„Ah! Er lebt noch. Ein Glück das Feyth dich noch rechtzeitig erreicht hat." meinte Keno erleichtert und lief ihnen entgegen, als sie die Höhle betraten. John ließ den Drachen nach ein paar Meter wie einen Sack Kartoffeln zu Boden fallen und verschränkte die Arme vor der Brust. Aufmerksam beobachtete er, wie Keno sich zunächst die Verletzungen ansah um dann, nach ein paar Augenblicken, seine Hand auf die Brust des Drachens zu legen, die Augen zu schließen und irgendwelche unverständlichen Worte zu murmeln. Der Titan ließ sie keine Sekunde aus den Augen, bereit, beim kleinsten Zucken des Drachens einzugreifen.
An Feyth gewandt sagte er grimmig: „Und wo ist nun der Grund, weshalb ich ihn nicht umbringen sollte?" Das kleine Drachenmädchen, das sich neben ihn gesetzt hatte, wandte ihren Kopf weiter in die Höhle. *Gehe ein paar Schritte hinein, dann wirst du sie sehen. Und bitte: Versuch entspannt zu bleiben. Sie ist momentan sehr geschwächt und Aufregung würde ihr nicht gut tun. Versprich es mir.* John sah sie einige Augenblicke unschlüssig an, dann antwortete er ernst: „Ich verspreche es." Er warf noch einmal einen prüfenden Blick zu Keno und dem silbernen Drachen hinüber, dann schritt er an Feyth vorbei, tiefer in die Höhle hinein.
Schon nach wenigen Schritten wurde es dermaßen dunkel, dass selbst er mit seinen modifizierten Augen nichts mehr hätte erkennen können, wenn er die Helmlampen ausgeschalten hätte. Seine Schritte hallten von den Wänden wieder und ab und zu hörte er das Tropfen von Wasser auf Fels. Die Höhle schien einem Horrorfilm entsprungen zu sein. Als John kurz inne hielt um noch einen Blick auf Feyth zu werfen, konnte er jedoch nichts erkennen außer kargem, feuchtem Gestein. Nicht einmal der Eingang war mehr zu sehen und die Lichtkegel verloren sich in der allumfassenden Dunkelheit. Außerdem viel ihm auf, das die Höhle gigantisch war, sowohl in der Höhe, als auch in der Breite. Groß genug einen riesigen Drachen zu beherbergen. Unbewusst fuhr seine Hand hinunter an den Griff des Messers, doch er rief sich sein Versprechen in Erinnerung und zwang sich zu entspannen. Es fiel ihm jedoch nicht leicht, denn sein Instinkt schrie innerlich Gefahr in einer Art Dauerschleife. Alles in dieser Umgebung deutete auf einen Hinterhalt hin und sein gesamter Körper sträubte sich dagegen entspannt zu sein. Es war keine Angst, vielmehr das Gefühl, unbekannten Kräften ausgeliefert zu sein, die sich jederzeit auf ihn stürzen konnten. John biss sich auf die Zunge, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen und ging weiter. Der Weg schien endlos lang zu sein, er hatte das Gefühl schon seit Stunden in der Höhle unterwegs zu sein, doch ein Blick auf den Timer seines HUD sagte ihm, dass noch nicht einmal eine Minute vergangen war, seit er Feyth und Keno verlassen hatte. 'Was ist das nur für ein Ort?' fragte er sich, während er Schritt um Schritt vorwärts ging. Dann, als er schon überlegte wieder umzukehren, flackerte vor ihm ein rötliches Licht auf, dessen Quelle wohl um die nächste Kurve liegen musste.
Ein lautes Niesen ließ seinen Kopf herumfahren und zu seiner Verwunderung waren Feyth, der silberne Drache und Keno, der sich mit dem Ärmel seines Gewands die Nase rieb, keine dreißig Meter von ihm entfernt. Verwirrt überprüfte er die Anzeige seines HUD, doch sie zeigte noch immer das gleiche an, wie schon beim ersten Mal. 'Was zur Hölle?' dachte er und schüttelte unverständlich den Kopf. *Ist etwas John? Ich hoffe doch, du hast deine Meinung nicht geändert?* hörte er das Drachenmädchen in seinen Gedanken angespannt fragen und er antwortete ausweichend: „Nein, alles in Ordnung. Ich – wollte nur noch einmal sicher sein, das er keine Faxen macht." *Ah, ach so.* meinte sie spürbar erleichtert und zwinkerte ihm freundlich zu. Immer noch verwirrt, wandte sich John wieder von ihnen ab und schritt langsam auf die Kurve zu, hinter der die Lichtquelle liegen musste. 'Das muss wohl irgendeine Art Magie gewesen sein, aber wieso hat mich Feyth nicht davor gewarnt? Hatte es etwa auf sie keine Wirkung, als sie die Höhle erkundet haben?' fragte er sich und schaltete die Helmlampen aus, da er sie nicht mehr benötigte. Was auch immer ihm da widerfahren war hatte jedenfalls keinen natürlichen Ursprung, so viel stand für ihn fest. Er beschloss Keno später danach zu fragen, doch im Moment gab es wichtigeres zu tun.
Als er um die Kurve trat, fand er sich in einer großen ausladenden Kammer wieder, die in ein rötlich flackerndes Licht getaucht war. Sie war so hoch, wie ein zweistöckiges Haus und breit genug um mehrere Drache von Tymdeks Ausmaßen Platz zu bieten. Von der Decke hingen dicke Stalaktiten, welche schon uralt, auf Grund ihrer Größe, sein mussten und auf dem Boden konnte er einige Stalagmiten erkennen, von denen allerdings die meisten nur noch als Stumpf existierten. Offenbar hatte sie jemand abgeschlagen. Doch etwas anderes erregte seine Aufmerksamkeit noch mehr.
Dort, in der Mitte der gigantischen Kammer, lag, in einem Nest aus Holz, Steinen und Moos, ein großer roter Drache. John musste sich äußerst zusammenreißen, um nicht nach seinem Messer zu greifen. Die Echse lag zusammengerollt da, den Kopf in seine Richtung geneigt und atmete ruhig aus und ein, während seine Augen den Neuankömmling musterten. Aus dem Augenwinkel konnte der Soldat die Lichtquelle, ein riesiges rotes Feuer, ausmachen und schloss daraufhin, dass der Drache es wohl selbst entzündet haben musste. Er war sich nicht ganz sicher, was er tun sollte, also setzte er sich, in einem respektvollen Abstand gegenüber dem Drachen, auf einen der abgebrochenen Stalagmiten, verschränkte die Arme vor der Brust und erwiderte den Blick.
So verbachten sie einige Minuten in Stillschweigen, bis der Drache schließlich brummte und dann mit einer wohlklingenden, femininen Stimme sagte: *Ihr gestattet mir, zuerst euren Geist zu durchsuchen, obwohl ihr das Recht des Älteren habt, Jäger. Respekt ist eine Tugend, die heutzutage nur noch selten angetroffen wird. Insbesondere bei einem Menschen. Mein Name ist Lyath und ich heiße euch herzlich in meinem Hort willkommen John Miller.* „Nach einem herzlichen Willkommen, sah das aber nicht aus, was euer Sohn getan hat." entgegnete John kühl und erhielt als Antwort eine Art Seufzer. *Bitte entschuldigt Dekris Verhalten. Erst ist zurzeit etwas übermütig und geht vieles ohne nachzudenken an. Ich stehe in eurer Schuld, dass ihr ihn nicht getötet habt, obwohl dies euer Recht gewesen wäre.* „Nun, hätte mich meine Begleiterin nicht aufgehalten, wäre es wohl so gekommen." meinte er und ballte unwillkürlich die rechte Hand zu einer Faust.
Lyath zwinkerte ihm zu. *Ah, ja. Die kleine Feyth. Ein wunderbares Mädchen. Tymdek kann wirklich stolz auf sie sein.* „Ihr kennt ihren Vater?" wollte der Soldat überrascht wissen und die Drachendame bejahte. *Wir sind alte Freunde, aber das ist eine längere Geschichte. Jetzt ist jedoch nicht die Zeit dafür. Erzählt mir lieber, wie es dazu kam, dass ihr gemeinsam mit Feyth und einem Drachenreiter namens Keno reist? Und vor allem, was ist das Ziel dieser Reise?* John überlegte kurz, ob er ihr die Wahrheit erzählen sollte, oder nicht. Einerseits hatte er sie gerade erst kennen gelernt und das Verhalten ihres Sohnes sprach nicht gerade für sie, doch andererseits kannte sie Feyth und Tymdek, von dem Lyath es wohl früher oder später erfahren würde. Also entschied er sich bei der Wahrheit zu bleiben. „Ich komme aus einem fernen Land, so weit entfernt, dass man es ohne ein spezielles Schiff nicht erreichen kann. Leider kenterte meines und ich überlebte als einziger. In einem kleinen Küstendorf sagte man mir, dass die Drachenreiter mächtige Magier seien. Also beschloss ich, zu ihrer Festung zu reisen, um sie um Hilfe zu bitten. Unterwegs befreite ich Keno aus der Hand einiger Banditen, die ihn außer Lande schaffen wollten und kurz darauf traf ich auf Tymdek und Feyth. Sie beschloss sich uns anzuschließen, weshalb ihr nun uns drei hier habt." erklärte er und die Drachendame brummte leise.
*Aus einem fernen Land sagtet ihr?* wollte sie wissen und John nickte. „Ja, sehr weit entfernt." *Und euer Treffen mit Tymdek? Lief es friedlich ab?* „Nun, ich gebe zu, wir hatten eine kleine – Meinungsverschiedenheit." *Ich verstehe. Ihr versteckt die Wahrheit vor Feyth und Keno, weil ihr sie beschützen wollt. Aber wovor? Was wäre so schlimm, ihnen die Wahrheit zu sagen Jäger?* meinte sie ernst und überraschte ihn damit ein zweites Mal. „Was meint ihr?" fragte er, Unverständnis vortäuschend. Als Antwort erhielt er ein drohendes Knurren und seine Hand zuckte Instinktiv nach dem Griff des Messers. *Ihr mögt vielleicht die beiden Küken täuschen können, aber nicht mich. Ich habe in euren Geist gesehen, ich weiß, wer und was ihr seid. Haltet mich nicht für dumm.*
Es war wie ein Schlag ins Gesicht für John. Lyath hatte seine Erinnerungen durchstöbert, etwas, das Feyth aus Respekt vor seiner Privatsphäre nicht getan hatte. Seine Gedanken wirbelten wild umher, wie sollte er reagieren? Sie umbringen? Er brauchte einige Augenblicke, bevor er sich wieder fing und laut seufzte.
„Nun, ich leugne es nicht. Ihr habt recht. Sie würden es nicht verstehen, wenn ich ihnen die Wahrheit erzähle. Selbst ihr müsst wohl äußerst verwirrt von dem sein, das ihr gesehen habt." sagte er leise und blickte beschämt zu Boden. *Ich habe nicht alles gesehen. Nur das nötigste.* erklärte Lyath mit etwas sanfterer Stimme und fügte dann fragend hinzu: *Ihr seid nicht von dieser Welt?* „Nein." antwortete der Soldat. „Ich komme aus einer anderen Dimension, aus einer anderen Version der Erde, um es verständlicher zu machen für euch." *Aber ihr seid ein Mensch, oder?* „Ich weiß nicht, was die richtige Bezeichnung für mich ist, aber ja, ursprünglich war ich ein Mensch." *Lasst mich euer Gesicht sehen Jäger.* John zögerte einen kurzen Moment, doch dann löste er die Versiegelung seines Helms und hob ihn mit einem lauten Zischen vom Kopf. Er sah zu ihr auf und die Drachendame hob ihren Kopf so dicht an ihn heran, dass er sie mit seiner Zunge hätte berühren können. Seine blau-grünen Augen starrten in ihr großes Rotes. *Für mich seht ihr wie ein Mensch aus, vielleicht etwas groß, aber auf jeden Fall ein Mensch.* sagte sie, nachdem sie ihn fast eine ganze Minute lang betrachtet hatte und zog ihren Kopf wieder ein Stück zurück.
„Die äußere Erscheinung kann oft täuschen. Ihr Drachen seid dafür das beste Beispiel. Ihr seht aus, als könntet ihr alles und jeden in Stücke reißen, was mit Sicherheit einige eurer Artgenossen auch tun, doch es gibt offenbar auch einige unter euch, die zwar wie Monster aussehen, aber innerlich vernünftiger sind als mancher Mensch." entgegnete er und legte den Helm in seinen Schoß. *Das ist wahr, Jäger.* stimmte Lyath mit einem Zwinkern zu. Dann wollte John wissen: „Wie viel habt ihr in meinen Erinnerungen gesehen? Ihr wisst vermutlich schon, dass ich im Grunde keine Ahnung von Magie und Telepathie habe, so etwas gibt es in meiner Welt nicht." *Oh, genug, um euch einschätzen zu können Jäger.* entgegnete sie amüsiert schnaubend. „Dann habt ihr wohl schon selbst viel erlebt, wenn ihr so ruhig bleibt, wenn ihr ein Wesen aus einer anderen Welt vor euch habt." *Das gleiche könnte ich euch fragen. Es ist schon amüsant mit anzusehen, wie sich die Menschen hier, die wissen, dass es uns Drachen gibt, vor Angst förmlich im Boden versinken. Ihr hingegen seid fast vollständig ruhig. Ich hätte mehr Angst, dass ihr mich angreift, als es wohl anders herum der Fall ist. Es würde mich im Übrigens sehr beruhigen, wenn ihr die Hand von eurer Waffe nehmen könntet.* gab die Drachendame zurück und verlegen zog der Soldat seine Hand vom Griff des Messers. „Entschuldigt, eine alte Angewohnheit." sagte und faltete seine Hände über dem Helm zusammen, um seine Finger ruhig zu halten. *Ich kann es verstehen. Mein Körper wäre sicherlich auch jeden Moment wie eine Feder gespannt, wenn ich wie ihr über zweihundert Jahre als Soldat gedient hätte.* entgegnete Lyath und John nickte verstehend. „Ihr habt also auch diese Erinnerungen gesehen. Wisst ihr dann auch schon wie alles für mich begann?" *Nein. Wie ich schon sagte, habe ich nur das gesehen, das ich für nötig hielt. Keine Sorge, ich weiß nur, dass ihr ein Soldat seid, der aus einer anderen Welt als der unseren kommt und, dass ihr durch einen Unfall zu uns kamt. Mehr nicht, das schwöre ich bei meinem Leben.* „Ich – glaube euch." meinte John zögerlich. Es stimmte, er glaubte ihr. Das bedeutete allerdings nicht, dass er ihr vertraute. Wieso sollte er auch? Er hatte keinerlei Möglichkeiten zu überprüfen, ob sie nun mehr wusste oder nicht. Für den Moment hielt er es jedoch für angebrachter, ihr zu glauben, anstatt auf Konfrontationskurs zu gehen.
*Ihr seid ein bemerkenswerter Mensch, Jäger. Ich kenne die Zweibeiner hauptsächlich nur als gierige, egoistische und machthungrige Dummköpfe, doch euch sind solche Gefühle vollkommen fremd.* sagte Lyath, während sie ihr Gewicht etwas verlagerte. Der Titan zuckte mit den Schultern und erwiderte: „Ich kann mir als Soldat solche Dinge nicht leisten. Sie stehen gegen jegliche Prinzipien, die ich habe." *Aber da ist etwas in euch, tief vergraben. Ich vermag nicht zu sagen, was es ist, doch es ist stark und drängt danach freigelassen zu werden.* „Es gibt viele Sachen, an die ich mich lieber nicht erinnere. Das ist wohl eine davon." *Lasst euch nicht davon verzehren Jäger. Was auch immer es sein mag, es wird stärker und wenn es hervorbricht, werdet ihr es kaum aufhalten können. Seid auf der Hut!* „Ich werde euren Ratschlag beherzigen." entgegnete John, obwohl er selbst nicht wirklich daran glaubte.
Er wollte sie gerade etwas fragen, als der Drachendame ein lautes Stöhnen entwich und ihr Körper von Krämpfen geschüttelt wurde. Die Krämpfe dauerten zwar nur wenige Augenblicke an, doch er musste kein Arzt sein, um zu sehen, dass es ihr schlecht ging. Als Lyath allerdings seinen misstrauischen Blick bemerkte, sagte sie: *Keine Sorge, es geht mir gut.*
„Das, ist die größte Lüge in der Geschichte. Ich habe hunderte Kameraden auf dem Schlachtfeld verloren, die behaupteten, es würde ihnen gut gehen, obwohl ihr halbes Gesicht fehlte, oder ihr gesamter Unterkörper. Euch geht es nicht gut." meinte er grimmig und stand auf. *Einen so erfahrenen Jäger, kann mal wohl nicht täuschen.* murmelte die Drachendame und fügte dann hinzu:
*Ich werde sterben.*
„Was?"
*Ihr wolltet wissen, wie es mir geht und ich habe euch ehrlich geantwortet. Ich liege im Sterben. Ich weiß nicht, wie lange es noch dauert, vielleicht Tage, Wochen oder aber auch nur Stunden.* „Das hättet ihr mir eher sagen sollen! Ich werde sofort Keno holen, vielleicht kann er –" *Nein.* widersprach Lyath bestimmt und John, der schon in Bewegung gewesen war, hielt inne und blickte sie skeptisch an. *Es gibt kein Heilmittel für das Gift, das durch meine Adern fließt. Selbst Magie wird mir nicht mehr helfen können.* erklärte sie und erwiderte seinen Blick. Der Soldat knurrte. „Ich werde es darauf ankommen lassen. Es wenigstens zu versuchen, ist das mindeste, was wir tun können." *Ihr seid wahrhaftig faszinierend Jäger. Ihr kennt mich noch nicht einmal einen Tag und versucht doch schon, alles zu tun um mich zu retten. Aber bitte, lasst es gut sein. Ich habe mich bereits mit diesem Schicksal abgefunden.* sagte die Drachendame freundlich, doch John nahm es nicht so einfach hin. „Niemand sollte sich den Tod wünschen. Der Sinn des Leben besteht darin zu leben und ihr habt euer ganzes Leben noch vor euch."
*Es hätte mich wirklich gefreut, meine Kinder großwerden zu sehen, aber ich kann mich dem Schicksal nicht widersetzen. Jedes lebende Wesen stirbt eines Tages, das ist die einzige Konstante in dieser Welt.* „Nicht alle." murmelte der Titan und kam einige Schritte auf den Drachen zu. „Gibt es wirklich keine Möglichkeit euch zu retten? Ich würde es mir selbst nicht verzeihen können, wenn es ein solches Mittel gibt und ich es nicht wenigstens versucht habe zu besorgen." *Nein, mein Tod ist so sicher, wie der tägliche Sonnenaufgang. Es gäbe zwar eine Möglichkeit für mich, meinen Körper zu überdauern, aber das werde ich nicht tun.* „Wieso?" *Was wäre es schon für eine Existenz, wenn mein Geist gefangen in einem Kristall sitzt und ich im Grunde nichts weiter tun könnte als zu reden? Ohne zu sehen, zu hören, zu schmecken, zu riechen, zu fühlen. Nein, so will ich gewiss nicht die Ewigkeit verbringen.* John hatte keine Ahnung wovon Lyath sprach, doch in einem Gefängnis zu sitzen und rein gar nichts tun zu können hörte sich wirklich schrecklich an.
Er überlegte fieberhaft, wie er ihren Tod verhindern konnte, schließlich war sie bis jetzt die einzige Person, mit der Ausnahme von Karl, gewesen, mit der er so offen hatte reden können. Sie schon so kurz nachdem er sie kennen gelernt hatte zu verlieren, würde sicherlich einen Lücke in ihm hinterlassen. Außerdem könnte er es niemals gegenüber Feyth verantworten, wenn sich die beiden wirklich so nahe standen wie er vermutete. Die Drachendame schien zu wissen, worüber er sich den Kopf zerbrach, weshalb sie ihm aufmunternd zuzwinkerte und meinte: *Ich wollte nicht mit euch reden, wie man meinen Tod verhindern kann, sondern etwas überprüfen. Ihr solltet euch meinetwegen nicht das Hirn zermartern, es kommt wie es nun einmal kommt.* „Etwas überprüfen? Dafür ist auch noch Zeit, nachdem ich mir eine Lösung überlegt habe. Wie genau seid ihr vergiftet worden? Was für ein Gift –" entgegnete John ernst, wurde jedoch rüde von ihr unterbrochen, indem sie ihm eine Rauchschwade ins Gesicht blies. *Ich habe meine Aufgabe in der Welt bereits erledigt. Meine Eier und mein Sohn werden für eine neue Generation Drachen sorgen, zusammen mit all den anderen Jungdrachen. Jetzt, kurz vor meinem Ende, ist es nur noch meine Pflicht dafür zu sorgen, dass es allen gut geht, insbesondere der kleinen Feyth, die es an sich schon schwer genug hat.*
„Und was habe ich eurer Meinung nach mit Feyth zu tun?" wollte er zähneknirschend wissen, nicht gerade froh darüber, dass sie ihren Tod einfach so akzeptierte. Für ihn war das ganze Gerede über das unveränderbare Schicksal kompletter Schwachsinn. Lyath sah ihm tief in die Augen, als sie antwortete: *Offenbar mehr, als ihr selbst wisst. Es war kein Zufall, dass ihr euch begegnet seid.* „Ihr glaubt also, es war mein Schicksal in eure Welt geschleudert zu werden und Feyth zu treffen? Bei allem nötigen Respekt, aber das halte ich für absoluten Unsinn." gab der Soldat zurück und ging in die Hocke um auf Augenhöhe mit ihr zu sein. *Es muss keinen Sinn ergeben, genauso wenig, wie ich es euch erklären muss Jäger. Das werdet ihr bei Zeiten schon selbst herausfinden.* entgegnete die Drachendame und schloss erschöpft die Augen. John hörte deutlich, wie ihre Atmung schwerer wurde und biss sich grimmig in die eigene Unterlippe. Lyaths Körper verlor den aussichtslosen Kampf gegen das Gift offensichtlich schneller, als er gedacht hatte. Doch obwohl seine Gedanken hauptsächlich darum schwirrten ihr zu helfen, so kam er nicht umhin über ihre Worte nachzudenken, im Bezug auf seine kleine Begleiterin. Er würde sie zwar als eine Freundin bezeichnen, aber ansonsten verband ihn rein gar nichts mit dem kleinen Drachen.
Er war stark, sie schwach.
Er war groß für einen Menschen, sie war klein für einen Drachen.
Er war kaltblütig und würde nicht zögern zu töten, wenn er es für richtig hielt, sie hingegen achtete jedes Leben, fraß sogar nur Pflanzen. Außerdem schien sie eine besondere Fähigkeit zu besitzen, über die John jedoch nur mutmaßen konnte.
Doch der größte Punkt für ihn war, dass er ein Mensch und sie ein Drache war.
Wie auch immer er es drehte und wendete, es ergab keinen Sinn. Sie hatten überhaupt nichts gemein, eher könnte man sie als komplette Gegenteile bezeichnen.
Er setzte gerade dazu an, ihr noch eine Frage zu stellen, in welchem Zusammenhang er mit Feyth verbunden sein sollte, doch er blieb stumm, als er bemerkte, dass die Drachendame eingeschlafen war. 'Es muss einen Weg geben sie zu retten. Sie scheint mehr zu wissen, als sie zu gibt.' dachte er sich und stand aus der Hocke auf, während er wieder seinen Helm aufsetzte und mit einem Zischen versiegelte. Leise entfernte er sich von der schlafenden roten Echse und trottete den Gang entlang, um zurück zu den anderen zu stoßen. „Sie meinte, es gäbe kein Heilmittel für das Gift, weder konventioneller noch magische Natur." murmelte John vor sich hin, als er um die Kurve trat und bemerkte, dass Dekri, Lyaths Sohn, und Feyth friedlich nebeneinander eingeschlafen waren, wohingegen Keno mit dem Rücken an die Wand gelehnt da saß und auf eine blass-weiße Lichtkugel starrte, die vor seinem Kopf in der Luft schwebte.
Der Junge schien ebenfalls kurz vor dem Einnicken zu sein, denn immer wieder vielen ihm für ein paar Augenblicke die Augenlider zu. Sobald er den Titan erblickte, machte er Anstalten aufstehen zu wollen, doch mit einer kleinen Handgeste zeigte ihm John, dass er sitzen bleiben solle. „Ich nehme an, es hat alles ohne Probleme geklappt?" fragte er leise und Keno nickte gähnend. „Ja, glücklicherweise hast du nur seine Knochen gebrochen. Die konnte ich relativ leicht heilen." Der Soldat klopfte ihm sanft auf die Schulter. „Gut gemacht. Jetzt leg dich am besten hin. Du bist sicherlich erschöpft und brauchst den Schlaf." „Da hast du recht." entgegnete Keno, kroch auf allen vieren zu Dekri und Feyth hinüber und legte sich so auf den Boden, das sein Rücken am Bauch des silbernen Drachen anlehnte. Der junge Drachenreiter schloss die Augen, murmelte leise ein einzelnes Wort und die Lichtkugel verschwand. Bevor er einschlief, fragte er John noch: „Über was hast du mit ihr gesprochen?" John wandte sich von den dreien ab und ging auf den Höhleneingang zu, durch den nun das fahle Mondlicht den Anfangsbereich der Höhle erhellte, da zumindest ein paar vereinzelte Lichtstrahlen ihren Weg durch den dichten Regenschleier fanden. Er verschränkte die Arme vor der Brust, lehnte sich an die Felswand und starrte hinaus in den Regen, während er Keno antwortete: „Über dies und das." Doch der Junge hörte die Worte schon nicht mehr, der Schlaf hatte ihn übermannt, wie John anhand der ruhigen und regelmäßigen Atemzüge erkennen konnte.
Stille breitete sich in der Höhle aus, untermalt vom Plätschern des Regens und dem hin und wieder zu hörenden Donner. Der Soldat war alleine mit seinen Gedanken. Wie ein Mahnmal stand er dort im Höhleneingang und dachte über das nach, was er mit Lyath besprochen hatte. Er wollte es einfach nicht glauben, dass es absolut kein Heilmittel für das Gift gab. Stundenlang versuchte er eine Lösung zu finden, bis es ihn schließlich wie ein Blitz traf. Es mochte in dieser Welt kein Heilmittel für Lyath geben, doch in seiner Welt gab es das und er selbst war ein wandelndes Beispiel dafür.
Die Frage war nur, ob die Drachendame bereit war, den Preis dafür zu zahlen.
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[Eragon Fan-Fiction] Der Titan und die Drachenreiter
FanfictionDer Soldat John Miller findet sich nach einem schrecklichem Unfall an den Ufern eines ihm unbekannten Landes wieder. Schon sehr bald wird ihm bewusst, dass er sich nicht mehr in seiner eigenen Welt befindet. So also macht er sich auf den Weg, die Dr...