Duell der Zwillinge

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Miss me? :)

Jaime

Ich öffnete die Augen. Es war als würde ich aus einem Traum erwachen.
Ein entspannter Atemzug. Unendliche Gelassenheit. Ruhe. Frieden.
So ausgewogen war mein Körper schon lange nicht mehr gewesen. Ständig hatte ich mir Sorgen gemacht, immer hatten Probleme wie eine unsichtbare Last auf meinen Schultern gelegen. Doch nicht jetzt. Meine Befürchtungen waren verschwunden, ebenso wie meine Panik und die Angst.
Es ist alles gut.
Es war die Wahrheit. Es war alles gut. Ich brauchte mich nicht mehr zu fürchten, denn es gab nichts mehr zu fürchten. Da war nichts, das mir noch Angst machte.
Ich war frei. Frei von allen Sorgen, frei von der drückenden Furcht, frei von der quälenden Angst. Frei von meinen Gedanken.
Meine Mundwinkel hoben sich und ich lachte glücklich.

Allana

Mein Bruder öffnete die Augen. Sie strahlten so hell wie schon lange nicht mehr. Er stand da, vollkommen ruhig und gelassen und entspannt. Aber verändert. Sein Gesicht war merkwürdig starr, ohne eine einzige Regung. Und seine Augen ... Es war mir zuerst noch gar nicht richtig aufgefallen, aber sie glänzten kalt. Kalt und tot.
Und dann verzogen sich seine Mundwinkel zu einem höhnischen Feixen. Sein Lachen jagte mir Schauer über den Rücken. Die winzigen Härchen an meinen Armen stellten sich auf. Das Lachen war wie seine Augen. Ohne Leben. Und voller Wahnsinn.
,,Jaime ...", begann ich, doch er hörte mir gar nicht zu. Seine Hand mit dem Zauberstab hob sich. Ich hatte mir noch nicht einmal einen Zauber überlegt. Meine einzige Waffe lag nutzlos zu Boden gerichtet in meiner Hand. Mir blieb nur eine Wahl. Ich machte einen Hechtsprung zur Seite und landete mit dem Bauch auf dem Tisch der Slytherins. Ich hörte Geschirr klirren und Gläser zerbrechen. Scherben bohrten sich in die ungeschützte Haut meiner Arme und meines Gesichtes.
Splitter und Staub stoben nur wenige Zentimeter von mir entfernt auf. Jaimes Zauber hatte mich knapp verfehlt. Ich rollte mich über den Tisch und knallte auf der anderen Seite auf die Bank. Ich holte zischend Luft.
Trotzdem befand sich jetzt wenigstens ein Hindernis zwischen meinem Bruder und mir. Ein anderer Zauber traf mitten in das Geschirr und Scherben stoben auf. Schützend bedeckte ich das Gesicht mit den Armen.
Ich lugte über die Kante des Tisches und feuerte einen Stupor auf Jaime ab. Seine Augen verengten sich zwar kurz, er wehrte meinen Fluch aber mit einem Schildzauber ab. Dann setzte er nach und ich musste mich hastig ducken. Er hatte mich erneut verfehlt.
Ich wusste, dass Jaime mehr Zaubersprüche und Flüche beherrschte als ich. Außerdem waren gerade jegliche Skrupel von ihm abgefallen. Er dachte nicht mehr nach, sondern handelte einfach. Der Imperius-Fluch hatte seine Hemmschwelle für Gewalt ausgeschaltet. Sie existierte praktisch nicht mehr. Ich hingegen konnte noch nicht einmal das ständige Zittern in meiner Hand ausschalten.
Ein erneuter Zauber ließ mich zusammenzucken. Kurz überlegte ich, ob ich einfach mit gleicher Macht zurückschlagen sollte, aber ich könnte ihn ernsthaft verletzen. Wenn ihm etwas zustoßen würde ...
Ich brachte es nicht über mich. Ich konnte doch nicht meinen eigenen Bruder verletzen! Eine brodelnde Wut stieg in mir auf ließ mich angestrengt keuchen. Was war das für ein sadistischer Plan!
Der Angreifer hatte Jaime befohlen gegen mich zu kämpfen, er hatte Jaime den Imperius-Fluch aufgezwungen. Was für ein kranker Mensch tat soetwas!? Er ließ uns beide vielleicht auf Leben und Tod gegeneinander kämpfen, weil ...
Warum eigentlich? Was erhoffte er sich davon? Oder handelte er einfach nur aus simpler Perversion und Vergnügen?
Ich duckte mich erneut unter den Tisch. Splitter rieselten auf mich hinab.
Gleichzeitig lernte ich noch etwas über unseren Angreifer: er musste uns kennen. Er musste wissen, dass Jaime in der Stunde der Unverzeihlichen Flüche zusammen mit Neville nicht da gewesen war. Denn sonst hätte mein Bruder bereits Erfahrung mit dem Fluch gehabt und ihm wenigstens teilweise widerstehen können.
Ich hörte das Knarzen von Holz und drehte mich blitzschnell um. Jaime hatte sich mit einer Hand über den Tisch geschwungen und grinste mich nun bösartig an. Er stand genau vor mir. Sein Zauberstab hob sich ...
Mir blieb nur eine Millisekunde Zeit zum Handeln. So viel Zeit genügte nicht, um einen Schildzauber zu errichten.
Ich nahm all meine Kraft zusammen und schlug ihm mit der geballten Faust ins Gesicht, direkt zwischen Nase und Auge. Er zuckte zurück und berührte mit der Hand sein Nasenbein. Es war geschwollen. An seiner linken Augenbraue tröpfelte aus einem Riss Blut seine Schläfe hinunter. Beinahe verächtlich wischte er es weg. Seine Augen glitzerten wie Eis. Er schlenkerte locker mit dem Zauberstab in meine Richtung und murmelte ein paar Worte. Im selben Augenblick wurde ich von einer unsichtbaren Kraft mehrere Meter durch die Luft geschleudert und zu Boden geworfen. Mühsam rappelte ich mich auf. Er kam immer näher und schwang dabei seinen Zauberstab, um Bänke und Stühle wegzudrücken, die es ihm verhinderten, dass er sich einen Weg zu mir bahnte. Langsam und unerbittlich näherte er sich mir, den Zauberstab im Anschlag.
Ich schluckte mühsam. Dann hob ich die Hände. ,,Ich ergebe mich", flüsterte ich schwach. ,,Bitte."
Er neigte leicht den Kopf zur Seite. Er schien nicht genau zu wissen, was er jetzt tun sollte. Damit hatte er wohl nicht gerechnet. Doch diese kleine Unachtsamkeit reichte mir völlig. Ich schwang meinen Zauberstab, den ich noch immer in der Hand hielt, und rief einen starken Zauber. Jaime flog nach hinten und landete mit dem Körper auf dem Podium der Lehrer. Ich wollte ihm nachsetzen, doch er hechtete hinter Dumbledores schimmernden Thron. Nun stand ich vollkommen ungeschützt da.
,,Protego!", rief ich in Erwartung, dass Jaime gleich ein Arsenal an Flüchen in meine Richtung schicken würde. Ich wurde nicht enttäuscht. Ein Zauber nach dem anderen prasselte zischend durch die Luft und mein Schild geriet ins Wanken. Lange würde er den Zaubern nicht standhalten können. Ich suchte Deckung hinter einer Bank.
,,Halt", rief da plötzlich eine herrische Stimme. Jaimes Zauber stoppten abrupt. Ich sah mich in der zerstörten Halle um. Wer hatte das gesagt? Und wo steckte er? Diese Antwort ergab sich wie von selbst, denn plötzlich wehte das Banner der Slytherins wie von einem mächtigen Windhauch zur Seite. Es offenbarte den Blick auf einen Mann, der sich dahinter verborgen hatte. Er war noch jung und besaß dunkelblondes, vielleicht auch braunes Haar, das im Licht der Fackeln jedoch heller glänzte, als es eigentlich war. Er trug schwarze Kleidung und einen abgetragenen Umhang. Er lächelte grimmig. ,,Zeit diesen kleinen Wettkampf zu unterbrechen, findest du nicht auch? Wir haben noch so viel vor."
Schlagartig wusste ich, wer er war, auch wenn ich sein Gesicht bisher nur undeutlich gesehen hatte. ,,Sie sind der Todesser von der Weltmeisterschaft. Sie haben Jaime angegriffen!"
Er nickte leicht. ,,Stimmt genau." Er murmelte etwas und ehe ich auch nur Blinzeln konnte, war der Zauberstab auch schon aus meiner Hand gerutscht. Er fing ihn elegant auf. Dann sah er sich kurz um. ,,Wenn du aus diesem Raum einen Gegenstand für einen Portschlüssel brauchst, welchen würdest du wählen?"
Ich blinzelte. Ich hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit. ,,Was?", platzte es aus mir heraus. Er seufzte genervt. ,,Diggory, ich weiß, du bist intelligent, du musst also nicht nachfragen." Er ging mit lockeren Schritten zu dem Thron von Dumbledore. ,,Wie wäre es hiermit? Es hat das gewisse Etwas, findest du nicht auch? Und es ist zugegeben makaber, dass Dumbledores Thron sozusagen der Weg ist, der zu dem dunklen Lord führt..."
Mich erfasste Übelkeit. Sie zwang mich in die Knie, zog mich mit ihrem gesamten Gewicht nach unten. ,,Dunkler Lord? Das heißt, Sie sind wahnsinnig genug den größten Massenmörder Großbritanniens aufzuwecken?!"
,,Nicht wahnsinnig", korrigierte er mich, ,,nur treu."
Wir hatten mit unserer Theorie also doch Recht gehabt. Eine seltsame Mutlosigkeit ergriff mich, gepaart mit Verzweiflung. Voldemort würde auferstehen und wir hatten es passieren lassen. Es würde unsere Schuld sein. Alle Verbrechen, die er begehen würde, alle Morde. Alles.
Die Welt begann sich vor meinen Augen zu drehen. ,,Und warum?", presste ich hervor, ,,warum braucht er Jaime?"
,,Es ist ein Blutzauber", erklärte der Mann. Er winkte Jaime zu sich, der ihm gehorchte wie ein Hund. ,,Setz' dich auf den Thron."
Jaime setzte sich. Er saß starr auf Dumbledores Thron, wie aus Stein gehauen. Seine Arme lagen auf den goldenen Armlehnen, sein Rücken war gerade, seine Füße parallel. Sein Zauberstab lag noch immer in seiner Hand.
,,Jaime", meinte ich leise, ,,du kannst das stoppen, weißt du. Du musst nichts anderes tun, als zu denken, das tust du den ganzen Tag!" Das hier war die letzte Chance, um Jaime von dem Imperius-Fluch zu befreien. Er musste sich nur daran erinnern, wer er war! Falls er es nicht tat ... dann würde Voldemort zurückkehren. Wegen uns. Es würde unsere alleinige Schuld sein. Alles.
Seltsamerweise unternahm der Todesser keinen Versuch, mich daran zu hindern mit Jaime zu sprechen. Vielmehr musterte er die Situation mit einigem Interesse.
Mein Bruder blickte mich nur ausdruckslos an.
,,Warum sitzst du auf Dumbledores Thron?", versuchte ich ihm zum Nachdenken zu bewegen. Er musste an der Richtigkeit seiner Handlung, an der Logik zweifeln. ,,Warum stehst du nicht einfach auf? Warum gehst du nicht einfach zu mir?"
Jaime runzelte leicht die Stirn.
Eine winzige Falte bildete sich zwischen seinen Augenbrauen.
Er blinzelte.
Sein Blick klärte sich.
Erleichterung durchzuckte mich. Wir hatten eine Chance, eine minimale, winzige Chance. Wenn ich Jaime dazu bringen konnte seinen Zauberstab gegen den Todesser einzusetzen ...
Wir konnten es schaffen. Wir mussten!
Der Todesser schnalzte mit der Zunge. ,,Nicht schlecht. Wirklich nicht schlecht. Ich muss zugeben, ich bin beeindruckt."
Jaime bewegte sich auf dem Thron. ,,Al", murmelte er mit seltsam brüchiger Stimme. Seine Hand mit dem Zauberstab zitterte unkontrolliert. Sein Gesicht glänzte schwitzig. ,,Hilf mir."
Panik schwang in seinen Worten mit. Er versuchte sich gegen den Fluch zu wehren, aber er war entweder nicht stark genug dafür oder der Fluch war zu mächtig.
Aber ich konnte ihm nicht helfen. Ich war unbewaffnet, allein und wehrlos. Der Todesser stand zu weit weg, um ihn angreifen zu können, Jaime war ebenfalls mehrere Meter entfernt. Es gab nichts, was ich tun könnte. Noch nie zuvor hatte ich mich so machtlos, so hilflos gefühlt. Ein Nichts.
Ich war unfähig meinen eigenen Bruder zu retten.
Diese Erkenntnis schmerzte schlimmer als jede Wunde an meinem Körper.
Und ich musste mir eingestehen, dass meine kurze Euphorie nur eine Illusion gewesen war, ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit. Wir hatten gegen diesen Mann keine Chance. Er hatte das alles über Monate geplant, Voldemort selbst vielleicht sogar über Jahre hinweg. Keiner von ihnen würde es zulassen, dass jemand ihre Pläne durchkreuzte.
Das war es, was mir am meisten zusetzte. Von Anfang an war unsere Niederlage unvermeidlich gewesen, egal wie sehr wir uns gewehrt hatten, egal welche kleinen Erfolge wir gefeiert hatten, egal wie sicher wir uns gefühlt hatten. Letztendlich hatte das alles keine Bedeutung mehr.
Der Todesser hob seinen Zauberstab und tippte einmal gegen den Thron. Dabei murmelte er den Zauber, der diesen in einen Portschlüssel verwandelte.
Ich sah nur noch Jaimes bleiches Gesicht, der die Stuhllehne so fest umklammerte, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Dann löste er sich in einen Wirbel aus Farben auf.

,,NEIN!", schrie ich und wollte nach ihm greifen. Doch ich fasste nur Luft.
Für einen Moment lang schloss ich die Augen. Versuchte auszublenden, was gerade geschehen war. Es gelang mir nicht. Vielleicht war das gerade meine letzte Begegnung mit Jaime gewesen. Vielleicht war dies das letzte Mal, dass ich Jaime lebendig sah. Vielleicht würde ich ihn nie wieder sehen. Dieser Mann hatte gerade sein Todesurteil unterschrieben.
Das Blut pochte durch meinen Körper. Mein ganzer Körper schien in Flammen zu stehen. Ich war rasend vor Verzweiflung. Verzweiflung und brodelnden Zorn. ,,Ich hasse Sie!", spuckte ich aus. ,,Ich hasse Sie über alles! Jemand wie Sie verdient es nicht am Leben gelassen zu werden! Und ich schwöre, das werden Sie auch nicht!"
Der Todesser blieb ganz ruhig. ,,Es ist mir egal, was mit mir geschieht. Ich habe meine Aufgabe erfüllt. Der Dunkle Lord wird auferstehen und mich für das belohnen, was ich getan habe. Ich werde sein wertvollster Diener sein!" Seine Augen hatten einen fantastischen Glanz angenommen, seine Stimme überschlug sich fast vor Begeisterung.
In mir machte sich Entsetzen breit. Entsetzen und Hass. Ich war mir nicht sicher, ob ich jemals einen so starken Hass gegenüber einer Person gehegt hatte. Ich wollte ihm wehtun. Ich wollte ihm Schaden zufügen, egal wie oder was. Das war im Moment mein einziger Gedanke.
Der Todesser blickte einmal nachdenklich auf die leere Stelle, auf der sich eben noch der Thron befunden hatte und fasste sich an den Unterarm. Ich wusste, dass dort das Dunkle Mal in seinen Arm eintatooviert war. ,,Ich sollte ein wenig für Ordnung sorgen, nicht war?", bemerkte er mit einem nachlässigen Blick auf die zerstörte Halle. Er schwang den Zauberstab. Die Splitter fügten sich wieder in Bänke und Stühle ein, die unzähligen Scherben bildeten sich zu Gläsern. Die Brandspuren verschwanden wie von Geisterhand. Die von Jaime weggeschobenen Tische und Stühle rückten wieder an ihren Platz.
Das einzig auffällige war, dass Dumbledores Thron verschwunden war. Sonst deutete nichts mehr darauf hin, was eben geschehen war. Es schien fast, als hätte es nie existiert. Ich sah zum Podest der Lehrer. Fast.
Der Todesser strich seinen Umhang zurecht und steckte seinen Zauberstab sorgfältig in die Falten seines Umhangs. Nun hielt er nur noch meinen Zauberstab in der Hand. ,,Der Dunkle Lord scheint deinen Tod nicht zu wollen und ich stelle seine Entscheidung nicht in Frage. Aber wenn du mich angreifst, garantiere ich für nichts mehr." Er ging zum Eingang der Großen Halle und öffnete die Tür mit einem Schlenker des Zauberstabes. Dann ging er hindurch. Mein Zauberstab fiel klappernd zu Boden. Sonst war kein Geräusch zu hören. Ich wartete noch drei Sekunden, dann hetzte ich zu meiner Waffe und rannte in den Flur, den Zauberstab im Anschlag. Doch es war niemand zu sehen. Der Todesser war verschwunden.
Ich ließ mich mutlos gegen die Wand sinken. Niemand würde mir glauben, wenn ich erzählte, was gerade geschehen war. Niemand. Oder vielleicht doch ... Es war ein Schüler verschwunden, ebenso Dumbledores Thron ...
Ich schüttelte den Kopf, mein plötzlicher Optimismus verflog. Es waren zu wenige Beweise.
Aber vielleicht könnte ich Dumbledore überreden die dritte Aufgabe abzubrechen ... Jaime hatte vermutet, dass Harry ebenfalls etwas mit Voldemorts Auferstehung zu tun haben würde. Vielleicht konnte ich wenigstens ihn retten.
Ich nahm meine verbliebene Kraft zusammen und rannte aus dem Schloss, in Richtung Quidditch-Feld.

Seine Kinder (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt