JaimeMeine kleine Drohung gegenüber den Gryffindors hatte schnell die Runde gemacht. Beim Mittagessen in der großen Halle sah ich viele neugierige, ein paar verängstigte, abe auch viele wütende Blicke. Vor ein paar Minuten hatte mich ein Sechsklässler rüde angerempelt und mich daraufhin angemotzt, dass ich gefälligst den Weg freimachen sollte. Ich hatte ihn aus verengten Augen angesehen und ihn dann so schnell entwaffnet, dass ihm der Mund offen stehen geblieben war. Den Zauberstab hatte ich ein paar Meter weit weg geworfen, wo er klappernd auf den Boden aufgekommen war.
Der ältere Schüler hatte mich voller Hass in den Augen angesehen und war dann mit rotem Gesicht zum Zauberstab geeilt. Natürlich unter dem dröhnenden Gelächter der Slytherins.
Jetzt saß ich neben Draco am Slytherintisch, der so stolz wirkte, als hätte er das alles inszeniert. Er lachte die ganze Zeit, stieß mir den Ellenbogen in die Rippen, wenn er eine erneute entrüstete Miene entdeckt hatte. Er zeigte auf ihn - ich glaube, er hieß Cormac McLaggen - und der gesamte Tisch buhte ihn hämisch aus.
Links neben mir saß Theodore Nott, der lässig am Zauberstab in seiner Hand herumfingerte und damit auf jeden deutete, der uns zu nahe kam. Es war eine offensichtliche Drohung.
Ich beteiligte mich weder an den Buh-Rufen, noch an Notts angeberischen Gehabe, nein. Ich saß einfach nur kerzengerade auf meinem Stuhl, musterte die Massen an Schülern und stellte eine undurchsichtige Miene zur Schau.
Mittlerweile tuschelten auch die Lehrer des Kollegiums. Draco piekte mich mehrmals in die Seite und flüsterte mir zu, dass McGonagalls Gesicht wie ranzige Milch wirkte, aber ich sah nicht zu ihnen. Es würde meinen neu erworbenen Rang zunichte machen.
Ich bemerkte eine Bewegung am Rande meines Gesichtsfelds und entdeckte die jüngste Weasley, die mich ansah. Das stellte keine Überraschung dar, schließlich schaute mich geade die Mehrheit der großen Halle an, aber ihr Blick hob sich in einer Hinsicht von denen der anderen ab. Während die anderen mich mit einer Mischung aus Interesse und Wut ansahen, zeigte ihr Gesicht eine vollkommen andere Emotion: Angst.
Das verstand ich nicht. Angst entstand meistens nur aus einem bestimmten Grund oder wegen einem Erlebnis, aber mit Ginny hatte ich eigentlich nie Kontakt gehabt.
Das führte mich nun zu der Frage, was Ginny von mir wusste, dass sie sich fürchtete. Auch darauf fiel mir keine klare Antwort ein. Natürlich wusste sie, dass ich Parsel sprach, aber das war in der Schule ohnehin schon bekannt. Es musste also einen anderen Grund dafür geben. Nur welchen? Über diese Frage zermarterte ich mir so sehr den Kopf, dass ich gar nicht Allana wahrnahm, die sich neben mich gestellt hatte. ,,Will ich wissen, mit wem du jetzt schon wieder Streit begonnen hast?", fragte sie mich trocken.
,,So wie's aussieht, mit dem gesamten Gryffindorhaus", antwortete Draco, bevor ich überhaupt den Mund geöffnet hatte und grinste süffisant. Mir gefiel sein Blick dabei nicht. Er war zwar angeberisch, aber auch einnehmend, ein wenig charmant, wenn auch großspurig. Nein, das gefiel mir ganz und gar nicht. Er versuchte verdammt nochmal mit ihr zu flirten!
Glücklicherweise ging meine Schwester nicht auf diesen Blick ein, vielleicht bemerkte sie ihn auch gar nicht, schließlich kannte ich Draco besser als sie.
,,Eigentlich wollte ich mit Jaime alleine sprechen", meinte sie nur kühl.
,,Nach dem Essen, Al, okay?", murmelte ich hastig. Mir war bewusst, dass mich einige Schüler ansehen und gespannt auf meine Reaktion warteten. Meine Schwester bemerkte die neugierigen Blicke natürlich auch und sie nickte kurz. ,,Bis gleich."
Sie drehte sich um und ging zurück zum Gryffindortisch. Draco sah ihr nach. Mit ihm würde ich mal ein ernstes Wörtchen bezüglich meiner Schwester sprechen müssen.
,,Was glaubst du, will sie von dir?", fragte er mich leise.
Meine Antwort bestand aus einem Schulterzucken. ,,Vermutlich reden."
Um ehrlich zu sein, interessierte es mich auch nicht sonderlich. Viel wichtiger war die merkwürdige Reaktion der jüngsten Weasley auf mich gewesen. Diesbezüglich würde ich noch einige Nachforschungen anstellen müssen.
Meine Gedankengänge wurden jedoch aprupt unterbrochen, als Dumbledore sich erhob und das durchgehende Murmeln in der Halle verstummte. Er breitete die Arme in einer feierlichen Geste aus. ,,Das letzte Spiel der Season nähert sich: Das Finale von Gryffindor und Slytherin!"
Die Schüler der beiden Tische jubelten, nur ich fing an mich zu langweilen; Quidditch war noch immer der Sport, mit dem ich nichts anzufangen wusste.
,,Außerdem", fuhr Dumbledore fort, ,,beginnen in wenigen Wochen bereits die Prüfungen, ich hoffe also, ihr seid vorbereitet!"
Theodore Nott gab ein gedämpftes Hüsteln von sich.
,,Nun, das war auch schon alles." Der Schulleiter stockte kurz. Dann sah er mich geradewegs an. ,,Ach, Mister Gaunt, kommen Sie nach dem Essen noch kurz in mein Büro." Er sagte dies, als wäre es eine Bemerkung über das Wetter, aber augenblicklich wurde mir unwohl zumute.
Nun sahen mich alle, wirklich alle Schüler an. Vermutlich war das noch nie geschehen
Schnell setzte ich meine Maske aus kalter Höflichkeit auf. ,,Natürlich, Sir", meinte ich und versuchte meine Stimme von jeglichen Gefühlen frei werden zulassen.
Trotzdem war ich verwirrt. Warum wollte Dumbledore mit mir sprechen? Ich hatte doch nur ein wenig Streit angezettelt - also eigentlich nichts besonderes. Oder steckte noch mehr dahinter?
Ich zerkaute meinen nächsten Bissen sorgfältig, während ich nachdachte. Es musste noch einen Grund geben!
Ich erkannte, dass Dumbledore bereits nicht mehr an der Tafel des Podiums saß und stand ebenfalls auf. ,,Wünsch mir Glück", grummelte ich in Dracos Richtung.
,,Viel Glück. Soll ich Diggory fragen, was sie von dir wollte?"
Da wirst du mehr Glück brauchen, als ich. ,,Versuchen kannst du es."
Draco lehnte sich zufrieden zurück. Augenblicklich bereute ich meine Worte, aber ich ließ mir nichts anmerken, sondern stand auf und ging aus der Halle. Den ganzen Weg spürte ich bohrende Blicke im Rücken.
Als ich endlich vor der Tür des Schulleiters stand, fand ich diese geschlossen vor. Ich ballte die Hand zur Faust und klopfte einmal mit den Knöcheln gegen die Tür. Sie schwang lautlos auf. Es war nicht das erste mal, dass ich im Büro des Schulleiters gewesen war, aber jetzt war ich augenscheinlich allein und konnte mich also in Ruhe umsehen.
Die Regale an den Wänden waren voller Bücher, von denen mir beinahe alle unbekannt waren. Einige von ihnen sahen ziemlich alt aus. Mein Blick wanderte weiter und blieb an einem rot-goldenen Vogel hängen, der auf einer Stange saß. Er legte den Kopf schief und sah mich aus klugen Augen an. ,,Ein Phönix", erkannte ich sofort. Zögernd streckte ich meine Hand aus und streichelte das Gefieder des Vogels. Es war angenehm weich. Eigentlich mochte ich keine Tiere, ich hatte vermutlich auch eine Allergie gegen Tierhaare - zum Glück besaßen Schlangen kein Fell - , aber dieser Vogel war einfach magisch. Ich spürte seine Magie förmlich. Das war faszinierend.
Aber nicht nur der Vogel versprühte Magie, sondern auch mehrere andere Gegenstände. Der sprechende Hut zum Beispiel. Im Moment schien er aber nicht in der Laune sein zu reden. Er musterte mich nur aus schweren Knopfaugen.
In einer Vitrine an der Wand befand sich ebenfalls ein starker magischer Gegenstand. Das Schwert von Godric Gryffindor. Davon hatte ich schon einmal gehört. Es war eines der wenigen Artefakte, die von den Gründern übrig geblieben waren. ,,Ganz schon protzig", murmelte ich abschätzend und linste durch das Glas. ,,Und natürlich mit roten Rubinen verziert. Die Gründer waren echt ziemlich vernarrt in ihre Farben."
Hinter mir hörte ich ein glucksenden Lachen und fuhr herum. Dumbledore sah mich leicht lächelnd an. ,,Das Schwert ist tatsächlich etwas protzig, aber auch sehr mächtig. Von Kobolden geschmiedet."
Damit kannte ich mich nicht wirklich aus. ,,Wenn Sie meinen."
Dumbledore deutete mit seiner ringverzierten Hand auf einen kleinen Tisch. ,,Du kannst dir ein paar Bertie Botts Bohnen nehmen, wenn du willst."
Das war zwar verlockend, aber ich erinnerte mich noch genau, als ich einmal eine mit dem Geschmack von Erbrochenen erwischt hatte. Außerdem war ich nicht aus dem Grund für Süßigkeiten hier.
,,Warum haben Sie mich hergebeten?", fragte ich ihn ohne Einleitung. ,,Ich habe den Weasley zwar ein wenig gedroht, aber das ist nichts, was neu für Sie wäre."
Dumbledore blinzelte kurz. ,,Sehr direkt", meinte er dann, ,,keine vorsichtige Antastung an das Thema."
,,Ich kann versuchen charmant zu sein und mich dem Thema so Stück für Stück nähern, aber bei Ihnen gelingt dies vermutlich nicht."
Dumbledore hob eine Braue.
,,Tatsächlich?"
,,Sie sind zu schlau, um darauf einzugehen."
,,Du willst dich also bei mir einschmeicheln?"
Das hatte ich überlegt, aber es stimmte, was ich gerade gesagt hatte: Dumbledore war viel zu schlau. ,,Ich sage nur die Wahrheit."
Dumbledore nickte nachdenklich. ,,Ich hoffe, dass du dies auch weiterhin tun wirst."
Was war das? Eine unterschwellige Aufforderung? Eine simple Bitte? Eine normale Floskel? Ein wahlloser Gedanke?
Dumbledore ließ seine Absichten noch bewusst im Dunkeln. Er verstand es mit Worten umzugehen. Er verwendete genau die Dinge wie ich.
Hinter dem großvaterlichen Aussehen verbarg sich ein schlauer Kopf, ein Genie, auch wenn ich es mir nicht leicht fiel, mir das einzugestehen. Ich musste vorsichtig sein.
Vorsichtig setzte ich mich ihm gegenüber auf einen Stuhl. Er sah mich aus seinen vor Intelligenz sprühenden Augen aufmerksam an.
Dieser Blick machte mich nervös.
,,Du hast also Mr. Weasley im Unterricht gedroht."
Keine Fragestellung, einfach nur eine simple Aussage.
,,Ja, das ist richtig", antwortete ich darauf, sagte aber sonst nichts. Alles würde gegen mich verwendet werden können.
,,Warum hast du das getan?"
,,Er hat mir gedroht", erklärte ich, ohne mit einem Muskel zu zucken. Bleib einfach vollkommen beherrscht und Herr des Geschehens, sagte ich mir.
,,Und du hast ihn zuvor provoziert."
Wieder eine Feststellung. Dumbledore schaute mich über seine Halbmondbrille hinweg an.
,,Sie scheinen den Vorfall wohl schon zu kennen."
Wieder nickte er. ,,Aber ich würde es gerne von dir hören."
Ich zuckte die Schultern. ,,Ja, ich habe ihm provoziert."
Der Schulleiter lehnte sich in seinem Sessel zurück, doch sein Blick haftete weiterhin auf mir. ,,Warum hast du ihn provoziert?"
Langsam fiel es mir schwer ruhig und gelassen zu bleiben. Solche Fragen stellte doch nur ein Psychologie!
,,Weiß nicht. Ich habe einfach den Drang dazu verspürt." Sollte er doch von mir glauben, was er wollte!
Dumbledore jedoch nickte nur nachdenklich. ,,Wie der Vater, so der Sohn, scheint es mir."
Jetzt wurde es mir zu bunt! Er hatte doch nicht den Hauch einer Idee von meinen Eltern! ,,Hören Sie, Sie wissen nichts über meine Familie, gar nichts, verstanden?! Sie beschränken sich auf Theorien, gehen Vermutungen nach, aber letztendlich tappen Sie im Dunkeln. Und von mir werden Sie nichts erfahren!"
Dumbledore hatte während meines Ausbruchs nur milde gelächelt. ,,Du darfst jetzt gehen."
Ich blinzelte einmal verblüfft. Dann schnaubte ich und rauschte aus dem Raum. Die Tür schlug ich wie ein beleidigtes Kind hinter mir zu.Dumbledore überlegte. Die Reaktion des Jungen war heftiger ausgefallen, als er erwartet hatte. Eigentlich hatte er durch diesen simplen, wenn auch wohlüberlegten Satz nur herausfinden wollen, ob der Junge bereits Vermutungen über seine Eltern angestellt hatte. Offenbar hatte er das.
Dumbledore selbst hatte ebenfalls schon Theorien und keine davon behagte ihm sonderlich. Besonders eine.
Aber der Junge schien bereits etwas zu wissen, auch wenn er es nicht sagte. Er vertraute Dumbledore nicht. Noch eine mögliche Eigenschaft seiner Familie.
Aber er schien sich durchaus bestimmten Personen anzuvertrauen. Vielleicht würde er durch sie an die entscheidenden Informationen gelangen, die er so dringend benötigte.Huhu!:)
Danke für 10k reads, das ist wirklich spitze!
Der letzte Abschnitt ist - wie euch bestimmt schon aufgefallen ist - nicht aus der Perspektive von Jaime und Allana und beantwortet vielleicht einige Fragen oder stellt neue.
Naja, vielen Dank auf jeden Fall fürs Lesen!
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Seine Kinder (1)
FanfictionLord Voldemort. Dunkelster schwarzer Magier seit Grindelwald. Jaime Gaunt. Im Waisenhaus aufgewachsen. Seine Eltern kennt er nicht, er weiß nichts über sie. Aber eines Tages erhält er einen Brief zu einer mysteriösen Schule namens Hogwarts. Allana...