Ein Abteil voller Slytherins

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Allana

Die angespannte Stimmung am nächsten Tag war schon fast mit Händen zu greifen. Wir saßen zusammen am Früstückstisch, aber keiner sprach ein Wort. Amos hatte sein Gesicht im Tagespropheten vergraben und las mit verkniffener Miene den Artikel über die Weltmeisterschaft. Daneben war ein sich bewegenes Bild des Dunklen Mals eingeblendet.
Jaime trug noch immer seinen Schlafanzug. Unter seinen Augen lagen dunkle Ringe, eins von ihnen war noch immer geschwollen. Seine Haare waren zerzaust, als hätte er unruhig geschlafen.
Cedric aß lustlos sein Brötchen, sein Blick war auf die Zeitung fixiert. Er wirkte besorgt.
So langsam ertrug ich diese ewige Stille nicht mehr. ,,Ich geh schonmal packen", murmelte ich und stand auf.
Jaime schreckte auf. ,,Jaa, ich auch."
Cedric schob seinen Stuhl zurück und schloss sich uns schweigend an.
Die Fahrt zum Gleis verlief in der gleichen unangenehmen Stille, wie das Frühstück. Nur ab und zu erklang ein Hupen oder das Quietschen von Bremsen. Jaime schaute aus dem Fenster. Cedric blätterte in einem Besenmagazin herum.
Am Bahnhof verabschiedeten wir uns hastig und ich verfrachtete meinen Koffer in den Zug.
,,Al, gehen wir in das Abteil am Ende des Zuges?", fragte mein Bruder mich beinahe unhörbar.
Das war wohl sein Kode für: Wir müssen uns irgendwo ungestört unterhalten.
Ich nickte leicht. Gemeinsam gingen wir zu dem Abteil und ich ignorierte die neugierigen Blicke, die es immer gab, wenn ein Gryffindor und ein Slytherin zusammen auftauchten.
Jaime und ich schoben unsere Koffer in das leere Abteil und er schloss die Schiebetür hinter sich.
,,Dieser Mann", meinte er sofort, ,,ich habe ihn schon einmal gesehen. In einem Traum." Er schaute mich ernst an. ,,In dem Traum kam auch Wurmschwanz vor. Und eine Schlange." Er zögerte kurz. ,,Außerdem wurde dort jemand umgebracht."
Ich riss die Augen auf. ,,Wer?! Jemand, den wir kennen?"
Jaime schüttelte den Kopf. ,,Nein. Keine Ahnung, ich hab die Szene nur verschwommen gesehen. Aber darum geht es jetzt auch nicht! Warum zum Teufel erscheint mir ein Mann im Traum, der mich am nächsten Tag angreift und das Dunkle Mal beschwört?!! Das ist doch ein ziemlich großer Zufall."
Ich hob eine Braue. ,,Natürlich glaubst du nicht, dass es Zufall war", stellte ich fest.
Er nickte heftig. ,,Natürlich war es kein Zufall!" Er begann im Abteil herumzulaufen. ,,Der Traum war echt, das weiß ich. Eine Art ... Vision. Dort kam Pettigrew vor - der ein Todesser ist. Von dem anderem Kerl wissen wir, dass er ein Todesser ist, schließlich hat er das Dunkle Mal beschworen." Er runzelte leicht die Stirn. ,,Da war noch eine dritte Person. Ich konnte sie nicht sehen, aber sie hat den alten Mann getötet."
,,Also noch ein Todesser?"
,,Vermutlich."
,,Aber warum hat der Todesser dich mit dem Zauberstab angegriffen und dann den Dolch benutzt? Er hätte dich auch so abmurksen können."
Jaime warf mir einen pikierten Blick zu. ,,Er wollte mich nicht umbringen, sonst hätte er die Klinge über dem Herzen platziert. Er hat nur versucht meinen Arm anzuritzen."
,,Okay", murmelte ich, ,,also wollte er dich nur verletzen."
,,Ja, und er hat ganz bewusst mich ausgewählt und nicht dich, obwohl wir nebeneinander standen. Und außerdem habe ich diesen Traum gehabt und nicht du. Es muss also etwas mit mir zu tun haben!" Er raufte sich die Haare. ,,Die Frage ist nur, was."
Mir kam ein Gedanke, der mir ganz und gar nicht gefiel. ,,Kann es auch möglich sein, dass die übrigen Todesser den Zeltplatz gezielt angegriffen haben? Schließlich sucht mindestens einer von ihnen nach dir."
Jaime ging weiterhin unruhig hin und her. ,,Das könnte sein, aber bis jetzt haben wir dafür keinerlei Beweise." Er sah mich an. ,,Wenn deine Vermutung stimmt, stecke ich vermutlich in großen Schwierigkeiten."
Ich klopfte ihm leicht auf die Schulter. ,,Hab' ein bisschen Optimismus!"
,,Das war mein Optimismus", murmelte er. Dann erklärte er mir knapp seinen Plan.
Plötzlich wurde die Tür mit einem Schwung geöffnet und wir beide zuckten zusammen. Malfoy stand dort mit seinen beiden Anhängseln Crabbe und Goyle, die in den Ferien offenbar um das Doppelte gewachsen waren (und zwar in der Größe wie auch in der Breite). Hinter ihnen lugten Nott, Parkinson und Zabini neugierig zu uns.
Sie setzten sich unaufgefordert hin, wobei Malfoy natürlich den meisten Platz beanspruchte. Tatsächlich lag er schon fast auf der Sitzbank, während sich Parkinson neben meinen Bruder quetschen musste, der jetzt zwischen ihr und Goyle eingekeilt war. Dementsprechend missmutig war auch sein Gesichtsausdruck.
,,Habt ihr die Weltmeisterschaft gut überstanden?", fragte uns Malfoy, ,,wie ich hörte, gab es einige Verletzte."
,,Abgesehen davon, dass wir beinahe verbrannt und verhext wurden, geht es uns gut, danke der Nachfrage." Jaimes Stimme hatte wie immer einen trockenen Unterton, aber diesmal schwang auch etwas anderes darin mit: unterdrückte Wut.
Die Neuankömmlinge tauschten kurze Blicke.
,,Hey, du kannst doch nicht uns dafür verantwortlich machen", erklärte Nott dann und versuchte Jaime eine Hand auf die Schulter zu legen, was ihm anhand Goyles Körperumfang nur mäßig glückte. ,,Wir wussten auch nichts von dem Angriff. Unsere Eltern haben nur gesagt, dass-" Er unterbrach sich und sah mich an. Seine Stimme wurde leiser, bis sie kaum mehr als ein Flüstern war. ,,Die Gryffindor sollte besser gehen."
,,Eure Todesser-Eltern haben gesagt, dass ihr in den sicheren Wald gehen sollt, weil gleich ein paar von den Muggeln, Blutsverrätern und Schlammblütern angegriffen werden, stimmts?! Ihr seid also brav in den Wald gegangen und habt nicht einmal daran gedacht, dass euer Freund auch noch da ist!!" Jaime war immer lauter geworden, bis er jetzt schon fast schrie.
Die Jungen senkten betreten die Köpfe und sahen abwechselnd zu mir und zu Jaime. Sogar Crabbe und Goyle schienen mit Schuldgefühlen zu kämpfen.
Alles lief genau nach Plan.
,,Wie bist du da rausgekommen?", wagte Zabini schließlich zu fragen. Er sprach leise, weshalb ich nur wenig verstand. Jaime hingegen sprach mit voller Absicht laut und deutlich, damit ich so viel wie möglich mithören konnte.
,,Da war ein Mann. Einer der Todesser, glaub ich. Ich habe ihm gesagt, dass ich ein Reinblut bin und er hat mir geholfen." Er sah die anderen finster an. ,,Wenigstens hat mir irgendjemand geholfen!"
Schweigen.
,,Könnt ihr ihn von mir danken?", fragte Jaime schließlich und ich erkannte das altbekannte Glitzern in seinen Augen, wenn er gerade einen Plan ausheckte.
Eifriges Nicken. Jeder von ihnen wollte seine Schuld Jaime gegenüber etwas lindern.
,,Wie sah er denn aus?"
,,Dunkelblonde Haare, fast schon braun", zählte Jaime exakt das Aussehen des Todessers auf, welches er und ich aus dem Gesehenen gemeinsam ermittelt hatten, ,,außerdem war er noch relativ jung, vielleicht mitte Dreißig. Schlanke Statur und er war etwa zwischen Einen Meter Siebzig und Achzig groß. Kennt ihr ihn?" Jaimes Gesicht hatte einen lauernden Ausdruck angenommen. Ich beobachtete aufmerksam jede Regung und möglichen Augenkontakt der anderen Slytherins.
Sie schienen zu überlegen, bis Malfoy dann endlich die entscheidene Antwort gab. ,,Es waren nur die Eltern von den Leuten aus diesem Abteil dort. Keiner von ihnen sieht der Person auch nur entfernt ähnlich."
Jaime lehnte sich nachdenklich nach hinten und eine kleine Falte erschien zwischen seinen Augen.
Auch ich überlegte nun fieberhaft, was das alles zu bedeuten hatte. Der Todesser hatte offenbar allein gehandelt und hatte sich so gut versteckt, dass ihn niemand gesehen hatte. Möglicherweise war er eim Ausgestoßener. Das würde auch erklären, warum Jaime ihn im Traum mit Pettigrew gesehen hatte; Pettigrew galt als tot und unter den verbliebenen Todessern gab es zu viele, die noch eine Rechnung mit ihm offen hatten. Aber trotzdem stellte sich mir noch immer die Frage, warum der Mann Jaime angegriffen hatte. Pettigrew und der Mann planten vermutlich etwas, das mit Jaime zu tun hatte. Nur was?
Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als es an unserer Tür klopfte. ,,Etwas Süßigkeiten vom Wagen gefällig?", fragte eine etwas pummelige Frau und strahlte uns an. Jaime schlürfte aus dem Abteil und fischte ein paar silberne Münzen aus seiner Tasche. ,,Wollt ihr auch was?", wandte er sich fragend an die anderen.
Malfoy warf ihm eine goldene Galleone zu. ,,Frag sie, ob sie Muffins oder Schokofrösche hat."
Jaime fing die Münze auf und schloss die Tür hinter sich.
Augenblicklich wurde mir klar, dass ich gerade von Slytherins umgeben im Abteil am Ende des Zuges saß.
Nicht gut.
Sofort wandte sich Zabini an mich und seine Miene wurde unverkennbar drohend. ,,Hör zu, wenn du etwas weitersagst, was du gerade gehört hast, dann..." Er beendete den Satz nicht, aber die Botschaft dahinter war auch so deutlich genug.
Ich hob beschwichtigend meine Arme. ,,Ich werde schon nichts davon weitersagen, okay?", meinte ich betont ruhig, obwohl mein Herz viel zu heftig schlug, ,,Außerdem weiß eh schon fast jeder, dass eure Eltern Todesser sind."
Zabini erwiederte nichts darauf, sondern funkelte mich nur weiter böse an.
,,Sie wird schon nichts weitersagen", mischte Malfoy sich nun auch ein und rettete mich so aus meiner mehr als nur misslichen Lage, ,,schließlich sind wir gute Freunde." Er feixte in meine Richtung.
Dieser Satz war für den Rest der Slytherins wohl genauso neu wie für mich. Mir gelang eine äußerst geistreiche Antwort: ,,Ähm..."
Das genügte ihm wohl, denn er rückte näher an mich heran. ,,Bei der Quidditch-Weltmeisterschaft haben wir endlich unsere gegenseitigen Vorurteile überwunden und alle Differenzen zwischen uns behoben."
Parkinson quietschte begeistert auf. Zabini und Nott hoben gleichzeitig zweifelnd eine Braue. Crabbe und Goyle schienen nicht zu wissen, was die Worte ,Differenzen' und ,Vorurteile' bedeuten sollten.
,,Ja, Draco ist wirklich ein ganz anderer Mensch, als ich immer gedacht hatte", presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Ich würde einfach mitspielen.
Pansy strahlte. ,,Es ist toll, dass manche nicht nur auf das Schulhaus achten, sondern auch auf die Persönlichkeiten der Menschen, die dort wohnen. Nicht alle Slytherins sind böse, weißt du." Sie zwinkerte mir zu.
,,Ja, aber trotzdem sollte die betreffende Person mindestens ein Halbblut sein", grummelte Zabini, der sich nach seiner Drohung mir gegenüber jetzt wieder vollkommen normal verhielt. ,,Ich meine, ich hab nichts gegen Jaime, aber die Blicke, die er immer diesem Schlammblut zuwirft..."
,,Er meint die Granger", flüsterte Malfoy - pardon Draco, schließlich waren wir nun offiziell befreundet - zu.
Ich blinzelte. Natürlich wusste ich, dass Jaime und Hermine oft zusammen lernten und auch irgendwie so etwas wie Freunde waren, aber Zabinis Satz klang so, als wäre da mehr.
Die Tür öffnete sich wieder und Jaime warf Draco eine Packung Schokofrösche zu, sowie das Restgeld. ,,Die Verkäuferin hat ewig gebraucht, bis sie die Galleone wechseln konnte", grummelte er, während er an einem Keks knabberte, ,,du hättest mir auch einfach etwas Kleingeld geben können."
Draco grinste scheinheilig.
Jaime hob den Kopf. ,,Hab ich was verpasst?"
,,Draco und Diggory haben ihre Differenzen überwunden", grunzte Goyle. Dabei sprach er das Wort Differenzen ganz sorgfältig aus, als habe er Angst, er könnte es sonst vergessen.
Jaime starrte ihn verwirrt an.
,,Ganz genau", grinste Draco. ,,Ich darf sie jetzt Allana nennen."
Jaimes Blick war ein wandelndes Fragezeichen. ,,Okaay", murmelte er langsam. ,,Das klingt ja ... gut." Offenbar wusste er nicht genau, was er sonst darauf antworten sollte.
Den Rest der Fahrt schwieg er.

Seine Kinder (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt