Der Werwolf

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Jaime

Im Nachhinein betrachtet hätte ich es wissen müssen.
Der Plan, Pettigrew ins Schloss zu bringen, war so dermaßen simpel, dass er einfach nicht klappen konnte. Irgendwo musste es doch Komplikationen geben! Und genau das wurde mir schlagartig klar, als die silbernen Strahlen des aufgehenden Vollmonds durch die dicke Wolkendecke leuchteten und Lupin wie in Trance den Kopf hob. Dann knackte etwas in seinem Körper. Er schrie einmal erstickt.
Spätestens in diesem Augenblick wurde mir klar, dass unser Plan doch nicht so einfach gelingen würde wie gedacht.
Lupin stieß ein Knurren aus, das mir durch Mark und Bein ging. Er ließ das Seil los, das Pettigrew fesselte. Seine Augen leuchteten gelb.
Pettigrew hatte all dies ganz genau beobachtet und ein fettes Grinsen zog seine schmierigen Lippen in die Breite.
Ich wusste genau, was er vorhatte. So schnell ich konnte, richtete ich meinen Zauberstab auf den Animagus. Doch seine Gestalt schrumpfte so rasant, dass mein hastig gemurmelter Zauber ihn klar verfehlte.
Haare begannen aus Pettigrews Brust zu sprießen, sein Körper krümmte sich. Er schenkte mir noch einen letzten Blick, bevor er sich vollends verwandelte und davon huschte.
,,Lumos", wisperte ich und leuchtete mit dem Zauberstab über das hohe Gras. Mehrere Meter vor mir sah ich einen Moment lang den grauen Körper von Krätze, die durch das Geäst trippelte. Ich wollte ihm nach, doch Allanas Hand hielt mich zurück. ,,Wenn du der Ratte folgst, bist du vollkommen schutzlos!"
Im gleichen Augenblick ertönte ein Heulen, ganz dicht hinter uns.
Wir drehten uns um. Der Werwolf stand nur wenige Zentimeter vor und, das Maul geöffnet und die Zähne gefletscht.
,,Ich würde sagen, ich bin gerade auch schutzlos", brachte ich hervor. Der Atem des Tieres stank nach Aas.
Wo waren nur Hermine, Potter und Weasley? Warum halfen sie uns nicht?
,,Da stimme ich dir zu", flüsterte Allana mit weit aufgerissen Augen. Sie nahm meine Hand. Der Werwolf schnupperte an uns.
Ich wagte es kaum zu atmen. Mein Herz schlug schmerzhaft gegen meine Rippen.  ,,Auf drei?", presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
,,Wie auf drei?"
,,Auf drei greifen wir ihn an und rennen ganz schnell weg."
Der Werwolf knurrte bedrohlich, dann setzte er zum Sprung an. Ich beschloss die Ziffern eins und zwei spontan ausfallen zu lassen. ,,Drei!", rief ich und schickte einen gut gezielten Fluch auf Lupin. Allana schrie lauthals ,,Serpensortia!"
Scar, die Schlange klatschte aus ihrem Zauberstab zu Boden. Ihr schuppiger Körper schlängelte sich elegant über die Erde. Dann zischte sie laut und der Werwolf wich ein paar Schritte zurück.
,,Beiß!", befahl Allana auf Parsel. Die Schlange zuckte vor, schneller als ich auch nur Blinzeln konnte und attackierte den Werwolf mit ihren tödlich spitzen Giftzähnen. Dieser jaulte gequält auf, bevor er sich umdrehte und in die entgegengesetzte Richtung jagte.
Nun herrschte vollkommene Stille um uns herum, die nur von Scars Zischeln und unseren hastigen Atemzügen unterbrochen wurde.
Allana ließ meine Hand los. Sie war schweißnass. ,,Das war verdammt knapp!", brachte sie hervor.
Ich konnte nur nicken.
,,Wo ist der Werwolf hingerannt?", fragte sie mich.
,,Vermutlich in den Wald." Im Moment war mir das ehrlich gesagt vollkommen egal. Hauptsache wir waren nicht mehr in Gefahr.
Allana zog mich am Ärmel. ,,Wir müssen ihm nach!"
Kurz glaubte ich, mich verhört zu haben. ,,Spinnst du?! Ich laufe niemandem hinterher, der uns umbringen will!"
,,Harry und die anderen sind ebenfalls in den Wald gelaufen! Glaubst du ernsthaft, dass sie eine Chance gegen ihn haben, vor allem, wenn Ron verletzt ist?!"
Ich war hin und her gerissen.
,,Der Werwolf hat Angst vor Scar. Wir können ihnen also helfen." Sie sah mich aus großen Augen an.
Ich wusste, sie hatte gewonnen. ,,Okay", murmelte ich, ,,los geht's."

Wir leuchteten uns mit den Zauberstäben durch das dichte Blattwerk. Es war so dunkel, dass ich nicht einmal meine Hand vor Augen sehen konnte, außerdem war es eigentümlich kalt...
Meine Zähne klapperten aufeinander.
Scar hatte sich um meine Schultern geschlungen, aber sie war nicht wirklich kalt und behinderte mich eher beim Laufen. Allana ging ein paar Schritte vor mir, ihre Miene war ängstlich, auch wenn sie es zu verbergen versuchte. Aber ich kannte sie zu gut.
Ein Ast knackte nur wenige Meter von uns entfernt und wir fuhren herum. Doch nichts war zu sehen, nur Dunkelheit. Ich hörte meine Schwester hektisch atmen, es klang unnatürlich laut inmitten der Stille. Auch mein Atem ging schnell, viel zu schnell. Und viel zu laut. Uns musste doch jemand hören...
Dann wurde mir klar, warum unser Atem so laut erschien: Es war das einzige Geräusch im Wald. Normalerweise konnte man immer das sanfte Rascheln von Blättern hören, das Zirpen von Grillen, manchmal sogar den Ruf einer Eule. Aber es war, als würde der ganze Walt buchstäblich in Erwartung dessen, was noch kommen würde, den Atem anhalten.
Ich schluckte meine aufsteigende Panik herunter.
,,Al", flüsterte ich ihr zu, ,,meinst du nicht, wir sollten besser-"
Ich stockte, als ich erkannte, dass mein Atem winzige Wölkchen bildete. Dabei war es Sommer...
Ein schrecklicher Verdacht machte sich in mir breit.
Dementoren.
Ich begann zu hyperventilieren. Weiße Punkte bildeten sich vor meinen Augen, mein Atem ging noch noch stoßweise.
Dann sah ich sie: schwarze Kreaturen in Umhängen schwebten auf einen kleinen See zu. Er war bereits vollkommen vereist.
Mittlerweile hatte auch Allana die Dementoren entdeckt, denn sie fluchte einmal unterdrückt. ,,Versteck dich irgendwo!", befahl sie mir.
Dementoren können weder sehen noch hören. Das einzige, was sie spüren, sind die Emotionen der Menschen. Meist suchen sie sich Menschen aus, die bereits psychisch belastet sind und saugen jegliches Glück aus ihnen heraus. Man spürt also keine positiven, sondern nur noch negative Gefühle, wie Angst und Verzweiflung. Davon ernähren sie sich.
Mir wurde klar, dass ich gerade einen Abschnitt aus einem Buch vor Augen hatte und es in meiner Panik im Geiste wiederholte.
Allana ließ sich neben mich fallen und zückte ihren Zauberstab. ,,Sie werden uns nicht bemerken."
,,Dementoren spüren es, wenn jemand Angst hat", flüsterte ich ihr zu und Panik schwang in meiner Stimme mit.
Sie würden uns bestimmt bemerken! Allein meine Angst vor den Erinnerungen, die kommen würden, war schon so groß, dass ich darunter förmlich begraben wurde.
Aber seltsamerweise schwebten die Dementoren nicht zu uns, sondern bewegten sich auf zwei Personen am Ufer des Sees zu. ,,Potter und Sirius", hauchte ich.
Harry hatte seinen Zauberstab in der Hand und versuchte einen Patronus zu erzeugen, doch seine Versuche waren lächerlich im Vergleich zu der Menge an Dementoren.
,,Wir müssen etwas unternehmen!", zischte mir Allana zu.
Was denn? Meine Verzweiflung übernahm die Führung. Ich konnte keinen Patronus-Zauber beschwören, ich musste mich bereits zusammenreißen nicht einfach ohnmächtig zu werden!
,,Was zum...?!", brachte Allana hervor und kniff die Augen zusammen. Sie deutete auf das andere Ende des Sees. ,,Da sind Harry und Hermine! Aber beim Ufer sind Harry und Sirius!"
,,Zeitumkehrer", brachte ich hervor.
,,Sie besitzen einen Zeitumkehrer?!"
Ich nickte schwach.
Am Ufer versuchte der Eine Harry noch immer einen Patronus zu beschwören, während der Andere Harry offenbar auf etwas wartete. Aber worauf?
Dann hörte ich eine donnernde Stimme. ,,Expecto Patronum!" Es war Harry gewesen, der den Zauber gesprochen hatte und zwar mit einer solchen Intensität und Macht, dass es mir den Atem raubte. Ein gewaltiger leuchtender Hirsch erschien wie aus dem Nichts. Harrys Patronus.
Die Dementoren flohen vor dem gleißenden Licht, das alle positiven Gefühle ausstrahlte, die es nur gab. Ich spürte neue Zuversicht in mir aufflammen und schloss entspannt die Augen. Wir würden das hier gemeinsam durchstehen.
Kurze Zeit später verschwand das Gefühl des Glücks jedoch wieder. Der Patronus war verschwunden. Nur eine gräuliche Dampfschwade erinnerte noch entfernt an den mächtigen Zauber.
Harry und Sirius lagen in sich zusammengesunken am Ufer des Sees. Harry und Hermine waren jedoch nirgendwo zu sehen.
Allana zog an meiner Hand. ,,Wir sollten gehen. Bevor uns noch jemand entdeckt."
Ich ließ mich von ihr auf die Beine ziehen, aber der Patronus ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Welche Form würde Meiner wohl haben? Würde ich es jemals erfahren?

Seine Kinder (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt