Ein schlechtes Omen

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*Um was genau wollt ihr mich denn bitten, Jäger?*fragte Dun'var neugierig, während er seinen Kopf auf Johns Augenhöhe absenkte und ihm zuzwinkerte. Seine mitternachtsblauen Augen musterten die Tiefroten des Titanen eingehend.

„Das ist eigentlich leicht erklärt, Dun'var. Uns läuft die Zeit davon. Kenos Geisteszustand wird zunehmend labiler, da Shads Verlust an ihm zu nagen beginnt. Daher wollte ich euch um einen Gefallen bitten. Wärt ihr damit einverstanden uns nach Drakenfort zu fliegen?" erklärte der Soldat ernst und nickte zu Keno hinüber, der hinter ihm bei Alanna stand und fasziniert die Begrüßung zwischen Feyth und Tinira beobachtete.

Die beiden Drachenmädchen umkreisten einander langsam und kosteten mit ihren gespaltenen Zungen die Luft. Es sah zwar nicht danach aus, als würde der dunkelgelbe Drache seinem Schützling etwas antun wollen, trotzdem behielt John die beiden aus dem Augenwinkel heraus im Blick, um Notfalls eingreifen zu können.

Schattenklaue antwortete nicht sofort, sondern starrte den Colonel noch einige Sekunden lang an, bevor er belustigt schnaubte und eine kleine Rauchwolke aus den Nüstern blies. Ein grollendes Lachen drang aus seiner Kehle. *Ihr steckt voller Überraschungen, Rotauge! Noch eben dachte ich, ich müsste euch bewusstlos schlagen, ehe ihr es mir gestatten würdet, euch nach Drakenfort zu fliegen und nun fragt ihr freiwillig danach!* Der Titan lächelte wissentlich. „Ich dachte mir so etwas schon, als ihr in der Wüste davongeflogen seid. Also ist es für euch in Ordnung, Schattenklaue?" Der gigantische Drache brummte zustimmend.

*Natürlich! Vergesst nicht, dass ich der Sohn von Saphira Schimmerschuppe bin. Ich weiß, wie stark das Band zwischen Drache und Reiter ist und vor allem, wie sehr es den jeweils anderen schmerzt, wenn sie getrennt sind. Außerdem helfe ich damit nicht nur dem Küken, sondern auch einer alten Freundin und meiner Seelengefährtin, ganz davon abgesehen, dass ich ohnehin in eurer und Feyths Schuld stehe, für die Dinge die ich getan habe.* meinte Dun'var aufrichtig, woraufhin John leicht den Kopf neigte. „Das ist mir durchaus bewusst Dun'var, ich wollte nicht respektlos klingen. Es erleichtert mich sehr, dass ihr einer Meinung mit mir seid." Schattenklaue lies ein lautes Glucksen vernehmen. *Um ehrlich zu sein, wusste ich schon, dass ihr etwas von mir wolltet, Jäger. Warum sonst wärt ihr so offen auf der Straße gelaufen? Ein Mann mit solchen Fertigkeiten, wie ihr sie besitzt, könnte sich selbst vor einem Drachen verbergen, zumindest für eine gewisse Zeit.* „Da habt ihr wohl recht." stimmte John zu und konnte sich ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen.

Daraufhin entfernte sich der große Drache etwas von ihm, vermutlich um ihm nicht das Gefühl zu vermitteln, eingeengt zu werden und sein Blick wanderte nach unten auf die Brust des Soldaten. Dort, wo er sich mit seinen Krallen verewigt hatte. *Zumindest hat es den Anschein, dass nicht nur ich Zeugnisse von unserem Kampf davongetragen habe.* merkte das mitternachtsblaue Reptil an und der Titan fuhr nachdenklich über die vier Kratzer, die die ansonsten makellose Brustplatte des Atlas zierten. „Oh ja. Es ist über 175 Jahre her, seit meine Rüstung das letzte Mal derart beschädigt wurde. Allerdings ist es nichts im Vergleich zu den Narben, die ich euch verpasst habe. Es tut mir unendlich leid, dass ich eure Schwanzspitze abgeschlagen habe. Feyth hat mir gezeigt, wofür ihr Drachen sie nutzt." erwiderte der Colonel beschämt und betrachtete kurz Dun'vars verkürzten Schwanz, woraufhin Schattenklaue leise knurrte und ihm zuzwinkerte.

*Nehmt es euch nicht zu sehr zu Herzen, Rotauge. Das macht doch gerade den Nervenkitzel des Kampfes aus! Nicht zu wissen, ob man ihn unversehrt übersteht! Natürlich stört es mich, dass ich meinen Flug nicht mehr absolut perfekt beherrsche, aber es gibt Schlimmeres, als keine engen Manöver mehr fliegen zu können. Vielmehr kratzt es an meiner Ehre, dass ihr mir mein Horn abgeschlagen habt.* grollte der große Drache und schwenkte seinen massigen Kopf ein wenig hin und her. John verschränkte die Arme vor der Brust und zog skeptisch eine Augenbraue nach oben. Er hatte Dun'var nicht für oberflächlich gehalten, aber den Verlust eines, in seinen Augen, nutzlosen Accessoires, schwerer zu werten, als seine Manövrierfähigkeit in der Luft einzubüßen, kam ihm extrem naiv vor. Diese Gedanken behielt er jedoch für sich und meinte stattdessen: „Nun, wenn es euch beruhigt, Schattenklaue, es verleiht euch ein noch gefährlicheres Aussehen." *Das ist nett gemeint, Jäger und doch wurmt es mich mehr, als jede andere Narbe.* entgegnete die Echse brummend. Schwarzer Rauch drang aus seinen Nüstern. Dann stieß er jedoch eine Art Seufzer aus und hob sein Haupt wieder auf ein für ihn normales Level. *Aber das ist momentan nicht von Belang. Seht euch das an, John. Die beiden Küken haben direkt Freundschaft geschlossen.* sagte Dun'var amüsiert und deutete mit seiner Schnauze in Richtung von Feyth und Tinira.

Der Titan, der die beiden bisher nur aus den Augenwinkeln heraus beobachtet hatte, drehte sich nun vollständig zu ihnen um und musste lächeln, als er das kleine grüne Drachenmädchen auf dem Rücken von Schattenklaues Tochter herum kletterte, die ihren Kopf nach hinten gedreht hatte und genießerische Laute ausstieß. Es sah fast so aus, als würde sie ihr eine Art Massage geben. Der Colonel freute sich für seinen kleinen Schützling, auch wenn der düstere Hintergedanke, dass Tinira in ein paar Monaten anders über Feyth denken könnte, fest in seinem Hirn verankert war. Denn wenn selbst ihre eigene Mutter dazu fähig war, sie zu attackieren, dann könnte es mit der dunkelgelben Drachendame wohl ähnlich verlaufen. 'Was denke ich mir eigentlich schon wieder dabei? Immer positiv bleiben, so etwas wird nicht geschehen!' redete er sich selbst ein und schloss für einen kurzen Moment die Augen, um diesen grässlichen Gedanken in eine dunkle Ecke zu verbannen.

Diese Geste blieb nicht ganz unbemerkt.

Alanna, die fürsorglich die Hand auf Tiniras Flanke gelegt hatte und ebenfalls erheitert lächelte, sprach ihn mit leicht verwirrter Miene darauf an. „John-Vodhr? Bedrückt etwas euren Geist?" Der Soldat öffnete seine Lider wieder und schüttelte sanft den Kopf. „Nein, nein. Es ist alles in Ordnung. Meine Augen haben nur kurz gejuckt." beruhigte er sie und atmete erleichtert auf, als die Elfe verstehend nickte und wieder zurück zu Feyth sah, die gerade von ihrer neuen Spielgefährtin heruntersprang.

Mit ihren großen, leuchtend grünen Augen fixierte sie den Titanen und sprang mit großen Hüpfern und aufgeregtem Fiepen auf ihn zu. Schmunzelnd ging John etwas in die Hocke, um sie leichter auf seine Schulter springen zu lassen, was der kleine Drache mit einem einzigen Satz tat. „Na? Es scheint, als hättest du eine neue Freundin gefunden." bemerkte er fröhlich und kraulte sie hinterm Ohr, während er sich wieder aufrichtete. *Oh ja! Tinira ist sehr, sehr nett und freundlich! Vor allem stört es sie überhaupt nicht, dass ich so viel kleiner bin als sie!* schwärmte das Drachenmädchen und schnurrte genießerisch. „Tatsächlich? Ist das so?" erwiderte John skeptisch und warf Tinira einen durchdringenden Blick zu, unter dem der gelbe Drache, der ihn bislang mit geneigtem Kopf beobachtet hatte, deutlich zu schrumpfen schien.

*Feyth ist das erste, andere Drachenmädchen, auf das ich seit meinem Schlupf getroffen bin. Alle anderen Jungdrachen, die ich bisher gesehen habe, waren alle angeberische Männchen. Sie ist sehr freundlich und süß, es stört mich überhaupt nicht, dass sie wie ein wie ein vier Wochen altes Küken aussieht, John-Elda. Ich nenne sie gerne eine Freundin!* erklärte Dun'vars Tochter respektvoll und unterstrich ihren letzten Satz mit einem sanftem Brummen. Ihre Augen funkelten merkwürdig, während sie ihn dabei beobachtete, wie er seinen Schützling kraulte. Der Titan hielt den Augenkontakt noch einige Momente aufrecht, bevor er zufrieden ausatmete und leicht den Kopf neigte. Tinira schien die Sache wirklich ernst zu meinen, was ihn ungemein erleichterte. „Das ist schön zu hören, Tinira. Feyth besitzt leider nicht sonderlich viele Freunde, unterm ihrem eigenen Volk, also ist ihr die Freundschaft mit dir sehr, sehr wichtig. Und damit auch mir." entgegnete er der jungen Drachendame, wobei ein gewisser drohender Unterton mit seinen letzten Worten mitschwang. Zu schwach, um es als akute Bedrohung wahrzunehmen, doch stark genug, damit sie es verstand.
Das dunkelgelbe Drachenmädchen zwinkerte ihm wohlwollend zu und meinte unterwürfig: *Ich verstehe, Jäger.*

Der Soldat nickte lächelnd und trat hinüber zu Keno, der hinter der Elfe stand, die Arme vor der Brust verschränkt hielt und leicht auf- und abwippte. Es war ihm merklich anzusehen, dass er aufgeregt war. Beruhigend legte ihm der Soldat die rechte Hand auf die Schulter. „Ganz locker Keno, ich habe mit Dun'var gesprochen und er ist damit einverstanden uns nach Drakenfort zu fliegen. Wir werden also noch heute Abend Alanna von ihrem Bann befreien und Shads Aufenthaltsort ermitteln können. Nicht mehr lange, dann werden wir ihn wieder befreit haben!" sagte er aufmunternd und erntete ein kurzes aufflammen von Hoffnung in den Augen des Jungen. „Das ist ja großartig John! Ich – ich muss gestehen, dass ich nicht ganz daran geglaubt habe, du könntest Schattenklaue davon zu überzeugen uns mitzunehmen." „Oh, um ehrlich zu sein, musste ich ihn gar nicht dazu überreden. Er wollte von sich aus genau das Gleiche tun. Das hätte ich mir eigentlich schon denken können, als er in der Wüste davonflog und androhte uns zu begleiten." erklärte John glucksend, woraufhin der Drachenreiter schief grinste. Der Titan klopfte ihm noch einmal sanft auf den Rücken und drehte sich dann zu Dun'var um, der ein tiefes Brummen von sich gab und Alanna liebevoll mit der Schnauze anstupste und über die Wange schleckte.

Die ältere Drachenreiterin lehnte mit geschlossenen Augen ihre Stirn an seine Nüstern und lächelte glücklich. Einen Moment später wandte sie sich geschwind dem Soldaten zu, drückte die Faust kurz auf die versteckte Tasche an ihrer Brust und legte danach die Hand auf Schattenklaues Kinn. John verstand den subtilen Hinweis sofort, legte den linken Arm um Keno und führte ihn ein paar Schritte weg vom Geschehen, indem er den Jungen in ein Gespräch verwickelte.

„Sag mal Keno, nur unter uns beiden, gibt es eigentlich eine Möglichkeit Dun'vars Schwanz wieder vollständig zu heilen?" Im Weggehen sah er aus den Augenwinkeln heraus, wie die Elfe Nirlaths Seelenhort aus der Tasche zog und vorsichtig an Dun'vars Schnauze presste. Er bemerkte, wie Feyth sich auf seiner Schulter drehte, um seinem Blick zu folgen, doch er drückte ihren Kopf mit sanfter Gewalt an sein Kinn. 'Nicht, Keno soll keinen Verdacht schöpfen.' erklärte ihr in Gedanken, wovon das kleine Drachenmädchen alles andere als angetan war. *Aber ich will – * setzte sie zu einem Protest an, doch der Titan unterbrach sie mitten im Satz. 'Hab noch etwas Geduld, Kleine. Alanna wollt mich ohnehin Nirlath vorstellen, da hast du dann immer noch genug Zeit, ihren Seelenhort zu bestaunen.' *Na schön, aber du musst mir versprechen, dass du innerhalb der nächsten paar Tage wieder mit mir fliegst.* antwortete Feyth trotzig und knabberte spielerisch an seinem Ohrläppchen, nachdem sie sich aus seinem lockeren Griff befreit hatte. 'Also gut, abgemacht.' entgegnete er schmunzelnd und lauschte der Antwort des jungen Drachenreiters.

„Äh, nun, an sich, denke ich ist es mit Sicherheit möglich. Ich habe Meister Eragon schon ähnlich schlimme Verletzungen heilen gesehen. Zum Beispiel musste er einmal Shads Ohr erneuern, weil er es in einer Rauferei mit anderen Jungdrachen eingebüßt hatte." meinte dieser und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. Skeptisch zog der Colonel eine Augenbraue nach oben. „Dann scheint es ja ganz schön ruppig bei den Jungdrachen zuzugehen. Ein Ohr verliert man nicht so ohne weiteres." „Naja, sie kommen halt irgendwann in das Alter, wo die Männchen anfangen um die Weibchen zu buhlen. Und da kommt es halt häufiger mal zu Kämpfen, die auch blutig enden können. Insbesondere dann, wenn das Weibchen auch noch daneben steht und zuschaut." erwiderte Keno achselzuckend. John schüttelte augenrollend den Kopf und merkte an: „Ich sehe schon, egal welchem Volk man angehört, die jugendlichen Halbstarken sind überall gleich. Dass du mir ja nie sowas anstellst, hörst du Kleine?" Er tätschelte schmunzelnd Feyths Kopf, die leise brummte: *Ich glaube, ich wäre heilfroh, falls es überhaupt jemals dazu kommt, dass zwei Männchen um meine Gunst buhlen, John.* „Ach quatsch, ein so feines Mädel wie du, wird die Jungs sicher nur so anziehen." gluckste der Titan fröhlich und Keno grinste schwach. Erneut kaute das Drachenmädchen missmutig an seinem Ohr, woraufhin der Soldat sie spielerisch flehend um Verzeihung bat.

Einige Augenblicke später räusperte er sich wieder und sagte nun etwas ernster: „Jetzt aber mal Spaß bei Seite, Keno. Es ist also wirklich möglich, Dun'vars Verletzung vollständig zu heilen?" Der Junge nickte energisch. „Soviel ich weiß, ja. Wobei ich nicht sagen kann, ob das Schwert es verhindert." Der Colonel starrte ihn etwas verwirrt an. „Das Schwert? Du meinst Larva? Was ist damit?" „Larva? So heißt es also? Ein komischer Name, obwohl er vermutlich ganz gut passt, 'Böser Geist'. Naja egal, auf jeden Fall hat uns Bloedhgarm-Elda im Unterricht beigebracht, dass es bestimmte Waffen gibt, die unheilbare Wunden schlagen können und nach all dem, was dieses Schwert schon verursacht hat, könnte es natürlich sein, dass ein Fluch auf der geheilten Stelle liegt und man den Körperteil nicht ersetzen kann. Selbst Meister Eragon nicht." erklärte der junge Drachenreiter ernst.

*Er hat recht, er hat recht!* keckerte Larvas hämische Stimme plötzlich in Johns Kopf, der instinktiv den Blick auf den etwas abseits stehenden Rucksack richtete. *Er wollte ihr böses tun, wir haben es ihm ausgetrieben, Meister!*

Die Augen des Titanen verengten sich verärgert. „Irgendetwas sagt mir, dass deine Vermutung mit der verfluchten Wunde stimmt. Das würde genau zu dem Schwert passen, wenn ich Angela richtig verstanden habe." murmelte er missmutig, wütend darüber, Schattenklaues Verletzung voraussichtlich nicht heilen zu können. Aber Eragon darum bitten würde er trotzdem, einen Versuch war es allemal wert. „Das wäre schade. Schattenklaue, mag zwar seine Macken haben, aber er war, bis auf das eine Mal in der Wüste, immer freundlich, wenn Shad und ich ihm begegneten. Vielleicht etwas ruppig, aber freundlich. Kein Drache sollte ohne seine Schwanzspitze leben müssen, ich weiß von Shad, wie sehr sie sie im Flug benötigen." entgegnete Keno ebenfalls bedrückt. Feyth fiepte zustimmend, während der Colonel langsam nickte. „Da hast du recht. Nun ja, ich werde trotzdem Herrn Eragon darum bitten, zumindest einen Blick darauf zu werfen. Wie sagt man doch so schön? Die Hoffnung stirbt immer zuletzt." *Genau!* knurrte das grüne Drachenmädchen und fixierte ebenso wie ihr großer Beschützer den Rucksack, in dessen Seitentasche Larva steckte.

Da meldete sich eine weitaus fröhlichere Stimme hinter ihnen zu Wort.

„John-Vodhr? Seid ihr fertig mit eurem Gespräch, oder störe ich gerade?" fragte Alanna respektvoll, woraufhin sich John, mit Feyth auf der Schulter, und auch Keno, zu ihr und den beiden anderen Drachen umdrehten. Die Elfe stand vor Schattenklaue und Tinira, die Arme locker vor dem Bauch überkreuzt haltend und lächelte ihnen glücklich zu. Der Seelenhort war nirgends mehr zu erkennen, weshalb der Titan logischer halber davon ausging, dass sie ihn schon längst wieder in der geheimen Tasche verstaut hatte. 'Das war kurz, für ein Familien-Wiedersehen-Gespräch. Naja, zumindest sehen Dun'var und Tinira zufrieden und entspannt, vielleicht können sich Drachen untereinander im Geiste schneller austauschen, als wir Menschen reden können, wer weiß.' dachte er leicht überrascht und entgegnete dann laut: „Nein, ist schon in Ordnung. Wir kamen ohnehin gerade zum einem Schluss." „Sehr gut, denn ich denke, wir sollten keine weitere Zeit verlieren, wenn wir heute Abend in Drakenfort sein wollen." erwiderte die Drachenreiterin freundlich, was Dun'var mit einem tiefen Brummen unterstrich. *Sie hat recht, Jäger. Die Sonne steht schon hoch über uns und bis zu unserem Ziel sind es noch einige Flugstunden.*

Der Soldat nickte zustimmend meinte jedoch: „In Ordnung, wir brechen sofort auf. Allerdings würde ich noch gerne diese Traumsicht nutzen, um Herrn Eragon Bescheid zu geben, schließlich wollte er uns mit Saphira und ihren beiden Schülern in Drakenfort empfangen und abholen." „Eine gute Idee, John-Vodhr." bemerkte Alanna und auch Keno bejahte den Vorschlag. „Ich hole schnell eine der Schalen aus dem Rucksack." rief der Junge aufgeregt und rannte bereits während dieser Worte los. John nutzte den Moment und wollte flüsternd wissen: „Ich hoffe es hat alles gepasst mit Nirlath?" *Ja, Mutter war überglücklich uns beide wiederzusehen, habt vielen Dank Meisterjäger!* antwortete das dunkelgelbe Drachenmädchen hibbelig und wollte wohl eigentlich noch etwas mehr machen, hielt sich jedoch zurück. *Ja, habt vielen Dank für die kleine Ablenkung, Rotauge. Meine Seelengefährtin übermittelt euch ihre herzlichsten Grüße und freut sich schon brennend darauf, euch persönlich kennenzulernen.* fügte Schattenklaue hinzu und neigte respektvoll sein Haupt. „Keine Ursache und ich freue mich auch schon darauf sie kennenzulernen." erwiderte der Titan und verstummte sofort, als der junge Drachenreiter mit einer leeren Holzschale in den Händen zurückkehrte.

„Hier, jetzt brauchen wir noch etwas Wasser." meinte er und stellte das Schälchen vor ihnen auf den Pflastersteinen ab. Mit wenigen Handgriffen löste John den Wassertank von seinem Rücken und goss einen großen Schluck in die Schale ein, sodass diese bis zum Rand gefüllt war und sogar kurz überfloss. Danach ging er neben Keno, der sich schon hingekniet hatte, in die Hocke und beobachtete, wie der Junge einige Worte in der Alten Sprache murmelte. Währenddessen gesellte sich Alanna hinter sie und auch Dun'var schob seinen massigen Kopf hinter die kleine Gruppe. Es dauerte nicht lange, bis ihre Spiegelbilder von der Wasseroberfläche verschwanden und dem Arbeitszimmer Eragons Platz machte.

Es hatte sich nicht sonderlich viel verändert. Ein paar Federkiele mehr auf dem Schreibtisch, dafür weniger Pergamentrollen und Bücher. Auch der Sockel, worauf beim letzten Mal noch ein großer goldener Edelstein gelegen hatte, war leer. Das Auffälligste im Zimmer war, dass statt des Großmeisers ein junges Mädchen, mit hellbraunen, schulerlangen Haaren im Raum stand und eine große Anzahl an Schriftrollen im Arm hielt. Ihre Haut war braungebrannt und die Muskeln etwas stärker, als bei normalen Frauen in ihrem Alter. Sie konnte noch nicht älter als zwölf Jahre sein. „Saskia!" rief Keno überrascht aus, woraufhin das Mädchen schreckhaft zusammenzuckte und einige der Rollen fallen ließ. Mit wehenden Haaren drehte sie sich zu ihnen um und ihre braunen Augen wurden groß, als sie sie erblickte.

„Keno! Bin ich froh zu sehen, dass es dir gut geht! Und die kleine Feyth natürlich auch! Aber wer sind diese beiden Personen bei euch?" meinte Saskia aufgeregt und kam näher an den Spiegel heran. „Ich bin Titan 06, Colonel John Miller junge Dame, und das hier ist Alanna Silberwind ein Mitglied eures Ordens." stellte sich John mit sanfter Stimme vor, wobei er den Automatismus, seine militärische Kennung zu nennen, nicht rechtzeitig unterdrücken konnte. „Oh verzeiht, Meisterin Alanna! Ich habe euch nicht erkannt, da ihr mir nur aus Geschichten bekannt seid. Und auch euch grüße ich herzlichst, Herr Miller, Meister Eragon hat mir bereits von euch erzählt – "

Die junge Drachenreiterin stockte mitten im Satz und ihr Mund wurde ganz groß, als sie offenbar die Augen des Titanen näher betrachtete. „Bei Gokukara! Eure Augen! Ihr besitzt die Augen eines Drachens! Ein Mensch mit den Augen eines Drachens!" plapperte sie aufgewühlt und der Colonel fluchte innerlich, da er vergessen hatte, seinen Helm wieder aufzusetzen. Das konnte er nun aber nicht mehr ändern, weswegen er beruhigend sagte: „Ganz ruhig Mädchen, tief durchatmen. Ja, ich besitze Drachenaugen, aber das zu erklären, würde jetzt zu lange dauern. Es gibt wichtigeres zu besprechen. Wo ist Herr Eragon?" Überfordert blinzelte das Mädchen mehrmals, bis sie schließlich seiner Bitte nachkam und mehrmals tief durchatmete. Anschließen entgegnete sie mit immer noch weit aufgerissenen Augen: „Mei – Meister Eragon ist gerade in einer persönlichen Besprechung mit König Orik. Er und sein Gefolge sind heute Morgen bei uns eingetroffen, Herr Miller." „Ich verstehe. Kannst du ihm dann eine Botschaft von uns überbringen?" „Na – natürlich, ihr – ihr müsst mir nur sagen, was ich ihm mitteilen soll." „Gut, dann sag ihm, dass Herr Miller mit Keno, Alanna und Feyth noch heute Abend in Drakenfort ankommen werden und wir in Begleitung von Dun'var und seiner Tochter Tinira sind." erklärte John eindringlich und Saskia nickte eifrig. „Das kann ich tun."

Da richtete Alanna kurz das Wort an sie. „Ihr braucht nicht so nervös zu sein, Saskia-Finiarel. John-Vodhr ist ein überaus netter Mann der viel Verständnis für euch Jünglinge hat. Also sei so gut und überbringe Meister Eragon ganz einfach seine Nachricht, ohne Hektik. Ich freue mich schon darauf, dich heute Abend persönlich zu treffen." Dabei lächelte sie freundlich und das Mädchen deutete respektvoll eine kleine Verbeugung an. „Vielen Dank, Ebrithil. Ich werde Herrn Millers Worte genauso überbringen, sobald Meister Eragon aus der Besprechung zurück ist." Ihre Stimme klang fester, aber immer noch schwang ein Hauch von Nervosität mit.

„Saskia, weißt du, ob Meister Murtagh und Meister Dorn bereits wieder zurück sind?" fragte Keno unwirsch dazwischen und wirkte enttäuscht, als Saskia den Kopf schüttelte. „Nein tut mir leid, Keno. Wir erwarten ihn und die anderen Meister frühestens in drei Tagen zurück, weil es einen Wetterumschwung bei ihnen gab." erklärte die junge Drachenreiterin entschuldigend. „Dafür werden wir früher da sein. Also gut, Saskia, wir verabschieden uns auch schon wieder, ich wollte nur kurz Herrn Eragon Bescheid geben. Auf Wiedersehen." erwiderte der Titan und neigte leicht den Kopf. „Mögen die Sterne über die Wachen, Saskia-Finiarel." fügte Alanna hinzu und führte Zeige- und Mittelfinger an die Lippen, eine Geste, die beide junge Drachenreiter nachahmten. „Und über euch, Ebrithil." gab das Mädchen zurück und wenige Augenblicke später ließ Keno seine Magie versiegen. Nun starrte wieder ihr eigenes Spiegelbild von der Wasseroberfläche empor.

„Wer genau war das, Keno?" wollte der Colonel neugierig wissen, während er das Schälchen auskippte, den Wassertank auf seinem Rücken verstaute und aus der Hocke aufstand. „Das war Saskia, Meister Eragons momentane Schülerin. Sie ist die jüngste und neuste Drachenreiterin und erst seit einem knappen Jahr im Orden." antwortete der Junge und klopfte sich den Dreck von der Hose, nachdem er aufgestanden war. „Ihr fangt so jung an? Sie ist doch noch nicht einmal annähernd in deinem Alter." merkte John skeptisch an. Er ging hinüber zum Rucksack, verstaute das hölzernere Gefäß im Inneren und trug ihn zu den anderen hinüber. „Drachenreiter beginnen meistens schon in diesem jungen Alter, da so die Bindung zwischen Drache und Reiter mit ihren Körpern zusammen wächst und stärker wird. Außerdem sind Kinder die weitaus besseren Lerner, wenn es um Magie, die Alte Sprache oder ganz andere Fächer geht. Das solltet ihr am besten wissen, John-Vodhr." erklärte die Elfe amüsiert, woraufhin der Soldat mit den Augen rollte. „Wem sagt ihr das. Also schön!" meinte er und klatsche in die Hände.

„Ich denke wir sollten nicht noch mehr Zeit verlieren. Dun'var, ich nehme an, wir fliegen auf eurem Rücken? Nichts gegen dich Tinira, aber du dürftest noch zu schwach sein, um jemanden derart lange durch die Luft zu tragen." Schattenklaue brummte zustimmend, wohingegen Tinira missmutig knurrte. *Ihr sagt also ich wäre zu schwach?* fragte sie spitz.

Mit einem Schlag verschwanden sämtliche Emotionen vom Gesicht des Colonels und machen einer eiskalten Miene Platz, die das dunkelgelbe Drachenmädchen an Ort und Stelle erstarren ließ.

„Ich könnte euch einfach am Kopf packen und gegen diesen Baum dort werfen, ohne mich groß anstrengen zu müssen. Dabei würde vermutlich eure Wirbelsäule brechen und beim Aufprall die Flügel. Ja, ihr seid schwach und versucht mich nicht in eurem jugendlichen Übereifer zu beeindrucken, wir verlieren Zeit." sagte der Titan kühl und setzte sich den Helm wieder auf den Kopf. Gleichzeitig machte er einen Schritt auf Tinira zu, die instinktiv in eine Abwehrhaltung übergegangen war.

Glücklicherweise bemerkte Dun'var den Wechsel in Johns Persönlichkeit und ging beruhigend dazwischen. *Er hat recht, meine Kleine, du bist noch zu jung und daher zu schwach, um jemanden für lange Zeit auf die reiten zu lassen. Und ja, Rotauge, ihr werdet auf meinem Rücken reisen.* John nickte ernst und wandte sich dann an Alanna, die erleichtert ausatmete. „Ich kenne mich beim Flug auf einem Drachen nicht aus, gibt es etwas Bestimmtes zu beachten? Ich kann mir vorstellen, dass die Schuppen auf Dauer eure Hosen durchscheuern könnten." „Das ist richtig, John-Vodhr. So dumm es sich auch anhören mag, wir sollten zwei oder am besten drei der großen Decken über die Mulde in seinem Nacken legen und festmachten, ansonsten würden uns die Schuppen in ein paar Stunden die Haut von den Knochen schaben. Zudem sollte Keno-Finiarel einen bestimmten Zauber auf uns wirken, damit die Kälte in den großen Höhen uns nichts anhaben kann." erwiderte die Elfe ernst und der Soldat nickte erneut. „Ich verstehe. Mir braucht ihr keinen solchen Zauber zu verpassen, meine Rüstung wird mich davor schützen. Feyth, es wäre besser wenn du von meiner Schulter gehst. Ich muss die Arme gleich richtig bewegen können." meinte er im nettesten Ton, zu dem er sich zwingen konnte.

Feyth fiepte leise und sprang mit einem Satz von ihm herunter, nachdem sie ihm noch einmal über das Visier geschleckt hatte. Anschließend kramte der Titan in Windeseile drei Decken aus dem Rucksack, bat Dun'var sich so flach wie möglich hinzulegen und breitete sie dann übereinander in der angesprochenen Mulde aus. Dabei war er besonders vorsichtig, wenn er auf die Pranken und Beine des Drachen kletterte, da eine falsche Bewegung bedeutete, dass drei Tonnen Gewicht ausrutschen und womöglich einen Knochen unter sich zermalmen würden. Das wollte er nicht riskieren, selbst mit einem Magier wie Keno an seiner Seite. Als die Decken fertig ausgebreitet waren, holte er zwei Seile aus dem Ranzen und bohrte mit Hilfe seines Messers in alle vier Ecken von jedem einzelnen Stofftuch ein Loch. Danach fädelte er eines der Seile durch die jeweils vorderen und eines durch die jeweils hinten liegenden Löcher in den Decken. Das erforderte einiges an Geschick, da er dabei auf Dun'vars Rücken hin und her robben musste. Im Anschluss daran sprang er von Schattenklaue herunter, wobei er eine kleine Kuhle in dem gepflasterten Weg zurückließ, und schnürte die Seilenden vor Dun'vars Brust und unter seinem Bauch fest.

„Ich hoffe es ist nicht zu fest?" wollte John tonlos wissen, worauf der Drache mit einem lauten Schnauben antwortete. *Nein, es ist vollkommen in Ordnung.* „Gut, dann steigt bitte schon einmal auf seinen Rücken, Alanna und Keno. Ich muss nur noch kurz den Rucksack verstauen." meinte der Titan zufrieden und deutete auf Schattenklaue, während er selbst mit dem Rucksack in Händen zu Tinira hinüberging, die ihn skeptisch beäugte. „Ich werde euch nicht dazu zwingen Tinira, aber ich bitte euch darum. Wärt ihr damit einverstanden, dass ich den Rucksack an euren Bauch schnalle?" erkundigte er sich höflich und neigte leicht Kopf. Das Drachenmädchen sah in einige Momente lang unentschlossen an, bis sie schließlich ebenfalls ihr Haupt senkte und erwiderte: *Natürlich, Rotauge. Ich werde gut auf ihn acht geben.* „Ausgezeichnet. Dann legt euch kurz hin, damit ich ihn festbinden kann."

Als er das letzte Seil aus dem Rucksack kramen wollte, fiel sein Blick kurz auf Larva, das nach wie vor in der Seitentasche steckte. 'Viel zu gefährlich, am besten ich verstaue es im Inneren.' dachte sich der Titan, zog das Schwert aus der Tasche und verstaute es mehr schlecht als recht in der Hauptkammer des Ranzen, den er gründlich verschloss. *Ihr besitzt ein Reiterschwert, Jäger? Davon hat mir Vater gar nichts erzählt.*murmelte Tinira neugierig, doch der Colonel hob abweisend die Hand. „Ja, es war einmal ein Reiterschwert, aber wenn du genau wissen willst, was es ist, frägst du am besten deinen Vater. Es gibt hier Ohren, für die diese Information nicht bestimmt ist." *Ich verstehe.*Ohne weiter nachzuhaken, akzeptierte das Drachenmädchen seine Antwort, worüber er sehr dankbar war und ein paar Augenblicke später hatte er auch den letzten Knoten festgezogen, sodass der Rucksack nun ohne groß zu rutschen vor Tiniras Brust hing. „Das wäre es dann, wir sind Abflugbereit." stellte John monoton fest und ging in die Hocke, um Feyth über den Kopf zu streicheln.

Ein Lächeln zierte wieder seine Lippen.

„Du fliegst einfach neben ihnen her, ja? Und wenn es absolut nicht mehr geht, kommst du einfach zu mir, da hat Dun'var sicher nichts dagegen. Oder?" *Mitnichten, Jäger.* brummte der gigantische, mitternachtsblaue Drache und drehte seinen massigen Kopf zu den beiden nach hinten, wobei er einen kurzen Seitenblick auf Keno und Alanna warf, die bereits auf seinem Rücken saßen und wie kleine Zwerge wirkten. *Okay, darf ich dich dann wieder zu einem Flug mitnehmen?* entgegnete das grüne Drachenmädchen mit großen Hundeaugen. Der Titan seufzte leise. „Tut mir leid Kleine, aber ich glaube nicht, das Alanna und Keno mich auf Dun'vars Rücken festhalten können, dafür bin ich einfach zu schwer. Ein andermal, versprochen!" erklärte er ihr etwas beschämt. Niedergeschlagen ließ Feyth ihre Ohren hängen, sagte aber mit tapferer Stimme: *Na gut, das verstehe ich. Du sollst ja schließlich nicht unbedingt wie ein Stein zu Boden plumpsen.* „Du!" rief er gespielt erbost und wollte nach ihr greifen, doch mit einem lauten Quieken stieß sich der kleine Drache vom Boden ab und gewann mit einigen Flügelschlägen schnell an Höhe. Tinira folgte ihr auf dem Fuße, beziehungsweise Flügel, sodass nur noch Schattenklaue und die drei Zweibeiner am Boden waren.

Der Soldat lachte herzhaft, stieg dann vorsichtig an Dun'vars linkem Vorderbein nach oben und setze sich zwischen die Elfe und den Jungen, wobei er vor und sie hinterm ihm Platz fand. Behutsam legte er den linken Arm um den Drachenreiter, während er mit der rechten die Decke unter sich packte. Alanna hingegen schlang einfach ihre Arme um ihn und drückte sich fest an den Titanen, der von der Berührung, durch den Atlas jedoch kaum etwas mitbekam. Erst als John an sich herunter sah bemerkte er es und musste unwillkürlich schmunzeln. „Wir wären dann soweit!" rief er dem gigantischen Drachen zu. *Dann haltet euch gut fest, Jäger! Der Start ist mit der Landung das holprigste!* gab Dun'var zurück und beeindruckt sah der Titan zu, wie sich die riesigen Schwingen rechts und links von ihm erhoben, während Schattenklaue behäbig aufstand. Kurz darauf spürte er, wie das gewaltige Reptil in die Knie ging, um Schwung zu holen und instinktiv krallten sich seine Finger noch fester in den Stoff. Dann drückte sich Dun'var vom Boden ab und rüttelte sie alle ordentlich durch.

Er konnte Keno vor sich jauchzen hören und auch er selbst verspürte, wie die Naniten eine große Menge an Adrenalin ausstießen, das seinen kompletten Körper durchflutete. Es fühlte sich so ähnlich an, wie sein erster Flug in einem Kampfjet, damals vor weit über 200 Jahren, nur weitaus befreiter. Nach einigen Augenblicken des wilden Rüttelns, wurden Schattenklaues Flügelschläge ruhiger und rhythmischer und als der Soldat links herunter sah, konnte er knapp 100 Meter unter ihnen den Boden erkennen. 'Eine beeindruckende Leistung innerhalb weniger Momente 100 Meter Höhe zu erreichen, was für ein Muskelpaket er dafür sein muss.' dachte der Colonel stark beeindruckt und lockerte den Griff in die Decke etwas, da seine Finger schon leicht zu schmerzen begannen. „Wie sehr ich das hier vermisse." hörte er Alanna hinter sich seufzen und bemerkte, dass sich ihre Arme noch enger um ihn schlossen, so als ob sie ihn nie wieder loslassen wollte.

John konnte ihre Sehnsucht gut verstehen.

Auch er mochte das Fliegen und für einen Drachenreiter war das wohl so etwas wie für Steven seine Bananenriegel, die er über alles liebte. Nur, mit einem Drachen, dessen Körper tot und die Seele in einem Edelstein eingeschlossen war, grenzte das an ein Ding der Unmöglichkeit. Er schweifte jedoch von diesem Gedanken ab, als Feyth ihm ein Bild ihrer Augen sandte, wo er sich selbst und die anderen, von weit über ihnen betrachtet, erkannte. Der Titan spähte lächelnd empor und sah dort seinen Schützling neben Tinira herfliegen. Er war froh, dass die beiden so gut miteinander auskamen und hoffte, dass es noch lange so bleiben würde. *Alles in Ordnung dort hinten? Es ist eine Weile her, seit ich das letzte Mal jemandem auf meinem Rücken sitzen hatte. Ich hoffe der Start war nicht allzu holprig.* meldete sich Dun'var zu Wort und blickte kurz über seine Schulter nach hinten, um sich zu vergewissern, dass alles okay war. Der Soldat stellte den Lautsprecher etwas lauter, um über den Wind hinweg rufen zu können. „Alles in Ordnung, es hat uns zwar etwas durchgeschüttelt, aber ich denke, dass Alanna und Keno das ohnehin schon gewohnt sind und auch für mich ist so etwas nichts Neues." *Gibt es etwa doch auch Drachen in eurer Heimat?* wollte der Gigant neugierig wissen, worüber John erst kurz nachdenken musste. Schließlich antwortete er laut: „Nein, keine Drachen. Wir besitzen Maschinen, mit denen wir fliegen, aber das wäre alles viel zu kompliziert um es euch jetzt auf die Schnelle zu erklären. Insbesondere da ihr wohl kaum unsere Technik verstehen würdet. Aber ich muss ehrlich zugeben, dass es mir weitaus mehr Spaß bereitet mit euch zu fliegen, als mit einer unserer Maschinen, Dun'var." *Maschinen, die fliegen können? Was soll das für eine Hexerei sein? Ich freue mich jedenfalls, dass es euch gefällt, Jäger. Der Flug mit einem Drachen ist nun einmal etwas Besonderes!* erwiderte Schattenklaue und ließ ein lautes Brüllen über das Land hallen.

Der Colonel schmunzelte.

Ja, der Flug mit einem Drachen war wahrhaftig etwas Besonderes.

Während also unter ihnen die Landschaft im wahrsten Sinne des Wortes hinweg flog und Dun'var auf eine für ihn angenehme Reisehöhe anstieg genoss der Titan es einfach nur still, das Land unter ihm zu betrachten, welches immer wieder kurzzeitig von tieferliegenden Wolken verdeckt wurde, und Feyth zu lauschen, die ihm in aller Ausführlichkeit jedes einzelne Flugmanöver erklärte, das sie flog. Teilweise schickte sie ihm sogar Bilder von Tinira, die eben jenes Manöver vollführte. Diese sah er immer mit einem lachenden und einem weinenden Auge, da der Rucksack und das Seil nicht unbedingt für solche Kunststückchen ausgelegt waren. Aber vertraute darauf, dass die dunkelgelbe Drachendame wusste, was sie tat und das Seil nicht überstrapazierte. Ansonsten verlief die Zeit recht zügig und, was John überhaupt nicht erwartet hatte, ohne großes Durchgerüttel. Scheinbar schaffte es Schattenklaue derart ruhig seine Flügel zu benutzen, dass er kaum auf und abwippte. Nichts im Vergleich zum Flug in einem Albatross, der einen Sturmangriff durchführte und von Flakfeuer geschüttelt wurde.

Er musste unweigerlich an Micheal, Shenmi, Jonas und die anderen denken. Wo sie jetzt wohl gerade waren? An seinem leeren Grab? In ihrem Landhaus? Es schmerzte ihn zu wissen, seine Kinder nie wiederzusehen und dass sie glaubten, er wäre tot. Und doch fand er auch Trost in der Tatsache, dass er sie gut erzogen und ausgebildet hatte. Micheal würde sogar schon bald Vater werden und Steven, Shenmi heiraten. Ach was würde er dafür geben, diese Ereignisse mitzuerleben. Aber er hatte jetzt eine Aufgabe in dieser Welt. Feyth zu beschützen und das für alle Zeit! In gewisser Weise erinnerte sie ihn stark an seine kleine Samantha, die ebenfalls Gewalt verabscheut hatte und sogar Krankenschwester werden wollte. Und dann noch ihre Vorliebe fürs Drachensteigen und Baumhaus bauen. Ja, Feyth und Samantha hätten wunderbar zueinander gepasst. 'Du passt gut von da oben auf uns auf Schatz, nicht wahr? Zusammen mit Mama.' dachte er traurig lächelnd und mehrere Tränen rannen ihm über die Wangen.

Da hörte er über Dun'vars Flügelschlag hinweg noch einen weiteren und nur Sekunden später landete Feyth, so sanft es ihr möglich war, auf seiner Schulter. Liebevoll legte sie sich um seinen Hals und rieb ihren Kopf liebevoll an der Seite seines Helms. *Ich bin bei dir John. Ich bin bei dir.* flüsterte sie sanft in seinem Geist und strahlte eine gewisse Wärme aus, die ihn vollständig einnahm. Die Tränen stoppten und er erwiderte die Geste so behutsam er konnte. Dieser Moment mit dem Drachenmädchen war reiner Balsam für seine Seele.

Es dauerte etliche Minuten, bis sie wieder von ihm abließ und über das Visier schleckte. *Geht es dir wieder besser? Ich weiß, ich kann nicht viel tun, aber es ist das einzige was mir einfällt.* murmelte sie entschuldigend, was John dazu veranlasste die Decke loszulassen und ihren gesamten Hals entlang zu streicheln. „Du entschuldigst dich hier für gar nichts, Kleine. Ich sollte derjenige sein, der sich bei dir entschuldigt, für all die schlechten Erinnerungen, die du meinetwegen durchlebst." widersprach er leise und bekam ein lautes Schnurren als Antwort. *Ich ertrage sie gerne für dich. Du sagst deine Aufgabe ist es, mich zu beschützen? Dann mache ich es mir zur Aufgabe, dir deine bösen Erinnerungen zu nehmen!* meinte Feyth bestimmt und blies ihm eine Rauchwolke vors Visier. „Das wäre wunderbare, Feyth." entgegnete der Titan gerührt und schloss für einen kleinen Moment die Augen.

Der Rest des Fluges verlief ohne weitere große Vorkommnisse und die Sonne wanderte allmählich am Horizont entlang, während gleichzeitig aus dem Westen eine dunkle Wolkenwand heraufzog, in der der Soldat schon von weitem das obligatorische Zucken von Blitzen erkennen konnte. Und das Unwetter hielt direkt auf sie zu.

„Wie weit ist es noch bis Drakenfort?" rief er mit aufgedrehten Lautsprechern Dun'var zu, der ebenso wie er die näherkommenden Wolken entdeckt hatte. *Es ist nicht mehr weit, Rotauge. Seht, dort in der Ferne ist es schon zu erkennen.* entgegnete der mitternachtsblaue Drache ernst und ging in einen leichten Sinkflug über, damit sie über ihn hinweg nach vorn sehen konnten. Und tatsächlich, dort, in etwa 200 Kilometern Entfernung, wenn er Schattenklaues Flughöhe richtig einschätzte, stand ein einsamer, hoher Berg, an dessen Fuß, mit etwas Abstand, eine größere Ansammlung von Bauwerken zu erkennen war. Drakenfort und der 'Du Fell Ilumëo', wie Angela ihn genannt hatte.

Der Sitz der Drachenreiter.

'Vermutlich noch eine knappe Stunde, bis wir dort ankommen. Hoffentlich erreicht uns das Gewitter nicht vorher, sonst müssten wir zu Fuß weitergehen.' überlegte der Titan angespannt. Eher nebenbei bemerkte er, dass auch Tinira, die zuvor weit über ihnen geflogen war, nun neben ihrem Vater schwebte. Offensichtlich hatte Schattenklaue, in Anbetracht des drohenden Unwetters, ein Machtwort gesprochen. Die Umgebung wurde immer dunkler und der Wind frischte auf, sodass Dun'var gezwungen war einen etwas steileren Sinkflug anzugehen, um seine Passagieren keiner unnötigen Gefahr durch aufkommende Windböen auszusetzen. Immer näher und näher trugen die mächtigen Schwingen des Drachens sie der Stadt entgegen, doch das Gewitter kam ihnen mit der doppelten Geschwindigkeit entgegen.

John wollte Schattenklaue gerade bitten zu landen, da er das Rennen gegen den Sturm als verloren ansah, als er plötzlich Larvas knurrende Stimme in seinem Hinterkopf hörte. *Wir sind nicht allein. Mächtiger Geist, Flammenklinge!*

Wie von einem inneren Instinkt gelenkt wandte sich der Blick des Soldaten nach oben und Du Fell Ilumëo entgegen. Seine Augen wurden groß, als er durch seine Drachenaugen klar die Umrisse eines weiteren Drachens von gigantischen Ausmaßen erkennen konnte. Seine Schuppen glänzten in einem kräftigen Blau und auf dem Rücken trug er eine Art Sattel, in dem ohne Zweifel eine Person saß!

Wie ein Blitz schoss es ihm durch den Kopf: 'Saphira und Eragon!'

„Dun'var! Schaut nach oben, wer uns dort entgegenkommt! Lasst uns auf der Kreuzung dort unten landen, bevor der Sturm uns völlig übermannt!" brüllte er dem mitternachtsblauen Drachen zu, der seiner Aufforderung nachkam und nach oben schaue. Ein lautes Brüllen, lauter als der schon ohnehin ohrenbetäubende Wind, entrang sich seiner Kehle. *Alle gut festhalten!* gab Schattenklaue lautstark zurück, woraufhin der Colonel seinen Griff in die Decke und um Keno noch einmal verstärkte, wohingegen Feyth sich nach hinten zwischen Alanna und ihm gleiten ließ. Als das Drachenmädchen in der Lücke steckte, drückte sich auch die Elfe noch ein Stück fester an den Titanen. Keine Sekunde zu früh, denn im nächsten Moment, tauchte Dun'var steil nach unten weg, sodass selbst John einige Zentimeter nach vorne rutsche und die Beine fester an den Körper des Drachens pressen musste.

Die Reise nach unten dauerte nur wenige Sekunden, bis Schattenklaue erneut die Flügel in den Wind stellte und so abrupt abbremste, dass seine Passagiere fast den halt verloren. Neben ihm vollführte Tinira das exakt gleiche Manöver, wenn auch etwas plumper als ihr Vater. Glücklicherweise hatten sie nun das Schlimmste hinter sich und nur wenige Augenblicke später kam Dun'var zu einer harten Landung im Gras neben der von John erspähten Kreuzung auf. Dieser letzte Ruck, war jedoch zu viel, für die überstrapazierte Decke. Der Stoff riss und Allmann purzelten sie von Schattenklaues Rücken, wobei John die drei anderen ohne groß nachzudenken in eine Umarmung schloss und sich selbst als Dämpfer zwischen ihnen und dem Boden missbrauchte. Der Sturz war für seine Verhältnisse nicht tief und das Gras, zusammen mit dem feuchten Boden, fing einen Großteil des Aufpralls ab. Daher überstanden sie ihn alle unverletzt und rappelten sich eiligst auf.

*Das tut mir leid, ich kam etwas zu fest auf.* entschuldigte sich Dun'var grimmig, während er und Tinira die Flügel eng an ihre Körper gepresst hielten, um dem Wind keine Angriffsfläche zu bieten. „Schon gut, es niemandem etwas passiert." erwiderte der Titan und schaltete seine Helmlampen ein, damit Keno und Alanna auch etwas erkennen konnten, denn das Gewitter verdeckte nun auch noch den Mond hinter seiner dichten Wolkenwand. Zu allem Überfluss, begann es just in diesem Moment wie aus Kübeln zu regnen. „So ein Unwetter habe ich seit Jahren nicht mehr gesehen." meinte Alanna ernst, während der Colonel Feyth in die Arme nahm und ebenfalls dafür sorgte, dass ihre Flügel dicht am Körper saßen. „Das ist wirklich unheimlich, ohne Johns Licht, könnte ich nicht einmal mehr sehen, wohin ich trete." stimmte Keno lautstark und stieß einen erstickten Schrei aus, als wie aus dem nichts Saphira vor ihnen auftauchte und hart auf dem Erdboden aufsetzte.

Sie war weitaus größer als Dun'var, Lyath oder Tymdek, mit strahlend, tiefblauen Schuppen und Hörnern, so dick wie Johns Bein. Sie ließ ihren Blick kurz über die kleine Gruppe schweifen und blieb schließlich auf dem Titanen hängen. Ein lautes Platschen und Fluchen ließ sie allesamt aufschrecken und im Lichtkegel seiner Helmlampen konnte er deutlich einen großgewachsenen Mann, mittleren Alters erkennen, dessen Schuhe teilweise im Morast versunken waren. An seinem Gürtel hing eine reichverzierte, blaue Schwertscheide und als Kleidung trug er eine hellblau gefärbte Lederrüstung mitsamt schwerem, nussbraunem Umhang. Mühsam kämpfte sich der Mann aus dem Schlamm frei, blickte sich um und stapfte dann auf sie zu, als er die Lichtquelle entdeckte.

„Ein recht unziemliches Wetter, für unser Treffen, meint ihr nicht auch, Herr Miller? Ich bin Eragon Schattentöter und das hier ist Saphira Schimmerschuppe. Wir sind hocherfreut euch endlich persönlich kennenzulernen." stellte sich Eragon ihm vor und reichte dem Soldaten die Hand, welche dieser unbeholfen entgegennahm. „Die Freude ist ganz meinerseits, Meister Drachenreiter. Ich denke, mich noch einmal vorzustellen, wäre ziemlich unnütz." „Ihr seid ein Mann der Tat, das Lobe ich mir. Die ewigen Begrüßungsformeln der Elfen gehen mir schon seit jeher auf den Nerv." entgegnete der Großmeister nickend und wurde dann etwas ernster.

„Ich weiß, es mag vielleicht etwas unwirsch klingen, vor allem, da ich euch noch gar nicht begrüßt habe Keno-Finiarel, Alanna und Feyth, von euch ganz zu schweigen Dun'var und Tinira, doch es gibt schlechte und gute Neuigkeiten, die unsere sofortige Aufmerksamkeit erfordern. Insbesondere da sie Herrn Miller und Keno betreffen. Und das, würde ich gerne nicht hier draußen im stärksten Unwetter seit Jahren besprechen. Also lasst uns so schnell es geht Drakenfort erreichen und uns dort für die Nacht im Gasthaus einquartieren."

„Dem stimme ich voll und ganz zu, Ebrithil, aber könntet ihr mir bitte sagen, was für Neuigkeiten es gibt? Habt ihr etwa Shad gefunden?" fragte Keno und sprang vor Freude fast auf und ab, als Eragon erneut nickte. John ahnte jedoch nichts Gutes, als der Drachenreiter mit grimmiger Miene zu reden begann.

„Ja, junger Schüler, wir haben Shad wiedergefunden, doch da kommen wir auch schon zu der schlechten Neuigkeit, nämlich, weswegen wir ihn gefunden haben. Er wurde von einer Gruppe Soldaten gefangengenommen, die euch wohlbekannt sein sollten, Meister Miller, während er einer Schar Jungdrachen dabei half eine kleines, unschuldiges Dorf von der Landkarte zu tilgen.
Das Küstendorf Lendol existiert nicht mehr, es wurde bis auf die Grundmauern vom Drachenfeuer niedergebrannt!"



[Eragon Fan-Fiction] Der Titan und die DrachenreiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt