AllanaIch spürte einen leichten Druck von warmen Fingern auf meiner Hand. Meine Lippen waren ganz trocken. Ich versuchte die Augen zu öffnen und merkte, dass diese verklebt waren. Zuerst war meine Sicht noch ganz verschwommen, aber trotzdem konnte ich eine Silhouette vor meinen Augen erkennen. Ich rieb mir die Augen und blinzelte. Das Bild vor mir wurde klarer. Offenbar befand ich mich im Krankenflügel, denn die Wände waren weißlich gestrichen und Madame Pomfrey wuselte aufgeregt im Hintergrund herum. Die Silhouette vor mir stellte sich als mein erschöpft aussehender Bruder Jaime heraus. Seine schwarzen Haare waren zerzaust und sein Gesicht wirkte merkwürdig hohl und fahl. Er hielt meine Hand mit der seinen. Sie war an den Knöcheln aufgeschrammt.
,,Hi", murmelte ich schwach. Er lächelte gequält. ,,Hey."
,,Habe ich ... habe ich lange geschlafen?", fragte ich ihn zaghaft. Er schüttelte den Kopf. ,,Etwa ein bis zwei Stunden ... nicht wirklich lange." Er schwieg kurz und biss sich sichtlich unbehaglich auf die Unterlippe. ,,Geht ... geht es dir etwas besser?"
Ich schloss kurz die Augen. Schon allein bei der Erinnerung, was heute Schreckliches passiert war, musste ich gegen die Tränen kämpfen. ,,Ich-", murmelte ich und meine Stimme brach. Ich schmeckte Salz auf meiner Lippe. Eine Träne war meine Wange hinuntergerollt. ,,Ich brauche wahrscheinlich einfach ... Zeit um das alles zu ... verdauen, weißt du? Ich ..." Ich schüttelte hilflos den Kopf, meine Stimme verwandelte sich in ein Schluchzen. Ich war unfähig weiterzusprechen. Mein Bruder setzte sich neben mich auf das Bett und legte sachte einen Arm um meine Schultern.
,,Er ... er kommt ni- nicht mehr zu ... zurück, oder?", brachte ich unter Schluchzern hervor und drückte mich an Jaime.
Er schwieg für einige Sekunden. ,,Nein ... nein, wird er nicht." Seine Stimme klang belegt.
Cedric ... mein Bruder. Seine warmen bronzenen Augen ... seine braunen Augen, sein sanftmütiges Lächeln ... seine offene und freundliche Art ... wie er mir Quidditch beibrachte und alle Schuld auf sich nahm, wenn seine Eltern uns bei etwas Verbotenen ertappte und sein reuiges Grinsen, wenn er mir einen Streich spielte ... Und dann Cedric, wie er mit weißem Gesicht auf der Erde liegt, seine Wangen verdreckt, seine Augen leer und leblos ...
Ich durfte nicht so an ihn denken, ich wollte es nicht! Ich vergrub meinen Kopf an seiner Schulter.
Eine Weile lang saß ich einfach nur da, mit Jaime neben mir, und spürte wie die Tränen mir ungehindert über die Wangen rannen.
,,Weißt du ... wie er ... gestorben ist? Hat Harry etwas gesagt? Hat es ... wehgetan?"
Ich hatte Angst vor seiner Antwort. Jaimes Muskeln spannten sich an. ,,Ich war auch dabei, Al."
Ich hob erstaunt den Kopf. Das hatte ich nicht gewusst.
,,Ich habe gesehen, wie ..." Seine Stimme wurde immer leiser und für einen Moment vergrub er das Gesicht in den Armen. Dann fing er sich wieder. Ich drückte seine Hand.
,,Du weißt doch, dass der Todesser mich ... weggeschickt hat. Da war ein Friedhof. Und Pettigrew. Er hat mich überwältigt und dann gefesselt. Ich konnte nicht mehr sprechen ... Als Harry und Cedric kamen, hat er ihn einfach umgebracht ..." Er holte tief und zitternd Luft. ,,Er war sofort tot."
,,Ich hasse ihn", murmelte ich kraftlos, ,,alle, die daran beteiligt waren, ich hasse sie alle!" Ich war kurz davor erneut zu weinen.
Jaime sprach mit leiser Stimme weiter. ,,Das alles war irgendwie ... eine Art Plan für Voldemorts Auferstehung. Dafür brauchte er Blut. Blut seines Vaters, von Wurmschwanz, von Potter ... und von mir ... Weil ..." Er würgte die letzten Worte förmlich heraus, als wollte er sie am liebsten gar nicht aussprechen. ,,Weil Tom Riddle Lord Voldemort ist."
Mein Gehirn realisierte zuerst gar nicht, was er gerade gesagt hatte. Oder wahrscheinlich wollte es die gerade gesagten Worte auch gar nicht realisieren. Vielleicht wollte es mich nur für ein paar winzige Sekunden vor der entgültigen, alles vernichtenden Wahrheit bewahren. Ich blinzelte. ,,Das heißt also, er ist unser-"
Jaime nickte nur. Jetzt sprudelte alles nur so aus ihm heraus und zwar mit einer Wut, die mir bisher noch unbekannt gewesen war. ,,Dumbledore hat ständig gesagt, ich würde ihn an Tom Riddle erinnern. Ich erinnere ihn also an Voldemort, an ein verdammtes Monster!" Er atmete flach. ,,Es macht jetzt alles Sinn! Warum wir Parsel sprechen, warum unsere Mutter geflohen ist, Alles!"
Ich sank zurück auf die Kissen und sah teilnahmslos zur Decke. Ich fühlte mich vollkommen ausgelaugt. Kraftlos.
Zuerst war Cedric gestorben, dann stellte sich der dunkelste Magier aller Zeiten als unser Vater heraus ... Es war einfach zu viel, um es verarbeiten zu können. Ich schloss die Augen.
Ein seltsames Gefühl der Taubheit ergriff von mir Besitz. Vermutlich wäre es jetzt passender zu weinen, zu toben, die Welt zu verfluchen, aber ich hatte keine Kraft mehr dafür. Nicht mehr nach dem Tod von Cedric. Es war, als wären alle meine Gefühle in gewisser Weise ... verbraucht.
Ich versuchte etwas zu fühlen, irgendetwas zu fühlen, egal ob Hass oder Trauer oder Verzweiflung. Aber ich fühlte nichts dergleichen. Da war einfach nur eine tiefe, bodenlose Leere. Wie eine Hülle, ohne Energie, ohne Emotionen.
Vielleicht war das im Moment auch gar nicht so schlecht. Ich musste so denken, wie Jaime es so oft tat. Rational. Logisch. Gefühllos.
,,Was ist mit Harry?", fragte ich Jaime und meine Stimme klang ungewöhnlich monoton. Gefühllos. ,,Weiß er etwas?"
,,Er weiß, dass es ... einen Sohn gibt", presste Jaime hervor. ,,Vielleicht kennt er auch meine Statur, meine Größe. Es wäre auch ... möglich, dass er mehr gesehen hat. Wahrscheinlich spricht er genau jetzt mit Dumbledore darüber."
Sorge durchflutete mich wie ein reißender Fluss. Ich konnte nur hoffen, dass Harry meinen Bruder nicht erkannt hatte. Ich nickte. ,,Noch etwas?"
Jaime überlegte kurz. ,,Nun, er weiß, dass Voldemort wieder am Leben ist."
,,Du musst aufpassen", erklärte ich und berührte ihn am Arm. Ich musste dafür sorgen, dass ihm nichts mehr zustieß. Noch so ein Erlebnis wie heute ... niemals wieder.
Jetzt ging es nur noch darum, ihn so gut wie möglich zu schützen. Denn er war die Person, die mir am meisten bedeutete. ,,Er wird die Augen nach dem Sohn aufhalten - nach dir ...", murmelte ich und versuchte dabei meine Gedanken ganz auf Jaime zu lenken. Das war im Moment das einzige, was wirklich zählte. ,,Du brauchst unbedingt ein Alibi ... Hat uns jemand zum Schloss gehen sehen? Oder ... hat dich jemand gesehen, als du zurück ins Stadion gegangen bist?"
Jaime zuckte die Schultern. ,,Hermine hat vermutlich gehört, dass wir ins Schloss gehen wollten ... sie wird denken, dass wir die ganze Zeit zusammen waren. Schließlich sind wir auch ungefähr zur gleichen Zeit wieder eingetroffen."
,,Gut, das ist schon ein Anfang ... wenn Dumbledore fragt, wo du warst, kannst du einfach sagen, dass wir zusammen im Schloss waren."
Hoffentlich hatte Dumbledore noch nicht McGonagall gefragt, denn ihr hatte ich eine andere Geschichte erzählt.
Doch Jaime schüttelte den Kopf. ,,Ich will dich da nicht mit reinziehen ... Sollte Dumbledore die Wahrheit erfahren, wird er sich fragen, warum du mich gedeckt hast ... Das will ich nicht riskieren."
,,Jaime, deine Probleme sind auch meine Probleme! Du bist mein Bruder! Wir können uns hier nicht aufteilen, sondern können das nur zusammen schaffen."
Er schwieg daraufhin. ,,Was glaubst du wird passieren, wenn sie es herausfinden?", fragte er dann leise.
Das war mir auch schon durch den Kopf gegangen. Ich sah ihn an. ,,Wen meinst du mit ,sie'?"
,,Potter, Hermine, Sirius, Dumbledore, das Ministerium ... Glaubst du, sie werden es verstehen? Dass wir nicht so sind wie er."
Ich zögerte. ,,Ich weiß es nicht ... viele werden uns dafür hassen, schätze ich, außer ein paar der Slytherins. Dumbledore wird uns vielleicht verstehen, aber ... ich bin mir nicht sicher. Du hast selbst gesagt, dass du ihn zu sehr an Voldemort erinnerst. Und Sirius ... es würde ihn wahnsinnig machen ... die Kinder des Mannes, der seine besten Freunde umgebracht hat, der seine Geschwister vermutlich auch umgebracht hat ..." Ich atmete tief durch und merkte, dass ich erneut kurz davor war zu weinen.
,,Also, wir werden es niemanden sagen", fasste Jaime ausdruckslos zusammen.
,,Nein, werden wir nicht", stimmte ich ihm zu. Es stand einfach zu viel auf dem Spiel.
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Seine Kinder (1)
FanfictionLord Voldemort. Dunkelster schwarzer Magier seit Grindelwald. Jaime Gaunt. Im Waisenhaus aufgewachsen. Seine Eltern kennt er nicht, er weiß nichts über sie. Aber eines Tages erhält er einen Brief zu einer mysteriösen Schule namens Hogwarts. Allana...