Im Schutze seines Helms zog John eine schmerzerfüllte Grimasse. Sie waren nun bereits mehr als zwei Stunden unterwegs und die Naniten hatten mit den letzten Schritten der Reparatur begonnen. Sein gesamter linker Arm pochte und kribbelte. Dazu kam noch der ziehende Schmerz, der wieder zusammengewebten Muskelstränge, welche von den winzigen Robotern zwangskontrahiert wurden, um sie zu überprüfen.
Äußerst unangenehm.
Daher war er umso dankbarer dafür, dass Keno ihn schließlich in ein ablenkendes Gespräch verwickelte.
„Hey, John. Darf ich dir mal eine Frage stellen?" wollte der junge Drachenreiter mit respektvollem Ton wissen. Der Titan nickte bejahend. „Gerne Keno, schieß los." „Weshalb bist du eigentlich Soldat geworden?" Überrascht zog der Colonel eine Augenbraue empor und gluckste belustigt, als er sich daran erinnerte, wie er zur Army gekommen war.
„Nun, das ist einfach erklärt. Meine Familie hat eine alte Tradition, den Erstgeborenen, sei es Mädchen oder Junge zur Armee zu schicken. Ich jedoch war nicht der Erste, zumindest, wenn du es haargenau nimmst. Ich hatte einen Zwillingsbruder und dieser war ungefähr eine Minute älter als ich." „Zwillinge? Dann hatten eure Eltern aber großes Glück, dass ihr beide und eure Mutter überlebt habt." meinte Keno fasziniert. Der Soldat öffnete schon dem Mund, um ihm zu widersprechen, entschied sich dann jedoch dafür den Jungen in seinem Glauben zu lassen, anstatt ihm versuchen zu erklären, dass die Erde knapp tausend Jahre Technologievorsprung auf Alagäsia oder Nidhan hatte.
„Das kann man wohl sagen, ja. Wie dem auch sei, als wir dann schließlich das Alter erreichten, in dem mein Bruder der Armee beitreten sollte, kam alles etwas anders. Er hatte mir nämlich schon länger gesagt, dass er viel lieber Künstler werden wollte. Ich verstand das vollkommen, seine Malereien und Schnitzereien waren unglaublich gut. Mein Vater hingegen, sah das alles jedoch aus einer anderen Sicht. Für ihn kam es überhaupt nicht in Frage, dass sein ältester Sohn zu einem weichlichen Möchtegern-Pinsler wurde und schrieb meinen Bruder daraufhin selbst in die Offiziersschule ein." „Das klingt schrecklich. Was habt ihr dann getan?"
John lachte kurz, bevor er antwortete: „Ist das nicht offensichtlich? Wir haben die Plätze getauscht. Als meine Eltern für zwei Wochen verreist waren, haben wir beiden einfach unsere Haarschnitte geändert und unser gesamtes Hab und Gut miteinander getauscht. Ich wurde zu meinem Bruder und er zu mir. Unsere Eltern haben den Unterschied nie gemerkt, zumindest unser Vater, bei meiner Mutter war ich mir nicht so sicher, da sie uns immer wieder komische Blicke zuwarf. Falls sie es wusste, behielt sie es allerdings für sich und dafür war ich ihr auf ewig dankbar." *Du hast dich also für deinen eigenen Bruder ausgegeben?* fragte Feyth neugierig auf seiner Schulter sitzend. John nickte. „Genau. Ich ging zur Armee, mein Vater war glücklich seine Familientradition fortgesetzt zu haben und mein Bruder konnte sich schließlich auch seinen Traum erfüllen. Im Endeffekt bekam jeder das was er wollte." Keno lächelte amüsiert und auch Alanna, die der Unterhaltung stillschweigend lauschte, schmunzelte.
„Hast du es jemals bereut?" wollte der junge Drachenreiter einige Momente später wissen. Der Titan dachte kurz darüber nach, bevor er kopfschüttelnd entgegnete: „Nein. Um ehrlich zu sein, hatte ich damals selbst gar keinen Plan, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. Deswegen war ich ohne zu zögern bereit, meinem Bruder zu helfen, der schon von klein auf ein Ziel vor Augen hatte." *Das war sehr selbstlos von dir, John.* flüsterte ihm das Drachenmädchen zu und schleckte kurz über seinen Visor. „Ich verstehe." antwortete der Junge hingegen zufrieden und legte dann die Hand an die Stirn, um seine Augen vor der Sonne zu schützen, die erbarmungslos auf sie herab brannte.
„Oh! Seht!" rief er plötzlich erfreut aus und deutete vor sie. Der Soldat folgte dem ausgestreckten Arm mit seinem Blick und stellte erfreut fest, dass dort, in etlichen Kilometern Entfernung, Bäume und Gras zu erkennen waren. Er konnte das Grün der Pflanzen jedoch nicht allzu lange bestaunen, das sein Gehirn versuchte die Informationen seiner beiden verschiedenen Augen übereinander zulegen. Leise knurrend wandte er den Kopf zu Seite. Hier in der Wüste, war der Unterschied nur marginal gewesen, da alles gleich aussah, doch die große Farbenvielfalt, die dort in der Entfernung auf ihn wartete, schrie förmlich danach ihn aus dem Konzept zu bringen. Das Drachenauge hatte für jedes einzelne Blatt einen eigenen Rotstich erkannt, wohingegen sein menschliches Auge einfach nur grün, beziehungsweise gelb sah.
Sein Gesichtsausdruck wurde nüchtern.
'Ich werde nicht darum herumkommen, mein anderes Auge ebenfalls ersetzten zu lassen. Am besten warte ich damit, bis die anderen Schlafen, um ihnen keinen unnötigen Schrecken einzujagen.' dachte er und blieb stehen, als der Schmerz in seinem Arm kurz zunahm, nur um Sekunden später komplett zu verschwinden. Die Elfe und der Junge blieben ebenfalls stehen. „Ist etwas John-Vodhr?" fragte Alanna besorgt, während John den großen Rucksack abstellte. Beruhigend hob er die Hand und entgegnete tonlos: „Die Regeneration meines Arms ist soeben beendet worden, Elfe. Keno, setz dich bitte in das Tragegeschirr, damit ich dich festschnallen kann." Der junge Drachenreiter wirkte etwas verdutzt, vom Ton, den der Titan an den Tag legte, nickte aber gehorsam und tat wie ihm geheißen. Daraufhin sagte der Soldat kühl: „Linken Arm-Lock deaktivieren, Bestätigungscode: S-20-1-20-U-19-G-18-5-E-14."
Wie schon zuvor leuchtete ein grünes Bestätigungslämpchen in seinem HUD auf und ein Ruck ging durch den gesamten linken Arm, als der Atlas sämtliche Gelenke entriegelte und die Servomotoren reaktivierte. Testweise vollführte er eine Reihe von Bewegungen. Er ballte die Hand zur Faust, beugte mehrmals den Ellenbogen und drehte den Arm hin und her. Alles funktionierte einwandfrei, wenn man von den leicht ziehenden Schmerzen in seinen Muskeln absah.
„Unglaublich." flüsterte Alanna erstaunt, beließ es aus Respekt vor dem Titanen jedoch bei diesem einzelnen Kommentar. Dieser schnürte nun Keno fest an die Tragevorrichtung des Rucksacks, damit er nicht herausfallen konnte, während er sprintete. Danach wandte sich John an Feyth. „Du weißt, wie schnell ich laufe. Glaubst du, du kannst mir im Flug folgen?" meinte er mit der sanftesten Stimme die ihm möglich war. Das Drachenmädchen zwinkerte. *Für ein paar Stunden ja, aber dann muss ich mich ausruhen.* „Verstanden. Komm einfach herunter, sobald du nicht mehr kannst." Sie brummte zustimmend und stieß sich von seiner Schulter ab. Wenige Augenblicke später kreiste sie bereits hoch über ihren Köpfen. „Ich muss sagen, eure Fähigkeit im Bruchteil einer Sekunde euren Fokus zu verändern ist überaus faszinierend John-Vodhr. Sicher musstet ihr euch das durch jahrzehntelanges Training erarbeiten." merkte die Elfe höflich an und musterte den Soldaten eindringlich.
„Das ist wahr." erwiderte der Titan nüchtern. Es gab in diesem Moment keinen Grund für ihn, Alanna die Wahrheit zu sagen. Ohne weitere Zeit zu verlieren, schnallte er sich den Rucksack mit Keno im Sitz auf den Rücken und nahm Alanna, nach einem kurzen Protest, auf die Arme. Das Gesicht der Elfe lief unter der schwarzen Kohle zartrosa an, als sie meinte: „Ich habe euch doch bereits gezeigt, dass ich durchaus in der Lage bin, mit euch mitzuhalten, John-Vodhr." „Ich zweifle eure Fähigkeiten nicht an, Elfe, aber eure Ausdauer scheint, aus mir unersichtlichen Gründen, stark beeinträchtigt zu sein. Außerdem werde ich, in Anbetracht dessen, dass wir durch gewisse Umstände sehr viel Zeit verloren haben, das Tempo etwas anziehen." erklärte ernst und überprüfte noch einmal den Halt des Ranzen. Dann sprintete er los.
Er benötigte ein paar Sekunden, um vollständig zu beschleunigen und hinterließ eine regelrechte Staubwolke, während er dem Grasland entgegenrannte. Dadurch, dass er Alanna auf dem Arm und Keno auf dem Rücken trug, lief er zwar noch lange nicht so schnell wie üblich, doch ein Pferd hätte wohl trotzdem alt neben ihm ausgesehen, vor allem auf diesem losen Untergrund. Er konnte spüren, wie die Elfe ihren linken Arm um seinen Hals legte, ließ sie allerdings gewähren. Es ging keinerlei Gefahr von ihr aus. Die Meilen schmolzen unter seinen Stiefeln nur so dahin. Allmählich tauchte hin und wieder vereinzelte Strauchansammlungen inmitten der Sandebene auf bis er schließlich die Wüste hinter sich ließ und in ein, doch erstaunlich grünes, Übergangsgebiet kam. Zwangsweise schloss er das linke Auge, um von den extremen Eindrücken des Drachenauges nicht beeinflusst zu werden.
Nichtsdestotrotz war die Vegetationsdichte dieses Gebiets unnatürlich hoch, dafür dass es an eine Wüste angrenzte. 'Der Grundwasserspiegel muss wohl extrem hoch sein, damit ein solches Wachstum möglich ist. Die zahlreichen kleinen Bäche und Flüsse, die ich auf der Karte gesehen habe, tun ihr übriges dazu.' analysierte der Titan. Derweil passierte er ein winziges Laubwäldchen, dessen Blätter entweder bereits auf dem Boden lagen oder noch gelb-grünlich an den Zweigen der Bäume hingen.
'Der Herbst ist wohl schon weit fortgeschritten.'
Er folgte einem Trampelpfad ähnlichen Weg, auf dem er deutliche Spuren von Pferden und Kutschen erkennen konnte. Es musste eine unglaubliche Tortur für die armen Tiere sein, diese Wüste zu durchqueren, was wohl auch den kaputten Wagen am Ende des Gebirgspasses erklären würde. „Ah, es tut sehr gut, nicht mehr in dieser vermaledeiten Wüste zu sein." seufzte Alanna erleichtert, lockerte den improvisierten Turban auf ihrem Kopf, wodurch das lange blonde Haar über Johns Arm glitt und wischte sich die Holzkohle so gut es ging aus dem Gesicht. „Dem stimme ich zu." erwiderte der Soldat knapp. Er schenkte ihr keine große Beachtung, sondern hielt vielmehr nach einer festen Straße Ausschau, die eigentlich nicht weit entfernt sein konnte. 'Feyth? Siehst du von dort oben etwas, das nach einer Straße aussieht?' fragte er das Drachenmädchen in Gedanken. Feyth antwortete nicht sofort, was John dazu veranlasste kurz in den Himmel zu spähen. Dort schien jedoch alles in Ordnung zu sein, der kleine grüne Drache flog mit ruhigem Flügelschlag über ihm.
Einige Augenblicke später plopte ein Bild vor seinem inneren Auge auf, ein Blick auf die Landschaft, von ihrer Position aus. *Du läufst direkt darauf zu, John.* meinte sie fröhlich und lenkte seinen Aufmerksamkeit auf eine gepflasterte Straße, die noch ungefähr zwei Klicks entfernt lag. *Was sind Klicks?* 'Die militärische Bezeichnung für einen Kilometer. Danke für das Bild, Kleine.' erklärte er und sah in die Richtung, die Feyth ihm gezeigt hatte.
Tatsächlich konnte er dort etwas erkennen, das stark nach grob geschlagenen Pflastersteinen aussah und eine regelrechte Rinne in die üppige Vegetation schlug. Allein das Gras war knapp einen halben Meter hoch, von den zahlreichen Büschen und Bäumen ganz zu schweigen. Es wirkte wie der krasse Gegensatz zu der Wüste, die sie gerade erst hinter sich gelassen hatten. Während er weiterhin die Gegend musterte, spürte John, wie sich seine emotionale Seite wieder nach vorne drängte. Er dachte kurz darüber nach, dagegen zu halten, entschied sich dann aber dafür es geschehen zu lassen. 'Es lohnt sich nicht dagegen anzukämpfen. Ich habe uns bereits auf die Straße gebracht, meine andere Persönlichkeit, sollte den Rest ohne Probleme bewältigen können. Er ist ohnehin besser dafür geeignet mit Leuten zu sprechen.' sagte er sich und verspürte einen winzigen Stich im Herzen, als er daran dachte, wie kühl er mit der kleinen Feyth umgegangen war.
Sofort wich das ausdruckslose Gesicht einem sanften Lächeln. Sein Griff unter Alanna lockerte sich und er hob sie näher an die Brust, um ihr besseren Halt und Schutz zu bieten. „Ich weiß der Luftzug ist sehr unangenehm in den Augen, Alanna. Am besten ihr haltet euer Gesicht zu mir gedreht, oder schließt die Augen, denn sobald wir die Straße erreichen werde ich noch etwas schneller sein." meinte er und schirmte sie selbst etwas ab, indem er seine Hand unter ihren Kopf schob und so hielt, das die Luft größtenteils daran vorbeipfiff. Die Wangen der Elfen liefen rosa an, als sie erwiderte: „Habt Dank, John-Vodhr. Aber um ehrlich zu sein, genieße ich es ein wenig wieder einmal den Wind in meinem Gesicht zu spüren. Es – erinnert mich an vergangene Tage." Ihre Stimme stockte und sie wandte den Blick von ihm ab, die rechte Hand auf ihre Brust gelegt. John presste die Lippen fest aufeinander. Etwas schien der Elfe schwer zuzusetzen, das war offensichtlich. 'Vielleicht hat sie sich deshalb diesen Verbrechern angeschlossen, um ihre Schmerzen zu verdrängen?' überlegte er, entschloss aber sie nicht darauf anzusprechen.
Stattdessen fragte er laut: „Bei dir auch alles klar da hinten, Keno?" „Ja, etwas holprig, aber ansonsten alles okay." rief der Junge zur Antwort. „Gut. Dann halt dich fest, wenn wir gleich die Straße erreichen. Es wird noch holpriger." Er hatte den Satz kaum zu Ende gesprochen, da setzte sein rechter Fuß bereits auf die ersten Pflastersteine auf. 'Endlich!' seufzte er innerlich und setzte seinen Sprint weiter fort, mit dem Unterschied, dass er durch den steinharten Untergrund nun wesentlich mehr Grip unter den Stiefeln hatte. Der Kontrast war deutlich zu spüren. Endlich konnte er seinen kraftvollen Tritt vollständig in Geschwindigkeit umwandeln. Das Klackern, welches seine Füße auf dem harten Pflasterstein erzeugten, schallte laut durch die Gegend und würde selbst einem Menschen sein Näherkommen ankündigen.
„Äh – John?" hörte er plötzlich Keno rufen. „Was ist Keno? Stimmt etwas nicht?"
„Ähm, nein, aber du solltest Meister Eragon darum bitten eine Gruppe Straßenleger durch das Land zu schicken, sobald wir in Drakenfort sind."
„Wieso das?"
„Nun, du hinterlässt – Spuren."
Der Titan verlangsamte seinen Schritt etwas, drehte seinen Oberkörper halb nach hinten und sah, was der junge Drachenreiter meinte. Starke Vertiefungen prangten an den Stellen, an der seine Füße die gepflasterte Straße berührt hatten. Offenbar waren drei Tonnen, kurzfristig konzentriert auf eine kleine Fläche, zu viel für das Material. Er dreht sich wieder um und beschleunigte erneut. „Das werden ich wohl tun müssen, ja. Aber ich denke es ist wichtiger, das wir schnellstens in Drakenfort ankommen, als eine billige Straße. Es ist ja schließlich nicht so, dass sie komplett ruiniert ist." erwiderte der Soldat ernst. „Das stimmt." antwortete der Junge.
*Es ergibt ein schönes Muster von hier oben.* fügte Feyth neckisch hinzu. 'Du bist mir vielleicht eine.' entgegnete John amüsiert und schüttelte lächelnd den Kopf. 'Kannst du von dort oben sehen, ob jemand auf dem Weg vor uns ist?' Eine kurze Pause entstand zwischen ihnen, bis das Drachenmädchen meldete: *Ich kann niemanden sehen oder riechen.* 'In Ordnung, danke. Ich würde nur ungern einfache Passanten über den Haufen rennen.' entgegnete er und erhielt von ihr eine Art Glucksen als Antwort.
Die nächsten paar Stunden verliefen ohne weitere Zwischenfälle, von einem umgestürzten Baum, der die Straße blockierte und einer kleinen Brücke, die John übersprang, um sie nicht unnötig zu beschädigen, mal abgesehen. Immer wieder rief er sich die Karte in Erinnerung, damit er prüfen konnte, welche Abzweigungen er nehmen musste. Er versuchte dabei einen großen Bogen um Siedlungen zu machen und biss sich missmutig auf die Unterlippe, als er bemerkte, dass er an drei Städten nicht vorbeikam, da die Straße, der er folgen musste, mitten durch sie hindurchführte. Zwei von ihnen würde er schon am kommenden Tag erreichen. 'Es wird zwar wahrscheinlich Wege um die Stadt herum geben, aber ungesehen kommen wir nicht an ihnen vorbei. Hoffen wir einfach, dass die Bauern in den Außenbezirken uns keine Probleme bereiten.'
Der Titan war sosehr in seine Gedanken vertieft, dass er glatt eine wichtige Abzweigung übersah. Glücklicherweise passte Alanna auf. „Ihr solltet hier links abbiegen, John-Vodhr, ansonsten kommen wir auf direktem Weg zu Gardelheim." Gerade noch so bekam er die Kurve und seufzte erleichtert. „Vielen Dank, Alanna. Ihr habt uns gerade sehr viel Zeit gespart." „Nichts zu danken, John-Vodhr. Lasst es jedoch nicht zur Gewohnheit werden. Ich kann nicht auf alles achten." erwiderte sie lächelnd. Ihr langes, blondes Haar wallte nur so im strammen Luftstrom dahin und ihre grünen Augen verströmten pure Freundlichkeit. Selbst er musste in seinem Inneren zugeben, dass sie äußerst hübsch anzusehen war. Der Soldat vergrub diesen Gedanken sofort wieder und legte stattdessen fragend seinen Kopf schräg.
„Was bedeutet eigentlich dieses Vodhr?" wollte er wissen. „Es ist ein Zeichen meines Respekts euch gegenüber John. Es gibt dafür keine genaue Übersetzung in eure Sprache." antwortete die Elfe höflich. „Ich verstehe, also prinzipiell das Gleiche, wie wenn Keno euch Meisterin nennt, nur schwächer, vermute ich." „Ja, aber ich würde es nicht als schwächer bezeichnen, lediglich als anders." „Aha. Und womit genau, habe ich mir diesen Titel verdient? Wenn ich mich recht entsinne habt ihr ihn bereits kurz nach dem Gespräch mit Meister Eragon benutzt." „Ihr habt diesen Titel verdient, da ihr mich nach all dieser Zeit aus der Dunkelheit befreien werdet, John!" platzte es förmlich aus ihr heraus und wendete sich beschämt von ihm ab, so als ob sie ihm gerade eine Stinkbombe an die Stirn geworfen hätte. Verwirrt schüttelte John leicht den Kopf.
Dann erregte jedoch etwas weitaus Wichtigeres seine Aufmerksamkeit.
Feyth.
*Da kommt etwas auf euch zu, John. Sieht nach einer Kutsche und einigen Reitern aus.* meldete das kleine Drachenmädchen angespannt und fügte nach kurzer Pause hinzu: *Die Männer auf den Pferden tragen schwarz-rote Rüstungen und Waffen, pass bitte auf.* 'Ich sehe sie, danke Feyth. Was auch immer passiert, komm nicht herunter, verstanden?' erwiderte er ernst und kam langsam am Straßenrand zum Halten.
*Verstanden*
„Was ist los?" fragte Keno, während der Soldat Alanna herunterließ und sich mit verschränkten Armen hinstellte. „Wir bekommen Besuch, der Aufmachung nach wohl ein höheres Tier. Tu einfach so, als würdest du schlafen. Ich hoffe du hast dir noch nicht die Kohle aus dem Gesicht gewischt?" „Nein, wieso? Hätte ich?" „Nein, das ist gut. Zusammen mit dem Turban und der Kohle sollte es den Kerlen erheblich schwer fallen, dich zu erkennen." Er wandte sich wieder an Alanna. „Im Gegensatz zu euch. Naja, immerhin haben wir den Vorteil, dass sie euch immer noch für einen Drachenreiter halten sollten. Es sei denn, ihr habt irgendjemandem von eurer Mitgliedschaft in der Schwarzen Rose erzählt." Die Elfe schüttelte energisch den Kopf. „Nein, davon weiß niemand etwas. Und ich erkenne die Banner dort an der Kutsche. Der rote Baum auf schwarzem Hintergrund. Es ist das Zeichen von Lord Balvek, dem Statthalter von Gardelheim." meinte sie und richtete ihr verworrenes Haar so gut sie konnte. „Lord Balvek also? Werden wir Probleme mit ihm bekommen?" wollte John wissen und öffnete nach etlichen Stunden auch sein Drachenauge. Der rote Baum auf den Bannern sprang ihm sofort ins Auge. Zu seinem Unmut entgegnete Alanna: „Vielleicht. Er ist ein sehr herrischer Mensch, der Elfen und andere Nicht-Menschen als niedere Wesen betrachtet. Ich besitze zwar als Meister des Drachenreiterordens eine gewisse Autorität über ihn, doch das dürfte Balvek kaum davon abhalten mir zu zeigen, was er von meinem Volk hält."
Der Titan knirschte mit den Zähnen und knurrte dann: „Ihr werdet kein Wort an ihn richten und euch auch nicht verbeugen, überlasst mir das sprechen. Kapiert?" „Seid ihr sicher John-Vodhr?" „Absolut." Sie warf ihm musternden Blick zu, antwortete aber: „Wie ihr wünscht." *Was hast du vor John?* fragte Feyth leise, woraufhin der Colonel erwiderte: 'Das wirst du gleich sehen.' Danach wartete er mit nachwievor verschränkten Armen auf die Ankunft des Trosses. Es dauerte nur wenige Minuten, bis die Kutsche des Statthalters zusammen mit seiner Reitereskorte vor ihnen zum Stehen kam.
Der Mann an der Spitze der Gruppe, ein relativ junger Geselle mit wallendem schwarzen Haar und Stoppelbart, lies sein Pferd langsam näher an sie heran traben, bevor er anhielt und unhöflich raunzte: „Wer seid ihr Fremde?" Dabei versuchte er sich so groß wie möglich zu machen, doch es half trotzdem nichts. Johns Kopf befand sich immer noch auf gleicher Höhe wie sein eigener, trotz des relativ hochgewachsenen Reittiers. Ein Umstand, der dem Reiter nicht zu gefallen schien. Ohne auch nur eine Verbeugung oder dergleichen anzudeuten gab der Titan im gleichen Tonfall zurück: „Wer will das wissen, Bursche?" „Hütet eure Zunge Fremdling! Ihr sprecht mit Hauptmann Galvron, Anführer der persönlichen Leibgarde von Lord Balvek, Statthalter von Gardelheim! Und nun sprecht, bevor ich euch und eure elfische Freundin am nächstbesten Baum aufknüpfen lasse!" fauchte Galvron und spuckte dem Colonel vor die Füße.
„Ich zittere förmlich vor Angst, Hauptmann Galvron. Ich bin Colonel Miller, Titan 06 und meine Begleiterin ist niemand anderes, als Alanna Silberwind, Meisterin des Drachenreiterordens." entgegnete dieser mit respekteinfordernder Stimme und überging die Spuck-Beleidigung einfach. Anstatt Respekts erschien jedoch nur ein gehässiges Grinsen auf dem Gesicht des Hauptmanns. „Meisterin Alanna, die Drachenlose. Welch eine Ehre euch nach all den Jahren wiederzusehen." Alanna sah beschämt zu Boden. Eine einzelne Träne rann ihr über die Wange. Als John dies sah knurrte er dem Reiter zu: „Ihr bewegt euch auf dünnem Eis, Bursche! Noch ein falsches Wort und es könnte unter euch wegbrechen." „Ihr wagt es mir zu drohen, Fremdling?" rief Galvron erzürnt aus und war im Begriff sein Schwert zu ziehen, da erschallte eine gelangweilte Stimme aus der Kutsche.
„Galvron, was ist nun schon wieder los? Weshalb halten wir so lange?"
Ein aufgeschwollenes Gesicht mit dreifachem Doppelkinn und Augenringen die bis hinunter auf die Wangen reichten tauchte im Fenster des Gefährts auf und starrte mit eingesackten braunen Augen auf den Hauptmann. Dieser verneigte sich rasch und antwortete: „Es ist nur Meisterin Alanna mit ihrem dahergelaufenem Wachhund, Herr." Die Äuglein des Statthalters verengten sich noch weiter, falls dies überhaupt noch möglich war. „Meisterin Alanna, die Drachenlose. Welche eine Überraschung! Was führt euch durch meine bescheidenen Lande, Elfe?"
„Zumindest nicht die Suche nach Gastfreundschaft, Balvek." sagte John gefährlich leise und trat schützend vor Alanna, die immer noch starr zu Boden sah. „Wie könnt ihr es wagen? Zeigt gefälligst etwas Respekt, Fremdling, oder hat euer verwurmter Verstand immer noch nicht begriffen, mit wem ihr es zu tun habt?" fauchte Galvron wütend und zog nun endgültig seine Waffe, genauso wie die übrigen neun Männer der Leibgarde. „Oh, ich habe euch vorhin perfekt Verstanden Bursche. Steckt das Spielzeug weg, bevor ihr euch noch selbst verletzt." hielt der Titan dagegen. Bevor der Hauptmann allerdings etwas erwidern konnte, sprang Balvek dazwischen. „Euch fehlt es in der Tat am nötigen Respekt Fremder. Wer seid ihr überhaupt? Eurer Statur nach könnt ihr ja nur ein dreckiges Urgal-Halbblut sein, dessen Mutter von einem Kull vergewaltigt wurde."
Die gesamte Leibgarde lachte.
„Ich, ein Halbblut? Ich denke ihr solltet öfters einmal in den Spiegel schauen Balvek. Vielleicht kommt ihr dann einmal auf die Idee euren Vater zu fragen, wie viele Nächte er im Schweinestall verbringen musste, um euch in die Welt zu setzen." konterte der Colonel sarkastisch. Mit großer Genugtuung sah er mit an, wie sich die fette Schweineschnauze des Statthalters vor Wut verzog und er mit seiner piepsigen Stimme brüllte: „Wachen! Erschlagt dieses stinkende Halbblut auf der Stelle!"
„Mit Vergnügen, Herr!" meinte Galvron gehässig, woraufhin der Titan gespielt höflich entgegnete: „An deiner Stelle würde ich das lassen, Bursche."„Bursche? Bursche? Ich werde euch dieses Wort zusammen mit meinem Schwert in den Rachen stopfen!" geiferte der Hauptmann vor Zorn, während seine Augen aus ihren Höhlen zu springen schienen. Er holte mit seinem Schwertarm aus und ließ es zischend auf den Kopf des Colonels herab sausen.
Die Waffe erreichte jedoch nie ihr Ziel. Blitzschnell hatte John sie in vollem Schwung gefasst und hielt das Schwert nun an seiner Klinge fest, sodass Galvron es weder vor noch zurück bewegen konnte.
„Was für eine billige Waffe, lasst mich mal sehen." raunte er dem heißblütigem Mann zu und zog es mit einem einzigen Ruck aus seinen Fingern, wodurch der Hauptmann kopfüber vom Pferd plumpste. Die übrigen Soldaten starrten ihn fassungslos an, während der Titan das Schwert scheinbar musterte, dann die Klinge mit der linken und den Griff mit der rechten Hand packte und den gehärteten Stahl entzweibrach, als wäre es ein morscher Ast. Die beiden Bruchstücke warf er dem Reiter, der sich gerade auf die Knie kämpfte, vor die Füße.
„Nächstes Mal solltet ihr darauf hören, wenn ich sage, dass ihr das Spielzeug wegstecken sollt, Bursche." „Das – das war das Schwert meines Großvaters, was habt ihr getan?" stammelte der Hauptmann fassungslos. „Euer Großvater? Ja, der wäre sicher stolz, wenn er euch jetzt sehen und hören könnte, nicht wahr?" knurrte der Colonel und trat an den erstarrten Wachen vorbei zu Balveks Kutsche, wo sich der fette Statthalter ängstlich in die letzte Ecke verkrochen hatte. Gefährlich ruhig erklärte dem Feigling: „Oh, keine Sorge Balvek, ich werde euch nicht anrühren. Dafür ist mir meine Rüstung zu schade. Eure Kutsche hat da leider nicht so viel Glück. Seht es als Anfang für Abnehmprogramm, ihr dreckiges kleines Miststück."
Mit diesen Worten zertrümmerte er mit dem Fuß Vorder- und Hinterrad der ihm zugewandten Seite und zerbrach zusätzlich noch die Achse, mit der die vier Pferde geführt wurden. Danach drehte er sich zu Alanna um, die ihn mit großen Augen ansah. „Ich denke es wird Zeit, dieses Drecksloch zu verlassen, Herrin." schlug er höflich vor und deutete mit einer kleinen Verbeugung am Tross des Statthalters vorbei. Die Elfe nickte stumm und ließ sich von ihm davonführen. Einige Meter weiter, hob John sie wieder auf die Arme und rannte los.
„John – ich – also –." rang Alanna um Worte, nachdem der Titan schon mehr als eine Meile zwischen sie und Balvek gebracht hatte. „Das war unglaublich, John! Ich konnte das meiste zwar nur mithören, aber diesem fetten Adligen dermaßen vor den Kopf zu stoßen, ohne ihn körperlich anzugreifen. Einfach Wahnsinn!" rief Keno stürmisch von seiner hinten liegenden Position aus.
„Ja, ich denke, der Junge bringt es so ziemlich auf den Punkt, John-Vodhr. Vielen Dank." stimmte die Elfe zu und lächelte glücklich. „Nicht der Rede wert. Solch arroganten Lackaffen biete ich gerne die Stirn." erwiderte der Soldat ruhig und machte große Augen, als Alanna sich zu seinem Helm hochbeugte und ihm auf den Visor küsste.
„Ihr wisst gar nicht, wie viel mir das bedeutet." meinte sie gerade laut genug, dass er ihre Stimme durch den starken Luftzug hindurch verstehen konnte. „Keine Ursache." antwortete er und spürte, wie sein Herz einen kleinen Hüpfer machte.
Wenige Augenblicke später meldete sich Feyth zu Wort: *Dem widerwärtigem Kerl hast du es aber ganz schön gezeigt!*
'Ich konnte solche Typen noch nie ausstehen.'
*Nur noch ein Grund mehr, weswegen ich dich so liebhabe!*
Er konnte ihr amüsiertes Brummen in seinem Kopf vernehmen.
*Nur glaube ich, dass du diese Stadt jetzt für die nächsten paar Jahre meiden solltest. Balvek wird ziemlich sauer auf dich sein.*
'Wie schrecklich...'
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[Eragon Fan-Fiction] Der Titan und die Drachenreiter
أدب الهواةDer Soldat John Miller findet sich nach einem schrecklichem Unfall an den Ufern eines ihm unbekannten Landes wieder. Schon sehr bald wird ihm bewusst, dass er sich nicht mehr in seiner eigenen Welt befindet. So also macht er sich auf den Weg, die Dr...