Crucio

4.5K 346 14
                                    


Jaime

Gelangweilt trommelte ich mit den Fingerspitzen auf den polierten Ebenholztisch und hielt Ausschau nach Hermine. Ich hatte mir bereits einige Bücher mit Zaubern und Flüchen aus den Regalen geholt und blätterte lustlos in ihnen herum. Wo blieb Hermine denn nur?
Wie aufs Stichwort hastete Hermine in meine Richtung und trug wie immer Tonnen von Büchern in den Armen. Sie ließ die Bücher achtlos auf den Tisch fallen, der daraufhin kurz wackelte und hielt sich die Seiten.
,,Vielleicht solltest du weniger lernen und mehr Sport machen", überlegte ich im Spaß, aber Hermine beachtete mich nicht.
,,Malfoy hat sich den Arm verletzt", meinte sie nur und ich hob beeindruckt eine Braue. Am ersten Schultag schon einen Unfall zu haben war nicht wirklich leicht.
,,So etwas hätte ich eher Weasley zugetraut. Was ist denn passiert? "
,,Er wollte etwas angeben und das ist in die Hose gegangen."
Gut, das passte schon eher zu Draco.
,,Sein Vater wird nicht erfreut sein", überlegte ich und Hermine biss sich auf die Lippe. ,,Hoffentlich schmeißen sie Hagrid nicht raus!", murmelte sie panisch und ich schnaubte. ,,Wenn euer Lehrer nicht auf die Schüler achtgibt, ist er kein guter Lehrer."
Sie funkelte mich böse an, verzichtete aber auf eine Diskussion.
,,Du bist so kompliziert", meinte sie nur und wechselte dann das Thema. ,,Also, dieser Zauber, der in deiner Erinnerung vorkam...wie hieß er?"
Endlich kamen wir zum eigentlichen Grund unseres Treffens.
,,Der Name war Crucio."
Hermine wurde bleich. ,,Crucio", wiederholte sie und schaute sich hektisch um. ,,Wir sollten nicht hier darüber sprechen", meinte sie dann und zog mich am Arm zum anderen Ende der Bibliothek. Hier war kein einziger Schüler und die Regale standen eng beisammen und warfen dunkle Schatten auf unsere Gestalten.
,,Hermine, was ist denn los?", zischte ich, aber sie legte mir einen schlanken Finger auf die Lippen und ich verstummte. Dann schaute ich sie misstrauisch an. ,,Hermine, wenn du mir nicht sofort sagst, was zum Teufel hier los ist, dann gehe ich wieder!", drohte ich flüsternd.
Sie holte tief Luft. ,,Jaime, wehe du verarscht mich!"
,,Das tue ich doch nicht", wisperte ich aufgebracht, als Hermine sich den Zeigefinger an die Lippen legte, ,,der Zauber kam in meiner Erinnerung vor!"
,,Und wer hat den Zauber gesprochen?", fragte mich Hermine und schnaubte unterdrückt, als ich nichts sagte, ,,Jaime, es ist wichtig!"
Ich schaute sie forschend an. ,,Mein Vater zu meiner Mutter, denke ich", meinte ich dann langsam und beobachtete Hermines Miene.
Sie wirkte geschockt, ängstlich, traurig, erschrocken, mitleidig - das alles zusammen.
Sie rückte näher an mich, bis unsere Körper sich fast berührten. Ihr warmer Atem streifte mein Gesicht. ,,Jaime...glaubst du, dass dein Vater deine Mutter geliebt hat?"
Ich blinzelte. Das hatte ich jetzt nicht erwartet. ,,Keine Ahnung", murmelte ich, ,,wahrscheinlich schon. Sonst wäre sie ja nicht schwanger geworden, oder?"
Ich wusste es wirklich nicht. Mit Liebe kannte ich mich nicht sehr gut aus und ich hatte keine Beweise, dass meine Eltern sich geliebt hatten. Aber warum sollten sich Eltern nicht lieben? Natürlich ließen sich manche Paare scheiden, aber ich hatte nie wirklich daran gedacht, dass meine Eltern vielleicht geschieden sein könnten. Ich hatte mir immer ausgemalt, wie sie mit mir und Allana ein schönes Leben geführt hatten, bis ein Schicksalsschlag sie dazu gezwungen hatte, uns zu trennen. Eine perfekte Familie, der etwas unrechtes geschieht. Eine liebende Mutter, ein stolzer Vater. Genau das hatte ich mir immer vorgestellt. Märchenhaft. Kitschig. Romantisch. Glücklich. Normal.
Aus diesem Grund brachte mich Hermines Frage vollkommen aus dem Konzept. Sie ließ mich an der von mir erschaffenen idyllischen Traumwelt zweifeln.
Hermine biss sich auf die Lippe und schaute mich bewusst nicht an. ,,Nur so eine Frage."
,,Hermine", meinte ich mit gefährlich sanfter Stimme und drehte ihren Kopf, sodass sie mich ansehen musste. ,,Ich will es wissen. Ich will die Wahrheit wissen und du wirst mich nicht belügen."
Hermines Blick huschte umher und ihre Stimme klang zittrig. So schwach hatte ich sie noch nie erlebt. ,,Es wird dich hart treffen", versuchte sie mich umzustimmen, aber ich sah sie einfach nur an. Sie seufzte.
,,Hast du je etwas von den unverzeihlichen Flüchen gehört?"
Ich runzelte die Stirn.
,,Das dachte ich mir. Es ist nicht gerade die Art von Geschichte, die ein Lehrer erzählen würde. Es gibt drei unverzeihliche Flüche und die heißen so, weil es unverzeihlich ist, diese zu benutzen. Wenn du einen auch nur anwendest, bekommst du direkt eine Einzelzelle in Askaban. Für die nächsten Zwanzig bis Fünfzig Jahre." Hermine holte noch einmal tief Luft. ,,Wie schon gesagt: drei Flüche. Es gibt den Imperius-Fluch, auch Imperio gesprochen. Dann gibt es den Todes-Fluch, er heißt Avada Kedavra und es gibt noch einen letzten Fluch. Bist du dir sicher, dass du weiterhören willst? "
Ein flaues Gefühl machte sich in mir breit und meine Hände fingen aus einen unerklärlichen Grund an zu zittern.
,,Ja", murmelte ich, aber ich war mir nicht sicher.
,,Der letzte Fluch ist der Cruciatus-Fluch. Er wird Crucio ausgesprochen."
,,Und weiter?", fragte ich sie leise und schaute sie dabei unerbittlich an.
,,Ich glaube nicht, dass -", begann Hermine, aber dann unterbrach sie sich. ,,Das willst du nicht wissen. "
Zum Teil wollte ich das tatsächlich nicht, aber jetzt gab es kein Zurück mehr.
,,Der Cruciatus-Fluch", erzählte Hermine, ,,wird auch Folterfluch genannt. Wenn man ihn benutzt, fügt man seinen Gegenüber unglaubliche Schmerzen zu. Es gibt Menschen, die davon wahnsinnig geworden sind."
Und das war der Moment, in dem meine Welt zusammenbrach.
Mein Vater hatte meine Mutter gefoltert. Und ich hatte zusehen müssen.
Ich versuchte etwas zu sagen, irgendwas zu sagen, aber es entwich nur ein Krächzen meinen Lippen.
Wie sollte ich das nur Allana sagen?!
Langsam ließ ich mich zu Boden sinken und stierte starr geradeaus.
Alles, was ich geglaubt hatte, war falsch gewesen. Wirklich alles.
Mein Vater war kein guter Mensch gewesen, sondern ein Monster. Monster.
Ich fuhr mir verzweifelt durch die schwarzen Haare und atmete ein paar Mal tief ein und aus.
Ich hörte das Rascheln von Stoff und dann setzte Hermine sich neben mich. Sie sagte nichts, worüber ich sehr froh war, sondern saß einfach nur da.
,,Du sagst es niemanden weiter, oder?", fragte ich mit leiser Stimme und sie nickte.
,,Und vor allen nicht Allana!", fuhr ich fort und sie nickte wieder, warf mir davor allerdings noch einen seltsamen Blick zu.
Und dann saßen wir einfach nur da und sprachen kein Wort. Manchmal ist Schweigen eben besser als tausend Worte.

Seine Kinder (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt