Heraufziehende Schatten

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„Hallo Micheal? Hier ist John, ich wusste nicht, ob ihr euch bereits hingelegt habt oder nicht. Verzeih mir bitte den späten Anruf, aber es ist wichtig." drang Johns aus dem Funkgerät an seinem Ohr. Der nüchternen Stimme nach zu urteilen, handelte es sich um seine logische Persönlichkeit, doch Micheal störte das nicht. Er mochte es mit seinem Vater zu reden, egal mit welcher Seite von ihm.

Auch wenn er es bevorzugte, den aggressiven John nicht allzu oft zu hören.

„Hey Dad! Schön dich mal wieder zu hören. Nein, nein, ich bin noch lange nicht in der Koje. Geht es dir wieder soweit gut? Ich habe gestern Nacht kurz mit Robert gesprochen, aber nicht allzu lange. Und wie genau kann ich dir helfen?" erwiderte der Admiral guter Stimmung und betätigte den Not-Stopp des Aufzugs, um ungestört sprechen zu können. „Mir geht es soweit gut. Die Veränderungen sind noch etwas ungewohnt, aber das wird sich mit der Zeit geben. Jetzt gibt es allerdings wichtigeres zu besprechen." kam prompt die Antwort zurück und Mike runzelte leicht die Stirn. Er wusste nur zu gut, dass die dritte Persönlichkeit seines Vaters extrem direkt war, doch selbst dafür war es etwas zu direkt. Vor allem schwang ein todernster Unterton mit in der Stimme. Daher war auch automatisch er selbst direkt in Alarmbereitschaft, als John trocken fortfuhr: „Es gibt ein Problem mit dem Atlas, besser gesagt mit dem tragbaren Fusionsreaktor auf seinem Rücken. Aidan hat einen Virus im System entdeckt, der die Magnetspulen und anderen Systeme des Reaktors mit der Zeit außer Gefecht setzt. Offenbar wurde er vom OCS entwickelt, um explizit gegen uns eingesetzt zu werden."

Forkes Augen weiteten sich vor Schreck und die Farbe wich leicht aus seinem Gesicht, als er Begriff, was sein Vater ihm gerade erzählt hatte. „Bist du wirklich sicher? Ich habe die Sicherheitsvorkehrungen unserer Systeme erst vor zwei Jahren verschärft." fragte er deshalb ungläubig und ballte unwillkürlich die linke Hand zur Faust. Es konnte einfach nicht sein, immerhin hatte er selbst die neue Software geschrieben, um die Systeme ihrer Rüstungen vor genau solchen Angriffen zu schützen. Diese Hoffnung wurde jedoch direkt von John im Keim erstickt, als dieser antwortete: „Leider ja, Micheal. Ich habe die Daten hier vor mir auf dem Tablet. Ich mag vielleicht kein Computergenie sein wie du es bist, aber es ist ziemlich offensichtlich. Aidan meinte, dass der Virus so präzise und perfekt gearbeitet hat, als hätte ihn jemand mit Hintergrundwissen über sämtliche Systeme des Atlas programmiert." „Verdammte Scheiße!" fluchte Micheal laut und raufte sich angespannt die Haare.

Es gab nur eine Person, mit der er über die Softwareupdates geredet hatte, ihr sogar die Programmierung gezeigt hatte, damit sie sie auf ihr eigenes Projekt anwenden konnte. Aber offensichtlich hatte er ihre Loyalität und ihre Freundschaft überschätzt. Sie musste ihn an das OCS verraten haben, daran bestand kein Zweifel. 'Du verräterisches Miststück Palkin!' dachte er wütend auf sich selbst und seine ehemalige Kollegin. Er atmete kurz tief durch um sich wieder zu beruhigen und wollte dann etwas gefasster wissen: „Kann Aidan den entstandenen Schaden reparieren? Wenn nicht kann er mir vielleicht die Daten übermitteln, damit ich – " Der Admiral wurde allerdings jäh von seinem Vater unterbrochen, der ernst erwiderte: „Der Schaden ist irreversibel, Micheal, selbst für jemanden mit deinen Fertigkeiten. Aidan hat seine Analyseergebnisse bereits auf dein Notepad gesandt, falls du sie dir trotzdem selbst noch einmal anschauen willst, aber laut ihm wäre der Versuch die Programmierung zu retten ungefähr so, als 'würde man versuchen mit einem Sieb Wasser aus einem sinkenden Schiff zu schöpfen' um deine KI damit zu zitieren."

Das war wie ein Schlag ins Gesicht für Micheal.
Wenn selbst Aidan es nicht schaffte, den angerichteten Schaden zu reparieren und sogar soweit ging zu sagen, dass es unmöglich war, dann hatte auch er keine großen Chancen das Problem zu lösen. Zumindest nicht in der Zeit, die ihnen noch blieb, denn wenn sein Vater ihn noch so spät wegen diesem Problem anfunkte, stand ihnen das Wasser wohl schon bis zum Hals. Insbesondere würde es seinen todernsten Tonfall erklären. Darum schluckte er seine Fragen und Überlegungen erst einmal herunter und fragte anschließend ruhig: „In Ordnung, ich verstehe. Wie schlimm ist es? Wie lange haben wir bis der Reaktor in die Luft fliegt?"

Dies war nicht nur einfach dahingesagt. Falls die Sicherheitsprotokolle und Routinesysteme des Fusionsreaktors im Atlas tatsächlich ausfallen sollten und die automatische Sicherung ausgeschaltet war, würde es eine kleine, aber dennoch äußerst destruktive nukleare Explosion geben, die alles in einem Umkreis von knapp 500 Metern um sich herum einäschern würde. Daher atmete er etwas erleichtert aus, als John erwiderte: „Noch etwas über drei Tage, genug Zeit um uns darum zu kümmern. Du weißt, was zu tun ist?" Unbewusst nickte der Admiral und entgegnete: „Ja, natürlich. Ich werde sofort Mark Bescheid geben. Ihr seid doch hoffentlich schon losgeflogen, sonst könnte es etwas knapp werden, bis ihr hier ankommt." „Das sind wir. Wenn alles nach Plan abläuft, werden wir wohl morgen in den späten Abendstunden bei euch ankommen. Spätestens am Morgen darauf." antwortete sein Vater und Mike konnte hören, wie sich seine Stimmlage mit den Worten langsam aber sicher veränderte.

Weg vom nüchtern, kühlen und hin zum väterlich, fürsorglichen.

Er wurde auch prompt in seiner Vermutung bestätigt, als John mitfühlend wissen wollte: „Wir werden es in jedem Fall rechtzeitig schaffen, ich wollte dir nur jetzt schon Bescheid geben, um später Panik zu vermeiden. Aber jetzt will ich erst einmal wissen, wie es Amanda und eurer Tochter geht. Ist alles in Ordnung? Ich habe von den anderen erfahren, dass sie ein paar Verbrennungen vom Drachenfeuer abbekommen hat." Das klang nun eindeutig nach dem Vater, der sie zum Großteil erzogen hatte und der Admiral erwiderte rasch mit beschwichtigender Stimme: „Amanda geht es soweit gut, Dad. Kevin gibt ihr immer wieder etwas von seinen natürlichen Schmerzmitteln, damit sie im liegen Schlafen kann. In ein, zwei Wochen wird es ihr wieder besser gehen. Und dem Baby ist zum Glück nichts passiert." Dabei erinnerte er sich, wie ihm innerlich ein ganzer Berg vom Herzen gefallen war, als Emily ihnen das versichert hatte.

So langsam beruhigte sich sein Verstand auch wieder und er dachte klarer über die Dinge nach. Auch raufte er sich nicht länger die Haare, sondern ließ die Hand locker auf dem Bein liegen. Johns väterliche Stimme und auch Rat hatte ihm schon jeher in solchen Situationen geholfen. „Es erleichtert mich sehr, das zu hören. Bitte sag ihr einen lieben Gruß von mir." meinte ebenjener daraufhin sanft und Micheal entgegnete schmunzelnd: „Werde ich ausrichten. Sie freut sich schon sehr darauf, dich endlich wiederzusehen." „Genauso wie ich. Aber sag Micheal, ist sonst alles in Ordnung bei euch? Wie geht es Shad zum Beispiel, ist er schon aufgewacht?" meinte John und Mike musste insgeheim lächeln. Das sah seinem Vater ähnlich, sich über das Wohl anderer zu Sorgen, sobald das eigentliche Problem soweit gelöst war. Daher antwortete er freundlich: „Shad erholt sich den Umständen entsprechend gut von der OP. Alina wollte ihn im Laufe der nächsten paar Tage aus dem künstlichen Koma holen, da er sich soweit stabilisiert hat." „Das ist schön, ich werde es seinem Reiter, Keno, gleich nachher erzählen. Es wird ihn sicherlich freuen. Und Angela und Trestol mit Mimiath? Ist die Kräuterhexe bereits mit ihren Urgalfreunden aufgebrochen?"

„Um ehrlich zu sein, nein. Sie ist gerade draußen bei Benjamin und Joseph, die Wache halten. Die Kull müssen von irgendetwas aufgehalten worden sein, oder sich zumindest leicht verlaufen haben. Sie sind jetzt schon einiges zu spät, aber Angela ist noch guter Dinge und glaubt nicht, dass ihnen etwas zugestoßen ist. Was Trestol und Mimiath angeht: Sie sind beide vollauf damit beschäftigt, sich um Trestols Nichte Misa zu kümmern, du weißt ja wieso." erklärte der Admiral und konnte über das Funkgerät noch drei weitere Stimmen im Hintergrund vernehmen. Allerdings waren sie zu leise, um zu erkennen, wer es war. Anscheinend wechselte John kurz einige Worte mit den Leuten, denn er antwortete nicht sofort.

Erst einige Momente später ertönte wieder seine Stimme aus dem Lautsprecher: „Entschuldige, ich war kurz abgelenkt. Die Kull haben sich vermutlich nur im Wald verirrt, ich habe das am eigenen Leib erfahren. Sobald man den Weg aus den Augen verliert, kann man nur noch in die gleiche Himmelsrichtung gehen und darauf hoffen irgendwann wieder auf den Weg oder das Ende des Walds zu stoßen. Aber Nar Khartog ist ein erfahrener Anführer, er wird schon wissen was zu tun ist. Und es tut gut zumindest einen kleinen Lichtblick im Hinblick auf das Massaker in Lendol zu haben. Ich fühle mich im gewissen Maße schuld an Misas Leiden und dem Schmerz der alle anderen Überlebenden ereilt hat. Hoffentlich kann Trestol seiner Nichte im Laufe der Jahre über dieses grausige Ereignis hinweghelfen."
Dabei klang er offensichtlich leicht niedergeschlagen.

Micheal wusste natürlich, dass seinen Vater, seit er ihn kannte, große Schuldgefühle plagten und er sich für alles, woran er auch nur im Entferntesten beteiligt war, die Mitschuld gab, wenn etwas schief ging.

„Wenn du nicht gewesen wärst, hätte es Lendol überhaupt nicht mehr gegeben und alle Bewohner wären inzwischen tot oder versklavt. Fang erst gar nicht an, dir die Schuld daran zu geben, Dad!" merkte Mike deswegen streng an und hörte als Antwort einen leisen Seufzer aus dem Lautsprecher kommen. „Du hast vermutlich recht, aber es nagt trotzdem im Hintergrund an meinem Gewissen." meinte der Colonel schwermütig und wurde dann abermals von einer der anderen Stimmen aus dem Hintergrund unterbrochen, die er entfernt Aidan zuordnen konnte. Erneut herrschten einige Momente Funkstille, in der offensichtlich energisch auf Johns Seite diskutiert wurde, gefolgt von einem schweren Stöhnen, als sein Vater das Funkgerät wieder zum Mund führte.

„Entschuldige nochmal, aber ich glaube wir müssen unser Gespräch hier etwas kürzen. Anscheinend haben Steven und Dun'var zusammen irgendeinen Unfug angestellt und einige Bäume abgefackelt. Du kennst ihn ja und in Dun'var schein er wohl seinen Seelenverwandten gefunden zu haben." erklärte der alte Titan missmutig und Micheal konnte vor seinem inneren Auge deutlich sehen, wie er augenrollend den Kopf schüttelte. Er selbst atmete auch unwillkürlich leicht entnervt aus, als er entgegnete: „Er hat wirklich nichts als Flausen im Kopf. Dann geh nur schnell nach den anderen schauen, bevor sie noch das Wäldchen, oder wo auch immer ihr gerade seid, abfackeln. Ich werde mich derweil um das Problem mit dem Atlas kümmern." „Das dürfte wohl das Beste sein. In diesem Sinne wünsche ich dir noch eine gute Nacht und hoffe, dass wir uns schon bald wiedersehen, Micheal. John Ende." stimmte sein Vater seufzend zu. Micheal erwiderte den Gruß und wenige Augenblicke später beendete John den Funkkontakt, sodass der Admiral wieder allein in der Stille des Aufzugs stand.

Er atmete kurz durch, um seine Gedanken sammeln zu können. Der Anruf seines Vaters zusammen mit der Nachricht über die kompromittierten Systeme des Atlas, hatte seine Planung für die restliche Nacht völlig über den Haufen geworfen. „Es muss immer etwas geben, das schiefläuft, oder?" fragte er sich murmelnd selbst und betätigte dann erneut die Schalttafel der Kabine, um vollends nach oben zu fahren. Dort angekommen hastete er in Richtung seines Quartiers davon, wobei er Alina, Trestol, Misa und der kleinen Menschentraube, die sich um sie versammelt hatte, nur einen kurzen Seitenblick zuwarf. Ansonsten waren die Gänge des Schiffs relativ leer, da seine restlichen Geschwister entweder bereits schliefen, draußen am Strand Wache standen, oder aber an einer bestimmten Reparatur arbeiteten, die Mark ihnen zugewiesen hatte. Lediglich Sarah traf er, als diese gerade ihren Raum verließ.

Sie trug einen dunkelgrünen Wollpullover, mit hohem Kragen, dazu eine blaue Jeans und hellbraune Stiefel. Zusammen mit der Tatsache, dass sie aus Sarahs Quartiert getreten war, war dieser tiefgrüne Pulli der einzige Grund an dem er sie erkannte. Ansonsten glich sie nämlich von den rotbraunen Haaren her, bis hin zu den nussbraunen Augen ihrer Zwillingsschwester Amber bis aufs kleinste Detail. Selbst ihr Haarschnitt, der sehr kurz gehalten war für eine Frau, war identisch mit dem ihrer Schwester. Nur bei näherer Betrachtung konnte man deutliche Merkmale in Sarahs Gesicht erkennen, die sie von Amber unterschieden. Genauso wie er jetzt, als er neben ihr zum Stehen kam. Es waren zwei Reihen feingepunkteter Linien, die sich von ihren Schläfen synchron hinunter über ihre Nase und die Wangen bis zum Hals verliefen, deren Zweck nur offensichtlich wurde, wenn es stockfinster war und die Titanin es wollte.
Beides traf jedoch für den Moment nicht zu.

„Oh, hi Micheal. Ich dachte du wärst noch unten Chloe und den anderen." begrüßte sie ihn und wirkte dabei recht gut gelaunt. „Hi Sarah. Ja, ich war unten bei ihnen, aber Mark hat mich wieder hochgescheucht. Es ist aber gut, dass ich dich hier treffe, ich könnte deine Hilfe brauchen." erwiderte der Admiral und wurde dabei etwas ernster, was seine Schwester sofort aufschnappte und die Stirn runzelte. „Was ist los?" wollte sie daher auch misstrauisch wissen und verschränkte die Arme vor ihrer Brust. Micheal fasste daraufhin kurz das Gespräch zwischen ihm und John zusammen und Sarahs Hautfarbe veränderte sich schlagartig in ein grelles Gelb mit schwarzen Tupfen, als er die Sache mit dem Atlas erwähnte.

Sie konnte nichts dafür.

Die Chromatophoren in ihrer Haut, die sie von ihrer Darwin-Mutation der Kopffüßer her besaß, waren in der Regel instinktgesteuert. Gelb bedeutete in diesem Fall nicht wirklich Angst, sondern eher Stress, beziehungsweise Anspannung. Diese Fähigkeit machte es unglaublich einfach für andere, ihre Gefühlslage einzuschätzen, sie war wie ein offenes Buch.

„Oh verdammt. Der Atlas ist also im Grunde nur noch ein Stück Altmetall?" knurrte Sarah fragend und Micheal nickte ernst. „Wir müssen den Fusionsreaktor aus jedem einzelnen Anzug entfernen und danach: Ja, zumindest für die nächsten Monate, wenn nicht sogar Jahre." antwortete er und bedeutete ihr, ihm zu folgen. Gemeinsam gingen sie somit weiter zu seinem Quartier, während Sarah langsam wieder ihre normale Hautfarbe annahm. „Das ist echt mehr als ärgerlich. Wer hat denn unsere Systeme geknackt? Das OCS?" setzte sie ihre Unterhaltung fort und der Admiral nickte knapp. „Die Vermutung liegt nahe. Aber im Grunde ist das jetzt auch nicht mehr wichtig. Viel wichtiger ist es, dass wir so schnell wie möglich alle unsere Rüstungen nach unten zu Mark schaffen, damit er die Reaktoren herausnehmen kann." „Ah, dabei soll ich dir helfen. Gut, kein Problem. Ich geh schnell Sebastian aus dem Fitnessraum holen, dann geht das alles noch etwas schneller. Wo sollen wir sie hinbringen? Nur in den Aufzug, oder direkt runter?" „Erst alle im Aufzug sammeln, dann fahren wir gemeinsam runter." erklärte Micheal und nun war es an Sarah bestätigend zu nicken. „Alles klar, dann mache ich mich mal auf den Weg." erwiderte sie ernst und sprintete neben ihm los in Richtung des Trainingsraums, um Sebastian zu holen. „Sehr gut, bis gleich!" konnte er ihr noch hinterherrufen, dann war sie auch schon hinter der nächsten Biegung verschwunden.

Mike selbst atmete zufrieden durch und blieb wenige Momente später vor seinem und Amandas Quartier stehen. Einen Knopfdruck später gingen mit einem leisen Kratzen die Türen auf und er trat ins Innere. Er war jedoch ein wenig überrascht, als er bemerkte, dass immer noch die Nachttischlampe neben ihrem Bett brannte und seine Frau halb zugedeckt dasaß, den Rücken am Kopfteil angelehnt und war scheinbar dabei Notizen auf ihr Tablet zu kritzeln. Offensichtlich hatte sie auch nicht mit ihm gerechnet, denn sie schaute ebenso überrumpelt auf.

„Oh. Ich dachte du wärst unten bei Chloe und Professor Greenes wegen ihrem Durchbruch." meinte sie nur wie ertappt und erwiderte den Kuss, denn er ihr zärtlich auf die Lippen drückte, nachdem er zum Bett hinübergegangen war. Er lächelte selbst verschmitzt und entgegnete: „Und ich dachte du würdest schon schlafen, Schatz." Gleichzeitig legte Micheal ihr noch die Hand liebevoll auf den schwangeren Bauch, ehe er sich wieder aufrichtete und sich der Nische zuwandte, in der die Maschine eingebaut war, mit deren Hilfe er den Atlas aus- und anziehen konnte. „Nun, ich konnte einfach noch nicht schlafen. Ich habe mit Ileakri heute so viele neue Entdeckungen gemacht, das ist wirklich aufregend! Ich konnte nicht anders, als noch ein bisschen an meinen Notizen weiter zu feilen. Aber warum bist du schon wieder hier? Ist etwas passiert?" erklärte Amanda hinter seinem Rücken und ihre Stimme schlug einen leicht besorgten Tonfall ein.

Beschwichtigend gestikulierte er mit der linken Hand, während er mit der rechten die Sicherheitssperren des Lagerraums deaktivierte. „Nein nein, nichts Ernstes. John hat mich nur angefunkt, um mich auf etwas Wichtiges hinzuweisen, das ist alles. Das erinnert mich daran: Ich sollte dir einen lieben Gruß von ihm ausrichten." bemerkte er ruhig und wartete geduldig darauf, dass der Sicherheitsabgleich mit seiner Hand abgeschlossen wurde. „Na wenn das so ist, Mike, dein Wort in Gottes Ohr. Aber danke für den Gruß, das ist nett. Es wird wirklich schön sein, ihn endlich einmal wieder zu sehen. Wann kommen sie denn ungefähr hier an?" meinte seine Frau in einem Tonfall, der ihn wissen ließ, dass sie ihm keinen Meter glaubte, aber ihre Freude über den Gruß war echt. Forke antwortete gedanklich abwesend: „Spät Morgenabends, vielleicht auch erst in den frühen Morgenstunden. Je nachdem, wie ihre Reise verläuft." Einen Moment später war die Sicherheitssperren endlich entriegelt und mit einem Zischen und allerhand Maschineriegeräuschen wurde sein marineblauer Atlas zu Tage befördert. Mit einem leisen Stöhnen hob er ihn aus der Halterung und trug ihn hinüber zur Tür, wobei die Füße kreischend über den Boden schleiften.

Amanda warf ihm währenddessen einen skeptischen Blick zu, blieb aber weiterhin im gemütlichen Doppelbett sitzen.

„Was genau hast du vor Schatz?" wollte sie misstrauisch wissen, woraufhin Micheal schnell über eine Notlüge nachdachte. „Ich – bringe den Atlas nur runter zu Mark. Er meinte – er wolle irgendwelche Wartungen durchführen, genau." „Wartungen, ja? Warum ziehst du ihn dann nicht an? Wäre es nicht einfach ihn so runterzubringen?" „Ähm – er – er hat mir strickt gesagt, ich solle ihn nicht anziehen." erwiderte er und war froh, dass sein Gesicht dabei hinter dem Helm des Anzugs verborgen lag. Auch so konnte er den ungläubigen Blick seiner Frau auf ihn spüren. „So so." meinte diese durschauend und Micheal betätigte schnell den Knopf für die Tür, um zurück nach draußen zu gelangen. „Gute Nacht Schatz und mach nicht mehr zu lang!" rief der Titan ihr noch aufrichtig liebevoll zu, ehe sich die Tür wieder schloss und er erleichtert durchatmete.

Amanda kannte ihn einfach zu gut, als dass er etwas vor ihr verbergen könnte.

So machte er sich erneut auf den Weg, seinen Atlas in Richtung Aufzug zu tragen, was doch einige Minuten in Anspruch nahm. Er war auf jeden Fall froh zu sehen, dass ihm im großen Hangar keiner Aufmerksamkeit schenkte, sodass er den Anzug praktisch ungesehen im Fahrstuhl deponieren konnte. Danach gönnte sich der Admiral auch keine Pause, sondern eilte sofort zurück in Richtung der Quartiere, von wo aus ihm bereits Sebastian und Sarah mit ihrem jeweiligen Atlas entgegenkamen.

Sein Bruder trug dabei kurze, schwarze Shorts, ein weißes Muscle-Shirt und schwarze Sportschuhe. Die Haare hatte er wie immer extrem kurz geschnitten, sodass es praktisch nur noch schwarze Stoppeln waren und unter seiner eher blassen haut wölbten sich mächtige Muskelberge. Offensichtlich hatte er im Fitnessraum alles stehen und liegen gelassen, um direkt mit anzupacken.

Seine Rüstung im Gegenzug hatte eine helle matschbraune Farbe, ganz im Gegenteil zum Atlas von Sarah, der tiefrot lackiert war. Er grüßte Sebastian kurz im vorbeigehen, ehe er in Shenmis Quartier verschwand, um ihren Atlas zu holen. So schafften sie nach und nach alle Anzüge in den großen Aufzug, was gut und gerne über eine halbe Stunde dauerte. Dabei hinterließen sie immer jeweils eine Notiz im Zimmer, auf der stand, dass für den frühen Morgen eine kurze Lagebesprechung im unteren Hangar stattfinden würde. Die einzigen beiden Titanen in ihrer näheren Umgebung, die jetzt noch ihren Atlas trugen, waren Benjamin und Joseph, doch auch sie würden ihre Rüstung im Morgengrauen übergeben müssen, um die notwenigen Schritte durchzuführen. Sarah und Sebastian warteten geduldig auf den Admiral, als dieser den letzten Atlas anschleppte, den grau lackierten von Jonas, und neben den anderen in die Kabine stellte, bevor er tief durchatmete.

Es war ein merkwürdiger Anblick, die leeren Anzüge so nebeneinander aufgestellt vor sich zu sehen. Sie wirkten fast wie Zinnsoldaten, von denen Micheal in alten Aufschrieben gelesen hatte. Einen Knopfdruck später fuhren sie bereits nach unten, wobei sie alle drei respektvollen Abstand zu den Rüstungen hielten, da diese bedrohlich wankten, als der Fahrstuhl am unteren Hangar abrupt abbremste. Mike konnte gut und gern darauf verzichten unter knappen zweieinhalb Tonnen Panzerung begraben zu werden. Unten angekommen ließen sie die Anzüge erst einmal dort stehen, wo sie waren und gingen gemeinsam hinüber zu Mark, der scheinbar die letzten paar Handgriffe am Fuß-Teil der Prothese ansetzte. Im Hintergrund sah der Admiral, dass Chloe und der Professor immer noch dabei waren herumzuexperimentieren, wobei der Wissenschaftler schon so aussah, als könnte er im Stehen einschlafen, während seine Schwester noch putzmunter wirkte.

Sie nahmen keine Notiz von ihnen, wohingegen Duncan sofort aufsah, als sie sich im näherten und den drei einen skeptischen Blick zuwarf. Es war offensichtlich, dass ihm das ganze sehr suspekt vorkam. „Was ist los, Micheal?" wollte er ernst wissen noch ehe sie zum Stehen kamen und legte sein Feinwerkzeug beiseite. Der Admiral senkte etwas die Stimme, als er kurz angebunden antwortete: „Es gibt ein Problem mit dem Atlas, Mark. Ich habe gerade mit Dad gesprochen. Scheinbar hat das OCS geschafft unsere Systeme zu kompromittieren. Wir müssen die Reaktoren entkernen, bevor er zu einer Katastrophe kommt." Er wusste zum Glück, dass der Ingenieur kein gerade zögerlicher Typ war und somit überraschte es ihn auch wenig, als dieser leise fluchte und sich auf die Unterlippe biss. „Wie viel Zeit bliebt uns?" wollte Duncan deswegen knurrend wissen, ohne ihn groß zu hinterfragen. „Etwas über drei Tage, Mark." antwortete ihm Sebastian mit seinem starken französischen Akzent, den er sich bei seiner knapp 50 Jahre langen Stationierung im ehemaligen Frankreich angeeignet hatte.
Micheal hatte ihm natürlich ebenso wie Sarah kurz im Groben über alles aufgeklärt.

„Und ihr habt die Anzüge schon alle hier runter geschafft nehme ich an?" richtete Duncan daraufhin das Wort wieder direkt an Mike, während er aufstand und an ihnen vorbei in Richtung des Aufzugs blickte. Forke nickte bestimmte, woraufhin er gar nicht mehr dazu kam etwas zu sagen, ehe Mark schon hinüber zum Repulsor-Lastkarren geeilt war. „Dann verlieren wir am besten keine Zeit. Die Kerne können wir hier schlecht lagern, wir müssen sie im Reaktor der Venator entsorgen. Verfluchter Mist, Mike, das wird Monate dauern, bis ich wieder für alle Anzüge neue Fusionsreaktoren gebaut habe! Vielleicht Jahre! Solches Kernmaterial kann ich mir nicht einfach aus dem Ärmel schütteln!" knurrte der Ingenieur missmutig, während er zusammen mit den anderen hinüber zum Aufzug lief und dabei den großen Karren vor sich herschob, der auf einem Repulsorfeld dahinschwebte.

„Du kannst auch alternativ als kleine Nuklearbombe herumlaufen, wenn dir das mehr Spaß macht." gab Sarah sarkastisch zurück woraufhin von Duncan nur ein dumpfes Brummen zurückkam. „Seien wir lieber froh, dass Aidan diesen Virus rechtzeitig erkannt hat, denke einmal daran, was passiert wäre, wenn die Reaktoren tatsächlich ohne Vorwarnung hochgegangen wären." bemerkte Micheal ernst und Sebastian nicke zustimmend. „Ja ja, vermutlich. Auf, jetzt pack mit an und ladet die Anzüge auf den Karren, sonst stehen wir noch Morgen hier rum." erwiderte Mark ebenso ernst. Keiner wagte es ihm dabei zu widersprechen und im nu hatten sie die Rüstungen allesamt auf den großen Repulsor-Karren geladen, der nun wie ein großer schwebender Minenkarren, gefüllt mit Spielzeugsoldaten, aussah.

Nur, dass jedes dieser Spielzeuge momentan eine tickende nukleare Bombe im Innern trug und über zwei Tonnen wog.

Sie alle vier mussten mit anpacken, um den schweren Karren unfallfrei durch die Gänge in Richtung Reaktorraum zu bugsieren, wo Duncan gedachte die Mini-Fusionskerne zu entfernen und zu entsorgen.
Ihnen stand wahrhaftig noch eine lange Nacht bevor.



Zu gleicher Zeit irgendwo am Rand des Großen Walds:

„Herr, wieso habt nicht alle dieser madenverseuchten Kreaturen in den ewigen Abgrund der Hölle geschickt, wo sie hingehören? Was für einen Nutzen sollen diese Bastarde noch für uns haben?" wollte Berdon missmutig wissen, während sein hasserfüllter Blick auf den fünf Kull ruhte, die vor ihnen gefesselt und geknebelt dalagen. Wie der Hauptmann sehr wohl wusste, war Nar Khartog einer von ihnen und am liebsten hätte er den Gehörnten auf der Stelle den Kopf von den Schultern geschlagen. Doch ihr Anführer hatte es ihm strikt untersagt, den Gefangenen auch nur ein Haar zu krümmen.

Ebenjener Anführer, der jetzt mit seinem unscheinbaren braunen Umhang den Rücken zu ihm gewandt vor ihm stand und aus dem Wald herausblickte. Hinter ihnen konnte Berdon deutlich das Gelächter und Geschwätz der übrigen Männer und Frauen am Lagerfeuer hören, sowohl Menschen, als auch Elfen.

„Vergesst nicht, wofür wir eigentlich kämpfen, Hauptmann Berdon. Ich verlange nicht, dass ihr euch mit den Urgralgra verbrüdert, sie sollen lediglich ihren Zweck erfüllen. Und ich erwarte, dass ihr meinen Befehlen Folge leistet, Hauptmann." antwortete dieser mit rauchiger, bittersüßer Stimme, in der ein schwacher Hauch einer Melodie mitklang. Der Hauptmann schluckte schwer, als er entgegnete: „Natürlich Herr." „Sehr gut. Also, was für eine Nachricht von unserem Stoßtrupp tragt ihr bei euch, Hauptmann?" „Sie berichten vom Aufbruch des Schattentöters und der stählernen Soldaten. Sie halten sich bereit für das Zeichen."

„Ausgezeichnet, ausgezeichnet. Nun fehlt nur noch der Bericht meines treuen Freundes, der die Ankunft des Schattentöters verkündet. Ich spüre, dass die Zeit für unseren Schlag immer näher rückt. Teilt dem Stoßtrupp mit, sich weiterhin bereitzuhalten." säuselte der Anführer zufrieden und drehte sich dann zu ihm um.

Sein in die Jahre gekommenes Gesicht, die langen, silbergrauen Haare, das meisterhaft geschmiedete Langschwert an seiner Hüfte, die stabile, von Ausbesserungen überzogene tiefbraune Lederrüstung, all das ließ Berdon wissen, dass dieser Mann, dieser Elf, schon einige Jahrhunderte, wenn nicht gar Jahrtausende und unzählige Schlachten überstanden hatte. Er strahlte eine ungeheure Präsenz aus, die Ehrfurcht und Respekt einforderte, wenngleich auch ein sanftes Lächeln seine alternden Gesichtszüge zierte.

Der Hauptmann musste erneut schlucken und senkte respektvoll das Haupt, als er entgegnete: „Wie ihr wünscht, Meister Siladrath." Damit drehte er sich um und schritt zurück in Richtung des eigentlichen Lagers, wobei er im Weggehen noch hören konnte, wie sich der alte Elf zu einem der Kull hinunter beugte und leise anfing eine magische Beschwörung zu singen, deren bloßer Klang dem Menschen einen kalten Schauer über den Rücken jagte.

[Eragon Fan-Fiction] Der Titan und die DrachenreiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt