Der Weinachtsball

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Jaime

Meine Schwester duckte sich hastig, um einen fliegenden Stuhl auszuweichen. Er zertrümmerte an der Steinwand zu mehreren großen Splittern.
,,Longbottom, es kann doch nicht so schwer sein, einen simplen Stuhl in ein Kaninchen zu verwandeln! Warum kriegst du nicht mal das in deinen dicken Kopf?!", schnautzte ich den rundgesichtigen Jugendlichen an. Dieser stotterte nur etwas vor sich hin.
Wutschnaubend packte ich meine Unterlagen zusammen.
,,Gaunt, der Unterricht ist weder vorbei, noch habe ich ihn vorzeitig beendet. Also setzen Sie sich!"
Ich funkelte McGonagall wütend an, doch sie ignorierte mein Gestarre.
Allana zog mich unsanft zurück auf meinen Stuhl. ,,Dein Temperament geht in letzter Zeit ziemlich oft mit dir durch, hab ich recht?"
Ich murmelte etwas sehr Unschönes über Nevilles Begabung mit Magie.
McGonagall holte tief Luft und setzte zum Sprechen an. ,,Wie Sie alle wissen, ist das Trimagische Turnier ein zutiefst wichtiges Ereignis, kulturell wie auch historisch gesehen. Schon vor hunderten von Jahren wurde dieses Turnier genutzt, um enge Beziehungen zwischen den bedeutendsten Zauberschulen aufzubauen, die noch heute Bestand haben. Ich erwarte also von Ihnen, dass Sie sich in den kommenden Wochen von Ihrer besten Seite zeigen. Schließlich ist dies der traditionelle Höhepunkt des Spektakels und bietet Ihnen außerdem die Möglichkeit neue Bindungen zu knüpfen."
Hermine, die neben mir saß, hob die Hand.
,,Ja, Miss Granger?"
Hermine strich sich eine Strähne ihres widerspenstigen Haares zurück. ,,Was genau soll dieser Höhepunkt sein?", fragte sie McGonagall zaghaft.
Dies schien der alten Lehrerin etwas unangenehm zu sein, denn sie räusperte sich verlegen. ,,Nun, dieses Ereignis ist in vielerlei Hinsicht eines: Ein Weihnachtsball."
Ich sah sie verwirrt an. Und damit war ich nicht der einzige. In der gesamten Klasse brandete Getuschel wie eine Welle auf. McGonagall hob sichtlich genervt die Hände, um uns zum Schweigen zu bringen. ,,Sie alle sind offenbar in dem kulturellen Aspekt noch etwas ungebildet... Es ist ein Tanz."

Allana

Draco hatte also doch Recht gehabt. Es würde ein Tanzabend in Hogwarts stattfinden! Die anderen Mädchen tauschten bereits Blicke. Überlegten sich passende Farben für Kleider und kombinierten diese in Gedanken mit Accessoires verschiedenster Art. Dann dachten sie weiter und stellten sich bereits folgende Frage: Wer würde die ideale Begleitung, der ideale Tanzpartner für den Ball sein? Verdammt, ich brauchte auch einen idealen Tanzpartner! Im Geiste sammelte ich bereits alle Kriterien für den optimalen Partner und scannte den Raum ab.
Mädchen wie Pansy Parkinson hatten sich bereits mehrere potentielle Opfer - pardon, Partner - zusammengestellt und gingen nun zum nächsten Schritt über: Konkurrentinnen ausfindig machen und ausschalten.
Bei den Jungen ging das Ganze eher schleppend voran. Harry runzelte die Stirn und schien in Gedanken versunken zu sein. Neville Longbottom zählte die Tage an den Fingern ab, wie lange er denn bis zu dem Ultimatum Zeit hatte. Seamus Finnigan schien immer noch nicht zu begreifen, dass ein traditioneller Tanz von zwei Personen unterschiedlichen Geschlechts getanzt werden musste. Der einzige, der irgendwie verstand, was vor sich ging, war Draco Malfoy. Er war offenbar bereits beim letzten Punkt angelangt, denn er fixierte einige der Jungen, als ob er überlegte, wie er sie unschädlich machen könnte, um seine Ziele zu erreichen.
Es war sehr still, nur das gelegentliche Schaben einer Feder war zu hören, als sich eins der Mädchen potentielle Kandidaten aufschrieb. Mehrere tuschelten und kieksten. Dabei deuteten sie immer wieder mit den Fingern auf die männlichen Schüler.
Jaime beugte sich vor. Das Flüstern nahm zu. Sie erwarteten wohl, dass er mich zum Ball fragen würde. Dumm nur, dass sie nicht wussten, dass wir Zwillinge waren. ,,Allana", murmelte er in mein Ohr, ,,ich kann nicht tanzen."
Ich hätte mir jetzt zu gerne die Hände vor das Gesicht geschlagen. Jungs! Jetzt hatte sich mein werter Bruder gerade offiziell zur Zielscheibe gemacht.
,,Ich melde mich freiwillig, es dir beibringen!", rief Lavender Brown eifrig aus der letzten Reihe.
Mein Bruder blinzelte verwirrt. Ich rollte die Augen.
,,Ruhe!", tönte Professor McGonagall und rückte ihre Brille gerade. Ihre Augen blitzten unheilvoll hinter den Gläsern. ,,Rufen Sie sich in Erinnerung, dass passendes und tadelloses Benehmen von Ihnen erwartet wird. Beschämen Sie diese Schule nicht mit unsittlichen Verhalten! Der Unterricht ist hiermit beendet", fügte die Professorin mit einem Blick auf Jaime hinzu und schien darüber ausnahmsweise sehr erleichtert zu sein.
Draußen ging das Tuscheln weiter.

,,Hast du schon jemandem im Blick?", wisperte ich Hermine nach dem Unterricht ins Ohr.
Sie biss sich leicht auf die Lippe und schüttelte ihren lockigen Kopf. ,,Ich weiß nicht...", murmelte sie und lief zu meinem Erstaunen rot an. Für mich war sie nie Jemand gewesen, der bei dem Thema Jungs Unbehagen oder Nervosität verspürte. Im Gegenteil: Das einzige, was ihr schon immer Sorgen bereitet hatte, waren ihre guten Noten gewesen. Sie hatte noch nie gezögert mit einem Jungen zu reden, außer natürlich er war ein Slytherin.
Als ich jetzt Hermine verblüfft anschaute, konnte ich es trotzdem nicht verhindern, dass sich ein winziges Lächeln auf mein Gesicht stahl.
Das Leben konnte so voller Überraschungen sein.

Jaime

Es war der blanke Wahnsinn! Ab jetzt schien es allen Schülern nur noch um den Ball zu gehen!
Die Mädchen kicherten seit den letzten Tagen immer, wenn sich ihnen eine männliche Person näherte und die Jungen machten so viel mehr Komplimente als gewöhnlich. Alle benahmen sich nun viel höflicher und reifer!
Mädchen, mit denen ich noch nie gesprochen hatte, luden mich nun ein, mich zu ihnen zu setzen oder mit ihnen zu lernen. Lavender Brown fragte mich alle paar Minuten nach Tanzstunden, weshalb ich ihr nun aus dem Weg ging.
Außerdem hatte ich bereits Allana gestern nach dem Unterricht gefragt, ob sie mir mit den Tanzschritten helfen würde und sie hatte zugesagt - wenn auch nur mürrisch. Wir würden uns also heute Abend in meinem Gemeintschaftsraum treffen und dort zusammen üben. Das einzige, was jetzt noch fehlte, war eine geeignete Tanzpartnerin. Aber wen sollte ich denn überhaupt fragen? Und was wäre, wenn ich eine Absage erhalten würde? Daran wollte ich gar nicht denken, denn ich merkte bereits, dass mein Selbstvertrauen zu bröckeln begann. Aber ich musste unbedingt eine Partnerin finden, schließlich wäre es auf dem Ball sonst ziemlich peinlich. Oder ich würde mit einer Klette wie Pansy Parkinson auftauchen... Im Geiste malte ich mir bereits aus, wie sie den ganzen Abend an mir kleben würde, ganz zu schweigen von Lavender Brown, die durch ihre nervige Fragerei ohnehin schon meine Nerven strapazierte.
Ich nahm mir vor in dieser Woche noch eine Partnerin zu finden.

Seine Kinder (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt