Der letzte Tag

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Allana

Ich ließ mich in einer fensterlosen Nische nieder und zog die Knie eng an meinem Körper. So verharrte ich einige Momente und stierte an die gegenüberliegende Wand. Gleichzeitig spürte ich, dass meine Augen wieder feucht wurden und blinzelte mehrmals. Ich versuchte mit aller Macht nicht zu denken, weder an Cedric, noch an Crouch, aber es gelang mir einfach nicht. Die Erinnerungen geisterten noch immer in meinem Kopf herum.
Ich schlang die Arme um meine Knie und bettete meine Stirn darauf. Ich schloss die Augen und spürte wie die Tränen ungehindert über meine Wangen flossen.
Ich wusste nicht, wie lange ich dort saß. So lange, bis die Tränenspuren auf meinen Wangen zu trocknen begannen. Ich rieb mir die Augen. Sie brannten.

Auf einmal vernahm das Geräusch von Schritten, dessen Echo an den Wänden zurückgeworfen wurde.
Ich machte mich so klein wie möglich. Hoffentlich würde die Person einfach an mir vorbeigehen und mich nicht bemerken. Ich wollte jetzt für mich allein sein.
Die Schritte wurden lauter. Die Person näherte sich mir.
Bitte, geh einfach weiter.
Jetzt müsste sie ungefähr auf meiner Höhe sein.
Beachte mich einfach nicht.
Die Schritte stoppten. Meine Schultern sackten nach unten. Ich wollte keine halbherzigen Fragen nach meinem Befinden hören, die ich sowieso mit einer Lüge beantworten würde. Ich wollte keine hohlen Floskeln wie ''Es tut mir leid'' hören, die nichts bedeuteten. Ich wollte, dass die Person einfach weiterging!
,,Allana?", vernahm ich eine wohlbekannte Stimme.
Ich hob den Kopf. Draco Malfoy sah mich aus seinen grauen Augen an. Seine blonden Haare glänzten im Licht der Fackeln.
,,Hi", murmelte ich schwach und wischte mir unauffällig über die Augen. Ich wollte nicht, dass er mich so verletzlich und schwach sah. Es fühlte sich ... falsch an. Ich wollte mich Draco nicht einfach so anvertrauen. Ich kannte ihn noch nicht mal so gut wie beispielsweise Harry und auch ihn hatte ich meine Tränen und meine Trauer nicht sehen gelassen!
,,Ich habe dich überall im Schloss gesucht", begann er, ,,ich wollte nach dir sehen, weil ... na ja ..." Er zuckte hilflos mit den Schultern. Seine unausgesprochen Worte lagen schwer zwischen uns. Eine Weile lang herrschte Schweigen. ,,Ich-", er unterbrach sich, ,,wenn du irgendjemanden zum - ich weiß nicht - Reden brauchst oder-" Er fuhr sich mit der Hand durch die blonden Strähnen, ,,- einfach jemand, der ... du weißt schon ... da ist ... dann bin ich da."
Ich blinzelte. Das hatte ich nicht erwartet. Ich hatte mit einem gemurmelten ''Sorry" gerechnet, mit hohlen Beileidsbekundungen, die ich bereits von mehr als einem Dutzend Schüler gehört hatte, von denen ich die Hälfte nicht einmal beim Namen zu nennen vermochte. Aber ich hatte nicht mit echter Anteilnahme gerechnet. Er machte sich tatsächlich Sorgen, wie es mir ging. Das hatte ich bis jetzt nur von meinem Bruder erlebt.
,,Ich-", stammelte ich. Meine Stimme stockte. ,,Es ist einfach so-" Ich schüttelte den Kopf, presste mir die Hände an die Schläfen und schloss die Augen. Ich fand keine Worte. Nichts konnte ausdrücken, wie ich mich gerade fühlte, was ich gerade fühlte.
Ich hörte, dass er zögernd, fast schon schüchern näherkam. Er quetschte sich in einem Abstand von ein paar Zentimetern neben mich in die Nische und zog die Knie eng an den Körper. Er sagte nichts, er stellte keine Fragen, er versuchte nicht mich zu beruhigen. Dafür war ich ihm dankbar. Ich wollte jetzt nicht reden.
Ich vernahm das Rascheln von Kleidung, als er sich sachte bewegte und mit der Hand leicht über meinen Rücken fuhr. Dann zog er die Hand hastig wieder weg und saß einfach nur still neben mir, bis meine Tränen langsam verebbten.

Die Trauerfeier fand am Abend statt. Hogwarts war ein Meer aus schwarzen Umhängen, bedrücktem Getuschel und verweinten Augen. Ich betrat als eine der letzten die große Halle und einige Augenpaare wandten sich mir zu, nur um den Blick wieder verlegen in eine andere Richtung schweifen zu lassen. Es war ihnen unangenehm mich anzublicken, es war ihnen unangenehm mich so aufgelöst zu sehen. Verständlich. Mir gefiel es auch nicht, wenn man mich so sah.
Jaime drängelte sich von dem Tisch der Slytherins in meine Richtung. Bei mir angelangt, umarmte er mich kurz und drückte leicht meine Hand. ,,Wenn du es nicht mehr erträgst, können wir auch von hier verschwinden", murmelte er leise in mein Ohr. Ich schüttelte den Kopf. ,,Nein. Ich bleibe."
Mein Bruder nickte zwar auf diese Antwort, sein Blick war allerdings weiter sorgenvoll. Ich zwang mich zu einem tapferen Lächeln. Er durchschaute diese Fassade natürlich mühelos.
Ich ging zum Tisch der Gryffindors, wo ich auf Hermine, Harry und Ron traf. Hermine umarmte mich. ,,Es tut mir so leid", murmelte sie in mein Ohr. Ich versteifte mich. ,,Schon gut ..."
Das Getuschel verstummte aprupt, denn Dumbledore war von seinem hölzernen Thron aufgestanden. Der Stuhl erinnerte mich schmerzlich an die dritte Aufgabe. Der Professor hob in einer weiten Geste die Arme. ,,Vor ein paar Tagen ist unserer Schule ein schrecklicher Verlust wiederfahren. Cedric Diggory, ein Junge, den jeder hier tief geschätzt hat, ist gestorben. Er war mutig, tapfer und schlau. Und er war vor allem eines: Ein guter Freund."
Ich biss die Zähne zusammen und bohrte meine Fingernägel tief in das polierte Holz des Tisches. Ich merkte, dass mein ganzer Körper am Zittern war. Meine Finger pochten schmerzhaft.
,,Sein Tod hinterlässt eine Lücke in unserer Mitte, die nicht wieder aufzufüllen ist. Aber wir werden nie aufhören, uns an ihn zu erinnern, wie er gewesen ist, als er noch am Leben war. Er war ein Vorbild für alle Schüler, ganz gleich, zu welchem Haus sie gehören möchten." Dumbledore ließ seinen Blick über die versammelte Masse von Schülern schweifen. ,,Ihr alle nehmt Anteil an seinem Tod, egal ob Slytherin, Gryffindor, Ravenclaw oder Hufflepuff. Ob Beauxbatons oder Durmstrang. Und diese Gemeinschaft muss bestehen bleiben."
Applaus brandete auf, als sich Dumbledore auf seinem Stuhl niederließ. Auch ich klatschte, wobei ich merkte, dass meine Fingerkuppen blutig waren.
Nächstes Jahr würde sich einiges verändern. Es würde nicht mehr dieses leichte, beschwingte, unbeschwerte Schuljahr auf Hogwarts werden. Voldemort war zurück. Jaime und ich mussten Geheimnisse bewahren, selbst vor unseren engsten Freunden. Und ich hatte keinen Zweifel daran, dass Harry bereits jetzt zu erkunden versuchte, wer der mysteriöse ''Sohn" war.
Aber das war es nicht, was mir am meisten Angst machte: Voldemort hatte Jaime gegenüber versprochen, dass sie sich erneut begegnen würden. Und er hatte angedeutet, dass ich auch dabei sein würde.
Ich würde also dem dunkelsten Magier aller Zeiten begegnen: Meinem Vater.
Und in dem Moment, als ich auf meine blutigen Hände starrte und sich dieses mittlerweile vertraute Stechen in meinem Magen bildete, wünschte ich mir nichts sehnlicher, als Rache für Cedrics Tod zu nehmen.

So, das hier ist das letzte Kapitel dieses Teils. Alle Informationen zu dem neuen Teil werde ich im nächsten Kapitel veröffentlichen, wo ihr auch schon Vorschläge und Ideen miteinbringen könnt (ihr kennt das ja alles schon).

Seine Kinder (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt