Emilys kleines Geheimnis

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Nachdenklich sah Emily ihren beiden Schwestern und Aidan hinterher, während sie an Angela vorbeigingen und anschließend Shads Kopf passierten, um zur verletzten Wirbelsäule zu gelangen. Die Feldärztin selbst gönnte sich in der Zwischenzeit einen Moment der Ruhe, indem sie kurz die Augen schloss und tief durchatmete. Sie hatte bereits seit über zwei Wochen kein Auge mehr zugetan und obwohl die Titanen es gewöhnt waren in bestimmten Situationen, lange ohne Schlaf auszukommen, erging es ihnen nach einer gewissen Zeit nicht anders, als normalen, übermüdeten Menschen.

Einzig allein John machte dabei eine Ausnahme. Er konnte monatelang ohne Schlaf auskommen. Allerdings beneidete sie ihren Vater nicht um diese Fähigkeit, denn sie wusste, dass es einen triftigen Grund für seine langen Wachphasen gab.

'Darüber kann ich mir auch noch ein andermal den Kopf zerbrechen, jetzt muss ich erst Shad fertigbehandeln und danach gibt es sicher noch einige Brandopfer in der medizinischen Abteilung. Die anderen sind sicher noch voll dabei, die Verletzten zu versorgen.' dachte sie sich und trat dann hinüber zur Kräuterhexe, die angespannt die große Schusswunde am Hals des Drachens genauer untersuchte. Auch Emily ging hinter der kleinwüchsigen Frau in die Knie und besah sich die Verletzung ebenfalls noch einmal genauer.

Es war im Grunde nichts Außergewöhnliches für die Ärztin, sie hatte schon tausende solcher Schusswunden gesehen und doch faszinierte es sie auf makabere Weise, wie Julia es geschafft hatte Shad derart präzise zu treffen. Sie kannte die Drachenanatomie nur von den wenigen Bildern, die Aidan ihr gezeigt hatte, aber diese reichten völlig, um sie unwillkürlich schlucken zu lassen. 'Hätte sie ihn nur zwei Zentimeter weiter oben getroffen, hätte der Schuss Shads Speise- und Luftröhre zerfetzt und vermutlich das Rückenmark ernsthaft beschädigt. Sprich, er wäre jetzt tot. Und dabei wusste sie nicht einmal, wie der Hals eines Drachens aufgebaut ist! Echt unheimlich wie gut Julias Instinkt manchmal ist.' überlegte Smith in Gedanken und langte behutsam über Angela hinweg, um den unteren Teil der Wunde abzutasten.

Das verödete Gewebe nässte stark und fühlte sich warm an, wie es eben bei Verbrennungen üblich war, doch immerhin blutete es nicht. Lediglich die knallrote Farbe des verödeten Fleisches und einige Brandblasen machten ihr Sorgen.

„Und, was meint ihr Angela? Kann euer Heiltrank hierbei helfen?" fragte sie die Kräuterheilerin anschließend, woraufhin diese ihr den Kopf zuwandte und eifrig nickte. „Ohja! Es sind wirklich nur hauptsächlich Muskeln verletzt worden. Da wirken meine Mittel am besten! Ich muss ihn nur geschwind aus meinem Rucksack holen." antwortete die kleine Frau aufgeregt und deutete in Richtung Amanda, die nachwievor matt auf einer Kiste hockte.

Robert saß in der Hocke vor ihr und hatte ihre stark verbundenen Hände mitfühlend in seine eigenen gelegt. Und neben ihnen stand der angesprochene Rucksack, schräg an die Kiste gelehnt. Nur von Micheal fehlte hingegen jede Spur.

Erleichterung machte sich in der Titanin breit, ein Gefühl, dass sie in den letzten Tagen nur selten verspürt hatte. „Fantastisch! Das erspart uns jede Menge Arbeit und Ärger! Lasst uns euren Rucksack sofort holen, oder benötigt ihr zusätzlich noch etwas? Verbandsmaterialien eventuell?" meinte Smith erfreut und erhob sich wieder auf die Beine. Angela schüttelte den Kopf und stand ebenfalls schwerfällig auf. „Nein, ich benötige nur meine Tränke. Er wird zwar eine unschöne Narbe zurückbehalten, aber eine Verband wird nicht nötig sein." „Perfekt. Ich folge euch." entgegnete die Titanin zufrieden und ein leises Klackern entlockte sich unwillkürlich ihren Kiefern.

Leicht überrascht starrte die Kräuterhexe sie an und wollte etwas verwirrt wissen: „Ist alles in Ordnung, Emily?" „Was? Oh, ach ja, ja. Ist alles in Ordnung, das ist nur – eine Angewohnheit. Bitte, geht vor." erwiderte die Feldärztin hastig und gestikulierte verlegen in Richtung des Rucksacks. Den Ursprung für das Klackern brauchte die Kräuterhexe nicht zu wissen. „Nun gut." murmelte diese nach einem kurzen Schulterzucken und stapfte dann mit schnellen Schritten hinüber zu Amanda und Robert, wobei Emily ihr dicht auf den Fersen blieb und innerlich dankbar seufzte. 'Das hätte mir jetzt gerade noch gefehlt.' Nur wenige Augenblicke später kamen sie neben dem Piloten und Micheals Frau zum stehen. Blitzschnell drehte Holsted, der seinen Helm locker an der Hüfte trug, ihnen den Kopf zu und meinte leise zischend: „Pscht!", während er leicht in Amandas Richtung nickte.

Smith und Angela sahen die angeschlagene Frau an und begriffen sofort, was der Titan versuchte ihnen mitzuteilen. Mrs. Forke hatte die Augen geschlossen, sie war leicht nach vorne gebeugt und ihre Schultern hoben und senkten sich gleichmäßig.

Sie war eingeschlafen.

„Na, alles klar? Was braucht ihr?" wollte der Pilot flüsternd wissend, woraufhin die Kräuterhexe auf den Rucksack zu seiner Rechten deutete. „Wir brauchen nur meine Sachen, nichts weiter. Es ist schön zusehen, dass sie trotz dem ganzen Tamtam ihrem Körper etwas Ruhe gönnen kann." erwiderte sie ebenfalls flüsternd und lächelte mitfühlend. „Ja. Kevin kam kurz auf Micheals Bitte vorbei und hat ihr ein Schmerz- und Schlafmittel verabreicht. Ein erholsamer, traumloser Schlaf ist genau das, was sie jetzt braucht. Wie sieht es mit dem Drachen aus, kommt ihr voran?" entgegnete Robert nickend und trat einen Schritt beiseite, um die Kräuterheilerin an ihren Rucksack zu lassen, wobei er darauf achtete den Griff um Amandas Hände nicht zu verändern.

„Es geht. Ally ist jetzt dabei, Shads Rückenmark zu flicken und wir werden nun die Schusswunde versorgen. Danach ist es im Grunde nur noch die Amputation des linken Vorderbeins und das Fixieren der Schädel- und Kieferfraktur. Den Flügel können wir erst richten, sobald sie mit dem Eingriff am Rückenmark fertig ist und auch die linke Hüfte kann warten." erklärte Smith und beobachtete gleichzeitig, wie Angela möglichst leise in ihrem Rucksack herumkramte. Einige gläserne und tönerne Klirrer konnte sie dabei jedoch nicht vermeiden.

„Ah, klasse! Ich wusste doch, du kriegst das hin, Schatz! Und nach der Amputation? Er bekommt doch eine Prothese nehm ich an? Wird wohl nur etwas schwer, sowas für einen Drachen konstruieren, der noch im Wachstum ist." meinte Holsted aufmunternd. Emily nickte zustimmend und schmunzelte verlegen. „Das stimmt, aber uns wird schon etwas einfallen, mein Bärchen. Wäre doch gelacht wenn nicht. Aber wo ist denn eigentlich Micheal hin? Sieht ihm gar nicht ähnlich, seine Frau allein zu lassen." Ihr Angetrauter grinste wissend, wobei er seine langen, spitzen Giftzähne kurzzeitig entblößte, welche seine oberen Eckzähne ersetzten.

Allerdings konnte Emily nicht umher, einen gewissen traurigen Ausdruck in seinen Augen zu erkennen, als er antwortete: „Er ist kurz in der medizinischen Abteilung etwas abklären, er sagte nicht genau was." Auch seine Stimme klang nicht ganz hasenrein. Aber momentan konnte sie nichts anderes tun, als die halbwahre Erklärung zu schlucken. „Aha. Na schön. Wie sieht es Angela? Habt ihr den – argh!" entgegnete sie leise und stöhnte dann jäh schmerzerfüllt auf, als sich ein pochender, drückender Schmerz entlang ihrer Seiten und dem Rücken ausbreitete. Doch so schnell er kam, so schnell verebbte er auch wieder. Nichtsdestotrotz beugte sich die Feldärztin leicht nach vorne und stemmte instinktiv die Hände in die Hüften.

'Nicht jetzt! Nur noch ein paar Stunden!' knurrte sie in Gedanken, während Angela erschrocken von ihrem Rucksack aufsah und mitfühlend ihre rechte Hand ergriff.

Auch Robert ließ vorsichtig Amandas Hände los, stand auf und stützte sie rasch ab. „Du meine Güte! Erschreckt uns doch nicht so! Ist alles in Ordnung? Habt ihr euch etwas gezerrt?" flüsterte die Kräuterhexe aufgebracht, doch Emily schüttelte nur krampfhaft den Kopf. „Wir haben späten Herbst, es ist wieder an der Zeit, oder? Soll ich dich auf dein Quartier bringen? Ich bin mir sicher, dass Kevin die restlichen Sachen auch locker übernehmen kann, das sind ja nur noch Routineeingriffe." bemerkte der Pilot ernst, aber wieder schüttelte die Ärztin energisch den Kopf. „Nein, nein ich – ich pack das voll. Die zwei Stunden halte ich es noch durch. Gib mir einfach nur geschwind einen Moment." keuchte die Titanin und löste sich mit sanfter Gewalt aus Roberts und Angelas Griff.

'Verdamter Mist, warum jetzt? Ich hatte gehofft es noch ein paar Tage hinauszögern zu können. Verfluchte Scheiße! Nur noch ein, zwei Stunden, dann kann ich mich zurückziehen. Hoffentlich halte ich die Schmerzen bis dahin aus.' fluchte sie innerlich und zwang sich ruhig aus- und einzuatmen. Sie musste durchhalten. Angela durfte sie auf keinen Fall sehen, erst recht nicht in diesem Zustand! Die Kräuterhexe durfte nicht wissen, was mit ihr los war! Sie durfte nicht wissen, was für ein Monster sie in Wirklichkeit war!

„Ihr seid ein miese Lügnerin, Emily. Etwas bereit euch große Schmerzen. Wenn ihr mir sagt, was euch fehlt, kann ich vielleicht helfen! Ich besitze mehrere Tränke für verschiedene Schmerzursachen, von harmlosen Flohbissen, bis hin zu schweren Schwertwunden." widersprach die Kräuterheilerin vorwurfsvoll und sah Smith mit geschürzten Lippen an. „Es sind nur ein paar Krämpfe, ich habe mich in den letzten paar Tagen wohl etwas übernommen." log diese hastig und hob abwehrend die Hand, woraufhin sich Angelas Gesicht wieder aufhellte. „Na dann sagt das doch gleich! Gegen Krämpfe habe ich etwas ganz wunderbares! Ein Sud mit Gänsekraut und einigen anderen Kräutern. Mein eigenes Rezept, das wirkt Wunder! Ihr werdet sehen, nur ein kleines Schlückchen. Moment, ich suche die Phiole sofort heraus."

Emily rutschte das Herz in die Hose. Wie sollte sie Kräuterhexe nun davon abhalten ohne auffällig zu sein? Zum Glück, sprang ihr Ehepartner für sie ein. Nur nicht so, wie sie es gehofft hatte.

„Oh, das wäre großartig, Angela!" meinte Robert freundlich und legte seinen Arm abermals fürsorglich über ihre Schultern. Wie ein Blitz fuhr die Ärztin mit ihrem Kopf zu ihm herum. Er konnte ihr zornig-ungläubiges Gesicht hinter dem verspiegelten Visor nicht sehen, aber die wütenden Klick-Laute die aus ihrem Helm hervordrangen, waren deutlich zu hören. Wollte er unbedingt, dass sie ihr Gesicht vor Angela entblößte? Der Pilot jedoch führte seinen gepanzerten, rechten Zeigefinger an die Lippen und bedeutete ihr mit einem Augenzwinkern still zu sein. Skeptisch zog Emily eine Augenbraue nach oben, kam seiner Aufforderung jedoch nach und unterdrückte ihre instinktiven Laute. 'Was hat er denn jetzt bitte vor?' fragte sie sich immer noch leicht verstimmt.

Die Kräuterheilerin hatte von alledem zum Glück nichts mitbekommen, da sie damit beschäftigt war, erneut in ihrem Rucksack zu stöbern, bis sie schließlich eine handballengroße Phiole herauszog. Eine knallgelbe Flüssigkeit schwappte darin herum und löste schon vom puren Ansehen her einen leichten Brechreiz in der Feldärztin aus. Mit einem breiten Lächeln auf den Lippen drehte Angela sich zu ihnen um und reichte ihnen das Fläschchen entgegen. „Hier! Am besten trinkt ihr es ganz. Und ihr braucht euch keine Sorgen zu machen, der Trank ist ganz einfach zubereitet, sprich ihr bereitet mir keine Schwierigkeiten damit." „Oh – ich – äh – danke." stammelte die Titanin und nahm die Phiole zögerlich entgegen. „Keine Ursache! So, jetzt muss ich nur noch endlich diesen verflixten Heiltrank finden!" plapperte die kleine Frau abwinkend und wandte sich abermals dem Rucksack zu.

Darauf schien Robert nur gewartet zu haben, denn er beugte seinen Kopf rasch zu Emily herunter und flüsterte leise: „Ich wird das Zeug trinken, entriegel du einfach deinen Helm, warte ein paar Sekunden und versiegele ihn dann wieder, damit Angela denkt, du hättest ihn abgenommen, um die Medizin zu trinken." Mit diesen Worten, nahm er ihr behutsam das Fläschchen aus den Händen, entkorkte es und kippte seinen Inhalt einfach in seinen Rachen, ohne weiter darüber nachzudenken und noch bevor seine Frau widersprechen konnte. Augenblicklich verzogen sich seine Mundwinkel, als hätte er gerade eine ganze Zitrone in seinem Mund zerkaut. Trotzdem schaffte er es noch der verhalten kichernden Emily anzudeuten, ihren Helm zu entriegeln, was diese auch einige Momente später tat.

„Du bist unmöglich!" wisperte sie ihm leise zu, was Holsted nur mit einer Grimasse, die wohl bedeutete 'Sprich für dich selbst.', kommentierte. Sie wartete einige Sekunden, dann versiegelte sie ihren Helm wieder, nahm das leere Fläschchen aus Roberts Händen und geduldete sich, bis Angela: „Hah! Hab ich dich!" ausrief und eine faustgroße Phiole mit blutrotem Inhalt aus dem Rucksack zog.

Dieses Fläschchen ähnelte in seiner Form einem gewöhnlichen Rundkolben und war mit einem einfachen Glaspfropfen verschlossen. Die Flüssigkeit im Inneren sah Blut zum verwechseln ähnlich, nur die Farbe wirkte etwas knalliger und auch die Zähigkeit war deutlich geringer, als die des roten Lebenssafts.

Geschwind drehte sich die Kräuterhexe um und lächelte erfreut, als Smith ihr die leere Phiole in die freie linke Hand drückte. „Und? Ich hoffe es hilft. Normalerweise wirkt es fast sofort." „Ohja, mir geht es schon besser, habt Dank, Angela." log die Titanin und neigte respektvoll den Kopf. „Und da sage noch einmal einer was gegen meine Tränke! Sehr schön. Den Heiltrank für Shads Halswunde habe ich auch endlich gefunden. Am besten wir verlieren keine Zeit, sie nun endlich zu heilen. Falls nötig könnt ihr euch auch noch ein paar Minuten von den Krämpfen erholen, bei dieser Prozedur könnt ihr leider ohnehin nicht helfen." meinte die Kräuterheilerin zuversichtlich. „Ihr könnt schon einmal vorrausgehen und mit der Heilung beginnen, ja. Ich komme gleich nach." stimmte Emily nickend zu und Angela legte schnell das leere Fläschchen zurück, bevor sie an den beiden Titanen vorbei in Richtung Shad stürmte. Robert wartete, bis die Kräuterhexe außer Hörweite war, dann ging er leicht in die Hocke, um auf Augenhöhe mit seiner Frau zu sein. Gleichzeitig umfasste er zärtlich ihre Hände.

„Du musst dich nicht quälen. Erinner dich an vorletztes Jahr, als du dich kurz davor übernommen hast mit dem Stress, so etwas müssen wir nicht wiederholen." merkte er ernst an und lehnte liebevoll seinen Kopf auf die Stelle ihres Helms, wo normalerweise die Stirn lag. „Ich weiß, aber ich will wenigstens noch das Bein amputieren, die Schädelplatten fixieren und den Kiefer richten. Das ist schnell erledigt." erklärte Emily flüsternd, doch der Pilot blieb stur. „Na schön, aber sobald ich auch nur ansatzweise sehe, dass es zu viel wird, schnappe ich dich und bringe dich auf dein Quartier. Und versuch gar nicht erst es zu verheimlichen, Liebes, du weiß, dass mir sowas auffällt." sagte er ihr und kostete die Luft mit seiner gespaltenen Schlangenzunge, um die Aussage zu unterstreichen.

„Jaja, ich weiß." brummte die Feldärztin leicht genervt. Sie wusste, dass er ihre Pheromone riechen konnte, da sie die Armpanzerung ihres Atlas abgeschraubt hatte, um präziser arbeiten zu können. Ihre schwarzen, neoprenartigen Schutzhandschuhe trug sie allerdings noch aus gutem Grund unter den durchsichtigen Operationshandschuhen. „Glaub mir, ich war froh, oben im Dorf den Helm aufgehabt zu haben. Und jetzt los, bevor ich dich direkt wegtrage!" murmelte Robert und drückte ihr einen Kuss auf den Visor, bevor er sie losschickte. Emily fuhr ihm noch einmal zärtlich über die linke Wange, dann huschte sie eiligst Angela hinterher.

Während sie der kleinen Frau hinterherrannte, hielt sie sich instinktiv die rechte Seite, welche abermals kurz pochte. Sie musste sich wirklich beeilen, oder Robert würde seine Drohung wahr machen – müssen.

Wenige Sekunden später kam sie neben der Kräuterheilerin zum stehen, die selbst erst vor wenigen Momenten an der Halswunde in die Hocke gegangen war. Die kleinere Frau zuckte regelrecht zusammen, als Smith neben ihr in die Knie ging. „Huch! Schleicht euch doch nicht so an! Ich darf dieses Fläschchen nicht fallen lassen, dafür ist der Inhalt zu wertvoll." schalt sie die Titanin gespielt verärgert und löste in der Zwischenzeit den Glaspfropfen von dem Rundkolben.

„Verzeiht." entschuldigte sich die Feldärztin ehrlich und wollte wissen: „Sind die Zutaten etwas so wertvoll?" Angela schüttelte den Kopf. „Mitnichten, die Zutaten dafür könnt ihr in jedem beliebigen Wald sammeln. Nein, was diesen Trank so kostbar macht, ist die Tatsache, dass er fünf Jahre vor sich hin köcheln und mehrmals gefiltert werden muss." „Fünf Jahre? Das ist in der Tat eine lange Zeit, Angela. Dann werde ich jetzt ganz still bleiben, bis ihr mir wieder das Okay gebt." erwiderte die Titanin leicht überrascht und verstummte, als die Kräuterhexe zustimmend nickte.

Fasziniert beobachtete Emily sie dabei, wie sie langsam anfing kleine Tropfen auf die Innenseite der Wunde zu träufeln und dabei in irgendeiner unbekannten Sprache Texte aufsagte. Wider sämtlicher Logik schien die knallrote Flüssigkeit regelrecht vom verödeten Gewebe aufgesogen zu werden, aber die Ärztin hielt sich mit ihren Fragen zurück. Zunächst geschah einige Minuten lang gar nichts, bis auf das Angela gut ein Fünftel des Inhalts der Glasphiole auf das Wundgewebe tröpfelte und irgendwelche Formeln vor sich hin murmelte. Aber dann, mit einem Mal, bemerkte Smith eine Veränderung!

Verblüffte sah sie mit an, wie das noch zuvor geschundene, leicht rötliche Gewebe seine normale Farbe annahm und das nicht nur an der Stelle, wo die Tinktur auf das Fleisch getroffen war, nein, die gesamte Oberfläche der röhrenartigen Wunde begann sich zu verändern! 'Was zur Hölle?' dachte sich Emily und riss ihre Augen noch weiter auf, als die Wunde langsam aber sicher damit begann sich selbst zu verschließen! Durchtrennte Muskelstränge bildeten neue Fasern zwischen beiden Hälften, Sehnen schienen wie frische Äste neu zu treiben, Blutgefäße rankten sich durch das Fleisch wie Wurzeln und auch sämtliche andere Gewebestrukturen begannen sich in einer atemberaubenden Geschwindigkeit zu regenerieren.

Die Titanin fühlte sich sofort an ihre Naniten erinnert.

'Das ist absoluter Wahnsinn! Ich meine, die Naniten sind zwar noch um einiges schneller, aber dafür, dass Angela dafür nur einen Trank und vielleicht ein bisschen Magie nutzt, ist das unvorstellbar! Wie muss es wohl aussehen, wenn ein richtiger Magier solch eine Verletzung heilt?' überlegte sie fasziniert und beobachtete weiterhin, wie sich die große Schusswunde immer weiter verschloss. Allerdings registrierte sie auch, dass die Kräuterhexe immer mehr von dem Trank auf das frisch gewachsene Gewebe anwendete. Schon gut ein ganzes Drittel von der roten Flüssigkeit hatte sie verbraucht. Die Minuten verstrichen wie im Fluge und schon bald war Angela an einem Punkt angekommen, wo der Spalt zwischen den Wundränder zu schmal war, um weiterhin die Tinktur problemlos aufragen zu können. Aber das schien sie nicht zu stören, denn sie murmelte immer weiter ihre fremdsprachigen Formeln und die Regeneration verlief auch immer noch ohne zu stocken. Erst, als die Wunde kurz davor stand zusammenzuwachsen, verlangsamte sich der Vorgang enorm.

Der Grund dafür schien die langsam nachwachsende Haut zu sein. Scheinbar war diese im bisherigen Regenerationsvorgang vernachlässigt worden und zog sich erst jetzt langsam an den Wundrändern empor. Emily musste ein Stöhnen unterdrücken, als sich abermals ein pochender Schmerz entlang ihrer gesamten Wirbelsäule und den beiden Seiten zog. Derartig abgelenkt konnte sie erst wieder richtig zusehen, als nun alles zusammenwuchs. 'Ah, das meinte sie mit unschöner Narbe.' dachte sie leise keuchend und betrachtete die wulstige Narbe, die sich längsseits des Halses, auf der ungefähren Mitte der Schusswunde gebildet hatte. Was ihr noch auffiel, war, dass sich zwar die rötliche Unterhaut von Shad praktisch komplett regeneriert hatte, doch von Schuppen, fehlte jede Spur.

Erst jetzt seufzte auch Angela schwer, stöpselte die Flasche wieder zu und befühlte vorsichtig die frisch geheilte Stelle. Etwas besorgt erkannte die Titanin, dass die Hände der Kräuterhexe dabei leicht zitterten. „Puuh! Das war vielleicht ein Akt! Hat mich doch mehr vom Heiltrank und meiner Energie gekostet, als ich dachte. Aber immerhin ist jetzt alles wieder im Lot. Ach ja, ihr könnt ruhig wieder sprechen Emily." plapperte die kleinwüchsige Frau munter drauflos und nickte zufrieden, während sie die neugewachsene Haut abtastete.

„Das war überaus faszinierend Angela. Wenn ihr nichts dagegen hättet würde ich gerne mehr über eure Heilkunst lernen. Aber natürlich erst wenn wir Zeit dafür haben. Wirklich unglaublich, viel besser hätten wir die Wunde nicht versorgen können, selbst mit unseren besten Mitteln." entgegnete Emily lobend und zwang sich gleichzeitig ruhig ein- und auszuatmen. 'Nur noch die Amputation, den Schädel und den Kiefer.' beschwor sie sich in Gedanken ein und bemerkte aus dem Augenwinkel, wie Robert sie mit argwöhnischer Miene beobachtete. „Natürlich gerne, Emily. Es freut mich immer mein Wissen an andere Heiler weitergeben zu können. Und ich bin mir auch sicher, dass ich einiges von euch lernen kann." erwiderte die Kräuterheilerin und verstaute den Heiltrank in einer ihrer zahlreichen Jackentaschen.

„Ich hätte da nur eine Frage. Ich verstehe, wie diese Narbe in der Unterhaut zustande kommt, aber, wieso vermag es euer Heiltrank nicht auch die Schuppen nachwachsen zu lassen? Gibt es dafür einen speziellen Grund?" hakte Smith neugierig nach, während sie ebenfalls vorsichtig die neu gewachsene Haut mit den Fingern überprüfte. „Oh das. Nun, Drachenschuppen sind etwas Besonderes. Ich besitze nicht das Wissen, sie sofort wiederherzustellen. Sie müssen langsam nachwachsen. Bei solch einer Fläche wird das vielleicht einen Monat dauern, je nachdem. Obwohl, normalerweise sollte einer der Reiter vom Orden über die nötige Magie verfügen und da Eragon so wie ich ihn kenne jeden freien Reiter hierher beordert hat, dürfte die kahle Stelle kein Problem darstellen. Wenn ich mich recht entsinne wird Trestol schon in den nächsten paar Tagen hier eintreffen." antwortete Angela beiläufig. „In den nächsten paar Tagen?" „Hhm? Ohja! Eragon selbst meinte er bräuchte etwas um die vier Tage, wenn ich es noch recht im Kopf habe , aber glücklicherweise ist Trestol mit seinem Drachen viel früher hier. Mit etwas Glück vielleicht sogar bereits Morgen! Es ist nur sehr traurig für ihn, fast seine gesamte Familie verloren zu haben."

Emily lief ein kalter Schauer über den Rücken.

'Es wäre schon schwer genug gewesen den überlebenden Dorfbewohnern aus dem Weg zu gehen, aber mehreren Drachenreitern samt Drachen? Micheal wird verlangen, dass ich anwesend bin. Sie dürfen mich nicht so sehen, nicht in diesem Zustand! Nein, nein, nein, nein, nein!' dachte sie leicht panisch. Ausgerechnet in den Tagen, an denen sie keinen Atlas und nicht einmal ihren neoprenartigen Schutzanzug tragen durfte würden dutzende Personen hier auftauchen, mit denen sie unter Umständen sprechen musste! Schließlich war sie neben Alina die einzige behandelnde Ärztin. Die Reiter würde sie unweigerlich als das Monster sehen, dass sie eigentlich war und sie konnte nichts tun, um es zu verhindern.

Ihre Hände verkrampften sich leicht.

„Zumindest die Heilung jetzt gerade hat einwandfrei geklappt. Eigenlob stinkt zwar, sagt man, aber mein Heiltrank wirkt wirklich grandios. Nun denn, sollen wir fortfahren? Es gibt sicherlich noch die ein oder andere Verletzung, die wir versorgen müssen!" plapperte Angela munter weiter und holte Emily damit, zumindest teilweise aus ihren panischen Gedanken zurück. „Was? Oh! Ja natürlich. Als nächsten sollten wir uns Shads linkes Vorderbein vornehmen. Das müssen wir amputieren, ansonsten wird er unweigerlich durch irgendeine Infektion oder einer Blutvergiftung sterben. Außerdem ist es ohnehin zu beschädigt, um es zu rekonstruieren." erklärte Smith und schüttelte kaum merklich den Kopf, um sich wieder etwas zu sammeln.

„Ah, ja, sein Bein. Ich habe es vorhin gesehen. Sieht wirklich nicht gut aus, vor allem habe ich mich gefragt, was dieses weiße Zeug war, das ihn bedeckte? Man könnte glatt meinen jemand hätte ihn in eine Zuckerglasur getaucht." bemerkte die Kräuterhexe und folgte der Titanin mit schnellen Schritten, während diese zurück zum medizinischen Equipment eilte, um die notwendigen Instrumente für die Amputation zu beschaffen. So konnte sie sich immerhin etwas von dem ablenken, das ihr nach der OP bevorstand. „Das ist ein blutungsstillendes Mittel, Angela und mit der weißen Färbung kann man besser erkennen, ob es überall wirkt." antwortete Emily und langte schnell nach einem leeren Tablett, auf das sie ein frisches Diamantskalpell, die Knochensäge, die Box mit dem bioneutralen Wundgewebe, eine Nähnadel mit gewöhnlichem Faden, Desinfektionsspray, Wundsalbe, Verbandszeug und mehrere der imprägnierten Tupfer zusammenräumte.

„Oh! Das ist natürlich überaus nützlich!" meinte Angela fasziniert und kam gar nicht erst dazu stehenzubleiben, da die Feldärztin schon wieder auf dem Weg war, ehe die Kräuterhexe sie überhaupt erreichte. Mit großen Schritten eilte die Titanin einmal um Shads Kopf herum und blieb vor dem linken Vorderbein stehen, oder zumindest vor den Überresten, die einmal ein Bein dargestellt hatten.

Die Extremität war nur noch ein weißer, matschiger Klumpen, bestehend aus zerfetzten Muskeln, zertrümmerten Knochen, zerrissenen Bändern und Sehen und gestocktem Blut. Das einzig Positive, was die Ärztin daran erkennen konnte war, dass die weiße Schutzschicht kaum mit roten Spritzern benetzt wurde. 'Wenigstens eine Sache die gescheit funktioniert.' knurrte sie innerlich und reichte das Tablett an die Kräuterheilerin weiter, die etwas außer Atem neben ihr zum stehen kam. „Haltet bitte das Tablett, während ich das Bein abtrenne. Es sollte nicht lange dauern." bat Smith bestimmt und nahm gleichzeitig das Diamantskalpell und das Desinfektionsspray von der Platte. Angela nickte bestätigend, nahm das Tablett entgegen und stemmte sich leicht schnaufend die linke Hand in die Hüfte.

Währenddessen funkte Emily, Aidan direkt an, um Alina bei ihrer Arbeit nicht zu stören: „Aidan? Kannst du das Stasisfeld um das linke Vorderbein herum herunterfahren? Ich würde es nun gerne amputieren." „Natürlich Ma'am. Schwäche Stasisfeld in Quadrant Gamma 2-4 ab." entgegnete die KI sachlich und fügte nach einer kurzen Pause hinzu: „Falls sie mir die Bemerkung erlauben, Lieutenant, ihre Bio-Werte deuten stark daraufhin, dass sie kurz davorstehen sich zu h – " „Danke Aidan, das habe ich selbst schon festgestellt." unterbrach sie ihn unwirsch und beendete den Funkkontakt wieder.

Sie verlor keine weitere Zeit und sprühte ohne Umschweife alles um das Schultergelenk herum ein, bevor sie eine Schuppe vom noch intakten Gewebe, knapp unterhalb des eigentlichen Gelenks heraus zupfte. Allerdings benötigte sie hierfür zwei Anläufe, da ihr beim ersten Mal die Schuppe aus den Fingern glitt. 'Oh nein, nein, nein, nein, nein! Ich fange schon an, das Gefühl in meinen Fingerspitzen zu verlieren! Ich muss mich beeilen!' fluchte sie innerlich und setzte zum Schnitt an. Dieser war zum Glück recht einfach durchzuführen.

Sie musste die Extremität lediglich knapp einen Zentimeter unterhalb des Beinansatzes abtrennen und das Gelenk selbst mit Hilfe der Knochensäge herausholen, damit sie später eine vollbewegliche Prothese ansetzen konnten. So also durchtrennte sie geschwind das Schuppenkleid samt den obersten Hautschichten entlang einer halbwegs geraden Linie und begann dann fortführend anhand dieser Linie tiefer in das Fleisch zu schneiden. Zentimeter um Zentimeter arbeitete sie sich vorwärts, immer darauf bedacht die größeren Nervenbündel sauber zu durchtrennen. Diese würden sie später benötigen, um die Prothese mit dem Nervensystem zu verbinden. Die Minuten verstrichen, während Emily immer weiter das Skalpell führte.

Shads Bein war vom Umfang her geradeso groß, dass die Titanin es einmal mit ihren Armen hätte umfassen können, weswegen es seine gewisse Zeit brauchte, um überhaupt bis hinunter zum Knochen zu gelangen. Doch gerade die Zeit, war ihr größter Feind. Sie konnte spüren, wie sie immer mehr das Gefühl in ihren Fingern verlor. Zunächst nur die Spitzen, dann die Fingerkuppen und schließlich die gesamte Hand. Sie konnte sie immer noch bewegen, das war nicht das Problem, nur ohne Gefühl ließ es sich nur schlecht präzise arbeiten. Die Feldärztin schaffte es noch sich ringsherum bis hinunter zum Knochen vorzuarbeiten und das Schultergelenk etwas frei zu legen, dann musste sie das Skalpell zwangsweise beiseitelegen. Die letzten paar Schnitte hatte sie nur per Augenmaß durchführen können und war deswegen heilfroh, auf keine größere Nervenbündel mehr gestoßen zu sein.

'Verfluchte Scheiße!' knurrte sie innerlich, als sie zittrig einige Tupfer griff, um damit die Blutungen zu stoppen. Emily benötige ein knappes Dutzend der imprägnierten Wattebäusche um die gesamte Schnittfläche abzudecken. Die blutgetränkten Tupfer warf sie einfach neben sich auf den Boden und wollte gerade mit ihrer mittlerweile stark zittrigen Hand nach der Knochensäge langen, als ein grasgrün gepanzerter Handschuh ihren Arm sachte festhielt.

Überrascht blickte sie auf und bemerkte Kevin, welcher sie behutsam festhielt und Robert, der mit verschränkten Armen hinter ihm stand. „Robert hat mir Bescheid gegeben. Kein Sorge, ich mache das hier alles voll fertig, Aidan hat mir die entsprechenden Schemata bereits geschickt. Du nimmst dir jetzt gefälligst die Zeit die du brauchst und machst dir keinen Kopf um uns." erklärte der Captain mit seiner gewohnt ruhigen und langsamen Art.

„Dafür werde ich schon sorgen." fügte Holsted ernst hinzu und hob Emily auf seine Arme, noch bevor diese überhaupt protestieren konnte.

„Hey!"

„Tut mir leid Angela, aber Emily muss sich jetzt erst einmal ausruhen. Darf ich euch Kevin Pestoun vorstellen? Kevin, das ist Angela, die Kräuterhexe." meinte der Pilot weiterhin, worauf der Angesprochene eine leichte Verbeugung andeutete. „Freut mich eure Bekanntschaft zu machen." „Die Freude ist ganz meinerseits, aber was ist mit Emily? Ist sie krank? Ich habe das leichte Zittern bemerkt, mir aber nichts dabei gedacht." erwiderte Angela etwas verwirrt und sah besorgt zu der Titanin auf, die mittlerweile den Arm um den Hals ihres Mannes gelegt hatte. Sie wollte gerade antworten, als sich abermals ein heftiger Schmerzschub durch ihre Seite und den Rücken zog und sie instinktiv den Kopf gegen Roberts Brust drückte.

Dieser erkannte den Ernst der Lage sofort und antwortete deshalb hastig: „So ähnlich, Angela. Mit etwas Glück wird sie es euch Morgen selbst erklären können. Jetzt aber müsst ihr uns wirklich entschuldigen. Befolgt einfach das, was Kevin euch sagt!"

Mit diesen Worten drehte er sich um und rannte mit seiner Frau auf den Armen davon in Richtung der Quartiere. Aus den Augenwinkel heraus konnte Emily noch eine gigantische schwarze Gestalt an Deck der Venator sehen, doch auf Grund der Schmerzen konnte sie nicht näher auf die Hangarluke achten. Außerdem bog Robert ohnehin in diesem Moment bereits auf einen Gang ein, der vom Hangar wegführte. „Nur noch ein paar Augenblicke durchhalten, Liebling." murmelte ihr leise zu, während seine schnellen Schritte ein lautes Echo erzeugten, das von den Wänden hin und her prallte. Smith antwortete nicht laut, sondern nickte nur stumm und krallte sich regelrecht um seinen Hals. Die Schmerzen an ihren Seiten und am Rücken wurden immer drückender. Sie hatte es, wie von Robert vorhergesagt, übertrieben. Leider lagen die Quartiere tief im Innern der Venator, weshalb sie noch knappe zwei Minuten lang irgendwelche Gänge entlang rannten, bis sie schließlich vor Emilys Zimmer stehen blieben.

Per Knopfdruck betätigte der Pilot den hydraulischen Öffnungsmechanismus und praktisch sofort glitt die Tür mit einem leisen Zischen auf. Ohne zu zögern trat er ein, wo die beiden vom gelblichen Notlicht begrüßt wurden. Alles stand noch genau dort, wo es sein sollte, wenn man von der heruntergeworfenen Bettdecke, einigen Kissen und dem umgefallenen Stuhl einmal absah. Der Tisch, das Bett und der Kleiderschrank waren zum Glück fest am Boden verschweißt. Vorsichtig setzte er Emily ab und führte sie hinüber zu einer Nische an der Wand. Die Titanin zitterte mittlerweile am gesamten Körper. Behutsam griff er sie an den Schultern und drehte sie zu ihm um, sodass sie sich nun Auge in Auge gegenüberstanden. Langsam machte er sich daran die Versiegelung ihres Helms zu lösen, doch sie hielt seine gepanzerten Hände mit ihren zittrigen Fingern davon ab.

„Es ist niemand hier, außer uns beiden." flüsterte er ruhig und wartete, bis sie zögerlich ihre Hände zurücknahm. Erst dann löste er die Sicherung und nahm ihr mit dem charakteristischen zischen den Helm vom Kopf. Und da stand sie. Pechschwarze, schulterlange Haare hinter denen ihre Ohren verborgen lagen und wunderschöne, glänzende Augen, deren Iris ebenfalls komplett schwarz war. Doch hier hörten die Gemeinsamkeiten zu einem normalen Menschen bereits auf, wenn man von der kleinen Stupsnase einmal absah.

Ihre gesamte Gesichtshaut, war keine Haut, sondern bestand aus dem gleichen, weichen Panzer, wie der Abdomen einer Spinne!

Sie besaß ein feines, weiß, schwarzes Muster auf diesem Panzer, wobei das Weiß überwiegte und zusätzlich zu ihrem normalen Paar Augen besaß sie insgesamt vier weitere. Jeweils eines direkt neben den Normalen und dann noch je eines an der linken und an der rechten Schläfe. Und allesamt waren auf Robert gerichtet. Auch ihr Mund war nicht normal, zwei dicke Mandibeln wuchsen links und rechts von ihren Wangen aus und wurden von ihr in der Mundhöhle versteckt. Mit ihnen erzeugte sie ihre gewohnten Klick-Laute, wenn sie wütend wurde, oder aber wenn sie sich freute. Doch jetzt blieben sie stumm, als sie ihren Mund einen Spalt weite öffnete, um die Kieferklauen nach außen zu lassen. Er erhaschte einen kurzen Blick auf ihre stechnadelartigen Zähne, aber nur wenige Momente später schloss sie ihn schon wieder.

Das war das Ergebnis der ersten Phase des Darwin-Protokolls.

Leicht beschämt wollte Emily ihren Kopf abwenden, doch Robert hinderte sie daran. „Du brauchst dich vor mir nicht zu verstecken, Dummerchen." gluckste er liebevoll und gab ihr einen dicken Kuss mitten auf den mit Mandibeln bewehrten Mund. Er konnte spüren, wie die mächtigen Kieferwerkzeuge seine Wangen betasteten, als sie seinen Kuss erwiderte. Ein Biss von ihr würde ausreichen, um einen Elefanten zu töten, doch ihn lies das kalt. Sie blieben einige Augenblicke so innig vereint, bevor sie sich wieder voneinander lösten.

„Die Dorfbewohner, Angela, die Reiter – . Sie dürfen mich nicht so sehen, für sie bin ich nur ein Monster." wisperte die Titanin traurig und blinzelte gleichzeitig mit allen sechs Augen. Robert hob ihr Kinn an und gab ihr noch einen Kuss auf die Stirn. „Na ich weiß nicht so recht Schatz, ich habe hier schon Wesen gesehen, die so groß waren wie du, mit gräulicher Haut, Hörnern auf dem Schädel und gelblichen Augen. Nicht zu vergessen, dass es hier Drachen gibt." „Ja, jetzt vielleicht, aber du weißt, was nach meiner Häutung passiert!" hielt sie dagegen und drückte ihr Gesicht gegen seine gepanzerte Brust. „Ja das weiß ich." entgegnete der Pilot. „Ich hoffe doch, dass du deswegen auch in den letzten Wochen deine Spezialrationen gegessen hast?" „Ja natürlich, ich will mir ja nicht noch einmal dieses Zeug als Infusion legen lassen." knurrte Emily. Er nickte zufrieden.

Die Spezialrationen, die er meinte, beinhalteten einen großen Anteil von Graphen, das die Naniten in ihr Exoskelett mit einbauten und zusätzlich mehrere der metallischen Komponente, die die Knochen der Titanen praktisch unzerstörbar machten. Denn schließlich besaß eine Spinne von Natur aus acht Extremitäten, auch wenn Emily darauf bestand sich nach jeder Häutung die nachgewachsenen vier Arme auszureißen, um wenigstens in ihrem Anzug menschlich zu wirken. Diesmal wollte Robert aber genau das verhindern. Hier in diesem Land, brauchte sie sich nicht mehr verbergen. Es gab hier so viele "natürliche Freaks", dass sie mit ihrer Mutation gar nicht großartig auffiel.

So also sagte er zu ihr: „Gut. Dann zieh dir jetzt erst einmal den restlichen Anzug aus und warte auf mich in der Dusche, damit ich dir mit der Häutung helfen kann." „Okay." gab sie leise zurück, zog die durchsichtigen Operationshandschuhe aus und betrat nach einem weiteren Knopfdruck die automatische Umzugskammer, die in jedem Quartier eingebaut war und seinen eigenen EMP-Schutz besaß, damit die Titanen auch im Falle eines gelungenen EMP-Angriffs in ihren Anzug schlüpfen konnten. Lächelnd ließ der Pilot seine Frau in der Maschine zurück, warf ihren Helm aufs leere Bett und huschte dann hinüber in sein eigenes Zimmer, das günstigerweise direkt gegenüberlag. Dort verlor er keine Zeit, legte den Helm achtlos auf den Tisch und betrat ebenfalls die Umzugsmaschine.

Im Innern der Maschine war es stockduster, nachdem sich die Türen geschlossen hatten, nur das Sirren der Hochleistungsschraubendreher und das Klackern mehrere mechanischer Arme, die die abgeschraubten Panzerungsplatten wegnahmen, war zu hören. Der ganze Vorgang dauert nur eine knappe Minute, dann öffneten sich die Türen wieder und Robert trat nur noch mit dem schwarzen Unteranzug begleitet ins Licht der gelben Notbeleuchtung. Rasch zog er diese ebenfalls aus und schlüpfte dann in eine blaue Badehose, die er eiligst aus seinem Schrank kramte, der von Micheals Kopfübermanöver vollkommen durcheinander gewirbelt war. Danach eilte er wieder hinüber in Emilys Quartier, wo er achtsam die Tür hinter sich schloss.

Das leise Rauschen einer Dusche war im Hintergrund zu hören und ohne groß zu zögern steuerte Robert das Bad-Abteil der Unterkunft an. Auch hier herrschte nach wie vor das gelbe Notlicht vor, Boden und Wände waren aus weißer Keramik ausgekleidet. In der rechten Ecke stand in einem extra abgegrenzten Bereich das WC, davor die enorme Badewanne, in die gut und gerne fünf normale Menschen hineingepasst hätten und schließlich auf der linken Seite, neben dem Waschbecken, war eine große Regenwalddusche ins Eck eingelassen.

Und Emily stand bereits darin.

Im Gegensatz zu ihrem Ehemann trug sie überhaupt nicht am Leib und war splitterfasernackt, was man jedoch auf den ersten Blick nicht gleich erkannte. Denn ihr gesamter Körper war von einem schwarzen Exoskelett eingehüllt. Insbesondere an den Beinen und den Armen konnte man gut den matt glänzenden Außenpanzer betrachten, wohingegen ihre Bauch- und Brustregionen von dem gleichen weichen, weiß-schwarzen Panzer überzogen waren, wie ihr Gesicht. An ihren Seiten konnte Robert noch gut die Ansätze ihrer anderen Arme erkennen, die sie sich bei der letzten Häutung direkt ausgerissen hatte, noch bevor ihr Exoskelett aushärten konnte.

Er wusste, dass sie ihn bereits bemerkt hatte, es war unmöglich sich an sie heranzuschleichen, weswegen es ihn auch nicht überraschte, dass sie schnell spielerisch ihre Brüste mit den Händen bedeckte und ihm den Rücken zuwandte. Dieser war im Gegensatz zu ihrem Bauch aus mehreren harten Panzerplatten bedeckt, die so angeordnet waren, dass sie sie in ihrer Bewegungsfreiheit nicht einschränkten. Allerdings besaß dieser Panzer nun entlang ihrer Wirbelsäule einen Riss.

Mit einem sanften Lächeln betrat er die Dusche, wobei sein schwarzes Haar sofort von den Fluten durchtränkt wurde. Er stellte sich hinter Emily und sie schmiegte ihren Rücken liebevoll an seinen Bauch, lehnte den Kopf zurück und sah ihn blinzelnd durch den künstlichen Regen hindurch an. Der Pilot war knapp einen halben Meter größer als sie, doch das störte die beiden nun nicht, denn er beugte seinen Kopf einfach zu ihr hinunter und gab ihr einen innigen Kuss, den sie ebenso leidenschaftlich erwiderte. Dabei berührte sie seine Wange zärtlich mit ihrer rechten Hand, deren Innenseite ebenfalls mit dem weichen Panzer bekleidet war, ganz im Gegensatz zum Handrücken.

Liebevoll drehte er sie abermals um, sodass nun ihre üppige Brust gegen ihn drückte, dies ignorierte er jedoch größtenteils und umarmte sie stattdessen liebevoll, wobei er mit seinen beiden Händen vorsichtig den Riss in ihrem Rücken suchte. Sie zischte leise, ließ die schmerzhafte Berührung jedoch zu. „Ich bin auch ganz vorsichtig." versicherte er ihr leise und begann dann langsam aber sicher, ihre alte Haut abzulösen, was Emily sofort einen kleinen Schmerzensschrei entlockte.

Und dabei hatte der stundenlange Vorgang gerade erst begonnen.



[Eragon Fan-Fiction] Der Titan und die DrachenreiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt