Der Zeitumkehrer

4.2K 316 6
                                    


Allana

,,Und du hast echt nicht zugeschaut?!", fragte ich meinen Bruder empört, doch dieser zuckte nur grinsend die Schultern. ,,Nicht jeder ist so ein Fanatiker, wenn es um Sachen Quidditch geht, Al."
,,Sogar Hermine war da!"
,,Bestimmt hat man sie gezwungen", erklärte Jaime sichtlich unbeeindruckt.
Ich schnaubte nur. ,,Schon klar. Was hast du denn stattdessen gemacht?"
Jetzt war es an Jaime zu schnauben. ,,Natürlich gelernt! Die Prüfungen stehen kurz bevor und ich will Jahrgangsbester sein!"
,,Hermine ist besser als du", murmelte ich für ihn unüberhörbar.
,,Nicht mehr lange, wart's ab!"
Streber.
Ich sah ihm nach, wie er pfeifend davonschlenderte.
Ich muss es ihm sagen.
Aber der Augenblick passte einfach nicht.
,,Welche Prüfung schreibst du denn als erstes?", rief ich Jaime fragend hinterher. Er drehte sich um und schien zu überlegen. ,,Erst Arithmantik mit Hermine und dann Zaubertränke."
,,Du weißt schon, dass Hermine gleich die Prüfung in Alte Runen hat, oder?"
Er runzelte leicht die Stirn. ,,Nein, ich bin mir ziemlich sicher, dass wir zusammen Arithmantik schreiben." Trotzdem wirkte nicht ganz überzeugt, denn er schien nachzudenken. Und wenn mein Bruder nachdachte, konnte das eine Weile lang dauern.

Jaime

Bis jetzt hatte ich noch nie einen Gedanken daran verschwendet. Natürlich war mir bewusst, dass sie noch keine einzige Fehlstunde hatte, auch wenn sich einige Fächer überschnitten, aber jetzt wurde ich misstrauisch. Es war doch eigentlich unmöglich an mehreren Orten zugleich zu sein. Oder? Theoretisch zumindest...
Aber das hier war Hogwarts, hier galt alles als möglich. Schließlich war dies ein magischer Ort.
Fest stand nun, dass es irgendetwas oder irgendeinen Zauber gab, mit dem man zu mehreren Orten gleichzeitig gelangen konnte. Aber davon hatte ich noch nie etwas gehört. Natürlich wäre es möglich zu apperieren, aber so begabt war selbst Hermine nicht. Außerdem war es unmöglich nach Hogwarts hinein- oder hinaus zu apperieren. Das stand in dem Buch Geschichte von Hogwarts.
Oder es beeinflusst die Zeit.
Denn davon hatte ich bereits einmal gelesen: das Gerät nannte sich Zeitumkehrer.
Diese Artefakte waren mit extrem viel Magie geladen und so selten, dass es nur einige dutzende Exemplare gab. Außerdem waren sie in den falschen Händen mehr als gefährlich. Schon allein bei der Vorstellung, was so ein Ding für Auswirkungen hatte, machte mir - auch wenn ich es nur ungern zugab - Angst.
Ich schüttelte diesen unangenehmen Gedanken ab.
Fest stand, dass Hermine mit höchster Wahrscheinlichkeit so einen magischen Gegenstand ihr Eigen nennen konnte und egal, ob ich gerade Angst verspürte... Magie faszinierte mich. Diesen Zeitumkehrer würde ich nur zu gerne einmal benutzen.
,,Jaime?"
,,Mmm?" Mir wurde klar, dass ich anscheinend ins Leere gestarrt hatte. Allana schnipste vor meinem Gesicht herum. ,,Du hast schon wieder diesen bestimmten Ausdruck..."
Ich blinzelte verwirrt. ,,Welchen Ausdruck?"
Sie lachte leise. ,,Diesen Ausdruck, wenn du gerade einen Geistesblitz gehabt hast. Deine Augen weiten sich dann immer und du fängst an ins Leere zu starren und verträumt zu lächeln."
,,Verträumt zu lächeln?", wiederholte ich ungläubig.
,,Zumindest gerade."
Ich gab einen undefinierbaren Laut von mir.
Jemand rempelte mich an und ich stolperte einige Schritte zur Seite, so groß war die Wucht gewesen. ,,Heh!", fauchte ich die riesige Person an, bevor ich ihn erkannte. Es war dieser Hagrid, der ehemalige Wildhüter und jetziger Lehrer. Der Mann, der mich nicht sonderlich zu mögen schien und mir gegenüber immer ziemlich reizbar war. Außerdem konnte er meinen Kopf vermutlich mit einer Hand zu Brei schlagen. ,,Ich geh dann mal", murmelte ich Allana zu.

Allana

Mein Bruder verschwand um die nächste Ecke. Hagrid murmelte etwas und schniefte.
,,Hagrid, was ist denn los?", fragte ich ihn besorgt. Er fuhr sich mit den riesigen Pranken durch das Gesicht. ,,Sie wollen Seidenschnabel umbringen!", schluchzte er sichtlich verzweifelt. ,,Dieser Malfoy hat seine Verbindungen spielen lassen und jetzt kommt in ein paar Tagen Macnair und-" Hagrid brachte diesen Satz nicht zuende, sondern fuhr sich mit dem Finger über die Kehle.
,,Und das nur, weil der Hippogreif Malfoys Sohn getreten hat?!", empörte ich mich.
Hagrid nickte schwach. Ich tätschelte seinen Arm. ,,Ich werde Hermine und die anderen fragen, was wir dagegen machen können, okay? Du musst dir keine Sorgen machen." Meine eigene Stimme klang hohl und absolut unglaubwürdig, aber Hagrid nickte leicht. ,,Danke, dass du mir hilfst."
,,Ach, keine Ursache", murmelte ich. Was sollte ich sonst sagen?
Ich sah ihm nach wie er davontorkelte. So sah man also aus, wenn man die Hoffnung verloren hatte.

Jaime

Hermine saß - wie nicht anders zu erwarten - in der Bibliothek und büffelte für die anstehenden Prüfungen. Ich setzte mich ihr gegenüber. Sie ignorierte mich. Ich griff über den Tisch und nahm ihr das Buch aus der Hand. Ihr Blick zuckte sofort hoch. ,,He!", beschwerte sie sich und versuchte das Buch zu packen, doch ich hielt es auf Armlänge von ihr weg. ,,Ich habe gerade ein Dèja Vu", grinste ich, denn ich erinnerte mich nur zu gut, als ich sie in der Mitte des Schuljahres ebenfalls auf diese Weise gezwungen hatte, mir zu helfen.
,,Ich muss lernen! ", empörte sich Hermine und ihre braunen Augen waren verengt. Auch das war mir alles bereits vertraut. ,,Überspringen wir den Teil, indem du versuchst mir das Buch zu entreißen - es selbstverständlich nicht schaffst - und deshalb anfängst die Schultern zu verschränken, und kommen direkt zum Thema Zeitumkehrer."
Hermine blinzelte mich geschockt an. ,,Wie hast du das denn erfahren?!"
Ich schenkte ihr ein Lächeln. ,,Hermine, du kennst mich doch. Glaubst du etwa, dass du etwas vor mir verbergen kannst?"
Sie sah mich argwöhnisch an. ,,Sollte das wie eine Drohung klingen?"
Das wusste ich selbst nicht genau. Tatsache war jedoch, dass sie mir etwas verheimlicht hatte, obwohl ich mich ihr gegenüber immer ehrlich gewesen war. Gut, bei den neuesten Nachforschungen über meine Mutter und Black vielleicht nicht ganz...
Ich schüttelte den Kopf. ,,Nein, aber ich muss gestehen, dass ich enttäuscht von dir bin."
Sie blinzelte und kurz glaubte ich so etwas wie Schuldgefühle in ihren Augen aufblitzen gesehen zu haben. ,,Ich habe den Lehrern versprochen niemanden davon zu erzählen! Glaub mir, du hättest es zuerst erfahren!"
Ich gab ihr das Buch zurück. ,,Schon gut", murmelte ich knapp.
Eine Weile lang schwiegen wir uns gegenseitig an.
,,Was will Dumbledore eigentlich von dir?", fragte Hermine plötzlich.
,,Was meinst du damit?"
Sie biss sich auf die Lippe. ,,Er hat mich gestern gefragt, ob wir befreundet seien."
Ich horchte auf, denn ich musste zugeben, dass mich dies interessierte. Besonders ihre Antwort auf diese Frage. ,,Und? Was hast du gesagt?"
,,Natürlich ja! Du bist zwar ein eingebildetes Genie aus dem falschen Haus, aber trotzdem einer meiner besten Freunde!"
Das berührte mich jetzt irgendwie.
,,Wollte er noch etwas?", fragte ich Hermine so neutral wie möglich, aber innerlich war meine schlechte Laune nur noch Schnee von gestern.
,,Er hat sich nach deinen Eltern erkundigt. Meinte, dass du ihm bekannt vorkämst."
Stirnrunzelnd lehnte ich mich zurück. Dumbledore versuchte also etwas über unsere Eltern zu erfahren. Und ich erinnerte ihn an jemanden. Vermutlich an Tom Riddle, meinem Vater, schließlich gab es eine gewisse Ähnlichkeit zwischen uns. Aber ich glaubte keinesfalls, dass Dumbledore Hermine nur gefragt hatte, weil ich ihn an einen x-beliebigen Schüler erinnert hatte. Es musste mehr dahinter stecken. Hinter meinem Vater musste mehr stecken. Ich wusste natürlich, dass mein Vater keinesfalls ein guter Mann gewesen war, schließlich hatte er einen der drei unverzeihlichen Flüche an meiner Mutter angewandt, aber wahrscheinlich war selbst dies noch nicht alles. Tatsache war nur, dass Dumbledore mehr über meinen Vater wusste als ich.
Hermine stand auf. ,,Komm schon, Gaunt. Auf zu den Prüfungen!"

Seine Kinder (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt