Mit allerhöchster Konzentration langte Alina mit der Pinzette nach einem weiteren Stück der zerbrochenen Rippen. Shads Aufprall auf dem Boden, hatte acht seiner Rippen vollständig gebrochen und in mehrere Dutzend Splitter zerbrochen, die sich in die Lunge und das umliegende Gewebe gebohrt hatten. Zusätzlich hatten sich zwei der Rippen in den rechten Lungenflügel gespießt und ihn vollständig kollabieren lassen und auch der Linke hatte mehrere Knochensplitter abbekommen. Selbst mit ihrer Erfahrung und der Technik, die ihnen zur Verfügung stand, war die Lunge nicht mehr zu retten, weshalb Kensac Mark angewiesen hatte eine künstliche Lunge mit Hilfe von Aidan und dem medizinischen 3-D-Drucker herzustellen, während sie zusammen mit Emily alles für die Transplantation vorbereiteten. Sie hatten bereits den Großteil der Knochensplitter aus dem umliegenden Muskelgewebe entfernt, allerdings noch längst nicht alle. Insofern war es sogar vorteilhaft, dass sie die Lunge ersetzten, ansonsten hätten sie selbstverständlich die Splitter, welche in den Lungenflügeln steckten zuerst herausoperieren müssen.
Präzise wie eine Maschine packte die Ärztin das daumengroße Stück Knochen, dass sich gefährlich nahe der Lungenschlagader ins Fleisch gebohrt hatte. 'Zwei Fingerbreit weiter rechts und er wäre binnen weniger Minuten tot gewesen.' dachte sie sich, zog den Rippensplitter vorsichtig heraus und legte ihn mit einem leisen Klonk auf das Tablett, welches ihr Angela freundlicherweise entgegenhielt. Die Kräuterhexe hatte sich ohne murren dazu bereit erklärt ihr die Ablage zu halten und gegebenenfalls bestimmte Instrumente anzureichen. So stand sie also mit Mundschutz, Handschuhen und Haarnetz links neben Alina, in der einen Hand ein Tablett mit den Knochensplittern und blutigen Wattebällchen haltend, während sie in der anderen einen frischen Tupfer bereithielt.
„Ich habe rechts fast alle Knochensplitter im Gewebe entfernt, wie sieht es bei dir aus?" fragte Emily sie, woraufhin Kensac einen kurzen Blick nach rechts tat, wo sie ihre Schwester knien sah. Auch sie hatte eine Pinzette in der Hand, womit sie momentan in der Nähe des Bauchraums hantierte, wohin sich einige der Splitter offenbar verabschiedet hatten. „Wenn ich es richtig sehe, sitzen hier noch vier Splitter im Fleisch, zwei in Richtung Speise- und Luftröhre, einer in der Nähe dieser speziellen Drüse und einer in Richtung des Bauchraums. Schau am besten, ob du ihn von deiner Position aus erreichst, er sollte laut Aidans Scan circa zehn Zentimeter unterhalb des 16. Rippenpaares auf der rechten Seite sitzen." antwortete die Ärztin und Smith ließ ihr HUD-Lämpchen grün aufblinken. „Ja, ich sehe ihn. Kümmere du dich um die Oberen, ich übernehme den hier unten." „Sehr gut."
Noch während ihrer kleinen Unterhaltung, hatte Alina sich bereits daran gemacht die Knochenstücke nahe der Luft- und der Speiseröhre freizulegen. Dafür musste sie sich relativ weit in den aufgeschnittenen Brustkorb hinein lehnen und den Bereich mit ihren Helmlampen ausleuchten. Glücklicherweise waren die Splitter nicht schwer zu finden, ihre weiße Farbe stach kräftig aus dem übrigen rot hervor und wenige Minuten später lagen beide Stücke blutbesprenkelt auf Angelas Tablett. „Tupfer bitte." verlangte Kensac angestrengt. Die Kräuterhexe kam der Aufforderung sofort nach und überreichte ich die Zange mit dem frischen Wattebausch. Dankend nahm die Ärztin den Tupfer entgegen und sog damit sorgfältig alles überschüssige Blut auf, welches sich an den beiden Eintrittsstellen der Knochensplitter gebildet hatte.
Die Watte war vom Werk aus mit einem blutungsstillenden Stoff imprägniert, weshalb sie sich keine Gedanken darum machen musste, dass die Wunde groß weiterblutete.
So also reichte sie den nun schmutzigen Tupfer zurück und widmete sie sich ohne Umschweife dem letzten Knochensplitter, der in der Brustwand zu ihrer Linken, wenige Zentimeter unterhalb dem Beginn einer großen, schlauchartigen Drüse steckte. Die Drüse war ungefähr so geformt wie Gurke, nur weitaus größer und länger, von Muskeln umgeben und prall gefüllt mit einer Flüssigkeit, die Aidan nur vage als 'zähflüssig' bezeichnet hatte. Ihr Ende konnte die Titanin nicht erkennen. 'Vermutlich ist das ihre Drüse mit deren Hilfe sie Feuerspeien können. Wenn das stimmt mündet sie sehr wahrscheinlich im Rachen, wo die Flüssigkeit dann in den Atem gespritzt wird. Wäre sicherlich interessant diese Substanz zu untersuchen.' dachte sich die Ärztin und nahm sich vor noch eine kleine Probe zu entnehmen, ehe sie die Brust wieder verschlossen.
Nun aber widmete sie sich wieder ihrer eigentlichen Aufgabe.
Der Knochensplitter, den sie aus dem Gewebe entfernen musste, war recht groß, fast einen halben Unterarm lang und steckte dermaßen tief im Fleisch, dass Alina sich wunderte, weshalb er nicht von außen sichtbar gewesen war. 'Die Schuppen müssen ihn am Ausdringen gehindert haben.' vermutete sie stark, verschwendete jedoch keine weiteren Gedanken daran, es war unwichtig. Stattdessen umfasste sie das Ende des Rippenstücks mit der rechten Hand und zog es mit einem ekelhaften Schmatzen aus dem Fleisch. Sofort quoll eine nicht unerhebliche Menge Blut aus dem entstandenen Loch und eilig griff die Titanin nach einem frischen Wattebausch, ohne vorher Angela darum zu bitten. Sorgsam achtete sie darauf die gesamte Wunde mit der imprägnierten Watte abzutupfen und legte dann, etwas erleichtert, den Knochensplitter mitsamt dem blutigen Tupfer zu den anderen aufs Tablett.
Das Gröbste war erst mal erledigt, doch zu sehr entspannen durfte sie sich nicht, denn das Wichtigste und Aufwendigste stand erst noch bevor. Auch Emily stand aus ihrer knienden Haltung auf, legte ihren Tupfer und das letzte Knochenstück zu Sarah aufs Tablett und besah sich, ebenso wie Alina, den von den Spreizern offengehaltenen Brustkorb vor ihr noch einmal genauer.
Es sah wirklich schlimm aus.
Die jeweils linke Rippe des dritten bis hin zum zehnten Rippenpaar fehlte, beziehungsweise war gebrochen und ihre Überreste steckten nun einerseits in den beiden Lungenflügeln beziehungsweise lagen auf den blutgetränkten Tabletts. Wie durch ein Wunder hatte das Brustbein den Aufprall einigermaßen unbeschadet überstanden, lediglich der Knorpel hatte einiges abbekommen. Von der Lunge selbst einmal abgesehen, die ohnehin vollkommen gequetscht, eingefallen und zerschlitzt war. Blut tropfte von dem zerfetzten Organ auf den abgedeckten Boden zu den Füßen der beiden Titaninnen.
„Er hatte unglaubliches Glück, dass sich keine der Rippen durch die Lunge hindurch in sein Herz gebohrt hat." bemerkte Emily leise und Kensac stimmte ihr nickend zu. „Das muss echt ein Wurf kosmischer Würfel gewesen sein, dass er sich nur die linke Seite der Rippenpaare gebrochen hat." Dann öffnete sie einen Funkkanal zu Mark. „Wie sieht es mit dem 'Luftsieb' und dem Rippenersatz aus Mark? Wir wären jetzt soweit den restlichen, intakten Brustkorb für die Transplantation zu entfernen." wollte sie leicht drängend vom Ingenieur wissen, der ihr mit angestrengter Stimme antwortete: „Ja, ja. Hat leider ein paar Minuten gedauert, bis der Drucker die Teile ausgespuckt hat und ich Aidans Anleitung verstanden hab. Wir lassen es gerade einen Testlauf durchgehen, um zu überprüfen ob wir alles richtig gemacht haben. Die Ersatzrippen kann ich dir noch gleich im Hangar zurechtschneiden, wenn du das mit der Lunge sofort machen willst, die Rohteile hat die Maschine bereits ausgespuckt."
„Es wäre ohnehin besser wenn du direkt siehst, welche Form sie haben sollen. Gut, wie lange braucht der Testlauf noch?" entgegnete die Ärztin. Anstatt Duncans Stimme meldete sich Aidan zu Wort, der Zugriff auf jede einzelne Funkfrequenz hatte. „Der Testlauf wird in drei Minuten und 26 Sekunden abgeschlossen sein, Major. Resultat ist bisher positiv." „Ausgezeichnet, Aidan. Dann bringt alles so schnell es geht in den Hangar, wir bereiten schon mal alles vor." erwiderte Alina zufrieden. „Roger." kam von Mark zurück, ehe er die Verbindung wieder unterbrach. Auch Kensac verlor keine Zeit, sondern wandte sich direkt an ihre Schwester, die schon erwartungsvoll den Blick auf sie gerichtet hatte. „Alles klar. Mark kommt in ein paar Minuten mit dem 'Luftsieb' her. Wir legen jetzt schon mal die Lunge frei und klemmen sowohl die beiden Lungenarterien und Lungenvenen ab. Sobald Mark da ist, schneiden wir sie heraus und setzten das 'Luftsieb' ein." erklärte sie rasch, woraufhin Smith zustimmend nickte.
„Dann müssen wir nur hoffen, dass Aidans Abmessungen korrekt waren, ansonsten werden wir ernsthafte Probleme bekommen, wenn wir die Gefäße mit dem Apparat verbinden." meinte sie und langte auf das zweite Tablett, das Sarah in der anderen Hand hielt. Darauf befanden sich allerhand chirurgischer Geräte, wie zum Beispiel das Diamantskalpell, der Schweißer und die Knochensäge. Und genau diese nahm sie in die Hand.
Es war eine recht simpel gehaltene Maschine. Am vorderen Ende befand sich das kreisrunde Diamantsägeblatt von der Größe einer Mandarine und das Ende bestand aus einem matt-metallischem Zylinder, in dem der Motor und der Hochleistungsakku untergebracht waren. Ein einfacher An/Aus-Schalter vervollständigte es.
„Ihr könnt das Tablett nun beiseite Stellen Angela. Wir werden nun den restlichen Thorax abtrennen, um an die Lunge zu gelangen. Es wär gut, wenn ihr euch zusammen mit Sarah so hinstellen könnten, dass ihr den abgetrennten Thorax vorsichtig in Empfang nehmen könnt, um ihn nicht zu beschädigen." erklärte Alina der Kräuterheilerin welche sie mit großen Augen ansah. „Ihr habt vor seine Lunge herauszuschneiden? Ich habe ja bereits vielerlei verrückter Heilmethoden gesehen, aber das ist wirklich bekloppt. Er wird sterben, wenn ihr das tut!" widersprach Angela kopfschüttelnd und legte ihre Stirn in Falten. Etwas genervt rollte die Ärztin mit den Augen und erwiderte angestrengt ruhig: „Wir nehmen sie zwar heraus, Angela, aber wir ersetzten sie ja nur mit einer voll funktionstüchtigen Lunge. Wir können auch anderweitig verfahren, aber nur, wenn ihr wisst, wie man eine dermaßen zerstörte Lunge mit Magie heilen kann."
„Nun – nein, aber sie einfach herauszureißen kann doch nicht das richtige sein." entgegnete die Kräuterhexe nach wie vor skeptisch und besah sich den offen daliegenden Brustkorb noch einmal genauer. „Ihr müsst uns einfach vertrauen, Angela. Seine Lunge zu ersetzten ist die einzige Überlebenschance die Shad hat. Wir entfernen ja nicht einfach seine Lunge, sondern fügen einen passenden Ersatz stattdessen ein. Er wird den Unterschied praktisch nicht merken, im Gegenteil, ihm wird es sogar besser gehen als davor!" versuchte Emily die Sache etwas zu verdeutlichen, wobei es jedoch nicht unbedingt half, dass sie dabei mit der Knochensäge in der Hand gestikulierte.
„Ihr meint es also wirklich ernst. Aber – wie wollt ihr seinen Brustkorb danach wieder befestigen, mal angenommen, dass ihr es wirklich vermögt ihm eine neue Lunge einzusetzen, was ich an sich schon für absurd halte?" hielt Angela weiter dagegen, was Smith deutlich hörbar aufseufzen ließ. „Hören sie Ma'am, wir haben keine Wahl. Wenn wir die Transplantation nicht durchführen wäre das sein Todesurteil, denn mit dieser Lunge wird er nie wieder selbstständig atmen können. Also, entweder sie vertrauen uns und tun was ich sage, oder aber sie stoßen ihm selbst mit einem Messer ins Herz und ersparen Shad so einen qualvollen Erstickungstod. Ihre Wahl." sagte Alina todernst und bedeutete ihrer Schwester mit den Vorbereitungen fortzufahren, da Mark schon in wenigen Minuten auftauchen würde.
Erleichtert bemerkte sie, dass ihre Worte scheinbar die richtige Wirkung erzielt hatten, denn die Kräuterhexe schluckte schwer, schloss für einen kurzen Moment die Augen und nickte dann langsam. „So sehr es meinem Verstand zuwider ist: Ich vertraue euch. Also was soll ich tun?" „Danke. Es ist ganz simpel, stellt euch einfach hier her und umfasst vorsichtig die unterste Rippe und die daneben. Emily wird jetzt gleich die restlichen Rippen bis hin zum 16. Paar an einer bestimmen Kante entlang zersägen, sodass wir den Thorax so wie er ist herausheben können. Stellt es euch am besten vor wie der Deckel zu einer Kiste. Sarah wird die andere Seite übernehmen und ich und Emily werden das obere Ende anpacken. Aber ich muss euch warnen, es ist kein schönes Geräusch, wenn die Säge durch Knochen schneidet. Haltet euch am besten die Ohren zu, bis ich sage, dass ihr zulangen müsst." erklärte die Titanin präzise und zeigte ihr, wo sie hin zustehen hatte. „Wie eine Kiste, in Ordnung." murmelte Angela mehr zu sich selbst, als zu der Soldatin und stellte sich an die gewünschte Position.
„Gut, Sarah? Du weißt was du zu tun hast. Wenn Emily die Rippen durchtrennt hat, tragen wir den Thorax rüber zur Ablage." vergewisserte sich Kensac woraufhin Sarah zustimmend den Kopf neigte. „Ja." „Sehr gut. Dann kannst du loslegen Emily." „In Ordnung." meinte Smith ebenfalls nickend, schaltete die Knochensäge ein und setzte sie vorsichtig knapp an der Mitte der ersten Rippe des linken Brustkorbs an. Ein lautes, kreischendes Geräusch setzte ein, als das Sägeblatt anfing sich in die dicke Drachenrippe zu fräsen. Instinktiv verzog Alina das Gesicht. Sie hatte dieses Geräusch zwar schon tausendfach gehört, doch das minderte das unwohle Gefühl trotzdem nicht. Ein Blick nach unten verriet ihr, dass es der Kräuterheilerin nicht anders erging, obwohl diese sich sogar die Ohren zuhielt. Emily hingegen ließ sich nichts anmerken.
Mit äußerster Präzision durchtrennte sie den Knochen, wofür sie nur knappe zwanzig Sekunden benötigte und ging sofort zum nächsten über. Gleichzeitig griff Sarah mit der rechten Hand bereits vorsichtig die abgetrennte Rippe, um das ganze etwas zu stabilisieren. Dabei war es äußerst hilfreich, dass die Feldärztin zu den kleinsten Titanen gehörte. Kurze Zeit später kam sie zu dem Abschnitt der abgebrochenen Rippen, den sie großzügig übersprang. Die noch vorhandenen Reststummel der zerstörten Knochen würden sie bearbeiten, wenn sie den Brustkorb wieder schlossen. So arbeitete sich Smith immer weiter nach unten, durchtrennte Rippe um Rippe, bis sie schließlich am 16. Paar ankam, welches den Übergang zu den Rippen im Bauchbereich markierte, denn wie fast alle Kriechtiere besaßen auch Drachen bis tief in den Bauchraum hinein weitere Rippenpaare die mit den Rückenwirbeln verwachsen waren. Für ihren Eingriff mussten sie jedoch nur den Brustkasten öffnen.
Am Übergang also angekommen überreichte Emily die Knochensäge an Alina und packte eine der untersten Rippen, um Parker dabei zu helfen die ganze Sache einigermaßen stabil zu halten. Dazu legte sie zusätzlich noch die linke Hand flach auf das Sternum, welches schon gefährlich gewackelt hatte. Kensac nahm das Gerät dankbar entgegen und begann ihrerseits die rechten Rippen zu durchtrennen. Sie benötigte weitaus länger, als ihre Schwester, da auf der rechten Brustkorbseite keine der Rippen fehlte. Auch musste sie insgesamt etwas vorsichtiger vorgehen, da sie logischerweise davon ausging, dass Angela bei weitem nicht so viel tragen konnte wie ein Titan. Daher wieß sie Sarah an mit der linken Hand die oberste, rechte Rippen festzuhalten, während sie die anderen durchtrennte.
„Angela, passt jetzt gut auf, dass ihr sie richtig anpackt." meinte Alina angespannt zu der Kräuterhexe, die ebenfalls angestrengt nickte und mit beiden Händen fest die 16. Rippe umfasste. Sorgfältig überprüfte auch Kensac ihren Griff um das Brustbein, bevor sie schließlich die letzte Rippe durchtrennte. Jetzt musste alles schnell gehen. Eiligst schaltete sie die Knochensäge ab, steckte sie an ihren Multifunktionsgürtel und packte mit der nun freien Hand eine der unteren Rippen. „Und raus!" kommandierte sie zackig und mit einem gemeinsamen Ruck löste sich der gesamte knöcherne Thorax aus Shads Brust. „Dort, auf die Ablage!" wies Alina die anderen an und gemeinsam bugsierten sie den, doch recht großen, Komplex hinüber zu der sterilen Ablage, welche die Ärztin gemeint hatte. Das Gebilde war nicht so schwer, wie es aussah, vielleicht gerade einmal etwas über 100 Kilo, aber dadurch, dass der Knorpel um das Brustbein herum stark beschädigt war, äußerst instabil. Daher war sie umso erleichterter, als sie den Brustkorb endlich, vorsichtig, ablegen konnten.
„Perfekt. Jetzt können wir schon einmal die Blutgefäße abklemmen, bis Mark – " fuhr Kensac schematisch fort, unterbrach sich aber selbst, als Mark und Aidan mit zwei vollbeladenen Repulsor-Lastkarren den Hangar betraten und wenige Meter neben Shad zum stehen kamen. Die Wagen nutzten dabei im Grunde die gleiche Technologie wie die Trage auf der Shad lag, nur erzeugten sie kein Stasisfeld, sondern besaßen eine große Ladefläche aus Metall. „Sorry, hat doch fünf Minuten länger gedauert als ich hoffte, aber Aidan meinte, es wäre das beste, denn Drucker direkt mitzubringen, falls es Probleme gibt." erklärte der Ingenieur kurz angebunden und deutete auf die große metallische Maschine, welche auf dem zweiten Karren stand.
Der Apparat war knapp vier Meter hoch, vier Meter lang und drei Meter breit, komplett in mattem Grau gehalten und besaß eine Schalttafel im letzten hinteren Drittel. Der Großteil der ihnen zugewandten Seite wurde von einer versiegelten Tür ausgefüllt unter der es zwei Lampen gab, eine für Rot und eine für Grün. Die Ärztin nickte zufrieden. „Da hat er vermutlich recht, wer weiß, was und wie genau wir noch etwas brauchen werden. Das 'Luftsieb' habt ihr auch dabei, gut. Ich habe zwar noch nie eines in dieser Größe gesehen, aber solange es seinen Zweck erfüllt passt das."
„Der Testlauf verlief ohne Probleme, Miss Kensac. Die künstliche Lunge ist zu 100 Prozent einsatzbereit und wird die Effektivität der Atmung des Drachens um mehr als 300 Prozent steigern bei einem Volumenzuwachs von gerade einmal 30 Prozent." bemerkte Aidan analytisch und schwebte blau leuchtend von Marks Schulter hinüber zu Alina, die ihn skeptisch ansah. „Du hast sie doch nicht etwa größer gemacht, als Shads eigene Lunge?" hakte sie misstrauisch nach, doch zu ihrer Erleichterung verneinte die KI. „Mitnichten, Major. Das 'Luftsieb' wie sie es nennen, ist sogar um 0,87 Prozent kleiner. Ich hoffe das ist kein Problem?" „Nein, alles gut Aidan, das ist perfekt." erwiderte die Titanin und warf einen musternden Blick auf das angesprochene 'Luftsieb', welches zusammen mit einigem anderen Sachen auf dem ersten Lastkarren lag.
Es waren zwei halbmondanmutende Gebilde von bläulicher Farbe die durch Zwischenstreben aus einem schwarzen Material miteinander verkoppelt waren. Die Oberfläche wirkte von außen her gesehen matt und rau, fast schon schwammartig, doch Alina wusste, dass sie aus einem mit Graphen verstärkten Kunststoff bestand und sie somit vor fast jeglicher Außeneinwirkung wie gebrochenen Rippen und sogar kleineren Schusswaffen geschützt war. Nicht einmal ihr spezielles Kampfmesser konnte diese Außenhaut durchdringen.
Jeweils eine runde Hohlstrebe ragte oben aus beiden Hälften und lief in eine einzelne, größere Röhre zusammen. Das war Schnittstelle mit der Luftröhre. Zusätzlich ragte ein isoliertes, dünnes Kabel ebenfalls aus beiden Hälften, mit deren Hilfe das 'Luftsieb' an das Nervensystem angeschlossen werden musste. Außerdem gab es an beiden Hälften jeweils zwei kurze, schlauchartige Verbindung, eine am oberen und eine am unteren Ende, die mit den jeweiligen Blutgefäßen verbunden wurden.
Vollendet wurde das Ganze von jeweils sechs Streben aus einem stabilen und doch leicht elastischen Kunststoff, die an den Seiten der beiden Flügel saßen und mit denen das 'Luftsieb' nachher an den Rippen befestigt wurde, um es im Brustkorb zu stabilisieren.
Gemeinsam mit dem Ingenieur, Aidan, Emily, Sarah und Angela trat Kensac hinüber zum Wagen und betrachtete die künstliche Lunge noch einmal genauer. „Ziemlich beeindruckend. So schnell wird dem Kerl damit nicht mehr die Puste ausgehen." stellte Parker beeindruckt pfeifend fest und auch die Kräuterhexe machte große Augen. „Das ist also was ihr als Ersatz nehmen wollt? Was für ein Material ist das? So etwas habe ich noch nie gesehen." wollte die kleinwüchsige Frau wissen, während sie vorsichtig die Hand auf eine der beiden Hälften legte, welche fast größer als sie selbst.
„Die Außenhaut des 'Luftsiebs' besteht aus ultrahochmolekularem Polyethylen, welches mit Graphen verstärkt wurde und somit gegen fast jegliche Außeneinwirkung geschützt ist. Es ist kugelsicher bis zu einem Kaliber von 12,7 Millimeter, hält sämtlichen Hieb- und Stichwaffen stand und widersteht einem hydrostatischen Druck von bis zu 685 bar ohne Hilfsmittel." beantwortete Aidan ihre Frage in seiner gewohnten Art, was Angela jedoch nur weiter verwirrte. „Poly – was? Graphen? Davon habe ich noch nie gehört." „Entschuldigt, Angela, aber das jetzt alles zu erklären, würde zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Und eines der Dinge die wir gerade nicht in Massen haben ist Zeit. Emily? Du kümmerst dich darum, dass das 'Luftsieb' einsatzbereit ist. Angela, ihr könnt ihr dabei assistieren. Sarah, du kommst mit mir, wir entfernen Shads zerstörte Lunge. Und Mark, dort drüben liegt Shads Thorax, du kannst in der Zwischenzeit den Rippenersatz zurechtschleifen." unterbrach Kensac die Kräuterhexe ernst und gestikulierte auf die jeweils genannten Dinge.
„Natürlich." entgegnete Emily nickend und blieb zusammen mit Angela zurück beim 'Luftsieb', während die anderen zurück zu Shad eilten, wobei Mark und Aidan auf halbem Weg in Richtung der Ablage abbogen. „Gut. Lass mich schnell die Blutgefäße abklemmen, danach durchtrennen wir sie, die Nerven und die Luftröhre. Anschließend löse ich die Lunge vorsichtig heraus und wir heben sie dort drüben hin." erklärte Alina ihrer Schwester eindringlich, die zustimmend nickte und erneut das Operationstablett in die Hand nahm, auf dem sich alles befand, was die Ärztin für die nächsten Schritte benötigen würde. Das Diamantskalpell, mehrere medizinische Klemmen und einige saubere Tupfer. Ohne groß zu zögern griff Kensac sich das Diamantskalpell, zwei Klemmen und legte mit wenigen, vorsichtigen Handgriffen zunächst die Lungenarterien frei.
Da Shad nicht gerade klein war, hatten auch die Blutgefäße eine dementsprechende Größe. 'Da könnte ich locker vier von meinen Daumen unterbringen.' dachte sie einigermaßen beeindruckt und war gezwungen ihre beiden Klemmen an einer einzigen der beiden Arterien zu nutzen, um sie vollständig zu verschließen. Also griff sie nach zwei weiteren Klemmen, um das zweite Blutgefäß ebenfalls abklemmen zu können. Sie war nicht wirklich zufrieden, damit, wie nun vier der Klemmen in der Brust des Drachens herumhingen, aber in Anbetracht der Umstände ging es einfach nicht anders. Die beiden Lungenvenen klemmte sie mit der gleichen Methode ab, sodass nun insgesamt acht der metallischen Instrumente an den Blutgefäßen hingen, wie Kugeln am Weihnachtsbaum. Zusammen mit der aufgespießten und kollabierten Lunge ergab das ein recht makabres Bild.
Die Ärztin hielt sich jedoch nicht lange damit auf, sondern zückte nun das Skalpell, um die Gefäße zu durchtrennen. Mit äußerster Präzision zog sie die ultrascharfe Diamantklinge durch die dicken Blutgefäße, zuerst die Arterien, danach die Venen. Blitzschnell legte das Skalpell wieder auf das Tablett, griff sich einen Tupfer und bearbeitete damit die Gefäßreste, die noch mit der Lunge verbunden waren. Die anderen, die in Richtung Herz führten, rührte sie nicht an, da erstens ohnehin kein Blut austrat und sie zweitens für den Anschluss an das 'Luftsieb' gedacht waren. Gestocktes Blut wäre also an ihnen eher hinderlich, als nützlich gewesen. „Soweit, so gut." murmelte Alina angespannt und griff erneut nach dem blutbenetzten Diamantskalpell.
Die Luftröhre war ihr nächstes Ziel.
Im Kopf überlegte sie schnell, wie viel der Luftröhre sie überstehen lassen musste, um sie sicher mit der künstlichen Lunge verbinden zu können. Nach einigem hin und her, entschied sie sich schließlich dafür die Röhre so knapp wie möglich über der Lunge zu kappen. 'Wegschneiden kann ich immer noch nachher.' sagte sie sich, zog in Gedanken eine klare Schnittkannte entlang. An Sarah gewandt meinte sie: „Leg das Tablett weg und halt dich bereit, es kann sein, dass sich die Lunge bereits durch ihr Eigengewicht losreißt." „Alles klar." erwiderte die Titanin ernst und tat wie ihr geheißen. Kensac wartete noch, bis Parker in Position stand, erst dann begann sie damit die Luftröhre zu durchtrennen.
Wie eine Maschine Schnitt sie eine fast perfekt ebene Linie durch die knorpelige Röhre, welche groß genug war, um ihren gesamte Faust hineinzustecken und trotzdem noch einige Zentimeter Platz zu haben. Dann passierte alles sehr schnell. Wie sie vorherprophezeit hatte begann die gesamte Lunge, begleitet von einem schmatzend, reißenden Geräusch , nach vorne zu kippen. Sarah packte kräftig zu, verwenden würden sie das Organ ohnehin nicht mehr, und wuchtete das fast eine Tonne wiegende Gebilde aus dem Brustkorb. Dabei klatschte es ihr direkt auf den Visor und verschmierte das Panzerglas mit allerhand Körperflüssigkeiten. „Leg sie einfach dort drüben hin!" wies Alina ihre Schwester an und deutete auf einen leeren Fleck etwas abseits im Hangar, während sie selbst das Skalpell wegräumte und hinüber zu Emily und Angela eilte.
Die Feldärztin war gerade dabei mit einer kleinen Feile, die Mark offensichtlich auf dem Lastkarren hatte liegen lassen, die Ränder der verschiedenen Zugänge abzurunden, um die Luftröhre und die Blutgefäße beim Einsetzen nicht zu stark zu beschädigen. „Wie sieht es aus?" fragte Alina. „Eigentlich ganz gut. Mark hat, wie eigentlich immer, extrem sauber gearbeitet. Ich musste lediglich die Kanten etwas glätten." antwortete Emily kurzangebunden, legte die Feile wieder beiseite und sprang vom Lastkarren herunter. „Emily hier war so freundlich mir grob zu erklären was genau Aidan gemeint hat. Stimmt es also wirklich, dass er sich nie wieder derartig verletzten kann?" setzte Angela hinzu und sah die beiden Ärztinnen mit hochgezogener Augenbraue an. Kensac schüttelte den Kopf. „Nur in gewisser Weise. Seine Lunge wird von jetzt an vor einer derartigen Verletzung geschützt sein, ja und auch falls es passieren sollte, dass ihm jemand einen Speer oder einen Pfeil durch die Brust jagt, wird dieses Ding hier sie abfangen. Stellt es euch einfach vor wie eine dicke Stahlplatte, die von jetzt an in seiner Brust sitzt, nur dass das 'Luftsieb' weitaus leichter und stabiler ist, als Stahl." „Ah ich verstehe. Es ist im Grunde so, als hättet ihr seine Lunge mit einer Rüstung versehen, oder?" „Wenn man es ganz einfach ausdrücken will, ja." stimmte die Titanin innerlich seufzend zu und winkte dann Micheal und Robert zu, die neben Amanda standen und zu ihnen herüber blickten.
Sofort setzten sich beide in Bewegung und rannten zu ihnen. „Was ist? Wie sieht es aus? Brauchst du unsere Hilfe?" fragte der Admiral angespannt, woraufhin Alina bestätigend nickte. „Bisher läuft es ganz gut und ja, wir brauchen eure Hilfe. Ihr beide müsst das 'Luftsieb' halten, während Emily und ich es installieren. Sarah muss nämlich nebenher den Knochenzement anrühren, damit wir die Lunge an den Rippen befestigen können." erklärte sie rasch. „Ah, ja natürlich. Kein Problem. Aber ich glaube wir sollten vorher unseren Anzug desinfizieren." erwiderte Mike, deutete in Richtung des medizinischen Equipment und stiefelte ohne weitere Fragen zusammen mit Robert dorthin.
Kensac und die anderen beiden blieben bei den Lastkarren stehen und beobachteten, wie Holsted eine der Spraydosen aus der Kiste kramte, die beiden Männer etwas von Shad beiseitetraten und der Pilot anschließen damit begann Micheal von oben bis unten in Desinfektionsspray zu baden. Einige Augenblicke später gesellte sich Sarah auch noch zu den beiden. Die zerstörte Lunge hatte sie in eine abgelegene Ecke des Hangars getragen, sodass niemand ausversehen darüber stolpern konnte. Die drei benötigten nur knapp zwei Minuten, dann waren alle vollkommen desinfiziert und sie eilten zurück zu den ungeduldig wartenden Frauen.
„So, wir können." kommentierte Robert und packte vorsichtig den linken Flügel des 'Luftsiebs', wohingegen Forke den rechten in die Hände nahm. Sanft hoben sie das knapp eine halbe Tonne wiegende Gerät hoch und trugen es in Begleitung der anderen hinüber zu Shads offenem Brustkorb. Mark und Aidan kamen ihnen auf dem entgegen. Der Ingenieur hatte zwei gebogene Stangen aus einer Titanlegierung in den Händen, die zwar schon einigermaßen nach den Rippen eines Drachens aussahen, aber denen noch der richtige Feinschliff fehlte. Wenige Sekunden später kamen sie bei Shad an, wo sich Sarah sofort daran machte, alles für den Knochenzement zusammenzusuchen, während die anderen direkt vor die Brust gingen bis Alina rief: „Halt!"
Dabei standen Mike und Robert nur noch einen knappen Meter von der Brust entfernt.
„Perfekt, genau so halten, am besten sperrt ihr euren Atlas. Ich muss zuerst die Kabel mit dem Rückenmark verbinden, erst dann können wir näher ran um die Gefäße anzukoppeln." teilte sie ihnen ihren Plan mit. „Alles klar." stimmten Holsted und Mike einstimmig zu. Zufrieden hörte die Ärztin das gewohnte Einrasten der Rüstungssperren, dann quetschte sie sich in den Zwischenraum, zwischen Dem 'Luftsieb' und Shads offener Brutst und langte nach dem isolierten Kabel, an dessen Ende sich ein kleines, nur daumennagelgroßes, schwarzes Kästchen befand.
An seinen Seiten befanden sich zwei Druckschalter, die sich nur ein einziges Mal aktivieren ließen. Das Kästchen an sich war ungefähr so aufgebaut wie die Nesselzelle einer Qualle. Sobald Alina es mit der Unterseite voran an eine Bandscheibe hielt und die Schalter zeitgleich betätigte, würde ein Pfeil, geflochten aus hunderten von Drähten aus ihm hervorschießen, den Knorpel durchdringen und sich dann eng ans Rückenmark schmiegen. Mit der Zeit, würden die Nerven mit den speziell dafür angefertigten Drähten verwachsen. Dies würde ungefähr eine Woche benötigen, was allerdings kein Problem darstellte, da das 'Luftsieb' über einen automatischen Modus verfügte, solange das Nervensystem ihm keine Befehle sandte. Für gewöhnlich musste man daher für diese eine Woche Bettruhe halten, um große Anstrengungen zu vermeiden, doch da Shad ohnehin vorläufig in einem künstlichen Koma gehalten werden musste, um eine Schockreaktion des Körpers zu vermeiden, spielte das keine Rolle.
So also wandte sie sich dem relativ leeren Brustraum zu.
Jedoch nur relativ.
Im Schein ihrer Helmlampen konnte sie sehr gut das riesige Herz vor sich sehen, das gerade nur still da lag. Sie hatte zu Beginn der OP einen künstlichen Herzstillstand herbeigeführt, damit es keine Komplikationen mit der Herz-Lungen-Maschine gab. Ein Standardvorgehen. Und doch faszinierte es sie, den gigantischen Hohlmuskel, der ebenso groß wie ihr gesamter Torso war, vor sich zu sehen. Sie runzelte die Stirn, als sie jedoch unterhalb des Herzens ein weiteres Organ erblickte. Es konnte jedoch auch nur eine Drüse sein, sicher war sich nicht, da das Gebilde sackartig aufgebaut war, die Größe eines Fußballs hatte und mit der Speiseröhre verbunden war. Es war eingebettet in ein Geflecht aus verschiedenen Muskelgruppen, was darauf hindeutete, dass wohl etwas darin produziert und in die Speiseröhre abgesondert wurde.
'Was bist du? Die Gallenblase? Nein, nicht direkt neben dem Herz. Aber was dann?' fragte sie sich verwundert und streckte schon die Hand aus, um es zu betasten.
Doch dann erinnerte sie sich daran, weshalb sie eigentlich in Shads Brust herumhantierte, zog den Arm wieder zurück und sah hinauf zur Wirbelsäule, von wo aus ihr die Stummel der abgetrennten Rippen entgegen ragten. Sie überlegte kurz, an welcher Position das Verbindungsstück sitzen musste, um voll zu wirken und entschied sich nach wenigen Sekunden für eine Bandscheibe am Beginn des Brustkorbs. Die Position war derart hoch, das sie sich sogar kurzzeitig auf die Zehen stellen musste, um richtig heranzukommen, was nicht alltäglich für jemanden mit ihrer Größe war. Trotzdem schaffte sie es das winzige Kästchen an den Knorpel zu pressen und, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass alles passte, betätigte sie die beiden Schalter. Sie konnte mit ihren Fingern deutlich die Vibration des Pfeils spüren, der aus dem Kästchen schoss und als sie losließ hing das Verbindungsstück eigenständig an der Bandscheibe.
'Soweit, so gut.' sagte die Ärztin zu sich selbst und zog sich wieder aus dem Zwischenraum zurück, wobei sie aufpasste, nicht an das isolierte Kabel zu gelangen, welches nun den 'Luftsieb' mit Shads Nervensystem verband. „Alles klar, ich habe die Verbindung angebracht. Jetzt müssen wir den 'Luftsieb' in den Brustkorb einsetzten. Emily, am besten nimmst du die linke, ich die rechte Seite und Mike und Robert ihr passt bitte gut auf!" erklärte Alina bestimmt und legte vorsichtig beide Hände an den linken Flügel. „Verstanden." erwiderten die beiden Männer ernst und entsperrten ihren Anzug wieder, während Emily die rechte Hälfte anpackte. Angela hingegen stand daneben und beobachtete die Prozedur aufmerksam und stillschweigend, um die Konzentration der Titanen nicht zu stören.
Gemeinsam bugsierten die vier die große Maschine langsam und vorsichtig in Shads Brustkorb. Dabei musste sie immer wieder kurz anhalten, ihre Position um wenige Zentimeter verändern und dann weitermachen, nur um zwei Sekunden später erneut den Winkel zu ändern. So benötigten sie fast zehn Minuten, bis Kensac endlich mit der Position zufrieden war und Forke und Holsted ihre Anzüge wieder sperrten, um nicht verrutschen zu können.
„Du übernimmst die Arterien, ich die Venen?" vergewisserte sich Emily und langte nach dem Operationsbesteck, nachdem ihre Schwester nickte. „Ja, resorbierbarer Faden, dünnste Stufe, 14 Stiche und danach mit einer resorbierbaren Dichtungsmanschette abdichten." „Geht klar." Mit diesen Worten griffen sich beide Ärztinnen jeweils Nadel und Faden, eine weitere Klemme und zusätzlich eine biologisch abbaubare Dichtungsmanschette. Dieser Ring würde die ersten Monate nach der Operation gewährleisten, dass kein Blut zwischen den kleinen Zwischenräumen der Naht hindurchfloss, bis das Gefäß und der spezielle Kunststoff vollends miteinander verwachsen waren. Nun fädelte Alina ebenjenen Ring zuerst auf den Zulauf der rechten Lungenhälfte. Sie wollte zuerst diese Seite bearbeiten, um später nicht überkreuz arbeiten zu müssen. Dann zog sie mit Hilfe der Klemme die entsprechende Lungenarterie heran.
Sie setzte die zusätzliche Klemme hinter die erste an das Blutgefäß an, bevor sie die erste löste, um mit etwas Feingefühl die Arterie über den künstlichen Zulauf zu stülpen, was ihr auch schon nach wenigen Versuchen gelang. Danach nutzte sie die Klemme erneut, diesmal um das Gefäß an Ort und Stelle zu befestigen. Anschließend begann sie mit äußerster Präzision damit die Arterie an den Kunststoff zu nähen. Stich um Stich, arbeitete sie sich langsam einmal kreisrund um die beiden Gefäße herum und zwang ihre Finger dabei ruhig zu bleiben. Jede einzelne Minute kam ihr vor wie eine Stunde und sie musste aufpassen nicht zu viel Druck auf den Faden zu geben, um die Arterie nicht unnötig einzuschneiden.
Schließlich, eine geschlagene Viertelstunde später, zog die die Nadel ein letztes Mal durch den Kunststoff und das Blutgefäß, setzte einen letzten Knoten und löste dann vorsichtig die Klemme, mit der sie die Arterie an Ort und Stelle gehalten hatte. Sie seufzte erleichtert, als die Naht hielt. Allerdings ließ sie sich selbst keine Sekunde Pause, sondern schob nun die Dichtungsmanschette über die Kombination aus Zulauf und Arterie, direkt auf die Naht. Anschließend zog sie ihn zu und verdichtete damit die Übergangsstelle komplett. Mit der Zeit würde alles miteinander verwachsen und Ring und Faden vom Körper resorbiert werden.
Aus dem Augenwinkel heraus sah Kensac, dass auch Emily bereits die erste Vene angenäht hatte und nun schon konzentriert am zweiten Übergang arbeitete. Ohne zu zögern begann Alina ebenfalls an der zweiten Arterie zu arbeiten. Sie ging genauso vor, wie zuvor und eine weitere Viertelstunde später war auch das zweite Blutgefäß mit dem 'Luftsieb' verbunden. Zufrieden legte die Ärztin Nadel, Faden und Klemme beiseite und nickte Smith zu, die es ihr gleichtat.
„Jetzt fehlt nur noch die Koppelung an die Luftröhre. Danach müssen wir nur noch den Rippenersatz einfügen, die Stützstreben vom 'Luftsieb' an ihnen befestigen, anschließend den Thorax ankleben und alles mit antiseptischer Wundsalbe einsprühen. Dann könnten wir die Brust wieder verschließen." meinte die Feldärztin, doch Alina widersprach ihr leicht. „Ja, aber zuvor müssen wir noch mit der Knorpelersatzmasse das Brustbein ausbessern, damit die Rippen gut verheilen können." Abermals nickte Emily zustimmend. „Das stimmt, ja. Aber das wird nicht lange dauern. Also, du kümmerst dich um die Luftröhre, während ich den Knorpel auffülle?" „Kling nach einem Plan, also los." nahm Kensac den Vorschlag ihrer Schwester an und begann zu überlegen, wie sie die knorpelige Luftröhre am besten luftdicht versiegelt an die künstliche Lunge anschließen konnte, während die Feldärztin bereits losging, um ihrer Aufgabe nachzugehen.
'Am besten eine Kombination aus Fibrinkleber, resorbierbare Naht und resorbierbares Wundgewebe.' entschied sie schließlich und eilte hinüber zum restlichen medizinischen Equipment, wo bereits Sarah dabei war alles für den Knochenzement bereitzustellen. Hastig durchwühlte die Ärztin das geordnete Chaos an Geräten und Behälter, bis sie nach einigen Momenten der Suche die Spezialdose für den Fibrinkleber hervorzog. Mit ebenjener in Händen lief sie zurück zu Shad. Dort angekommen stellte sie die Dose neben sich auf den Boden und blickte kurz zu Angela hinüber, die sie mit aufmerksamen Augen beobachtete. Dann griff sie sich vom Operationstablett eine frische Nähnadel, einen mittelstarken, resorbierbaren Faden und ein lange, rechteckige Dose aus getrübtem Kunststoff, indem etwas in Flüssigkeit eingelegt war.
Bioneutrales-Wundgewebe.
Perfekt um jegliche Wunde zu verschließen, unabhängig davon, um was für ein Tier oder Mensch es sich handelte. Es war einfach nur eine Art leeres Nährgerüst, an dem sich neue Zellen perfekt ansiedeln und eine neue körpereigene Gewebeschicht bilden konnten. Es war ideal um größere Schnitte im Körperinneren, oder gar Brandverletzungen zu behandeln, da es durch eine spezielle Behandlung Keime und Pilze abtötete und gleichzeitig die Verletzung großräumig abdeckte. 'Damit sollte ich die Naht luftdicht verschließen können.' dachte Alina sich, stellte die Box zum Fibrinkleber auf den Boden und machte sich daran Shads Luftröhre über dem Zulauf des 'Luftsiebs' zu positionieren.
Sie musste noch einmal knapp zwei Zentimeter abtrennen, bis sie genau übereinander saßen.
Danach setzte sie erst mal zwei grobe Schleifen, um Luftröhre und Lunge beieinander zu halten. Dabei musste sie aufpassen die Nadel nicht zu verbiegen, als sie sie durch den Kunststoff drückte. Dieser Teil der künstlichen Lunge war zwar nicht mit Graphen verstärkt, doch hart genug, um dem Knorpel der Luftröhre den Schneid zu stehlen. Dermaßen befestigt ging Kensac nun dazu über die beiden Enden ordentlich miteinander zu vernähen. Einmal rundherum im Kreis. Sie brauchte jedoch weitaus länger, als bei den Blutgefäßen, was hauptsächlich daran lag, dass sie aufpassen musste die Nadel nicht kaputt zu machen. Fast eine geschlagene halbe Stunde brauchte sie, bis sie endlich den letzten Stich und den letzten Knoten setzten konnte. Während dieser Zeit kamen immer wieder Mark und Aidan vorbei, um Abmessungen an den gebrochenen Rippen durchzuführen.
Und auch Angela kam ein paar Schritte näher, damit sie die Prozedur besser beobachten konnte. „Ich habe noch nie zuvor gesehen, dass ein Heiler eine Wunde mit Nadel und Faden versorgt hätte. Seid ihr sicher, dass es halten wird?" fragte die Kräuterhexe fasziniert, woraufhin Kensac abwägend den Kopf schräg legte. „Nicht ganz, nein. Aber ich bin auch noch nicht fertig." erwiderte sie bestimmt, legte Nadel und Faden beiseite und ging in die Hocke, um den Fibrinkleber und das Wundgewebe vorzubereiten.
Dazu öffnete sie die längliche Box, in der das Gewebe in steriler Flüssigkeit aufbewahrt wurde und holte mit Hilfe einer Pinzette vorsichtig einen der Gewebestreifen hervor. Er besaß die Größe ihrer flachen Hand, war hauchdünn, gerade einmal drei Millimeter dick, komplett farblos und glich in seiner Konsistenz einer eingeweichten Gelatineplatte. Behutsam, um ihn nicht zu zerreißen, hob sie ihn leicht empor und hielt ihn mit ausgestrecktem Arm von sich. Gleichzeitig nahm sie die Spezialdose mit dem Fibrinkleber, richtete die Doppeldüse auf den Gewebestreifen und betätigte den Druckknopf. Zischend sprühte der aus zwei Komponenten bestehende biologische Klebstoff, den die Sprühdose beim Austritt aus den kleinen Tanks vermischte, auf die durchsichtige Oberfläche. Dann musste alles sehr schnell gehen. Eilig, aber präzise legte Alina den Streifen längsseits auf die Nahtstelle, wo sie ihn sanft festdrückte.
Wie als würde er schon immer dorthin gehören schmiegte sich das Wundgewebe an die Schnittstelle. Skeptisch musterte die Ärztin ihr Werk, bis sie zufrieden nickte und mit der Prozedur fortfuhr. Sie benötigte insgesamt vier der Wundgewebsstreifen, damit die Naht vollständig bedeckt war. Dann, als alle Streifen angebracht waren, nahm sie den Fibrinkleber zu Hand und sprühte eine abdichtende Schutzschicht über das gesamte Gebilde. 'Das sollte halten.' sagte sie selbstzufrieden, während sie das Operationsbesteck beiseite räumte, den Behälter mit dem Wundgewebe wieder verschloss und zurück auf die Ablage stellte.
„Eure Techniken sind überaus faszinierend, Alina. Ich hätte es nicht einmal im Ansatz für möglich gehalten eine komplette Lunge ohne Magie zu ersetzen. Und ihr habt es binnen weniger Stunden geschafft. Ich gebe zu, ich bin beeindruckt und das will schon etwas heißen." bemerkte Angela beeindruckt und nickte respektvoll. „Ich weiß zwar immer noch nicht, wie genau diese – Maschine – als Ersatz für Shads Lunge funktionieren soll, aber solange sie diese Aufgabe wirklich übernehmen kann, ist das wohl in Ordnung. Es gibt schließlich immer wieder Dinge im Leben, die man zunächst nicht versteht." „Ich werde euch gerne nach der Operation mehr über unsere Methoden erzählen Angela, aber im Moment gibt es weitaus wichtigere Dinge zu erledigen. Shads Lunge war nicht das einzige, was beim Absturz verletzt wurde." erwiderte Kensac ernst und die Kräuterheilerin neigte zustimmend den Kopf. „Da habt ihr recht, Alina."
„Ich störe eure kleine Unterhaltung nur ungern, aber könntest du dich etwas beeilen Schwesterherz? Ich helfe wirklich unglaublich gerne, aber meine Beine sind glaub ich schon vor einer halben Stunde eingeschlafen und auch meine Arme fangen an zu kribbeln." unterbrach Robert sie auffordernd. Er und Mike standen immer noch in ihrer Starre gefangen da und hielten das 'Luftsieb' an Ort und Stelle. „Gleich geschafft Rob. Wir müssen nur noch die Rippenprothesen einpassen und das 'Luftsieb' mit dem Knochenzement an den Rippen befestigen. Wenn der ausgehärtet ist, könnt ihr loslassen." entgegnete Alina mit hochgezogener Augenbraue und blickte hinüber zu Mark, der immer noch damit beschäftigt war, die Prothesen aus Titanlegierung nach Aidans Angaben zurechtzufeilen. „Passt schon." gab Holsted brummend zurück, während die Ärztin mit Angela im Schlepptau hinüber zur Ablage eilte, wo Emily den Knorpel des Brustbeins ausbesserte und Duncan gerade denn Schliff einer der künstlichen Rippen per Augenmaß überprüfte.
„Dies ist das letzte Ersatzstück, das wir anfertigen mussten, General. Die Abweichrate beträgt gerade einmal 0,79 Prozent, eine überragende Leistung ihrerseits, Sir, wenn sie mir diese Bemerkung gestatten." konnte Kensac die KI schon von weitem sagen hören und bemerkte den kleinen Stapel an metallischen Rippen, die neben dem Ingenieur auf der Ablage lagen. Mark legte noch einmal kurz die spezielle Feile an den vorderen Teil des gebogenen Metallstücks an und bearbeitete seine Spitze, während er zu Aidan sagte: „Schmier einem Bären keinen Honig ums Maul, Aidan. Wie sieht es mit den Stiften aus, die Alina benötigt, um den Brustkorb wieder stabil anzukleben?" „Die Titanstifte sind entgratet, rundgeschliffen und bereit für den Einsatz, Sir. Ah, Major Kensac, exzellentes Timing. Ich wollte sie gerade darüber in Kenntnis setzen, dass sämtliche Brückenstifte und Rippenprothesen einsatzbereit sind." erwiderte der Roboter und wandte sich mitten im Satz zu den beiden Frauen um.
„Sehr gut, Aidan. Genau deswegen komme ich auch, wir wären jetzt soweit die Prothesen einzusetzen." entgegnete Alina zufrieden, woraufhin Mark nickte, die Feile beiseitelegte und anfing die Rippenprothesen feinsäuberlich auf mehreren Operationstabletts zu verteilen. Für die ganzen Verbindungsstifte nutzte er ein eigenes Tablett, sodass nun binnen weniger Augenblicke fünf volle Operationstabletts auf der Ablage bereitstanden. Vier mit jeweils zwei der Titanrippen und eines mit dem gesamten Kleinkram. „Den Bohrer hast du ja drüben beim anderen Equip oder?" vergewisserte sich der Ingenieur sicherheitshalber, als er Angela eines der Tabletts in die Hände drückte. „Ja, ist alles drüben und Sarah sollte inzwischen auch den Knochenzement soweit angerührt haben." antwortete die Ärztin bestimmt und nahm selbst zwei der vollgestellten Bleche in die Hand. Duncan griff sich die letzten beiden und meinte: „Na dann, ich folge auf dem Fuße." Kensac nickte ernst und ohne weiter Zeit zu verlieren ließen sie Emily an der Ablage zurück und eilten zurück zu Shad.
„Und diese Metallstäbe sollen Shads gebrochene Rippen ersetzen?" wollte Angela währenddessen wissen und noch bevor Alina den Mund aufmachen konnte hatte Aidan bereits geantwortet. „Exakt, Miss Angela. Die Prothesen bestehen aus einer Titanlegierung und werden dafür Sorge tragen, dass der Brustkorb weiterhin stabil bleibt." „Ah, ich glaube ich verstehe. Es im Grunde so, als würde man eine Schiene an einem gebrochenem Bein anbringen, nur, dass die Schiene nach dem abheilen am Bein bleibt." bemerkte die Kräuterhexe neugierig. „So in etwa. Shads neue Lunge ist zwar extrem robust gegenüber Gewalteinwirkungen, aber es kann dem Brustkorb keine wirkliche Stabilität verleihen. Deswegen müssen wir die Rippen ersetzten." fügte Kensac erklärend hinzu und wandte sich daraufhin an Sarah: „Wie sieht es aus mit dem Knochenzement? Wir bräuchten jetzt ein mittelgroße Ladung voll." „Ja, einen Moment rühre Kurz eine kleine Menge an." bestätigte Parke die Aufforderung und griff nach einer speziellen Spritze, mit der man den Knochenzement nach dem Anrühren auftragen, beziehungsweise einspritzen konnte.
'Gut, Mark und Aidan haben die Prothesen bereits perfekt angepasst, da muss ich nur noch kurz die Löcher anbohren, um sie mit dem Knochenzement zu verankern. Das sollte gehen bis Sarah die Spritze aufgefüllt hat. Danach habe ich nur zehn Minuten Zeit, bis der Kleber zu fest wird. Also ranhalten.' dachte sich die Ärztin insgeheim, legt ihren beiden Tabletts auf die Ablage zum restlichen Operationsequipment und langte gleichzeitig nach dem kleinen Bohrer, den sie für gewöhnlich für das Einsetzten von Prothesen verwendete. 'Zum Glück habe ich die Abbruchstummel bereits begradigt als wir die Bruchstücke rausgefischt ham.'
Ohne groß Zeit zu verlieren schraubte sie den größten Bohrkopf auf das Gerät, besah sich die erste abgebrochene Rippe noch einmal genau und setzte die Maschine exakt mittig an. Ein schrilles Kreischen hallte durch den Hangar, als der Diamantbohrkopf sich in den Knochen fräste. Praktischerweise saugte das Gerät den entstehenden Knochenstaub sofort in eine Lagerkammer, die später geleert werden musste. Knapp fünf Zentimeter tief und einen Zentimeter breit höhlte sie das Loch aus, tief und breit genug, um die Rippenprothese fest verankern zu können. Das gleiche wiederholte sie auch noch bei den sieben anderen, sodass nach nur knappen fünf Minuten alle Vorbereitungen für den Einsatz der Prothesen getroffen waren. Inzwischen war auch Sarah zu ihnen getreten und hielt Alina die spezielle Spritze entgegen, in der sich die der angerührte Knochenzement befand.
Dieser war im Grunde kein Zement, sondern ebenso wie der Firbrinkleber ein Zwei-Komponentenkleber, nur weitaus härter.
„Danke." murmelte Kensac konzentriert, nahm die Spritze mit der langen, dicken Kanüle und setzte sie in die Aushöhlung des ersten Rippenstummels ein. Vorsichtig drückte sie eine ordentliche Portion hinein und fragte Aidan: „Welche der Prothesen passt in die Lücke des dritten Rippenpaars, Aidan?" Die KI brauchte nur Millisekunden, bevor sie mit ihrem Laserpointer auf die hintere der beiden Prothesen auf Angelas Tablett deutete. „Diese dort, Major. Sie sollten sich beeilen, es stehen ihnen nur noch acht Minuten und 26 Sekunden zur Verfügung, bis der Knochenzement vollkommen ausgehärtet ist." „Alles klar Aidan, zeig mir die Zeit links oben in meinem HUD an. Und deute mit dem Laser direkt auf die nächste Prothese." bat die Ärztin den Roboter, der zur Bestätigung kurz grün aufleuchtete. „Verstanden, Major."
Daraufhin griff Alina nach der Prothese, die er ihr gezeigt hatte, vergewisserte sich kurz, dass auch wirklich alles entgratet war und schob sie dann behutsam den dünnen Stift, der am einen Ende herausstand, in die mit Knochenzement gefüllte Bohrung. Angestrengt überprüfte sie, dass die künstliche Rippe richtig gedreht war und hielt sie noch knapp zehn Sekunden in Position, um dem Kleber mehr Zeit zum wirken zu gewähren. Nach diesen paar Sekunden zückte sie erneut die Spritze und ging zum nächsten Knochenstummel über, füllte dessen Loch mit dem Zement, griff nach der Prothese, die Aidan ihr anzeigte und wiederholte das ganze Prozedere von neuem. Immer weiter, Rippe für Rippe setzte sie so präzise wie eine Maschine ein, wobei ihr Blick immer wieder in die linke obere Ecke ihres HUDs huschte, wo der Timer der KI unerbittlich herunter tickte. Auch bemerkte sie selbst, wie langsam aber sicher der Zwei-Komponentenklebstoff allmählich zäher und härter wurde. Schließlich, knapp eine Minute, bevor die Uhr Null erreichte, setzte sie die achte und damit letzte Prothese ein.
Sie konnte nicht anders als erleichtert zu Seufzen. Das letzte was sie jetzt hätte gebrauchen können, wäre eine falsch eingesetzte Rippe oder aber eine verklebte Spritze. Sie besaßen zwar insgesamt drei von ihnen, aber sie auszuwaschen bedurfte einer speziellen Lösungsflüssigkeit und mehr Zeit, als sie jetzt besaßen. 'Und die anderen beiden Spritzen brauch ich noch, um die Streben des Luftsiebs zu befestigen und den Thorax wieder anzukleben. Das wäre echt problematisch geworden, wenn ich mehr als eine Spritze gebraucht hätte.' dachte sich Kensac angespannt, legte die nun nutzlose Spritze beiseite und untersuchte die Übergangsstellen zwischen der Titanlegierung und Shads natürlichen Rippen.
Sie verzog leicht verärgert das Gesicht, als sie feststellte, dass sie bei dreien davon etwas geschlampt und zu viel Zementmasse eingefüllt hatte. Diese war leicht aus dem Übergang hervorgequollen und bildete eine Art Wulst. Es war nicht schön, aber es gab keinerlei Nachteile dadurch. Sie musste lediglich aufpassen in den nächsten zwei Minuten den Kleber nicht zu berühren, da er durch die exotherme Reaktion der beiden Komponenten recht heiß geworden war. Kensac trat einen Schritt zurück und besah sich das Ganze im Allgemeinen. Die Prothesen passten wie angegossen, ihr mattes, metallisches Grau stand zwar im krassen Gegensatz zu den weißlichen Drachenknochen, aber sobald sie den restlichen Thorax wieder angefügt und die Brust geschlossen hatten, würde man keinen Unterschied mehr erkennen können.
„Wirklich beeindruckend. Diese Dinger sehen wirklich fast genauso aus, wie richtige Drachenrippen. Wenn sie eine andere Farbe hätten könnte ich sie nicht voneinander unterscheiden." bemerkte Angela andächtig, während sie die Arme vor der Brust verschränkt hielt und die metallischen Prothesen musterte. „Das ist ja auch Sinn und Zweck einer Prothese." erwiderte die Ärztin ernst und reichte die nun fast leere Zementspritze zurück an Sarah. „Mach direkt die zweite voll, damit wir die Streben ankleben können." bat sie ihre Schwester, die bestätigend nickte und zurück zur Schüssel rannte, in der sie den Kleber angerührt hatte. Während Parker eine neue Portion Knochenzement anrührte überprüfte Alina den halt der Prothesen, nachdem der Klebstoff vollkommen ausgehärtet war. Zufrieden stellte sie fest, dass die Nachbildungen aus Titanlegierung perfekten halt aufwiesen und nicht einmal ansatzweise verrutschten oder verdrehten.
„Also von hier unten siehts ganz gut aus." versuchte Robert die ganze Sache zu entspannen Aber Kensac war derart auf ihre Aufgabe fokussiert, dass sie seinen Witz nicht als Witz ansah. „Es soll nicht schön aussehen, sondern seine Funktion erfüllen, Robert." gab sie angespannt zurück und begann leicht mit dem linken Fuß zu tappen. Etwas, das sie immer tat, wenn sie auf eine bestimmte Sache warten musste und unter Zeitdruck stand. „Beeil dich bitte etwas Sarah, wir haben nach der Lunge noch einiges vor uns. Insbesondere die Leberruptur sollten wir so schnell wie möglich behandeln." „Bin ja schon dabei, aber ich kann schließlich nicht hexen. Nichts für ungut, Ma'am." entgegnete die Titanin und machte eine entschuldigende Geste in Richtung Angela, während sie ein kleines Säckchen mit weißem Pulver aufriss, in die Schale kippte und dann aus einer Flasche steriles Wasser einspritzte. Anschließend nahm sie einen kleinen Rührstab zur Hand und vermengte den Knochenzement ordentlich.
„Ah, das ist schon in Ordnung Sarah, immerhin ist es ja die Wahrheit. Und ich persönlich finde dieses Sprichwort überaus amüsant." gab Angela schmunzelnd zurück und Alina verdrehte hinter ihrem verspiegelten Visor leicht genervt die Augen. Nur wenige Augenblicke später hatte das metallische Kläppern des Rührstabs ein Ende und behutsam füllte Parker den schon wärmer werdenden Knochenzement in eine frische Spritze. „Hier, bitte sehr." brummte sie und Kensac nahm den Kleber dankbar nickend entgegen.
„Also schön. Ich trage den Knochenzement auf und drücke Die Strebe an die jeweilige Rippe. Sarah, du übernimmst sie danach und presst sie noch knapp weitere 20 Sekunden an. Danach sollte sie fest genug sitzen, um von alleine zu halten, während der Kleber aushärtet. Ich wiederhole derweil das gleiche bei der nächsten Strebe, die du dann wieder übernimmst, und so weiter. Alles klar?" erklärte die Ärztin ihrer Schwester nickend, die nun ihrerseits bejahend nickte. „Verstanden." „Gut, dann los. Das sollte nicht lange dauern." erwiderte Alina und begann ohne weiter zu zögern. Sie griff sich die oberste Strebe, der, von ihr aus gesehen, rechten Seite und trug eine ordentliche Portion Knochenzement an ihre Spitze, welche sie anschließend gegen die passende, halbierte Rippe presste. Es musste nicht perfekt mittig sitzen, der leicht elastische Kunststoff lies genug Spielraum für Bewegungen. Die Streben waren lediglich dazu da, das Gewicht des 'Luftsiebs' zu tragen, damit kein Zug auf der Luftröhre und den Blutgefäßen lastete und damit es nicht ausversehen das Herz oder andere Weichteile, die hinter ihm lagen quetschte.
Wie zuvor mit Sarah abgesprochen wartete sie kurz, bis ihre Schwester die Stange aus speziellem Kunststoff gepackt hatte, dann widmete sie sich bereits der Nächsten. Diese ergriff Parker mit ihrer anderen Hand, sobald Kensac sie an die Rippe gedrückt hatte, sodass die Ärztin bereits an der Dritten arbeiten konnte. So arbeiteten sie sich Stück für Stück vor und binnen zwei Minuten hatte sie die rechte Seite vollständig befestigt. Alina hielt noch kurz einen Moment inne, bis Sarah die unterste Strebe nach etwa zwanzig Sekunden losließ. Erst dann widmete sie sich der Ersten auf der anderen Seite. Auch hier gab es glücklicherweise keine Komplikationen und nach zwei weiteren Minuten saßen nun alle Streben an ihrem angestammten Platz. Die Ärztin lies ihren prüfenden Blick noch einmal über alle Verbindungsstellen schweifen, danach meinte sie zufrieden an Robert und Micheal gewandt: „Jetzt müssen wir nur noch knapp sieben Minuten warten, bis der Knochenzement voll ausgehärtet ist, dann könnt ihr das 'Luftsieb' loslassen."
„Prima, auch wenn ich glaube, dass ich einfach nur nach hinten wegkippe, sobald ich den Atlas entsperre. Meine kompletten Beine kribbeln vom Knie abwärts." gluckste der Pilot erleichtert aufatmend und Mike fügte lobend hinzu: „Ist gut Alina, sehr gute Arbeit." „Danke. Aidan, gib mir bitte Bescheid, sobald die sieben Minuten um sind. Ich bereite schon einmal den Thorax für das Ankleben vor." entgegnete Alina sachlich und reichte die leere Zementspritze zurück an Sarah. „Wie sie wünschen, Major." bestätigte die KI ihre Bitte, woraufhin Kensac wieder den Bohrer zur Hand nahm und hinüber zu Emily eilte, die immer noch dabei war, den Knorpel auszubessern.
„Wie sieht es aus Emily?" wollte sie von ihrer Schwester wissen, während sie selbst ihre Arbeit betrachtete. Es war deutlich zu sehen, was natürlicher Knorpel und was der künstliche Ersatz war, da dieser durch seine grellgrüne Farbe hervorstach. Aber die Farbe war irrelevant für die Funktion und diese erfüllte der Ersatz zweifelsohne. Momentan war er zwar noch etwas weicher, als sein natürlicher Verwandter, aber in ein paar Minuten würde er eine ähnliche Konsistenz erreichen. „Im Grunde bin ich fertig. Wir müssen nur noch die Prothesen einpassen, sobald der Thorax angeklebt ist, dann können wir den Brustkorb wieder komplett verschließen." antwortete die Feldärztin und legte das Modellierbesteck beiseite, mit dem sie noch vor wenigen Augenblicken die Masse geformt hatte. „Ausgezeichnet. Ich werde jetzt schon einmal die Löcher für die Stifte vorbohren." erwiderte Alina und zückte die die Bohrmaschine.
Smith legte fragend den Kopf schief und wollte wissen: „Fünfer oder Zehner Stifte?" „Zehner, ich will keine Komplikationen mit dem Halt bekommen. Und da Shad dermaßen groß ist, haben wir da auch keine Probleme." „Hhm, ja du hast recht. Wir sollten lieber nichts riskieren." stimmte sie zu und sah mit an, wie Kensac damit begann fünf Zentimeter tiefe und einen Zentimeter breite Löcher in die halbierten Rippen zu fräsen. Es war ein schrilles Geräusch, fast so, als würde man Fingernägel über eine Tafel ziehen. Diesmal benötigte die Ärztin jedoch etwas länger also zuvor, um die Löcher zu bohren, da Emily die jeweilige Rippe festhalten musste, damit sie nicht hin und her wankte, während des Bohrvorgangs. So schaltete sie das Gerät gerade in dem Moment aus, als Aidan ihr per Funk mitteilte: „Der Knochenzement ist nun vollständig ausgehärtet, Miss Kensac."
„Danke, ich komme sofort Aidan." antwortete die Titanin angestrengt deutete Emily mit einer Geste an ihr zu folgen.
Gemeinsam eilten sie zurück zu Shad, wo die anderen sie bereits erwarteten. Mark stand in seiner gewohnten Haltung mit vor der Brust verschränkten Armen da, während Sarah offensichtlich Angela gerade etwas erklärte. Aidan hingegen schwebte einfach nur mittig über allem und sah in ihre Richtung. „Sarah, bitte mix schon mal die dritte Portion Knochenzement. Wir werden den Brustkorb sofort einsetzen, sobald ich die letzten Löcher vorgebohrt habe. Mark, du hilft Emily beim Tragen des Thorax. Ich will die Sache mit der Lunge nun so schnell wie möglich über die Bühne bringen, der Bioschaum in Shads Bauch hält nämlich nur noch eine knappe halbe Stunde, wenn ich es recht im Kopf habe." erklärte Alina lautstark und gestikulierte wild umher. Der Ingenieur neigte zustimmend den Kopf und folgte Emily, als diese sich praktisch auf dem Fuß umdrehte und direkt wieder zurück zur Ablage marschierte. Und auch Parker nickte verstehend und eilte hinüber zum restlichen Equip, um ihrer Aufgabe nachzukommen.
„Sie haben recht, Major. Laut den Daten aus meinen Echtzeit-Scans wird der Bioschaum in 27 Minuten und 34 Sekunden zerfallen. Sie sollten sich beeilen, wenn ich das so sagen darf, Ma'am." merkte die KI analytisch an und sorgte damit dafür, dass Kensac noch angespannter wurde. „Verstanden." erwiderte sie knapp und begann ohne Umschweife damit die notwenigen Bohrungen an den Rippenstummeln durchzuführen. Dabei vergaß sie vor lauter Aufregung Mike und Robert zu sagen, dass sie wieder aufstehen konnten, was Aidan glücklicherweise nachholte.
„Im Übrigen können sie die tragende Aufgabe mittlerweile unterlassen, Sir. Der Knochenzement ist inzwischen vollkommen ausgehärtet, womit die Stützstreben das volle Gewicht des 'Luftsiebs' tragen können." teilte er den beiden Titanen mit. „Oh, und ich dachte schon Ally wollte uns jetzt in Shad mit einbauen. So als extra Ablativpanzerung." brummte Holsted sarkastisch, während er ebenso wie Forke seinen Atlas entsperrte und sie beide mühselig aus ihrer schier endlosen Hocke aufstanden. „Okay, ich denke mal du kriegst das hier ja voll hin, ich bin mal wieder drüben beim ARPB, um eine Auge auf die Werte zu haben." fügte der Pilot hinzu und trabte zurück zu der großen Maschine.
Mike hingegen blieb neben Alina stehen, die mit Hochdruck daran arbeitete jeden einzelnen Rippenstummel mit einem Loch zu versehen. „Alina? Darf ich dich um etwas bitten?" fragte er sanft worauf Kensac kurz angebunden zurückgab: „Was?"
Mit etwas schwererer Stimme fuhr der Admiral fort: „Wenn ihr seinen Bauchraum operiert, könntest du bitte das kleine Mädchen aus seinem Magen holen?"
Ein kalter Schauer lief der Ärztin über den Rücken.
„Du willst ihr wenigstens ein angemessenes Begräbnis geben?" wollte sie über den schrillen Bohrer hinweg wissen und Micheal nickte. „Ja, ich will ihrer Mutter wenigstens etwas zurückgeben, wenn wir schon die Möglichkeit dazu haben. Außerdem, wenn es so ist wie wir vermuten und Shad tatsächlich von jemand anderem kontrolliert wurde, will ich ihm nicht sagen müssen, dass gerade ein unschuldiges Kind in seinem Magen verrottet. Die Situation wird schon so Schock genug für ihn sein." meinte er, woraufhin Alina kurz innehielt und den Blick auf ihn richtete. Andächtig schloss sie für einen Moment die Augen und seufzte aufgebend. Sie konnte sich freundlicheres vorstellen, als ein schon halbverdautes Mädchen aus dem Magen eines Drachens zu schneiden, aber Mike hatte recht. Es war das Mindeste was sie tun konnten, ihm wenigstens ein angemessenes Begräbnis ermöglichen.
„Ich werde es tun, aber du musst dabeistehen und sie hier forttragen." stimmte sie deshalb zu und Forke legte ihr brüderlich die Hand auf die Schulter. „Danke, Ally. Ich weiß, wie schwer das für dich ist, ich werde sie sofort mitnehmen, sobald ihr sie herausgeholt habt." sagte er beruhigend und wandte sich danach Angela zu, die ebenfalls recht bestürzt wirkte. Die Ärztin bekam jedoch schon nicht mehr mit, was er zu ihr sagte, da sie wieder den Bohrer auf vollen Touren laufen ließ und ein Loch in die nächste halbierte Rippe fräste. Sie wollte so wenig wie möglich darüber nachdenken, dass dieser Drache vor ihr ein kleines Kind gefressen hatte. Glücklicherweise konnte sie den Gedanken weit, weit in den Hintergrund drängen und konzentrierte sich wieder voll darauf, die letzten paar Löcher zu bohren.
Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte sie, wie Micheal der Kräuterhexe zunickte und dann in Richtung seiner Frau zurückeilte. Nur knappe zwei Minuten später setzte Kensac den Bohrer an die letzte Rippe an und fräste, mittlerweile schon geübt, binnen weniger Sekunden das Loch hinein.
Fünf Zentimeter tief, einen Zentimeter breit.
Sie verlor keine Zeit, sondern nahm das Tablett mit den Titanstiften von der Ablage und drückte es Angela in die Hände, die zwar immer noch bekümmert wirkte, ihr jedoch einen leicht verwirrten Blick zuwarf. „Wollt ihr Shads Brustkorb etwa mit diesen Metallstäben befestigen? Wie soll das gehen?" „Wartet es ab, Kräuterheilerin." entgegnete Alina ernst und wollte gerade Sarah zurufen, wann der Knochenzement fertig sei, als diese bereits mit einer vollen Spritze zu ihr geeilt kam. „Hier bitte sehr. Das ist die letzte Spritze, danach brauch ich mindestens zwanzig Minuten um eine der anderen beiden auszuspülen." bemerkte Parker mit erhobenem Zeigefinger und reichte ihrer Schwester, die mit dem Zwei-Komponentenkleber gefüllte Spritze. „Danke, ich weiß Bescheid." gab die Ärztin nickend zurück, griff sich einen der Stifte vom Tablett und rief Emily zu: „Ihr könnt kommen, aber vorsichtig!"
Danach setzte sie die relativ dicke Kanüle an das erste Loch und füllte etwas Knochenzement ein. Anschließend drückte sie den Titanstift in den Kleber, sodass er, sobald der Zement ausgehärtet war fest in der Rippe verankert war. Allerdings stand noch genau die Hälfte des Stifts auf dem gebohrten Loch hervor, was auch vollkommen beabsichtigt war. Denn mit dem abgetrennten Thorax würde sie genauso verfahren, Knochenzement in jedes einzelne Loch spritzen und danach wie ein großes Puzzelstück ankleben. Aber sie musste sich beeilen. Die Zeit drängte und der Klebstoff würde mindestens zehn Minuten benötigen, um vollständig auszuhärten. Doch der Bioschaum in Shads Bauch würde nicht auf sie warten. In knapp zwanzig Minuten würde er zerfallen und sämtliche Blutungen erneut losbrechen. Mit aufeinander gepressten Kiefern wiederholte sie diese Reihenfolge so schnell und so präzise sie konnte.
Zement, Stift, nächste Rippe, Zement, Stift, nächste Rippe.
Sie arbeitete schnell, aber trotzdem benötigte sie knapp zwei Minuten, um sämtliche Titanstifte zu verankern. Alina drehte sich zu Emily und Mark um, die mittlerweile direkt hinter ihr standen und behutsam den abgetrennten Brustkorb in Händen hielten. Sarah hatte sich zu ihnen gesellt und stabilisierte das leicht wankende Brustbein. Wie eine Maschine begann die Ärztin damit jedes einzelne Loch, dass sie in diese Rippenhälften gebohrt hatte, mit Knochenzement auszufüllen. Dies ging zum Glück wesentlich schneller, da sie nicht jedes Mal vorsichtig einen Titanstift einsetzten musste. Nur eine Minute später legte sie die Spritze beiseite und meinte angespannt: „In Ordnung, jetzt vorsichtig annähern." Die anderen taten, was sie verlangte und stoppten, als Kensac es sagte. Sie befanden sich nun schon quasi im Brustkorb und Alina ging sicher, dass jeder einzelne Titanstift in sein vorgesehenes Loch gleiten würde.
„Jetzt, drückt ihn rein!" befahl sie und mit einem weiteren Ruck pressten sie den Thorax zurück an seinen Platz. Wie angegossen glitten alle Stifte in die jeweilige Rippe. „Stopp! So halten!" rief die Ärztin daraufhin und überprüfte noch einmal genau, ob auch alles stimmte. Sie atmete erleichtert aus, als sie jede einzelne Verbindungsstelle durchgegangen war und alles an seinem angestammten Platz war. „Gut, jetzt haltet es noch mindestens zehn Minuten so. Ich passe derweil die Prothesen in den Knorpel ein." sagte sie bestimmt und ging hinüber zur Ablage mit dem Operationsbesteck, wo sie sich eine Art Miniaturspatel griff. Mit dem in der Hand sprang sie zurück an den Brustkorb und begann sorgfältig die Spitzen der metallischen Rippen in den Knorpelersatz einzuarbeiten. Dies ging zum Glück recht einfach von der Hand, da die Masse noch nicht vollständig ausgehärtet war. Schon nach wenigen Minuten saßen alle acht Prothesen perfekt eingepasst neben Shads natürlichen Rippen am Brustbein.
„Zeit bis zum vollständigen Aushärten des Knochenzements: Vier Minuten und 12 Sekunden. Zeit bis zum Zerfall des Bioschaums: 12 Minuten und 54 Sekunden. Ich empfehle ihnen sich aufzuteilen, Ma'am." teilte Aidan ihnen analytisch mit und erstellte unaufgefordert einen Timer in Alinas HUD, der die Zeit bis zum Zerfall des Schaums anzeigte. Sie knirschte mit den Zähnen und legte den kleinen Spachtel beiseite.
„Aidan hat recht, Ally. Geh du schon einmal vor und versorgst den Bauchraum. Ich mache hier voll alles fertig und bereite danach die gebrochene Wirbelsäule für den Eingriff vor. Nerven sind zwar eigentlich dein Gebiet, aber immerhin die Vorarbeit kann ich erledigen." schlug Smith ihr vor, woraufhin Alina langsam nickte. „Es wird wohl nicht anders gehen. Aidan, du kommst bitte mit mir und sagst mir, wo genau die Blutungen überall liegen. Angela, ich weiß eure Hilfe wirklich zu schätzen, aber das Beste wäre es, wenn ihr hier bei Emily bleibt und ihr zur Hand geht." meinte sie befehlsgewohnt und schritt währenddessen bereits hinüber zum medizinischen Equipment, um sich die nötigen Dinge zusammenzusuchen. Die KI folgte ihr auf dem Fuße und auch die Kräuterhexe neigte respektvoll den Kopf. „Natürlich Alina, ich werde mich euren Anweisungen fügen, bevor ich nachher noch an einem Fehler schuld bin."
„Gut. Ah, ehe ich es vergesse. Emily? Nimm bitte eine Probe aus der Drüse die in den Hals führt. Ich würde den Inhalt gerne untersuchen, sobald wir mit der Operation fertig sind." erwiderte die Ärztin, während sie zuerst ihre Handschuhe gegen frische austauschte und dann auf einem neuen Tablett ein frisches Diamantskalpell, einen Spanner, mehrere Pinzetten, einige Klemmen, einen frischen Fibrinkleber, ein Desinfekt- Spray, die Box mit dem bioneutralem Wundgewebe, eine Nähnadel, resorbierbaren Faden und einen Klammerer zurechtlegte. Zusätzlich nahm sie ein weiteres Tablett zur Hand und stellte darauf eine antiseptische Wundsalbe, eine Flasche desinfizierender Wundspürlung, einiges an Verbandsmaterialien, eine Rolle des Spezialklebebands, welches sie schon zuvor bei Lyaths OP eingesetzt hatte, und ein gutes Dutzend imprägnierte Tupfer.
„Werde ich machen. Viel Erfolg." versprach die Feldärztin und Kensac entgegnete: „Dir auch."
Dann stellte sie die beiden Tabletts auf eine fahrbare Ablage und trat schob diese hinüber an Shads Flanke. Da der Drache durch das Stasisfeld nach wie vor auf der linken Seite "lag" zeigte er ihr damit automatisch den Bauch und weil Aidan Shad schon von Beginn an fast auf Bodenniveau abgesenkt hatte konnte sie ihn fast wie einen normalen Patienten von oben operieren. Ihre Augen huschten kurz in die linke, obere Ecke ihres HUDs.
Neun Minuten 47 Sekunden.
So viel Zeit blieb ihr noch Shads Leber zu behandeln, bevor der Bioschaum zerfallen und Unmengen Blut aus dem Riss in dem stark durchbluteten Organ strömen würde. Es wäre zwar auf Grund des ARPB kein lebensbedrohlicher Zustand, doch problematisch genug. „Aidan, zeige mir die beste Schnittstelle für den Eingriff." verlangte sie von der KI, welche in ihrem gewohnten Tonfall erwiderte: „Einen Moment, Major, berechne optimale Schnittstelle. Hier. Von diesem Punkt ausgehend sollten sie einen 40 Zentimeter langen, waagrechten Schnitt setzen. Damit gelangen sie am besten an alle sieben Blutungsherde, inklusive der Leberruptur."
Mit seinem Laserpointer zeigte Aidan auf eine Schuppe die noch im ersten Drittel des Bauches lag. Alina nickte nachdenklich und nahm das Desinfektionsspray zur Hand. Mit einem erneuten Blick auf die Zeit murmelte sie: „Dann wollen wir mal."
Als erstes desinfizierte sie den Bereich um die markierte Stelle großräumig, bevor sie die Dose wieder wegstellte und mit einer Pinzette vorsichtig die große, rote Schuppe entfernte. Sie war viel kleiner, als die, die sie bei Lyath entfernt hatte, was auch nur logisch war, wenn man bedachte, dass die Drachendame knapp doppelt so groß wie Shad war. Vollkommen konzentriert setzte Kensac das Diamantskalpell auf die matt-rote Haut und mit einem gekonnten Zug durchtrennte sie die obersten Hautschichten. Mit Kraft, aber gleichzeitig auch angestrengter Präzision zog sie das Skalpell in einer geraden Line weg vom Einstichspunkt, mitten durch jede Schuppe, die ihren Weg kreuzte. Dabei glitt die Diamantklinge durch die harten Drachenschuppen wie ein Messer durch warme Butter.
Sobald sie die von Aidan genannten 40 Zentimeter erreicht hatte, setzte die Ärztin das Messer von neuem an und durchtrennte die unter der Haut liegenden Muskelschichten. Sofort quoll ihr etwas von dem grün-braunen Bioschaum entgegen, als sie die Muskelschicht durchschnitt, was jedoch im Grunde ein gutes Zeichen war, da es bedeutete, dass der Schaum noch nicht vorzeitig zerfallen war. Zufrieden mit der Größe des Schnitts, legte Alina das Diamantskalpell wieder beiseite und griff anschließend nach dem Spanner, um den Spalt offen zu halten, damit sie ordentlich arbeiten konnte. Zunächst stoppte sie jedoch mit einem der imprägnierten Tupfer die Blutung an der Schnittstelle selbst, erst dann langte sie nach einer neuen Pinzette und begann sich durch den dicken Schaum hindurchzuarbeiten.
Dank des unübertroffenen Erinnerungsvermögens der Titanen, konnte sie sich noch genau an die Lage von Shads Leber erinnern, die sie sie zuvor in Aidans Scan gesehen hatte. Bei einem Menschen hätte sie bei einem derartigen Eingriff mit Präzisionsinstrumenten vorgehen müssen, doch da der Drache derart groß war, konnte sie einfach mit ihren Händen arbeiten, was Alina ohnehin lieber war. Sie bevorzugte es zu fühlen, woran sie arbeitete. So schaufelte sie also behutsam den Bioschaum beiseite, immer tiefer in Shads Körper hinein, bis sie schließlich im Licht ihrer Helmlampen das dunkelrot-braune Organ entdeckte.
Die Leber war gewaltig, von dem was sie sehen konnte mindestens so groß wie ein erwachsener Mensch, eher sogar zwei, was jedoch nichts Ungewöhnliches für ein Tier mit solchen Ausmaßen war. Allerdings fiel ihr aufgrund der Größe der Drüse nicht sofort auf, wo der Riss saß, sondern musste erst einige Augenblicke danach suchen.
'Da hatte er wohl Glück im Unglück.' dachte sie sich und entfernte den Bioschaum um den rechten unteren Leberabschnitt, wo ein ungefähr fingerlanger Riss zu sehen war. Sie konnte nicht abschätzen, wie tief er ging, doch da der Spalt nur wenige Millimeter breit war, konnte es nicht allzu tief sein. Es war also eine recht simple Wunde, die lediglich ausgespült und mit Fibrinkleber verschlossen werden musste.
Ohne groß weiter Zeit zu verlieren griff sie nach der Flasche mit der desinfizierenden Wundspülung, welche extra einen speziellen Aufsatz besaß, um die Flüssigkeit in einem kleinen Strahl austreten zu lassen, und fing an mithilfe der Pinzette und der Spülung den Riss auszuwaschen. Etwas Bioschaum hatte sich in den engen Zwischenraum gezwängt, doch dieser war schnell entfernt, zusammen mit dem Blut, dass er gebunden hatte. So erkannte die Ärztin schnell, dass der Riss nur knappe drei Zentimeter tief war.
'Gut, dann muss ich wirklich nicht nähen und der Kleber reicht völlig.'
Sie legte die Pinzette beiseite und nahm stattdessen die spezielle Dose mit dem Fibrinkleber in die Hand. Bevor sie ihn jedoch einsetzen konnte, musste sie noch einmal die Spalte mit der Wundspülung ausspülen, da praktisch sofort nachdem der Schaum entfernt worden war, die Blutungen wieder ausgebrochen waren. Kensac musste flink sein. Abermals wusch sie die Wunde aus, steckte danach die Flasche hastig an ihren Gürtel und sprühte sorgfältig den gesamten Zwischenraum mit dem Fibrinkleber aus. Danach steckte sie die Dose ebenfalls weg und presste dann den Riss mit ihren Händen fest zusammen.
Langsam zählte sie in Gedanken von 20 auf 30 und erst nach diesen zehn Sekunden nahm sie die Hände zögerlich von der Leber, um zu überprüfen, ob alles hielt. Alina seufzte erleichtert, als sich die Wundränder keinen einzigen Millimeter auseinanderbewegten. Die größte Gefahr und auch gleichzeitig die schwerwiegendste Verletzung im Bauchraum des Drachens, war damit versorgt. 'Wie einfach es doch manchmal sein kann.' sagte sie sich selbst und nahm den Behälter mit der antiseptischen Wundsalbe zur Hand, wovon sie eine ordentliche Portion auf der zusammengeklebten Wunde verrieb.
„Gute Arbeit Ma'am. Damit haben sie den größten, inneren Blutungsherd geschlossen. Die restlichen sechs Verletzungen im Bauchraum sind eher kleiner Natur und beinhalten lediglich kleine, geplatzte Blutgefäße beziehungsweise Hämatome. Ich werde sie ihnen auf dem Scan in ihrem HUD rot umkreisen. Sie stellen allerdings keine Gefahr dar, da sie nur einen einstelligen Prozentsatz der Blutungsmenge ausmachen. Den Hauptanteil trug die Leberruptur. Ich würde ihnen raten, sie mit der entzündungshemmenden Wundsalbe einzureiben, die darin enthaltenen Wirkstoffe sollten vollkommen ausreichend sein, diese schwachen Verletzungen zu versorgen. Aber die Entscheidung liegt bei ihnen, Major." merkte die KI sachlich an und lud ein kleines Schema von Shads Bauchraum in die rechte obere Ecke ihres HUDs, wobei er gleichzeitig den Timer für den Bioschaum entfernte.
„Lass mich kurz überlegen, Aidan." erwiderte Kensac nachdenklich und besah sich die markierten Stellen im Bild genauer, während sie die Wundsalbe wieder verschloss und zurück zu den anderen Sachen stellte. Wie der Roboter bereits gesagt hatte, konnte sie sechs weitere Verletzungen erkennen, die allesamt im vorderen Bauchbereich lagen. 'Er muss wohl mit der Brust und dem Bein voraus auf dem Boden aufgekommen sein.' stellte sie analytisch fest, als sie die Anordnung bemerkte und die restlichen Verletzungen hinzurechnete.
„Du meintest es wären nur leichte Hämatome?" „Leichte bis mittelschwere, ja Ma'am." „Dann sollten die Wirkungsstoffe aus dem Bioschaum bereits vollkommen ausreichen und solange sie nicht gefährlich anschwellen sollte das Shads Körper von ganz alleine heilen können." entgegnete die Titanin bestimmt, woraufhin Aidan kurz grün aufleuchtete. „Natürlich Major, mein Vorschlag, war lediglich eine Vorsichtsmaßnahme." „Schon in Ordnung, Aidan. Deswegen bin ja ich die Ärztin und du die KI." „Da haben sie recht, Ma'am."
„Gut, den Bioschaum brauchen wir nicht auszuspülen, der ist resorbierbar. Dann bleibt uns nur noch eine unangenehme Sache hier im Bauchraum zu tun." murmelte die Ärztin mehr zu sich selbst, als zu Aidan.
„Sie meinen die Entnahme des Leichnams?" wollte die KI wissen, woraufhin Alina schwermütig nickte. „Ja." „Dann muss ich sie darauf hinweisen, dass der Verdauungsprozess bereits begonnen hat. Meine Scanner zeigen an, dass der Magen bereits damit begonnen hat die äußeren Hautschichten aufzulösen, die Magensäure eines Drachen muss überaus effizient sein. Es wird kein schöner Anblick für sie werden, Ma'am." warnte Aidan sie mit ernster und zugleich faszinierter Stimme.
Kensac fröstelte leicht.
Sie hatte schon vielerlei grausame Verletzungen auf den Schlachtfeldern gesehen. Aufgerissene Torsi, zerfetzte Gliedmaßen, abgerissene Kiefer, Männer und Frauen, die ihre eigenen Gedärme in Händen hielten. Aber bei dem Gedanken daran, gleich ein kleines Mädchen zu sehen, dass zur Hälfte bereits verdaut war, wurde ihr mulmig zumute.
„Danke – Aidan." entgegnete sie leise und winkte anschließend Micheal zu, der schützend die Arme um seine Frau geschlossen hatte und sanft hin und her wiegte. Der Admiral schaute auf, beugte sich dann kurz hinunter zu seiner Frau, um ihr einen Kuss auf die Wange zu drücken, bevor er sich den Helm aufsetzte und zu der Ärztin geeilt kam. Er kam kurz vor ihr zum Stehen und blickte nach links auf den Schnitt, den Kensac gesetzt hatte. Dann wandte er sich seiner Schwester zu. „Also ist es jetzt soweit?" wollte er mit bedrückter Stimme wissen und mit einem Kloß im Hals nickte Alina. „Ja, aber hol bitte eines der großen Laken aus der Kiste. Es könnte sein, dass wir der Mutter den Anblick – ersparen sollten." meinte sie und Aidan fügte erklärend hinzu: „Wir befürchten, dass der Leichnam durch den bereits begonnenen Verdauungsprozess entstellt sein könnte, Sir."
„Das hatte ich befürchtet." erwiderte Forke schwermütig und senkte betroffen den Kopf. „Nun gut, dann wickeln wir sie vorsichtig in ein Baumwolllaken ein, ich werde mir schon etwas überlegen, um es der Mutter zu erklären. Wo sind die Laken?" „In der rechten Kiste dort drüben." erwiderte die Ärztin und deutete hinüber zum restlichen medizinischen Equipment. „In Ordnung." gab Mike zurück und trat an ihr vorbei.
Sie schloss einen kurzen Moment die Augen, um sich zu sammeln, bevor sie die KI fragte: „Inwieweit ist der Magen gefüllt? Müssen wir zunächst Magensaft abpumpen?" „Negativ, Major. Solange sie den Schnitt nicht an der Unterseite des Magens ansetzen, wird die Entnahme des Leichnams kein Problem darstellen. Sie sollten lediglich den Schnitt am Bauch selbst erweitern, da sie sich etwas weiter hinein lehnen müssen, als zuvor." erklärte diese sachlich und hob den Magen im Schema auf Alinas HUD grün hervor.
Aidan hatte recht, das Verdauungsorgan lag deutlich tiefer im Körper als die Leber. Also nahm die Ärztin erneut das Diamantskalpell zur Hand und erweiterte die Öffnung in den Bauchraum soweit, dass sie ohne Probleme mit dem Oberkörper hindurch passte.
Mit wenigen Handgriffen passte sie den Spanner neu ein, um den Schnitt offen zu halten, dann nahm sie sich eine frische Pinzette vom Tisch, atmete noch einmal tief durch und begann sich durch den Bioschaum zum Magen vorzuarbeiten. Es war ein makaberes Unterfangen, sie hing bis zur Hüfte hin im Bauch eines Drachens, mit einem Skalpell in der einen und einer Pinzette in der anderen Hand, um den Leichnam eines kleinen Mädchens aus seinem Magen zu schneiden und untermalt wurde das Ganze zusätzlich noch dadurch, dass das einzige Licht von ihren Helmlampen stammte.
Zudem begann sich langsam aber sicher der Bioschaum aufzulösen, was es einerseits leichter machte, den Weg zum Verdauungsorgan freizulegen und doch gleichzeitig störte, da es eine klebrige, braun-grüne Flüssigkeit hinterließ, die fast ihre gesamten Handschuhe benetzte. Die Ärztin ließ sich jedoch nicht davon aufhalten und nur wenige Augenblicke später hatte sie ihn vor sich, einen großen, rötlichen Sack, in dem eindeutig etwas steckte. Shads Magen. Sie verlor keine Zeit und setzte sofort das Skalpell an der Oberseite des Organs an. Mit ruhiger Hand durchstach sie die zähe Magenwand und zog einen etwa armlangen Schnitt.
Fast augenblicklich stob ihr der markante Gestank von ätzender Magensäure entgegen, gepaart mit dem Geruch von geronnenem Blut und anderer sich auflösender organischer Substanzen.
Alina biss sich auf die Unterlippe, um konzentriert zu bleiben, steckte das Skalpell in eine der Taschen an ihrem Gürtel und zog die beiden Wundränder mit Hilfe der Pinzette auseinander. Ihre Helmscheinwerfer leuchteten ins Innere des riesigen Magens und die Titanin zog zischend die Luft ein, als sie den Leichnam vor sich sah.
Er lag in einer grün-gelblichen Flüssigkeit mit der der gesamte Körper des Kindes befeuchtet war. Ihre Kleidung war größtenteils zerfressen, die Haut stark gerötet und teilweise war sogar bereits darunterliegende Muskeln zu erkennen. Die Augen und der Mund des Mädchens standen nach wie vor offen, sie trug den gleichen panischen Gesichtsausdruck, wie zum Zeitpunkt ihres Todes. Nur, dass ihr Augapfel von der Säure bereits ausgebleicht war und der Mund eine Art Becken für den Magensaft darstellte. Im Grunde waren die einzigen Dinge, die die Magensäure noch nicht angegriffen hatte die Haare und die Fuß- und Fingernägel.
Kensac würgte unwillkürlich.
Diese ganze Szenerie erinnerte sie an etwas, an dass sie sich nur allzu gerne nie mehr erinnert hätte. Das Bild eines entstellten Fötus und ein Paar blutiger Hände blitzte vor ihrem inneren Auge auf.
„Okay, reiß dich zusammen Ally, reiß dich zusammen!" murmelte Alina sich selbst zu, presste die Augen zu und atmete tief durch.
„Sie ist tot, sie bekommt nichts mehr von alledem mit. Sie ist jetzt an einem besseren Ort." redete sie sich ein und griff dann vorsichtig in den Magen herein, um den Leichnam herauszuholen.
Behutsam packte sie das Mädchen an den Schultern und verzog das Gesicht, als ihre Finger tief in das gerötete, weiche Fleisch einsanken. Sie riss sich jedoch zusammen und beförderte nach und nach den ganzen Körper des Kindes aus dem großen Verdauungssack. Einen weiteren Moment später bugsierte sie das Mädchen aus dem Schnitt in der Bauchdecke hinaus ins Freie, wo bereits Aidan und Micheal mit dem zusammengefalteten Baumwolllaken warteten.
Der Admiral bemerkte sofort, dass seine Schwester es strickt vermied auch nur einen einzigen Blick nach unten auf den schon angefressenen Körper zu werfen und er beeilte sich das weiße Tuch vor ihr auf dem Boden auszubreiten. „Okay, leg sie hin." sagte er mit ruhiger, aber trauriger Stimme und ohne zu zögern kam die Ärztin der Aufforderung nach.
Sie sah das Kind nicht mehr an, aus Angst, die Erinnerungen würden in voller Stärke zurückkehren. Stattdessen legte sie die Pinzette beiseite und zog auch das Skalpell aus der Tasche, um es zurückzulegen. Aus den Augenwinkeln heraus bekam sie mit, wie Mike zunächst den Leichnam sanft in das Baumwolllaken einwickelte und diesen dann respektvoll auf die Arme nahm.
„Ich – weiß wie schwer das für dich gewesen sein musste, Ally. Ich wusste, dass es wohl so enden würde und jedenfalls weißt du jetzt, warum ich dich alleine darum gebeten habe und nicht Emily. Danke." murmelte er andächtig und drehte sich um, um zu gehen.
„Du hast sie gesehen. Wenn sie dich fragt, zeig es ihr nicht. Sie würde es nicht verkraften." flüsterte Alina ihm zu, während sie versuchte ihre eigenen Gedanken zu beruhigen, indem sie Nadel und Faden in die Hand nahm, um den Magen wieder zu verschließen. „Das würde ich niemals tun, das weißt du." entgegnete der Admiral versichernd und ging los.
„Ist etwas geschehen, Ma'am?" wollte Aidan, leicht verwirrt von dem kurzen Wortwechsel, wissen, doch Kensac winkte ab. „Nein, es ist alles in Ordnung, ich habe mich lediglich an etwas erinnert, an das ich mich nicht mehr erinnern wollte." „Wie meinen sie das? Ich befürchte, ich verstehe nicht ganz, worauf sie damit anspielen, Ma'am."
„Manche Dinge sollst du auch gar nicht verstehen." knurrte die Titanin und beugte sich wieder in Shads Bauch hinein, um den Schnitt am Magen zu vernähen. „Mach lieber mal einen Präzisionsscan von dem gebrochenen Wirbel, damit ich schon mal darüber nachdenken kann, wie ich die Sache gleich am besten angehe."
„Natürlich, Major, wie sie wünschen." zwitscherte die KI unbekümmert und schwebte nach oben zum Rücken, um seiner Aufgabe nachzugehen.
DU LIEST GERADE
[Eragon Fan-Fiction] Der Titan und die Drachenreiter
Hayran KurguDer Soldat John Miller findet sich nach einem schrecklichem Unfall an den Ufern eines ihm unbekannten Landes wieder. Schon sehr bald wird ihm bewusst, dass er sich nicht mehr in seiner eigenen Welt befindet. So also macht er sich auf den Weg, die Dr...