Tod bei Berührung

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Drei Tage zuvor


„Und, wie sieht es aus Mark, kommst du voran?" fragte Micheal neugierig, als er seinem Bruder über die Schulter lugte, während dieser mit einem Grafiktablett in den Händen auf einer Werkzeugkiste inmitten des unteren Hangars saß. Er hatte die Panzerhandschuhe ausgezogen, genauso wie den darunter liegenden schwarzen, Schutzhandschuh, um besser zeichnen zu können. Vor ihm lag Tymdek mit ausgestrecktem linkem Vorderbein da und musterte das kleine Gerät in Duncans Hand aufmerksam.

„Es geht. Ich habe bisher noch nie eine Fertigungsskizze für eine Prothese mit diesen Ausmaßen angefertigt, aber zusammen mit Aidans Scan sollte ich was daraus machen können. Nur noch ein paar Augenblicke Tymdek, bitte." antwortete der Ingenieur angestrengt und ermahnte dabei den schwarzen Drachen still zu halten, als dieser einen kleinen Blick auf die Zeichnung werfen wollte, an der Mark schon seit über zwei Stunden saß. *Verzeihung, ich war nur neugierig.* entschuldigte sich der Koloss brummend und schien sichtlich gelangweilt davon zu sein, so lange still halten zu müssen.

Forke nickte zufrieden und besah sich selbst die Skizze etwas genauer. Im Grunde war es nicht aufregendes, lediglich eine Zeichnung von Dunkelschwinges linkem Vorderbein, gepaart mit einigen Anmerkungen seitens Duncans. Vor allem an den einzelnen Gelenken hatte dieser einige Bemerkungen hin gekritzelt, die wohl nur er selbst entziffern konnte, doch auch an den Krallen und an den wenigen Schuppen, die Mark nur ansatzweise gezeichnet hatte, standen winzige Notizen. Zusammen mit dem Pärzisionsscan, den Aidan zuvor von der Extremität angefertigt hatte, würde diese Skizze die Grundlage für Shads Beinprothese werden.

„Ausgezeichnet. Sieht wirklich gut aus. Bis wann schätzt du, kannst du die Prothese einsatzbereit haben, wenn der Prof vollends den Albatross übernimmt?" wollte der Admiral wissen, woraufhin der Ingenieur mit den Schultern zuckte. „Kommt darauf an, eigentlich wollte ich mich langsam daran machen die elektrischen Komponenten der Venator auszutauschen, damit wir nicht für jedes Manöver alles manuell bedienen müssen. Aber wenn du willst, dass ich die Prothese priorisiere – vielleicht eine Woche? Ich muss halt vor allem erst noch entscheiden, was für Materialien ich dafür nutze." erwiderte Mark beiläufig, während er einige weitere Details einzeichnete.

„Ich schätzte einmal, sie sollten extrem widerstandfähig gegen physische Beschädigungen, Hitze und Wasser sein. Wie wäre es mit einer Außenhaut aus der Wolfram-Rehnium-Titan-Legierung, die du erst kürzlich entdeckt hast? Wenn du die mit einer Schutzschicht aus Tantalhafniumcarbid versiehst, dürfte sie relativ immun gegenüber Hitze und physischen Einwirkungen sein." schlug Chloe vor, die gerade eine Kiste mit Ersatzteilen neben dem Albatross abstellte.

„Professor Greenes? Ich habe ihnen die Ersatzteile die sie wollten, neben die Laderampe gestellt, ja?" rief sie dann ins Innere des Fliegers, wo Karl gerade dabei war die Bordelektronik zu reparieren. „Vielen Dank, Ms. Tempel!" kam von dem Wissenschaftler angestrengt zurück und mit einem zufriedenen Lächeln gesellte sich die Titanin zu ihren Brüdern.

Mark runzelte die Stirn und machte eine weitere Randnotiz auf seinem Tablett. „Gute Idee, Chloe, aber vielleicht ein bisschen zu schwer, das müssen wir überprüfen. Er soll sich ja schließlich frei damit bewegen können. Ich dachte eher an eine Titan-Vanadium Verbindung in Kombination mit Wolframcarbid und einer Schutzummantelung aus Tantalhafniumcarbid. Damit wäre sie gleichzeitig widerstandsfähig und einigermaßen leicht." meinte Duncan nachdenklich und bat Tymdek dann höflich: „Danke, Tymdek, das sollte es gewesen sein. Kannst du mir nur noch einmal die Klauen etwas genauer zeigen?" Der große Drache brummte zustimmend und hob seine linke Pranke vorsichtig in Marks Nähe, sodass seine Krallen knapp eine Armlänge vor dem Titanen in der Luft schwebten.

Gleichzeitig gähnte er ausgiebig und verlagerte sein Gewicht auf eine für ihn angenehmere Position. *Ich hoffe, ihr konntet alles Nötige abzeichnen, was ihr braucht, Mark. Es wäre wirklich eine Schande, falls der junge Shad schon in solch einem Alter für immer ein Bein einbüßen würde. * entgegnete Dunkelschwinge bekümmert und der Ingenieur nickte abwesend. „Das wird schon hinhauen, Tymdek. Prothesen sind zwar nicht unbedingt meine Spezialgebiet, aber es gibt in Sachen Technik eigentlich nichts, das ich nicht hinbekomme." Vorsichtig betastete er eine der fast armlangen Krallen mit der linken Hand und kritzelte nebenbei weitere Bemerkungen auf das Grafiktablett, welches er sich in den Schoß gelegt hatte. „Unser lieber Mark hier wird das schon hinbekommen, Dunkelschwinge. Da bin ich mir sicher." versicherte Chloe dem Drachen lächelnd, wobei sie selbst ebenfalls neugierig die gewaltige Klaue musterte.

Micheal indessen hatte sich wieder aufgerichtet und sah aufmerksam hinüber zu seiner hochschwangeren Frau. Amanda, die inzwischen wieder ihre normale Schwangerschaftshose und Pullover trug, hatte sich halbwegs entspannt an die Flanke von Ileakri gesetzt und strich dem jungen Drachenweibchen, mit ihrer bandagierten rechten Hand, sanft über die aquamarinfarbenen Schuppen. Gleichzeitig hatte Ileakri ihren Kopf und Hals so zurechtgelegt, dass ihr Haupt praktisch direkt neben Mikes Frau lag. Ihr Blick zeigte deutlich, wie sehr der junge Drache ihre Taten bereute, auch wenn sie selbst nicht dafür verantwortlich war.

Es hatte Amanda einiges an Überwindung gekostet, das Drachenmädchen anzusprechen und der Admiral wusste, dass sie noch immer einen ängstlichen Respekt gegenüber Drachen besaß. Doch die Gespräche mit Tymdek und auch Ileakri hatten ihr geholfen, dem jungen Weibchen derart weit zu trauen, dass sie sich gerade an ihren Bauch gelehnt ausruhte. Und der hellblaue Drache tat alles in seiner Macht, um es ihr so bequem wie möglich zu machen. Vor allem aber, verhielt sie sich extrem beschützend gegenüber seiner Frau, was Micheal doch leicht verwunderte.

Sie hatte den Schwanz behütend in Amandas Schoß gelegt, bereit, einem eventuellen Angreifer einen mächtigen Hieb zu verpassen und auch ihre Augen waren sowohl mitfühlend, wie auch aufmerksam, genauso wie ihre Ohren, die sich achtsam hin und her drehten. Niemand würde sich ihr oder seiner Frau nähern können, ohne dass Ileakri es bemerken würde. Er klopfte Mark brüderlich auf die Schulter, was dieser mit einem missmutigen Grunzen zur Kenntnis nahm und ging dann hinüber zu den anderen beiden.
Wie schon vermutet drehte ihm das Drachenmädchen direkt den Kopf zu, als dass metallische Klackern seiner gepanzerten Stiefel näher kam, doch sie entspannte sich sofort wieder, als sie erkannte, wer er war. Augenblicklich nahm sie ihren Schwanz von Amandas Schoß, legte ihn vorsichtig neben seine Frau und stimmte ein kurzes, wohlwollendes Schnurren an, was der Admiral mit einem freundlichen Nicken beantwortete.

„Du hast es dir ja wahrlich bequem gemacht, Liebling. So einen großen und starken Bodyguard hatte ich selbst noch nie." meinte er liebevoll scherzend zu Amanda, während er neben ihr in die Hocke ging und einen dicken Kuss auf die Lippen drückte, denn sie innig erwiderte. „Ileakri ist wirklich sehr nett und liebevoll, wenn man sie einmal näher kennenlernt und vergisst, was sie eigentlich mit einem anstellen könnte." erwiderte sie schmunzelnd, woraufhin das Drachenmädchen ein trauriges Fiepen vernehmen ließ. Beruhigend streichelte ihr Amanda über die Schnauze und erklärte sanft: „Das war nicht böse gemeint, Ileakri. Du hast dich schon oft genug für etwas entschuldigt, das eigentlich gar nicht deine Schuld war. Ich weiß jetzt, dass du sowas niemals freiwillig tun würdest." Sie musste leicht kichern, als Ileakri ihr daraufhin mit der Zunge dankbar über die Wange schleckte, wobei das blaue Drachenweibchen darauf achtete nur die Unterseite, des mit Widerhaken besetzten Muskels, zu nutzen, um Amanda nicht zu verletzen. „Das ist schön zu hören." entgegnete Mike schmunzelnd und wandte sich dann direkt an Ileakri.

„Ich bin dir sehr dankbar dafür, dass du meine Frau derart mit ihrer Angst hilfst, Ileakri. Sie wird zwar noch eine ganze Weile brauchen, bis sie vollends verarbeitet hat, was in Lendol geschehen ist, aber dank dir ist sie auf dem besten Weg." *Es ist das Mindeste, was ich tun kann, für all die schrecklichen Dinge, die ich in meiner Trance getan habe, Forke-Elda.* erwiderte das Drachenmädchen respektvoll und zwinkerte ihm wohlwollend zu. Ihre Stimme klang jung und selbstbewusst, doch nicht überheblich, was sie äußerst sympathisch erscheinen ließ. Sie erinnerte Micheal von der Art her stark an eine junge Alina.

Er nickte annehmend und erhob sich dann wieder aus seiner Hocke, wobei er den Blick kurz über ihre eingegipsten und bandagierten Flügel schweifen ließ. Ihre Waffe hatten sie wirklich übel zugerichtet, es würde wohl noch einige Wochen vergehen, bis sie sich erneut in die Lüfte schwingen konnte. Dazu kamen noch ihre gebrochenen Beine. Er mochte sich gar nicht vorstellen, wie schmerzhaft diese Verletzungen sein mussten. „Ich hoffe doch, die Schmerzen sind erträglich? Ansonsten werde ich Kevin bitten dir noch eine Spritze zu geben." wollte er wissen. Ileakri zwinkerte erneut und antwortete ruhig: *Ich werde es überstehen. Meine Schmerzen sind nur ein Bruchteil so groß, wie die Schmerzen der Hinterbliebenen, denen ich ihre Eltern, Geschwister oder sogar Kinder nahm. Wenn ich die Verantwortlichen für meine Entführung in die Klauen bekomme, wird er sich wünschen niemals geboren worden zu sein!* Dabei stieß sie den letzten Satz knurrend aus und der Admiral hegte keinerlei Zweifel an ihren Worten.

„Das glaube ich gerne. Aber wie dem auch sein mag, ich werde euch beide nun mal wieder alleine lassen und schauen, ob oben alles in Ordnung ist." meinte Mike und drückte seiner Frau noch einen kurzen Schmatzer auf die Stirn, bevor er hinzufügte: „Du bist unser Gast, Ileakri. Falls es dich nach etwas gelüstet, sei es Essen, Wasser oder sonst etwas, bitte sei so frei dich an Chloe zu wenden, sie wird dir gerne alles bringen. Ihr beide kennt euch ja bereits. Und du ruhst dich einfach am besten noch weiter aus Liebling. Emily meinte zwar, dass deine Verbrennungen mit der Spezialsalbe von Kevin recht schnell abheilen sollten, aber ich denke, etwas Entspannung wird dir und dem Baby sicher noch mehr gut tun." Dabei fuhr er ihr liebevoll über den dicken Bauch und lächelte glücklich, als sie ihre bandagierten Hände zärtlich auf seine gepanzerte Rechte legte. „Geh nur. Und schau vor allem, dass Steven nicht schon wieder etwas anstellt! Der Junge hat ein Herz aus Gold, aber ist auch gleichzeitig der größte Quatschkopf, den ich kenne." erwiderte Amanda halb lachend, als abermals aus seiner erneuten Hocke aufstand. Micheal stimmte in ihr Lachen mit ein und Schickte ihr noch einen Handkuss, bevor er Ileakri zum Abschied höflich zunickte.

Das blaue Drachenweibchen überraschte ihn erneut, als sie ebenfalls respektvoll ihr Haupt neigte und ihm in Gedanken versicherte: *Ich werde auf eure Brutpartnerin und euer ungeborenes Küken achtgeben, als wären sie mein eigen Fleisch und Blut, Forke-Elda.*Er drehte sich verdutzt um, nur um zu sehen, dass Amanda wieder erschöpft die Augen geschlossen und Ileakri behütend ihren Schwanz um die Hochschwangere gelegt hatte. Er musste unwillkürlich schmunzeln und dankte dem Drachenmädchen mit einem weiteren stummen Nicken.

Dann ging er schließlich zurück zu Tymdek, der ihn schon erwartungsvoll anblickte. Scheinbar hatte Micheal seine Untersuchungen abgeschlossen, denn er befand sich in einer angespannten Diskussion mit Chloe, während er immer wieder auf das Grafiktablett in seiner rechten Hand zeigte. „Wollt ihr mich begleiten, Tymdek? Ich geh wieder nach oben zu den anderen." fragte er den gigantischen Drachen höflich, woraufhin der schwarze Riese zustimmend brummte. *Gerne Micheal, mein Bein ist von dem ganzen Stillhalten fast taub geworden. Außerdem hätte ich nichts gegen ein wenig frische Luft in meinen Nüstern.* „Das kann ich mir gut vorstellen, immerhin musstet ihr über zwei Stunden in so eine unangenehmen Position verharren. Dann folgt mir mal, bevor Mark doch noch auffällt, dass er etwas vergessen hat." bemerkte der Admiral augenzwinkernd und wartete kurz, bis Dunkelschwinge sich erhoben hatte, bevor sie gemeinsam hinüber zum Aufzug trabten. Glücklicherweise musste Mike die Kabine nicht erst rufen, sodass sie direkt einsteigen und die Fahrt nach oben antreten konnten.

Während sie also nebeneinander im Fahrstuhl standen, meinte der Titan: „Ileakri scheint richtig vernarrt in Amanda zu sein. Sie lässt sie keine Sekunde aus den Augen. Was meint ihr Tymdek? Sind das nur ihre Schuldgefühle, oder kommt es von ihr selbst?" Tymdek schnaubte leicht und erwiderte: *Sie ist ein Weibchen, Micheal. Sie muss wohl spüren, dass eure Brutpartnerin kurz davor ist euer Junges zu gebären, weshalb ihr Mutterinstinkt so stark ist. Ich denke ihr Verhalten kommt tatsächlich von Herzen, auch wenn vermutlich ihre Schuldgefühle zusätzlich eine Rolle spielen.* „Dann haben wir darin eine Meinung. Um ehrlich zu sein, bin ich sogar froh darüber, dass sie und Amanda sich so gut verstehen. Ich hatte schon die Befürchtung es würde Ewigkeiten brauchen, bis meine Frau sich von diesem Schock erholt, insbesondere, da sich zur Zeit drei Drachen auf der Venator befinden. Aber mit Ileakri scheint sie kaum, beziehungsweise keine Probleme mehr zu haben." stimmte Mike fast schon erleichtert zu.

Dunkelschwinge brummte beruhigend und schloss für einen kurzen Moment die Augen.
*Es ist wirklich eine Schande, dass der Ruf meines Volkes durch solche Gräueltaten immer schlechter wird. Die Menschen hatten schon seit jeher eine große Ehrfurcht vor uns, doch diese Ehrfurcht verwandelt sich, dank der Taten von Bralluths Donner und der Schwarzen Rose, immer mehr in blanke Angst.* merkte er missmutig an und der Admiral neigte mit ernster Miene den Kopf. „Ich kenne das Gefühl, Tymdek, uns Titanen erging es ähnlich." entgegnete er und horchte auf, als der Aufzug zum stehen kam und die Türen aufglitten.

Der Hangar vor ihnen war weitaus aufgeräumter, als noch am vorigen Tag, was einzig und allein Kevins Verdienst war. Er hatte sämtliches OP-Gerät und Abfälle aufgeräumt, nachdem er Shad mit Aidans Hilfe in einen eigens abgeschotteten Bereich bugsiert hatte. Sogar der Boden war frisch gewischt. So wirkte die große Halle extrem leer, bis auf den durch weiße Schiebewände abgetrennten Bereich, in dem der rote Drache sich von seiner anstrengend OP erholte. Und dort, am Zugang zu Shads Bereich stand Kevin in seiner grasgrünen Rüstung, während Aidan über seiner rechten Schulter schwebte und ihm eine 3D-Graphik des verletzten Drachens zeigte. Seinen Helm trug er, genauso wie Mike selbst, am dafür vorgesehen Haken an der Hüfte, wodurch sein Gesicht und seine Haare offen da lagen.

Eine Tatsache, die auch Tymdek nicht entging, der überrascht schnaubte, als er den Titan erblickte.

*Seine – seine Haut ist grün? Und seine Haare – täuschen mich meine Augen, oder wächst eurem Bruder Gras auf dem Kopf? Verzeiht, ich will nicht unverschämt klingen, aber so sieht es für mich aus.* meinte der schwarze Drache verdutzt, worüber der Admiral amüsiert lächeln musste.

Pestoun war in der Tat einzigartig unter den Titanen und der dritte im Bunde mit Alex und Emily, dessen Naniten mit dem Darwin-Protokoll der Phase 1 programmiert wurden. Er war der einzige unter ihnen, bei dem keine Tiergruppe, sondern Pflanzen für das das Darwin-Protokoll verwendet wurden!

Seine Hautzellen waren durchsetzt mit Chloroplasten zusätzlich zu den normal üblichen Mitochondrien, was ihm seine typische, dunkelgrüne Farbe verlieh. Mit seinen Haaren verhielt es sich ähnlich, wobei Kevin selbst es auch einfach nur als Gras bezeichnete. Er hielt es immer recht kurz geschnitten, meist nicht länger als fünf Zentimeter, so wie er es jetzt gerade trug. Nur seine Augen stachen durch ihre hellblaue Farbe geradezu hervor. Das faszinierende jedoch war, dass seine künstliche Lunge perfekt an seinen Körper angepasst worden war. Solange er genug Sonnenlicht auf seine Haut und die Haare bekam, atmete er Kohlendioxid ein und Sauerstoff aus und umgekehrt, falls der Mangel an Licht zu groß wurde. Sein gesamter Stoffwechsel war ein perfekter Mix aus Pflanze und Tier, was ihm eine unglaubliche Ausdauer verlieh, selbst für titanische Maßstäbe. Noch dazu, wurde er praktisch nie müde, solange er tagsüber genügend Sonnenlicht absorbieren konnte.

Allerdings begrenzten sich seine Fähigkeiten nicht nur auf die Photosynthese.

Seine Haut war übersät mit Milliarden von mikroskopisch kleinen, widerhakenbesetzten Dornen, die mühelos durch Kleidung oder Haut dringen konnten. Allein die Schmerzen davon reichten oft aus, um einen Mann in die Knie zu zwingen, doch die Dornen besaßen noch eine zusätzliche Geheimwaffe. Jeder einzelne von ihnen war mit Aconitin benetzt, ein extrem tödliches Pflanzengift, von dem schon wenige Milligramm ausreichten, um einen Erwachsenen zu töten. Im Endeffekt bedeutete das: Allein die Berührung einer einzelnen Fingerkuppe reichte aus, um einen Mann zu töten. Aus diesem Grund trug Kevin auch zu jederzeit dicke Schutzhandschuhe und lange Kleidung aus einer Kombination von Kevlar und Spinnenseide, solange er den Atlas nicht anhatte, um zu verhindern, dass er ausversehen jemanden stach.

Micheal fand es daher überaus ironisch, dass ausgerechnet Pestoun eine Laufbahn als Sanitäter eingeschlagen war, wo er praktisch täglich Patienten anfassen musste. Zum Glück besaß Kevin einen sehr ruhigen und entspannten Charakter, sodass es fast nie zu Zwischenfällen kam.

„Kevin besitzt im Gegensatz zu allen anderen keine Merkmale von Tieren, sondern von Pflanzen, Tymdek. Deswegen die grüne Hautfarbe und die merkwürdigen Haare." erklärte der Admiral seinem geschuppten Freund, woraufhin dieser leise brummte: *Ihr Titanen seid wirklich äußerst merkwürdig, aber bitte versteht das nicht falsch.* „Oh mitnichten, ich stimme euch da voll und ganz zu." erwiderte Micheal lachend. Dann rief er seinem Bruder zu: „Hey Kevin, wie sieht es aus?" Der grüngerüstete Titan hob grüßend die Hand und blickte den beiden völlig relaxt entgegen.

Mike und Tymdek brauchten einige Schritte, bis sie ihn erreichten und Kevin mit ruhiger, basserfüllter Stimme entgegnete: „Hallo Mike, hallo Tymdek. Soweit sieht alles in Ordnung aus. Shads Werte sind stabil und erholen sich langsam aber sicher. Ich würde schätzen, dass wir ihn in knapp einer Woche aus dem künstlichen Koma holen können." Forke beneidete ihn für diese Stimme ungemein, Kevin könnte wohl ohne größere Probleme in der Oper als Tenor auftreten, wenn da nicht seine langsame Art zu sprechen wäre. „Dies ist korrekt, Sir. Bis dahin sollten sich sein Körper soweit erholt haben, dass wir die Sedierung absetzen und nur noch auf Schmerzmittel zurückgreifen können." fügte Aidan gewohnt analytisch hinzu. „Das hört sich schon mal sehr gut an. Was hat Alina zum Resultat ihrem Rückenmarkseingriff gesagt? Wird er wieder vollständig genesen?" entgegnete der Admiral fragend und lugte an Kevin vorbei auf den immer noch auf der Repulsortrage liegenden Shad.

Fast sein gesamter Körper befand sich nun in Bandagen und Gips. Um den Flügel wieder rekonstruieren zu können, hatte Kevin den roten Drachen in eine reine Bauchlage gebracht, sodass nun sein linker Flügel, mit metallischen Streben stabilisiert, aufgerichtet dastand. Auch der Kopf mitsamt der Schnauze war in dicke Bandagen und Gips gehüllt und nur zwei Schläuche ragten aus dem Maul heraus, einer für die Atmung, der andere für die Magensonde. Was jedoch sofort ins Auge fiel, war sein fehlendes linkes Vorderbein, an dessen Stelle nun ein dicker Verband an der Schulter lag. Aber um dieses Problem würde sich Mark schon bald gekümmert haben. Er bemerkte, wie auch Tymdek seinen Kopf neben ihn schob und den sedierten Jungdrachen eingehend musterte.

„Sie meinte, dass alles perfekt verlaufen sei. Sobald alles wieder verheilt ist, sollte Shad keinerlei Behinderungen haben." antwortete Pestoun gemächlich und besah sich seinerseits Dunkelschwinge genauer. Mike atmete erleichtert aus. „Das ist gut." *Es ist in der Tat sehr beruhigend zu hören, dass es dem Küken bald schon wieder besser gehen wird.* fügte der schwarze Drache hinzu woraufhin Kevin leicht den Kopf neigte. Nach einem letzten Blick auf den sedierten Patienten, zog Forke behutsam den Sichtschutz vor den Zugang und auch Tymdek trat einen Schritt zurück, wobei er nun Pestoun eingehend musterte.

Der Titan erwiderte den Blick mit freundlicher Miene, bis Dunkelschwinge schließlich fragte: *Verzeiht, Kevin, aber dieses Symbol dort auf eurer Brust und auf eurem Helm, ich habe es noch bei keinem anderen Titanen gesehen. Was bedeutet es?*

Der Admiral musste erst gar nicht hinschauen, um zu wissen, was der große Drache meinte. Auf Kevins Brustplatte, direkt unterhalb seiner Nummer, der 11, prangte ein handballengroßer Totenschädel mit dahinterliegenden, überkreuzten Knochen. Genau das gleiche Symbol befand sich in Miniaturausgabe ebenfalls auf seinem Helm, direkt neben seinem Rangabzeichen.

Pestoun lächelte wissend und erwiderte ruhig: „Es ist eine Warnung für alle um mich herum. Es bedeutet so viel wie: 'Vorsicht, ich bin hochgiftig!' und das solltet auch ihr ernst nehmen, Tymdek. Auf meiner Haut befinden sich unzählige, winzige Dornen, die alle mit kleinen Widerhaken ausgestattet sind. Durch eure Schuppen würden sie wohl niemals dringen, doch solltet ihr aus irgendeinem Grund auf die Idee kommen, mich einmal abzuschlecken, tut es nicht! Die Dornen sind mit einem extrem tödlichen Gift benetzt, das selbst einen Drachen bei einer entsprechenden Dosis gefährlich werden kann. Deswegen das Warnsymbol, damit es nicht zu Unfällen kommt."

Tymdeks Augen wurden groß und er knurrte überrascht. *Ein tödliches Gift, das auf kleinen Dornen sitzt, die überall auf eurer Haut angebracht sind? Ein äußerst effektiver Selbstschutz und, richtig eingesetzt, Waffe. Danke, dass ihr mich darauf hingewiesen habt, Giftdorn.* bemerkte er beeindruckt. „Giftdorn? Ein wirklich netter Spitzname, Dunkelschwinge." meinte der Titan herzhaft lachend, während Micheal noch hinzufügte: „Ihr müsst wirklich aufpassen, Tymdek. Kevin ist der wohl tödlichste von uns Titanen, denn er muss einen nur mit einem einzelnen Finger erwischen, um eine tödliche Dosis zu verabreichen. Zumindest bei einem Menschen."

„Na, übertreib aber mal nicht, Micheal. Du bist wohl genauso gefährlich wie ich, nur dass du dein Gift willentlich einsetzen kannst. Und Vater darfst du auch nicht vergessen." widersprach Kevin jedoch besonnen, was den schwarzen Drachen überrascht aufhorchen ließ. *Ihr besitzt ebenfalls solche Dornen, Micheal?* wollte er neugierig wissen. Forke schüttelte leicht den Kopf und erwiderte ernst: „Nein, aber ich muss Kevin wohl in gewisser Weise recht geben. Ich und John sind ebenfalls dazu in der Lage, durch bloße Berührung zu töten. Sagt euch das Tier namens 'Seewespe' etwas?" *Nein, davon habe ich noch nie gehört.*

„Macht nichts, das ist schnell erklärt. Es sind relativ kleine Meeresbewohner, die wie ein durchsichtiger Würfel mit abgerundeten Ecken aussehen, fast so wie aus Glas. Und zusätzlich besitzen sie lange, fadenartige Auswüchse, in denen sich sogenannte Nesselzellen befinden. Könnt ihr mir soweit folgen?" *Im Groben, ja. Was sind diese Nesselzellen?* „Im Grunde könnt ihr euch das vorstellen, wie eine winzige Harpune, die innen hohl ist und an deren Ende eine Art Blase sitzt. Und in dieser Blase befindet sich ein hochtödliches Gift, das binnen Minuten töten kann, wenn die Dosis hoch genug ist." erklärte Micheal, was Tymdek erneut knurren ließ.

*Eine Harpune mit Gift am Ende, das klingt äußerst gefährlich.* merkte der große Drache an und der Admiral nickte. „Das ist es auch. Sobald nämlich jemand diese Nesselzelle berührt schießt die Harpune blitzschnell hervor und bleibt mit ihrem Widerhaken im Fleisch des Gegners hängen, während das Gift hineingepumpt wird. Womit wir beim Kern der Sache wären. Ich besitze solche Nesselzellen zu hunderttausenden an meinen Händen, Armen, Beinen und Füßen. Allerdings kann ich, im Gegensatz zu Kevin, willentlich bestimmen, ob ich diese kleinen Giftharpunen einsetze, oder nicht." „Worum ich dich schon seit jeher beneide." fügte Pestoun mit einem leichten, fast schon gespielten Seufzer hinzu, während Tymdek instinktiv die Lefzen hochzog.

*Ihr steckt nach wie vor voller Überraschungen, Micheal. Selbst ohne Waffen, seid ihr doch nicht waffenlos! Dornen mit tödlichem Gift und versteckte Harpunen. Ich würde nur ungern damit Bekanntschaft machen.*

„Ich denke doch, dass das auch nie nötig sein wird, immerhin sind wir sozusagen Familie und nicht zuletzt Freunde." entgegnete Forke freundlich, was Kevin mit einem Nicken bestätigte. Auch Tymdek brummte zustimmend und entspannte sich wieder, bevor er neugierig nachhakte: *Aber ihr habt auch John erwähnt, wenn ich mich recht entsinne? Besitzt der Drachenritter etwa ebenfalls ein tödliches Gift?*

„Vater? Oh nein, nein. Vater besitzt kein Gift. Bei ihm ist es etwas völlig anderes." erwiderte Pestoun ruhig und schüttelte leicht den Kopf. Doch bevor er seine Erklärung weiter fortsetzen konnte, stieß Aidan neben ihnen einen schrillen Warnton aus, gefolgt von einer intensiven Rotfärbung.

„Warnung! Mehrere Biosignaturen in Sensorreichweite geortet!
Entfernung: 9,87 Kilometer.
Geschwindigkeit: Variierend.
Höhe: Variierend.
Anzahl: Acht.
Eine Signatur, Kategorie: Mensch.
Zweite Signatur, Kategorie: Drache.
Rest: Unbekannt!
Ich empfehle ihnen sofort zum Wachtrupp an Deck zu stoßen, Sir!"

[Eragon Fan-Fiction] Der Titan und die DrachenreiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt