Der große Ball Part III

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Jaime

Es war das erste Mal, dass ich Hermine weinen sah. Ich hatte sie nie für eine Person gehalten, die leicht in Tränen ausbrach, doch jetzt saß sie in sich zusammengesunken auf den Stufen der Treppe und schluchzte.
Ich machte einen zögerlichen Schritt in ihre Richtung, zögerte dann jedoch und verharrte. Was sollte ich denn überhaupt sagen? Was sollte ich machen, um ihr zu helfen? Wollte sie meine Hilfe überhaupt? Würde ich alles nur noch schlimmer machen?
Der letzte Gedanke nagte ganz besonders an mir. Würde ich mich so plump anstellen, dass es ihr im Endeffekt nur schadete?
Aber würde ich einfach so an ihr vorbeigehen, würde mich das ein Leben lang verfolgen.
Ich machte einen zweiten Schritt. Und noch einen. Ich konnte mich nicht daran erinnern so schnell gegangen zu sein, doch mit einem Mal stand ich neben ihr und sah auf ihre Gestalt hinab. Zögerlich setzte ich mich in einem Abstand von ein paar Zentimetern neben sie.
Hermine hob nicht den Kopf, doch sie hatte das verdächtige Rascheln meiner Kleidung gehört. Sie wischte sich hastig über die Augen. Es war ihr peinlich, dass jemand sie so verletzlich, so aufgelöst sah. Erst recht niemand, den sie scheinbar nicht kannte. ,,Geh weg", brachte sie so fest wie möglich hervor, was ihr scheinbar große Anstrengung kostete. Sie vermied es weiterhin mich anzusehen. Sie wollte ihre Schwäche nicht zeigen.
Ich machte keinerlei Anstalten ihren Worten Folge zu leisten. ,,Ich dachte, du könntest jemanden zum Reden gebrauchen. Oder einfach nur zum Zuhören."
Sie erkannte meine Stimme, denn sie drehte sich noch weiter in die entgegengesetzte Richtung von mir. ,,Ich will nicht, dass du mich so siehst", murmelte sie. Das verstand ich nur zu gut. ,,Das ist okay."
Sie schniefte unterdrückt und rieb sich verstohlen über die Augen.
Ich saß einfach nur da. Ich wollte sie weder zum Sprechen zwingen, noch versuchen ein banales, sinnloses Gespräch zu beginnen, welches ohnehin nur auf einen Monolog meinerseits hinauslaufen würde.
Sie würde sprechen wenn sie sich dazu bereit fühlte und wenn nicht, dann war das eben so.
Ein paar Minuten schwiegen wir beide. Dann wischte sie sich kurz über die Augen und strich sich die Haare hinter die Ohren und begann stockend zu erzählen: ,,Es ist einfach ... Harry und Ron. Sie machen mich wahnsinnig." Sie lachte einmal erstickt und schniefte erneut. ,,Sie ... machen einfach alles ... kaputt. Ich wollte nur einen schönen Abend haben ... mit Viktor ... und sie benehmen sich vollkommen daneben. Fast schon wie kleine Kinder." Sie zuckte die Schultern. ,,Es ist eigentlich schon ... na ja ... fast lächerlich, dass ich deshalb weine, aber es ist ... sie machen einfach alles kaputt!!"
Ihre Stimme war lauter geworden und wütender. Und endlich sah sie mich an. An manchen Stellen war die dezente Schminke vom vielen Weinen etwas verwischt. Ihre Augen waren rot unterlaufen und glitzerten feucht. Ihre Pupille war eigentümlich klein geworden und ich erkannte, dass ihre Iris im inneren von einem ganz hellen Braun waren. Doch obwohl ich in ihren Augen immer noch Tränen sah, bemerkte ich in ihren Blick zugleich das Aufkeimen von diesen vertrauten Trotz und Entschlossenheit. Sie hatte zwar geweint und ihre Schwäche gezeigt, aber durch ihre Wut war sie sich ihrer gewohnten Stärke und Selbstsicherheit bewusster.
Sie ließ sich einfach nicht unterkriegen, was einer der vielen Aspekte war, wofür man sie einfach bewundern musste.
Ich legte ihr eine Hand auf die Schulter, doch mir fielen keine passenden Worte ein. Und so entschlüpften mir Sätze, von denen ich eigentlich nicht vorgehabt hatte, sie auszusprechen. Oder vielleicht doch, aber nur unbewusst? Möglicherweise war genau das mein Ziel gewesen, als ich Krum verhext hatte, aber ich hatte es ignoriert.
Nach meiner Frage starrte Hermine mich verblüfft an. So verblüfft, dass sie glatt vergaß zu schluchzen. ,,Wie bitte?!"
,,Ja, ich weiß, du bist mit Krum hier", stotterte ich mit roten Wangen, ,,aber er ist gerade nicht hier und es ist ja nur ein kurzer Tanz..." Meine Stimme verlor sich und ich sah sie flehend an.
Sie wird Nein sagen.
,,Eigentlich gerne, aber ... na ja .... ich fühle mich im Moment ziemlich" - sie deutete auf ihre Augenringe und wischte sich kurz darauf erneut über die Augen - ,,mitgenommen. Außerdem bin ich ... irgendwie gerade nicht so in der Stimmung ...." Sie schniefte erneut.
Ein kleiner Teil von mir wollte aufgeben, wie gewöhnlich, doch das hier würde sich vielleicht nie wiederholen! Und das musste ich ausnutzen. ,,Dir wird es nicht besser gehen, wenn du hier ganz allein auf den Stufen sitzst!", argumentierte ich, ,,außerdem können wir ja auch etwas abseits tanzen, dann bemerkt das schon niemand!" Vor allem nicht Krum, fügte ich in Gedanken hinzu.
Hermine sah jedoch weiterhin unentschlossen aus. ,,Vielleicht ..."
Sie quiekte kurz auf, denn ich hatte sie an den Armen genommen und ohne ihre Proteste zu beachten, hochgezogen. ,,Das deute ich mal als Ja."
Sie schien etwas erwiedern zu wollen, begnügte sich jedoch dann damit mir einen widerwilligen Blick zu zuwerfen. Langsam führte ich sie auf die Tanzfläche und sie wehrte sich nicht dagegen, gab jedoch ein kleines, beleidigtes Schnauben von sich. ,,Kein Grund Luftsprünge zu veranstalten", meinte ich ironisch und tatsächlich hoben sich ihre Mundwinkel ungewollt um einige Millimeter, obwohl sie noch immer zu schmollen schien.
Ich hob den Arm, sodass sie gezwungen war, sich zu drehen.
,,Du bist unausstehlich, weißt du das?"
Ich hob eine Braue und tat so, als wäre ich über ihre Worte verletzt. Diese Worte waren natürlich nicht ernst gemeint. Zumindest nicht vollkommen ernst.
,,Ich bin schockiert", murmelte ich, ,,deine Beleidigungen werden immer vulgärer. Das nächste Mal wirst du mich bestimmt schon als Besserwisser bezichtigen."
,,Das wäre keine Beleidigung, sondern die Wahrheit, besserwisserischer Slytherin." Hermine verhakte eine Hand mit der meinen, während ihre andere Hand auf meiner Schulter ruhte. Ein angenehmer Schauder durchlief mich. ,,Das nehme ich dann mal als Kompliment."
Ich legte meine Hand vorsichtig an ihre Hüfte und zog sie so näher zu mir. Sie schien es gar nicht wahrzunehmen, denn sie bewegte sich weiter im Takt der Musik und ihre Augen waren beinahe geschlossen.
Es war so ein beruhigender, friedlicher Anblick und ich konnte die Blick gar nicht von ihr nehmen. Ich wollte es auch gar nicht. Das hier war ein Augenblick, der nur uns beiden gehörte, genauso wie unsere kleine, geheime Weihnachtsfeier. Und ich würde es genießen, so lange es möglich war.
Ich schloss die Augen und und verließ mich nunmehr auf meine übrigen Sinne. Ich spürte ihre Hände und ich hörte das Rascheln ihres Kleides und ich roch ihren unverwechselbaren Geruch.
Ich wusste nicht wie lange wir genau tanzten, nur dass das Lied irgendwann endete. Ich vernahm Hermines geflüsterte Worte ,,Danke für den Tanz" und ihre Finger lösten sich von mir. Ich öffnete die Augen. Hermine war bereits verschwunden.

Ich ging aus der Halle. Ich schwitzte.
Draußen war es dunkel. Dunkel und kalt. Bestimmt war es schon nach Mitternacht, denn keiner war mehr hier.

Kleine Dampfwölkchen stoben aus meinem Mund und wirbelten wie glitzernde, silberne Böen in der kristallklaren Luft herum. Keinerlei Geräusche waren zu vernehmen, nur das Knarzen meiner Schritte und das Rascheln meiner Kleidung, wenn ich mich bewegte. Es hatte etwas unberührtes an sich. Etwas einmaliges.
Ich holte meinen Zauberstab aus der Tasche, drehte ihn nachdenklich zwischen meinen Fingern und begann damit herumzuspielen. Heute hatte ich allerlei Wagnisse begangen: ich hatte einen der vier Champions verzaubert und Hermine zum Tanz aufgefordert. Im Nachhinein betrachtet war es teilweise unglaublich dumm und unglaublich närrisch gewesen, aber auch unglaublich berauschend, befriedigend und traumhaft. Das passte wohl am besten zu dem heutigen Abend.
Und wo wir mal bei äußerst vielen törichten und spontanen Einfällen sind...
Ich nahm den Zauberstab fest in die Hand. Dann ich beschwor in Gedanken die Geschehnisse des heutigen Abends herauf. Ein Lächeln erschien auf meinen Lippen. ,,Expecto Patronum!"

Seine Kinder (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt