen spüren, obwohl du ihr dieses Mittel verabreicht hast, das ihren Geist vernebelt. Ihr geht es wirklich schlecht.* wimmerte Feyth und presste ihre Stirn eng an sein Kinn. Ihre Schuppen fühlten sich kühl und nass an. 'Ich weiß, das ist grad extrem schwer für dich Kleine, versuch so wenig wie möglich daran zu denken. Ansonsten geht es dir im nachherein noch schlechter als Keno oder Alanna.' ermahnte er sie in Gedanken, woraufhin das kleine Drachenmädchen leise fiepte. Dann zuckten sie beide unwillkürlich zusammen, als der Großmeister ein einzelnes Wort sagte, dass ihren gesamten Körper vibrieren ließ und unglaubliche Macht verströmte. Danach folgten einige weitere Wendungen in der Alten Sprache, doch diese waren nicht ansatzweise so verwirrend wie das erste.

Obwohl er dieses einzelne Wort so deutlich spürte wie einen Schlag ins Gesicht, konnte John sich nicht an den genauen Wortlaut erinnern, obwohl er sich im Normalfall an alles erinnern konnte. Es war, als hätte ihm jemand die Erinnerung aus dem Kopf gebrannt und nur ein schwaches Abbild zurückgelassen.

Gleichzeitig holte Alanna deutlich hörbar Luft, wie ein Taucher, der nach einer Ewigkeit Unterwasser zum Luftholen an die Wasseroberfläche kommt. „Bei den Göttern! Eragon-Elda! Ich – der Angriff – die Schwarze Rose – Keno – Shad – " rief die Elfe hastig aus und packte panisch große Büschel ihres goldenen Haares, während sie Eragon mit weit aufgerissenen und doch tränenbenetzten Augen anstarrte. Millers Haltung verkrampfte sich leicht. Er hatte es bisher nur stark vermutet, doch jetzt besaß er Gewissheit. Die Schwarze Rose war für den Angriff verantwortlich. „Immer mit der Ruhe Alanna, atme erst einmal tief durch." meinte Schattentöter beruhigend und sorgte mit sanfter Gewalt dafür, dass Alanna ihre Haare wieder losließ. „Der Zauber, der auf dir lag, war überaus mächtig. Wer auch immer ihn dir auferlegt hat, muss ein Meister seines Fachs sein. Sammele dich erst einmal und ich erzähle in der Zwischenzeit, was genau vorgefallen ist, ja?" sagte er und sah sie dabei eindringlich an. Die Elfe schluckte schwer, nickte aber langsam. Der Titan befürwortete Eragons Vorschlag und rückte etwas näher an den Tisch heran, um der folgenden Erklärung besser folgen zu können. Ihn nach diesem besonderen Wort zu fragen, war jetzt gerade nicht von Belang.

Währenddessen hatte sich Feyth noch enger um Johns Hals gedrückt und flüsterte ängstlich: *So viel Schmerz in Eragon und Alannas Herz.* Ihr ganzer Körper zitterte heftig. 'Ganz ruhig, Kleine, ich bin ja bei dir.' erwiderte der Colonel sanft, nahm seine geballte Faust vom Tisch und streichelte ihr zärtlich über den angespannten Hals. Doch auch er selbstverspürte einen leichten Krampf in der Magengegend. Wie schlimm war der Angriff tatsächlich ausgefallen? Wie ging es Misa und ihrer Familie? Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als der Großmeister sich räusperte. „Nun, ich denke es ist das Beste es nicht länger aufzuschieben, auch wenn ich wünschte, dass es nicht so wäre." begann der Drachenreiter mit schwerer Stimme zu erzählen und fuhr nach einer kurzen Pause fort, wobei er John tief in die Augen sah:

„Der Angriff auf Lendol. Wo beginne ich am ehesten? Es geschah letzte Nacht und traf das Dörfchen vollkommen unvorbereitet. Von dem was wir bisher wissen, vermute ich, dass der Angriff vom Meer aus kam. Etliche Dutzend Soldaten und fünf Drachen griffen die Siedlung wie aus dem Nichts heraus an und brannten sie binnen Minuten nieder. Mehr als die Hälfte der Dorfbewohner kam dabei ums Leben und selbst die, die dieses Blutbad überlebten trugen schwerste Verletzungen davon. Nur durch die tatkräftige Unterstützung einer Gruppe Soldaten und Angela, konnte der Angriff zurückgeschlagen und zwei der Drachen gefangengenommen werden. Und einer dieser beiden Drachen ist unglücklicherweise der junge Shad. Er wurde dabei sehr schwer verletzt und wird zurzeit von dieser Gruppe medizinisch versorgt, genauso wie die überlebenden Dorfbewohner. Das ist die grobe Umschreibung der Situation in der wir uns gerade befinden, die Details erspare ich euch lieber. Ich wünschte, ich könnte sie aus meinem Gedächtnis verbannen."

Miller starrte Eragon geschockt an, die Augen weit aufgerissen. Er hatte gewusst, dass einige Dorfbewohner unter Garantie ihr Leben verloren, doch ein solcher Angriff? Fünf Drachen und zusätzlich ein ganzes Platoon Soldaten? Das war kein Angriff mehr, sondern ein Schlachtfest. „Großer Gott." murmelte er schockiert, während von draußen ein Blitz durch die geschlossenen Fensterläden zuckte, gefolgt von einem mächtigen Donnerhall. „So viele Tote?" fragte er mit ungläubiger Stimme und legte Feyth, die leise zu jaulen begann, die Hand tröstend auf den Kopf. Auch Alanna hatte die Hände vor dem Mund übereinander gelegt. Traurig nickte Schattentöter.

„Ich wollte es zunächst auch nicht glauben, doch der Anführer der Soldaten, ein Mann namens Micheal Forke, und Angela waren leider sehr überzeugend, was das anbelangt."

John erstarrte zu Eis.

„Forke? Sagtet ihr Micheal Forke?"

„Ja, Admiral Forke. Er sagte mir bereits, dass ihr der Anführer seiner Einheit seid und als sein Adoptivvater fungiert, wenn ich mich recht entsinne." bestätigte Eragon und blickte kurz über seine Schulter zur Theke, wo Miriam gerade dabei war, vier Met abzufüllen.

Das Herz des Colonels begann zu rasen.

Das konnte nicht sein. Micheal und die anderen waren daheim, auf der Erde. Nicht hier in Nidhan. Warum sollten sie hier sein? Das ObKom hatte ihn mit Sicherheit für tot erklärt. Und selbst wenn nicht, wie sollten sie hierher gelangen?

„Das kann nicht sein. Micheal und meine anderen Kinder befinden sich gerade sehr weit weg von hier. Seid ihr euch wirklich sicher, dass er es war?" versuchte er seinen eigenen Verstand zu beruhigen, doch seine Kiefer verkrampften sich, als der Drachenreiter abermals nickte. „Ja. Er trug eine ähnliche Rüstung wie ihr und ich glaube nicht, dass er mich angelogen hätte. Ich zeige euch gerne ein Bild aus meiner Erinnerung, wenn ihr mir nicht glauben wollt." entgegnete dieser und einen Moment später blitzte kurz ein Bild vor Johns innerem Auge auf.

Ein wutentbrannter Micheal mit seiner gewohnt dunkelbraunen Kurzhaarfrisur, dem markanten Kinnbart und den stechend grünbraunen Augen. Neben ihm stand eine übel mitgenommene Amanda mit verrußtem Gesicht und zerzausten Haaren und natürlich Angela, die fast genauso aussah, wie damals als er sie kennenlernte. Er konnte es nicht fassen. Eragon hatte nicht gelogen. Sie waren wirklich hier. Erschüttert stützte er den Kopf über dem Tisch ab, was diesem ein protestierendes Knarzen entlockte.

*John.* versuchte die kleine Feyth ihm sanft beizustehen und schleckte über seine Wange, doch Miller war vollkommen abwesend. Wie? Wie hatten sie ihn überhaupt in dem Gewühl von unzähligen Dimensionen finden können? Seine Gedanken schwirrten umher wie ein aufgescheuchter Schwarm Bienen. Es gab nur eine einzige Person, die dazu in der Lage war. Karl Greenes. Ab warum? Warum sollte Micheal es riskieren nie wieder nach Hause zu kommen, nur um einer Vermutung hinterherzujagen? Vor allem mitsamt seiner hochschwangeren Frau! Der Titan war das erste Mal seit vielen Jahrzehnten vollkommen baff. Er hatte keine Antwort darauf. So sehr er sich auch anstrengte, es wollte einfach nicht in seinen Kopf hinein.

„Herr Miller? Ist alles in Ordnung?" fragte der Großmeister besorgt, als der Soldat sich selbst nach einer geschlagenen Minute nicht geregt hatte. *Ich – ich weiß es nicht Onkel. Sein Kopf ist voller Gedanken und Erinnerungen. Ich glaube er ist einfach nur völlig überwältigt, weil er dachte, seine Kinder niemals wiederzusehen.* antwortete das grüne Drachenmädchen an seiner statt und rieb ihre Schnauze zärtlich an Johns Wange. Erst jetzt gab der hünenhafte Krieger wieder ein Lebenszeichen von sich, indem er seine rechte Hand an Feyth Kopf legte und sie eng an sich drückte. „Verzeiht, Meister Drachenreiter. Ich war einen Moment abwesend. Der Angriff auf Lendol, die Sache mit Shad und Keno und jetzt auch noch das Auftauchen meiner Kinder, von denen ich dachte, ich würde sie niemals wiedersehen – es war wohl zu viel auf einmal, selbst für einen alten Hasen wie mich." erklärte er mit brüchiger Stimme und raffte sich wieder auf. Er musste sich jetzt zusammenreißen, schließlich ging es hier um ein ernstes Thema. Über die Umstände für Micheals Auftauchen konnte er später noch immer in Ruhe nachdenken. Jetzt galt es erst einmal die Situation in Lendol zu klären!

Seine Haltung wurde steifer.

„Verständlich, Meister Miller. Wenn ihr wollt, können wir ein paar Minuten Pause machen, damit ihr euch sammeln könnt." meinte der Drachenreiter anbietend, doch der Colonel lehnte kopfschüttelnd ab. „Nein, es geht schon. Ich werde mich später damit befassen. Es wäre äußerst unangebracht bei so vielen Toten und Verletzten jetzt über ein eher unwichtiges Thema nachzudenken." Respektvoll neigte Eragon den Kopf. „Ich verstehe und teile eure Meinung." Bevor John etwas erwidern konnte, kam Miriam mit vier dampfenden Krügen zu ihnen an den Tisch geeilt und stellte die Humpen vor ihnen ab. „Bitte sehr, vier Mal heißer Met. Das warme Wasser kommt auch sofort, Meister Drachenreiter, ich habe es gerade aufgesetzt." plapperte sie mit ihrer feinen Stimme und warf ein fröhliches Lächeln in die Runde, bevor sie wieder Richtung Tresen verschwand. „Danke, Miriam." rief der Großmeister ihr hinterher und teilte geschwind die Krüge unter ihnen auf. Einen für sich, einen für Alanna und zwei für John und Feyth. Allerdings traute sich niemand auch nur ansatzweise ihn zu erheben.

Schließlich brach der Titan wieder das Schweigen, während die Elfe vor ihm in die Leere starrte und Eragon nachdenklich das Kinn auf die Hände gestützt hielt. „Wisst ihr, ob Ortardt und seine Familie den Anschlag überlebt haben?" wollte er trocken wissen und senkte betroffen den Blick, als der Drachenreiter schwer ausatmete und kurz die Augen schloss. Von draußen klopfte immer noch der heftige Regen gegen die Fensterläden. „Ortardt und seine Frau sind tot. Nur seine Tochter, die junge Misa, hat schwerverletzt überlebt, aber das Feuer nahm ihr das Augenlicht." „Das ist nicht, was ich gehofft habe zu hören." murmelte Miller kühl. Er hatte den Schmied und seine Frau sehr gemocht. 'Und Misa hat beide Augen verloren. Aber wenn meine Kinder wirklich dort sind, ist auch Alina dort. Sie wird ihr mit Sicherheit helfen können.' dachte er und fuhr dann laut fort: „Was genau ist mit Shad? Ihr meintet, er wäre schwer verletzt worden, als sie ihn gefangen haben." Abermals nickte der Schattentöter. „Herr Forke sagte etwas von einer gebrochenen Wirbelsäule und sehr hohem Blutverlust. Es war sehr spät, als wir das Gespräch führten, aber ich glaube mich erinnern zu können, dass auch sein linkes Vorderbein verletzt wäre. Eure Einheit hat ihn zusammen mit den Dorfbewohnern auf ihr Schiff gebracht und dort behandelt. Herr Forke meinte, sie würden ihn wieder vollständig heilen können und da mich Angela bisher nicht mehr kontaktiert hat, gehe ich davon aus, dass sie erfolgreich waren."

'Ein Schiff? Micheal hat doch nicht etwa die Venator mit hierhergebracht?' überlegte John und erwiderte ernst: „Das sind wirklich ernste Verletzungen, Meister Drachenreiter, aber unsere Technologie ist der euren weit voraus. Keine Sorge, er wird sich wieder erholen." „Ich habe keine Angst um seinen Körper, sondern um seinen Geist. Micheal erzählte mir von Dingen, die er unter dem Willen der Schwarzen Rose getan hat. Sie werden ihm viel mehr zusetzten, als jede Wunde." entgegnete der Großmeister ebenso ernst und richtete dann seinen Blick auf Alanna, die während ihres kurzen Wortwechsels noch bleicher geworden war, was für eine Elfe mit ihrer marmorbleichen Haut eine echte Herausforderung darstellte.

„Habt ihr euch gesammelt, Alanna? Jetzt wäre wohl der passende Augenblick deine Erkenntnisse mit uns zu teilen. Weshalb hat die Schwarze Rose ein solches Massaker befohlen?" fragte er sie mit strenger Stimme, was neue Tränen in Alannas Augen zur Folge hatte. „Ich – ich weiß es nicht. Vie – vielleicht wollte ihr Anführer ein Exempel statuieren, da uns gemeldet wurde, dass sich die Bewohner Lendols widersetzt hätten. Aber – aber Meister – es ist – es ist meine Schuld, dass sie Shad und die anderen Drachen geschickt haben!" schluchzte sie und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen.



[Eragon Fan-Fiction] Der Titan und die DrachenreiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt