Ängste

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Jaime

Allana und ich waren noch immer im Krankenflügel. Meine Schwester war allmählich eingeschlafen und ihr Arm baumelte schlaff über dem Boden. Ich saß auf einem klapprigen Stuhl neben ihrem Bett.
Doch langsam beschlich mich ein ungutes Gefühl. Wo war Harry? Es wäre nur logisch, dass man ihn in den Krankenflügel bringen würde. Er hatte auf mich in der Arena vollkommen panisch und aufgelöst gewirkt, fast schon am Rande eines Kollapses. Jede vernünftige Person hätte ihn augenblicklich in den Krankenflügel gebracht, um ihm wenigstens einen Beruhigungstrank zu verabreichen. Aber warum war er nicht hier? Es waren bestimmt schon mehrere Stunden vergangen und doch ... Irgendetwas war hier faul.
Vielleicht musste Harry auch einfach nur ein exklusives Interview geben, ganz egal wie geschockt er noch von Cedrics Tod war. Oder es fand gerade die Siegerehrung statt ...
Aber das konnte ich mir nicht vorstellen. Es war zu viel geschehen und Dumbledore würde bestimmt ganz genau wissen wollen, was auf dem Friedhof passiert war. Er würde jede Einzelheit erfahren wollen. Und schlussendlich würde er sich zusammenreimen, wer dort auf dem Friedhof gewesen war - Ich. Der Verdacht, den er schon seit meinen ersten Jahr hatte, würde letztendlich bestätigt werden.
Oder Harry hatte mich doch erkannt. Es wäre nicht allzu schwer gewesen. Wenn Harry seinen Kopf in einen bestimmten Winkel gedreht hätte ... Wenn er auf meine Haltung geachtet hätte, die ihm doch sicherlich vertraut war ... Wenn er in der Arena das Blut und den Dreck auf meiner Kleidung bemerkt hätte ...
Er musste mich erkannt haben! Die Hinweise waren eindeutig! Eine andere Möglichkeit seiner Abwesenheit gab es gar nicht!
Ich merkte wie der Schweiß in mir ausbrach. Bestimmt beratschlagte Dumbledore gerade mit ihm darüber, wie sie am besten gegen mich vorgehen sollten ... Oder Dumbledore sprach mit dem Zaubereiminister über meine Strafe ... Sollte ich nur von Hogwarts verwiesen werden, oder wäre es sicherer mich einfach einzusperren? Dumbledore würde Askaban gutheißen. Er wusste bestimmt, wie sehr mich das quälen würde ...
Ich sah mich um. Vielleicht war er sogar schon auf dem Weg hierher. Von der Zeit her würde es passen ...
Wo war eigentlich Madame Pomfrey? Hatte sie womöglich Dumbledore darüber unterrichtet, dass ich hier war?

Plötzlich öffnete sich die Tür zum Krankenflügel. Es war, als wären meine schlimmsten Befürchtungen wahr geworden: Dumbledore trat durch die Tür. Gleich darauf folgten Snape und McGonagall.
Ich merkte, dass ich anfing zu zittern. Es ist vorbei. Sie wissen Bescheid. Ich griff unauffällig nach meinem Zauberstab. Vielleicht kann ich noch immer flüchten. Das Fenster ist nicht weit weg und wenn ich schnell bin-
Als letztes folgte Harry. Er wirkte noch schwächer als zuvor: sein Gesicht war noch bleicher geworden und er umklammerte seinen verletzten Arm. Er warf mir durch seine lädierte Brille einen kurzen Blick zu.
Ich machte mich bereit, einen Zauber zu murmeln. Wenn ich jetzt handelte, könnte ich sie möglicherweise überraschen. Jeden Augenblick-
,,Mister Potter, legen Sie sich sofort in das Bett! ... Schrecklich, was da passiert ist ... Diggory."
Ich zuckte zusammen und hätte vor Schreck beinahe meinen Zauberstab fallen gelassen. Madame Pomfrey wuselte um die Ecke und führte Harry zu dem Bett neben Allana. ,,Sie müssen sich jetzt ausruhen ... warum hat man Sie noch nicht früher hergeschickt?" Sie warf den Lehrern tadelnde Blicke zu.
,,Es gab einen Zwischenfall", erklärte Dumbledore ernst, ,,hier auf Hogwarts befand sich ein Todesser. Glücklicherweise haben wir ihn gerade in Gewahrsam genommen."
Madame Pomfrey schnappte geschockt nach Luft.
Ich hingegen atmete tief auf. Beinahe hätte ich gelacht. Dumbledores Auftauchen und Harrys Verspätung hatte nichts mit mir zu tun gehabt, sondern mit dem Todesser! Vermutlich war es der gleiche Todesser, der mich mit dem Portschlüssel zum Friedhof geschickt hatte.
Aber wenn der Todesser Dumbledore alles sagen würde, was er wusste? Womöglich hatte er das sogar schon ...
Mein Herz setzte einen Schlag aus.
,,Welcher Todesser?", fragte plötzlich eine leise Stimme und ich zuckte erneut zusammen. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass Allana wach war. Ihre Stimme war ganz heiser. Sie sah Dumbledore an. Ihre Augen waren noch immer rot und geschwollen. Trotz ihrer nicht zu übersehbaren Trauer lag noch ein seltsamer Ausdruck darin. Ihr Blick wirkte härter als sonst, ihre Augen eine Spur kälter.
,,Er hat offenbar von Voldemort persönlich Anweisungen bekommen. Zumindest hat er uns dies bereits gestanden."
,,Aber ... wie konnte er unentdeckt bleiben?", stammelte Madame Pomfrey. Dumbledore seufzte schwer. ,,Er hat Vielsafttrank verwendet und das Aussehen von Professor Moody angenommen. Den echten Moody haben wir soeben aus seinem Koffer befreit."
,,Also trägt er die Schuld an den geschehenen Ereignissen? Er hat das hier alles in die Wege geleitet?", fragte ich und machte zur Verdeutlichung eine Geste, die Harry, Allana und den ganzen Raum umfasste.
Dumbledore warf mir einen scharfen Blick zu. ,,Ja, Mr Gaunt, das ist anzunehmen. Auch wenn noch immer einige Fragen ungeklärt sind."
Ich musste schlucken. Noch immer. Unser Geheimnis schien vorerst sicher zu sein. Es blieb nur die Frage, wie lange dies noch der Fall sein würde.
Madame Pomfrey flößte Harry einen bitteren Trank ein. ,,So, das sorgt für einen traumlosen Schlaf, mein Lieber."
Harry murmelte etwas und schloss dann langsam die Augen. Sein Atem ging gleichmäßiger. In wenigen Minuten würde er bereits tief und fest schlafen.
Snape und McGonagall sahen einander an, dann verließen sie den Raum. Jetzt blieb nur noch Dumbledore, der mich mit einem mir mittlerweile gewohnten missbilligenden Blick bedachte. ,,Mr Gaunt, Sie sollten den Raum verlassen. Die beiden Schüler brauchen jetzt vor allem Ruhe."
Ich wollte zu einer scharfen Erwiderung ansetzen, doch zu meiner Überraschung ergriff Madame Pomfrey für mich Partei. ,,Ach Papperlapapp, Albus! Mr Gaunt ist ein guter Junge, er wird sie schon nicht stören. Außerdem kann Ms Diggory in dieser Situation einen Freund gut gebrauchen." Sie tätschelte mir die Schulter und lächelte mich warm an. Dumbledore sah einen Moment lang zwischen uns hin und her. Dann schien er seine Entscheidung getroffen zu haben. Er erhob sich und nickte. ,,Ganz wie du meinst." Er verließ den Raum.
,,Vielen Dank, Madame Pomfrey", meinte ich ehrlich zu der Krankenschwester. Sie kicherte. ,,Nicht doch, Mr Gaunt! Es ist einfach immer wieder schön zu sehen, wenn sich ein Slytherin so gut um  eine Gryffindor kümmert. Das kommt nicht oft vor." Sie zwinkerte mir noch einmal zu und eilte dann in den Nebenraum. Kaum war sie fort, begann Allana zu sprechen. ,,Schläft Harry ganz sicher?"
Ich nickte. ,,Davon gehe ich aus. Die Dosis scheint ziemlich hoch gewesen zu sein ...
Was sollen wir bezüglich des Todessers machen?"
Allana schwieg einen Moment. Als sie dann anfing zu sprechen, klang ihre Stimme vollkommen gefühllos. ,,Wir müssen ihn zum Schweigen bringen."
Ein eiskalter Schauer rieselte unbewusst meinen Rücken herunter. ,,Was ... was meinst du damit?", fragte ich, obwohl ich sehr wohl wusste, worauf sie hinauswollte.
,,Ich bin mir sicher, dass er irgendwann gestehen wird. Und dann bist vor allem du in größter Gefahr. Ich- ich will das nicht riskieren. Nicht nach Cedric ..." Ihre Stimme verklang. Sie schniefte kurz, fing sich dann jedoch wieder. ,,Es ist das einzig richtige."
Dessen war ich mir bewusst, aber trotzdem ... Es musste doch eine andere Möglichkeit geben! ,,Allana, du kannst nicht klar denken", meinte ich vorsichtig, ,,ich verstehe das ... ich meine, Cedric ist gerade gestorben ... aber du kannst ihm nicht das gleiche antun, was Pettigrew Cedric angetan hat! Der Todesser hatte nichts damit zu tun!"
Allana sah mir tief in die Augen. ,,Glaubst du das wirklich? Der Todesser hat das ganze Geschehen erst in die Wege geleitet! Ohne ihn wäre Voldemort nie auferstanden, ohne ihn hätten wir unser Leben weiter leben können, ohne ihn wäre Cedric nie gestorben!!", schrie sie und blinzelte dann wieder verräterisch. Ihre Augen glänzten bereits feucht. ,,Verstehst du es denn nicht?! Wegen ihm fühle ich mich jetzt so- so ... wegen ihm ist er tot!" Ihre Stimme brach und jetzt rannen ihr die Tränen erneut über die Wangen.
Ich verstand sie wirklich. Allana wollte Rache für das, was mit Cedric geschehen war. Und der Todesser hätte es verdient. Ich- Wir wären sicher und niemand würde unser Geheimnis erfahren ... Wir könnten einfach so weiterleben wie bisher ... ,,Al, aber gibt es denn keine andere Möglichkeit als ihn zu töten?!" Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich es über mich bringen könnte, den tödlichen Fluch auszusprechen ... einfach so ein Menschenleben zu nehmen. Und wenn man es zu uns zurückvervolgen könnte ... ,ohne Wiederkehr nach Askaban', hatte Moody am Anfang des Jahres gesagt.
Vielleicht könnten wir einen Gedächtniszauber anwenden ... aber ich hatte schon von Fällen gehört, bei denen er gebrochen wurde ... und es wäre möglich, dass der Zauber zu schwach war, um Schaden zu verursachen.
Allana schüttelte zu meiner Überraschung jedoch den Kopf. ,,Wir werden ihn nicht umbringen", erklärte sie fest. Dann erzähte sie mir flüsternd von ihrem Plan.
Es war noch schrecklicher, als ich befürchtet hatte.

Seine Kinder (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt