Die unverzeihlichen Flüche

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Jaime

Am nächsten Tag würden wir zum ersten Mal Verteidigung gegen die dunklen Künste bei Moody haben. Ich fieberte diesem Fach schon mit einer aufgeregten Anspannung entgegen, schließlich würden wir von einem echten Auror unterrichtet werden! Moody wusste bestimmt das dreifache über die dunklen Künste als Lupin und Lockhart zusammen! Nun, Lockhart hatte eh nur Stroh im Kopf gehabt.
Lupin war wenigstens ein besserer Lehrer gewesen, der uns auch etwas beibringen konnte. Trotzdem hoffte ich, dass Moody dem Ganzen noch die Krone aufsetzen würde.
Allana hingegen sah dem kommenden Fach eher skeptisch gegenüber. Sie hatte von Amos Diggory schon einiges über Moodys angebliche Verrücktheit und seine aufkommenden Wutausbrüche gegenüber Ministeriumsangestellten gehört. ,,Er ist zwar ein Genie", hatte sie mir am Morgen erzählt, ,,aber die ganzen Verfolgungen der Todesser haben ihn ziemlich paranoid gemacht. Wusstest du, dass er einmal ein Muggelkind angegriffen hat, weil es ihn gefragt hat, ob sein künstliches Auge aus Plastik sei?!"
,,Vielleicht ist Plastik seine geheime Schwäche", witzelte ich.
Allana rollte darüber nur die Augen und ließ mich im Flur stehen.
,,Wir sehen uns gleich!", rief ich ihr nach, doch sie war schon um die nächste Ecke verschwunden.
Frauen.
Schulterzuckend machte ich mich auf dem Weg ins Klassenzimmer. Ein paar der Schüler waren schon dort, hauptsächlich Ravenclaws und Gryffindors. Die Slytherins hingegen kamen meistens immer kurz vor Unterrichtsbeginn und die Hufflepuffs tröpfelten immer in kleineren Grüppchen herein.
Ich ließ mich auf eine Bank in der ersten Reihe fallen und ignorierte die feindseligen Blicke der rotgekleideten Schüler. Gryffindor und Slytherin waren seit Jahren verfeindet, anders hingegen war unser Verhältnis mit den Ravenclaws geprägt; es war fast schon freundschaftlich zu nennen. Das lag wahrscheinlich daran, dass in beiden Häusern das Wissen an erster Stelle stand und sich die Grundsätze der Häuser somit gar nicht so sehr unterschieden, wie es zunächst den Anschein hatte. Wissen war Macht, dies war unser beider Leitfaden. Die Schlange war zwar listig, doch dafür war Klugheit vonnöten, wie auch bei der vermeintlichen Weisheit des Adlers.
Meine Schwester ließ sich neben mich nieder und schreckte mich so aus meinen Gedanken. ,,Er ist irgendwie gruselig, oder?", murmelte sie mir ins Ohr, denn gerade kam Moody hereingestampft und stieß die Tür grob hinter sich zu. Wir alle zuckten zusammen.
,,Sind Sie der gleichen Meinung, Gaunt?!", bellte dieser sofort und sah mich durch sein rotierendes Auge unheilvoll an. Allana lief aprupt rot an.
,,Ähm", meinte ich zögernd, ,,ich denke, das kann ich erst in den kommenden Tagen beurteilen."
Zu meiner Erleichterung nickte Moody nur grimmig und kritzelte einen unsauberen Satz an die Tafel. Nun, eigentlich waren es nur zwei Wörter: ,,Immer wachsam!!" Er starrte uns einige Sekunden lang an, bevor er weitersprach. ,,Die Welt da draußen ist nicht gut, Nein! Im Gegenteil! Überall lauern Gefahren und dafür seid ihr hier!" Er klopfte mit dem knochigen Zeigefinger zur Verdeutlichung mehrmals laut auf das Pult. ,,Ihr müsst vorbereitet sein! Ihr müsst wissen, was euch erwartet!!"
Wir saßen stocksteif da und und lauschten gebannt seiner kleinen Rede. ,,Das Ministerium will nicht, dass man euch sowas beibringt - ich sag' was anderes!" Er schwieg für einige Sekunden und als er wieder zum Sprechen ansetzte, war seine Stimme erstaunlich neutral. ,,Nun, wer von euch kann mir sagen, was die unverzeihlichen Flüche sind, mhm?" Sein magisches Auge blickte uns alle der Reihe nach an.
Verschwörerische Blicke wurden ausgetauscht. Die unverzeihlichen Flüche waren fast allen aus Geschichten von Voldemorts Herrschaft bekannt, aber sie waren ein Tabu-Thema. 
Auch ich musste zugeben, dass ich mich davor scheute, mich zu melden. Diese Flüche wurden nicht umsonst unverzeihlich genannt... zu viele Unschuldige waren dadurch schon zu Schaden gekommen.
Meine Gedanken flogen wieder zu der albtraumhaften Nacht vor etwa dreizehn Jahren zurück, als ich zum ersten Mal einen solchen Fluch gehört hatte. Es war der Cruciatus-Fluch gewesen und mein Vater hatte damit meine Mutter gefoltert... Schon allein bei dem Gedanken daran wurde mir flau im Magen und meine Hände fingen an zu zittern.
Mittlerweile hoben sich bereits mehrere Arme, darunter auch der von Ron Weasley. Zum Teil wünschte ich mir, dass sich einfach niemand melden würde, dann würden wir eventuell ein anderes Thema besprechen.... Aber das würde nicht geschehen.
Moody deutete auf Weasley, welcher sogleich schluckte. ,,Da gibt es den Imperius-Fluch. Mein Vater hat mir mal davon erzählt..."
Moody nickte heftig. ,,Korrekt!" Er langte unter den Tisch und zog ein staubiges Glas mit drei Spinnen hervor. ,,Komm her, Kleine", murmelte er und fischte eine von ihnen heraus. ,,Imperio!", rief er. Zugleich begann die Spinne auf ihren acht Beinen ein Rad zu drehen. Die Klasse lachte laut auf.
,,Ja, das ist sehr unterhaltsam", meinte Moody entspannt, ,,aber was, wenn ich sie dazu bringe auf euch herumzukrabbeln? In euren Schlafanzug zu kriechen? Morgen in euer Glas mit Kürbissaft zu fallen?"
Allana schauderte neben mir und auch mich überfiel der Ekel.
,,In Zeiten, wo Du-weißt-schon-wer an der Macht war, konnte man niemanden mehr trauen! Jeder war ein möglicher Spion, jeder könnte unter dem Einfluss des Imperius-Fluches stehen!" Er rümpfte die Nase. ,,Natürlich war es enorm zeitaufwendig die verschiedenen Leute zu überprüfen und man konnte nie sicher sein, ob nicht vielleicht doch ein Todesser in der Cantina neben einem saß..."
Das musste zu der Zeit dem Ministerium ganz schön den Verstand geraubt haben.
Moody ging mit schweren Schritten auf Neville Longbottom zu, der mit zitternden Fingern die Hand hob. Seine Augen waren unnatürlich weit aufgerissen, sein Adamsapfel hüpfte nervös auf und ab. ,,Der Cruciatus-Fluch", flüsterte er beinahe unhörbar.
Eine kalte Hand der Angst schloss sich um mein Herz. Ich wollte den nächsten Fluch nicht sehen, wollte nicht die Qualen der Spinne miterleben, wollte nicht wieder alles durchleben.
Moody nickte grimmig und holte die zweite Spinne aus ihrem Behälter. ,,Man versteht die Wirkung besser, wenn das Tier etwas größer ist", erklärte er. ,,Engorgio!" Die Spinne hatte jetzt etwa die Größe meines Handtellers und krabbelte über den Tisch. Moody zückte den Zauberstab erneut und tippte die Spinne an. ,,Crucio!" Die Spinne begann sich zu krümmen. Ihre acht Beine zitterten und sie schien zu versuchen sich mit ihnen vor dem Fluch zu schützen. Wenn das Tier eine Stimme gehabt hätte, so hätte es bestimmt geschrien. Es hätte geschrien, so wie meine Mutter geschrien hatte. Moody hatte den Blick auf die zuckende Spinne gerichtet, sein Blick war unnachgiebig. Wie der Blick meines Vaters gewesen wäre...
Die Spinne schien jetzt keine Kraft mehr zu haben. Keinen Willen mehr. Nur noch eine leere Hülle. Leblos.
Ich versuchte meinen Blick von der Spinne zu lösen, aber das Bild brannte sich in meinen Kopf ein.
Jetzt krümmte sich die Spinne wieder schwach, hoffte vielleicht diese Qualen und den Schmerz irgendwie zu beenden, koste es, was es wolle. Aber sie war nicht stark genug. Meine Mutter war nicht stark genug gewesen.
Mir war entsetzlich übel. Meine Augen immer noch auf die Spinne geheftet. Ein ersticktes Geräusch, fast schon ein Wimmern kam aus meinem Mund. Sofort verlagerte sich die Aufmerksamkeit der anderen Schüler auf mich. Normalerweise zeigte ich eher selten Gefühle, meistens hatte ich nur einen neutralen Gesichtsausdruck aufgesetzt. Jetzt erhaschten sie einen winzigen Blick hinter meine Maske. Ich wollte es nicht! Und das war der Moment, in dem Allana sich einmischte. ,,Hören Sie auf damit!", brüllte sie den Lehrer an, ,,SOFORT!" Ihre Augen blitzten wütend, ihr Gesicht war fiebrig. Ich hatte meine Schwester noch nie so zornig erlebt.
Langsam wurden die noch zuvor unkontrollierten Bewegungen der Spinne wieder normal.
Erst jetzt fiel mir auf, dass ich meine Fäuste geballt hatte. Die Fingernägel bohrten sich in die Haut. Mein Atem ging schnell, als wäre ich gerade einen Marathon gelaufen. Ich wollte nicht, dass man mich so sah! Ich wollte nicht, dass irgendjemand außer meiner Schwester mich so sah!
Allana berührte unter dem Tisch sachte meine Hand. Es hatte etwas tröstendes, etwas beschützendes an sich. Ich schloss für einen Moment die Augen, versuchte all meine Emotionen zur Seite zu wischen. Dann öffnete ich behutsam die Augen. Sah Allana an. Sie nickte knapp. Ich hatte meine Maske wieder aufgesetzt, beobachtete die Szene jetzt nur noch aus der Distanz. Ohne Gefühle.
,,Vielleicht können Sie uns den letzten unverzeihlichen Fuch nennen, Miss", meinte Moody merkwürdig sanft. Sie starrte ihn nur zornig an. Dann schien sie sich an ihre emotionale Maske zu besinnen. Ihr Gesichtsausdruck wurde kühl, höflich, distanziert. ,,Avada Kedavra", sagte sie tonlos.
Moody nickte knapp. ,,Avada Kedavra! ", donnerte er, den Zauberstab auf die Spinne gerichtet. Ein grüner Lichtblitz schoss hervor. Die Spinne bewegte sich nicht mehr.
,,Der tödliche Fluch", erklärte Moody. ,,Es gibt nur eine Person, der diesen Fluch überlebt hat. Und der sitzt hier vor mir." Er schaute zu Harry Potter, der noch immer die toten Überreste der Spinne ansah. Dieser berührte offenbar ohne es zu merken, seine Narbe.
Neville schniefte leise.
,,Gaunt, seien Sie so freundlich und bringen Sie Longbottom in den Krankenflügel."
Neville bedachte mich mit einem ängstlichen Blick, empfand mich aber offensichtlich nicht als so furchteinflößend wie Moody.
,,Komm jetzt", murmelte ich zu Longbottom, der eine Ewigkeit zu brauchen schien, bis er aufgestanden war. Dabei stützte er sich leicht auf mich.
,,Gut, der Rest von euch wird jetzt lernen, den Imperius-Fluch zu widerstehen", hörte ich Moody sagen. ,,Alle der Reihe nach aufstellen", brüllte er noch, dann fiel die Tür hinter mir uns Schloss und ich stand alleine mit Neville im Flur.
Eine Weile lang legten wir den Weg zum Krankenflügel in Schweigen zurück. ,,Warum hast du so reagiert?", fragte mich Neville schließlich behutsam, ,,bei mir war es so wegen meinen Eltern, sie-"
Ich unterbrach ihn brüsk. ,,Hör zu, Longbottom. Es ist mir egal, welche Erinnerungen du damit verbindest, ich will es nicht wissen, okay?! Also misch dich nicht in meine Angelegenheit ein!" Meine Stimme klang so wie die eines normalen Slytherins: kalt, hochmütig und abwertend. Die perfekte Maske. Ich war zufrieden mit mir.
Nevilles Miene sackte ein wenig in sich zusammen. ,,Ich verstehe", murmelte er leise. Dann war er still.

Seine Kinder (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt