Fragen über Fragen

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Jaime

Ich hoffte, dass das Gespräch mit Sirius gut verlaufen war. Natürlich wäre es auch interessant gewesen, wenn ich selbst Sirius über unsere komplizierte Verwandtschaft aufgeklärt hätte, aber vermutlich wäre es ... zu viel gewesen. Erst hatte er erfahren, dass er eine Nichte hatte, jetzt erzählte ihm ebenjene von einem Zwilling ... Solche Neuigkeiten musste man erst einmal verdauen. Und das konnte ich wirklich gut nachvollziehen, schließlich war es bei Allana und mir genauso gewesen. Erst hatten wir erfahren, dass wir Geschwister waren, dann ein Jahr darauf, dass wir einen noch lebenden Onkel hatten. Das Leben war wirklich voller Überraschungen. Auf weitere konnte ich allerdings auch verzichten.
Ich blätterte eine weitere Seite meines Buches um und las das Kapitel zuende. Geschichte der Zauberei war wirklich interessant, zumindest wenn es in Textform verfasst war. Hörte ich jedoch die endlos langen Vorträge von Professor Binns, verflüchtigte sich meine Aufmerksamkeit binnen weniger Minuten. Außerdem musste ich zugeben, dass mich die moderne Geschichte der Zauberei wesentlich mehr fesselte, als die jahrhundertealten Koboldkriege und die Hexenverbrennungen. Es war viel interessanter über den Aufstieg des schwarzen Magiers Grindelwald zu lesen, der durch eine geschickte Verwandlung seine Herrschaft sogar teilweise bis nach Amerika ausgebreitet hatte. Natürlich war er letztendlich aufgeflogen und wurde, nachdem Dumbledore ihn besiegt hatte, in ein Gefängnis gebracht. Dort war er noch heute gefangen.
Ich klappte das Buch zu und legte es neben mich auf das Bett. Definitiv besser als die Kobololdkriege.
Ich sah auf meine etwas lädierte Armbanduhr. Allana müsse jetzt aus Hogsmeade zurück sein. Es wurde Zeit sie zu fragen, wie das Gespräch mit Sirius verlaufen war.
Ich stand vom Sofa auf und packte meine Sachen in die Schultasche. Dann verließ ich den Gemeinschaftsraum.
In den Gängen herrschte ein reger Betrieb, denn nun kamen die Besucher von Hogsmeade wieder zurück ins Schloss. Ich stellte mich an die Wand eines Torbogens und beobachtete die ankommenden Schüler. Allana hatte ich bis jetzt noch nicht gesehen.
Ich hörte die Patil-Zwillinge mit Lavender Brown über die unzähligen Jungen quatschen, mit denen sie gerne ausgehen wollten, was meine Warterei unendlich amüsanter machte. Ich hatte nie gewusst, dass Brown insgeheim auf Ron Weasley stand.
Die drei Mädchen schwatzten ausgelassen kichernd weiter und endlich erblickte ich Allana. Sie ging neben Harry Potter und schien mit ihm über etwas zu sprechen. Als sie mich sah, hob sie kurz die Hand zum Gruß und wandte sich dann wieder Potter zu. ,,Hör mal, Harry, ich komme gleich nach, okay? Du musst nicht auf mich warten."
Dieser bedachte mich darauf mit einen grimmigen Blick und ging weiter den Flur entlang. Allana bahnte sich einen Weg durch die Menge zu mir.
,,Wie ist es gelaufen?", fragte ich sie sofort, nachdem sie sich durch eine Schar kichernder Mädchen gequetscht hatte. Sie rieb sich verstohlen den Bauch. ,,Eine von ihnen hat mir den Ellenbogen in die Rippen gerammt." Sie warf dem betreffenden Mädchen mörderische Blicke zu. Diese hatte wenigstens den Anstand zu erröten, bevor sie sich wieder ihren Freundinnen zuwandte und lautstark kiekste.
,,Immer diese eifersüchtigen Verehrerinnen. Also?"
,,Na ja, er hat jetzt keine Freudensprünge gemacht."
Das hatte ich auch nicht erwartet. Auch wenn es eine gelungene Wendung gewesen wäre.
,,Er war vielmehr verwirrt, denke ich. Und geschockt. So etwas erlebt man schließlich nicht jeden Tag. Vor allem nicht, dass die Person obendrein noch in Slytherin ist." Sie zwickte mir spaßhaft in die Seite.
,,Aua."
,,Schwächling."
Ich rollte die Augen. ,,Hat er sonst noch etwas gesagt? Was weiß er noch?"
Allana zwirbelte unruhig eine Strähne ihrer schwarzen Haare durch die Finger. ,,Ja, schon irgendwie ... Er meinte, dass unsere Mutter weder die Diggorys noch die Leiterin des Waisenhauses gekannt hatte. Tatsächlich hat sie uns wahrscheinlich gezielt zu Personen gebracht, die man nicht mit ihr in Verbindung setzen konnte." Sie holte tief Luft und fuhr dann fort. ,,Ich glaube, sie wollte nicht, dass man uns findet. Ich glaube, sie wollte uns vor jemanden verstecken und uns vor dieser Person schützen."
Das machte Sinn. Trotzdem: wer sollte an zwei kleinen Kindern interessiert sein? Und warum? Warum sollte es für jemanden für Interesse sein uns zu finden? Wir waren zwar magisch begabt, doch das war in unserer Welt keine Seltenheit. Wir waren zwar besonders, aber in dieser Welt voll mit besonderen Menschen war dies vollkommen normal. ,,Wer?", fragte ich Allana, ,,wer sollte ein so großes Interesse an uns haben, dass unsere Mutter uns daraufhin getrennt und versteckt hat?"
Sie zuckte die Schultern. ,,Es ist zwar nur eine Vermutung, aber ... Ich denke, es ist unser Vater."
Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter und aus einem Reflex heraus sah ich mich um. Natürlich waren hier nur Schüler und einige Lehrer, aber trotzdem ... mir war schon allein bei der Erwähnung unseres Vaters unwohl zumute. Schon allein die Vorstellung, er könnte hinter uns her sein ... Mein Herz schlug in einem unregelmäßigen Takt gegen meine Brust. Es durfte einfach nicht sein! ,,Vielleicht auch einfach ein anderes Mitglied der Familie", versuchte ich mich selbst zu überzeugen, aber ihre Theorie war schlüssig. Viel zu schlüssig.
Allana schüttelte den Kopf. ,,Wir haben nur noch Sirius als Onkel, die übrigen Verwandten sind nicht mehr am Leben. Und von der Seite unseres Vaters ... Ich weiß nicht ... ich glaube er war Einzelkind."
Ich atmete tief durch. ,,Okay, also das sind insgesamt sehr ..." schockende? Verstörende? Albtraumhafte? ,, ... wichtige Neuigkeiten. Hat Sirius noch etwas erwähnt?"
Meine Schwester überlegte einen Moment. ,,Er hat es nicht direkt erwähnt, aber es hatte den Anschein, dass ... ich glaube nicht, dass er von der Schwangerschaft unserer Mutter wusste."
Ich hob fragend eine Braue. ,,Wie kommst du darauf?"
,,Als ich ihm zum erstem Mal im Gemeintschaftsraum der Gryffindors begegnet bin, wirkte er vollkommen überrascht und geschockt. Hätte er gewusst, dass Selena Kinder gehabt hätte, hätte er anders reagiert, da bin ich mir sicher. Alle denken es, zumindest ähnlich. Ich habe letztes Jahr zufällig ein Gespräch von McGonagall in den Drei Besen mitgehört und sie meinten, das Baby wäre gestorben ... bisher habe ich noch nie darüber nachgedacht ... aber sie wussten noch nicht einmal, dass es zwei Babys gewesen waren!"
,,Irgendjemand wollte nicht, dass man von unserer Existenz erfährt", murmelte ich verstehend. Aber warum? Warum sollte man unsere Existenz geheimhalten? Was war der Sinn und Zweck dabei?
Allana nickte heftig. ,,Genau. Und eben dieser Jemand sucht nach uns."
Ein erneuter Schauder ließ die Härchen an meinen Armen aufstellen. Ich fühlte mich auf eine unangenehme Art und Weise beobachtet. Ich widerstand dem Verlangen mich umzudrehen. Allana würde mich für vollkommen paranoid halten. ,,Es ... muss nicht nur unser Vater gewesen sein, oder? Ich meine ... keine Ahnung", stammelte ich unbeholfen, ,,Vielleicht war unsere Mutter auch daran beteiligt. Sie hat uns schließlich versteckt."
Meine Schwester nickte widerstrebend. ,,Stimmt, da hast du Recht. Sie sind bis jetzt die einzigen Personen, die in Frage kommen."
Da stimmte ich ihr voll und ganz zu.
,,Okay. Danke, dass du mir alles erzählt hast." Ich wollte mich abwenden und gehen, doch Allana hielt mich am Arm zurück. ,,Und ich glaube, dass Dumbledore etwas über unseren Vater weiß. Mehr als wir wissen."

Seine Kinder (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt