Rache?

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Allana

,,Du weißt, wo er ist, oder?"
Mein Bruder nickte knapp. ,,Vor dem Büro des Zaubereiministers." Dann schwieg er kurz. Ich wusste, was nun kommen würde.
,,Al ... wir sollten es lieber nicht machen. Die Chance entdeckt zu werden ist viel zu groß ... und wenn wir es tun ... wir können es nicht mehr ungeschehen machen!"
Es waren nun zwei Tage vergangen, seit Cedric gestorben war. Ich hatte seitdem nicht mehr schlafen können. Oder ... ich konnte schlafen, aber immer wieder wachte ich nachts schweißnass auf. Es war, als wäre ich nicht einmal im Schlaf vor der grausamen Wahrheit sicher: Voldemort war unser Vater.
Harry war ebenfalls noch im Krankenflügel und ich hatte ihn im Schlaf schreien hören. ,Lass Cedric leben!', wieder und immer wieder. Es war grauenvoll. Ich hatte es nicht hören wollen. Ich hatte meinen Kopf unter dem Kissen vergraben, aber auch wenn es dann gedämpft klang, war es nicht zu überhören. Ich hatte die Augen zusammengekniffen, bis mir die Tränen kamen, um die furchtbaren Bilder zu vertreiben, die sich vor meinem inneren Auge gebildet hatten. Aber die Schreie hatten mich in meine Albträume verfolgt. Sie waren zu Cedric geworden, der leblos im Staub lag.
Du hättest ihn retten können, hatte eine Stimme immer wieder aus der Dunkelheit gesagt, du hättest ihn retten können ...
Aber ich hatte ihn nicht retten können und das schmerzte tausendmal schlimmer, als die Wahrheit über Voldemort zu wissen.
Jaime schaute mich besorgt an. ,,Du siehst nicht gut aus. Bist du sicher, dass-"
,,Ja", unterbrach ich ihn, obwohl ich vielmehr das Gegenteil fühlte. Heute würden wir eine schreckliche Tat begehen. Wir würden ein Leben zerstören.
Ich hatte mir die letzten Tage eingeredet, dass er es verdient hatte. Harry hatte mir erzählt, dass der wahre Name des Todessers Barty Crouch Jr. sei, und er maßgeblich für eine Reihe von Verbrechen verantwortlich war. Deshalb hatte man ihn nach Askaban gebracht. Er hatte nach Voldemorts Befehl gehandelt und war über Leichen gegangen, um seine Ziele zu erreichen. Wortwörtlich. Er hatte es verdient.
Außerdem war er eine Gefahr für uns. Wenn er mit irgendjemandem darüber sprechen würde, dass er Jaime mit einem Portschlüssel zum Friedhof geschickt hatte und ich dabei gewesen war ... Unser sorgfältig ausgebautes Geflecht aus Lügen und Verheimlichungen würde wie ein Kartenhaus in sich zusammenstürzen und uns unter sich begraben.
Und dann war da noch Cedric ... Ohne des Plan des Todessers, ohne Voldemorts Plan hätte er leben können. Er wäre hier bei mir gewesen ... Aber er hätte versucht, mich von meinem Vorhaben abzuhalten. Er könnte es nicht ertragen ... was ich gerade zu tun gedachte. Ich würde ihn enttäuschen. Nein, mehr noch, ich würde ihm Angst einjagen.
In gewisser Weise war es vielleicht sogar gut, dass er jetzt nicht hier war: ich würde ihm nie mehr unter die Augen treten können.
Ich schluckte mühsam. Jaime schaute mich noch immer besorgt an. ,,Hör zu. Ich weiß, dass wir den Todesser loswerden müssen ... aber nicht auf diese Weise. Du hast doch mitbekommen, was Lupin letztes Jahr darüber gesagt hat, oder? Willst du ihm das wirklich antun?"
Was würde Cedric dazu sagen?
,,Ich-", stammelte ich, ,,ich will doch nur, dass er fühlt, was ich gerade fühle ... all diesen Schmerz ... er soll wissen, was er mir angetan hat."
Jaimes Stimme klang eigentümlich sanft, als er mir antwortete: ,,Nicht der Todesser hat das getan. Es war Voldemort."
Mir fiel darauf keine Erwiderung ein. Ich schluckte mühsam. ,,Bringen wir es einfach hinter uns."

Jaime

Mein Atem ging immer schneller, desto näher wir unserem Ziel kamen.
Allanas Plan war gut durchdacht. Niemand würde wissen, wer es getan hatte. Wenn wir Glück hätten, würde man sogar glauben, dass es eine Reihe von Zufällen gewesen war.
Aber nicht einmal der Todesser hatte das Schicksal verdient, das meine Schwester für ihn ausgewählt hatte. Schon bei dem Gedanken daran ... Ein eiskalter Schauer überlief mich. Ich hatte letztes Jahr einen winzigen Bruchteil davon erlebt, aber den Rest seines Lebens ... Diese Vorstellung war einfach grauenvoll.
Ich atmete tief durch und konzentrierte mich auf die bevorstehende Aufgabe. Ich durfte jetzt keine Angst verspüren. Das wäre fatal.
Meine Hand, die den Zauberstab umklammerte, war schwitzig. Ich wischte sie an dem Zipfel meines Umhangs ab. Es durfte jetzt kein Fehler passieren.
Die letzten Tage hatte ich den Zauber dutzende Male ausgeführt, mal mehr, mal weniger erfolgreich. Aber es war trotzdem kein Vergleich zu dem, was uns gleich erwarten würde. Ein Gefühl von Verzweiflung ergriff von mir Besitz. Mir war kalt. Ich würde es nicht schaffen, ich war nicht stark genug!
Allana ergriff ihren Zauberstab. Ihre Hand zitterte etwas, aber sie schaffte es, dass ihre Stimme vollkommen ruhig klang. ,,Fühlst du es auch? Wir sind nah dran."
Ja, ich fühlte es. Die Verzweiflung, die Hoffnungslosigkeit nahm zu. Als wäre sämtliches Glück verschwunden ...
Er stand vor der Tür, die zu den Räumen führte, in denen sich Cornelius Fugde, der Zaubereiminister gerade aufhielt. Gleichzeitig bewachte er auch Barty Crouch Jr. , dessen vorläufiges Gefängnis sich nur ein paar Meter weiter rechts befand.
Der Anblick des Dementors war noch immer fürchterlich. Er schien die Dunkelheit in Person zu sein. Der schwarze Umhang verdeckte den größten Teil seines Körpers, die Kapuze ließ nur seinen schlundartigen Mund frei ... Nur mit Mühe unterdrückte ich den Drang wegzurennen. Alles in mir schrie danach so schnell wie möglich zu flüchten. Hauptsache weg von diesem bösartigen Geschöpf.
Allana berührte meinen Arm. ,,Tu es. Jetzt." Sie hatte die Augen geschlossen, ihr Gesicht war zu einer Grimasse verzerrt. Eine Träne rann ihre Wange herunter.
Sie war gerade ein leichtes Opfer für den Dementor. All die Dinge, die sie in den letzten Tagen erlebt hatte ... es machte den Dementor nur noch stärker.
Und ich ... es war, als würden die letzten Tage noch einmal Revue passieren. Ich spürte noch einmal die Panik, die mich überrollt hatte, als ich auf dem Friedhof angekommen war ... die stumme Trauer und Verzweiflung nach Cedrics Tod ... der Schock, als ich herausgefunden hatte, wer Tom Riddle wirklich war ... und dieses an mir nagende Gefühl der Schuld. Wegen dir ist Voldemort wieder da. Wegen dir ist Cedric tot. Wegen dir leidet Allana.
Ich hob meinen Zauberstab und presste die Augen zusammen. Blendete die kalte Präsenz und die Wirkung des Dementors so gut wie möglich aus. Versuchte mich ganz auf meine glücklichsten Erinnerungen zu konzentrieren. Hermine und ich am Tag des Weihnachtsballs ... Allana und ich während der Ferien bei ihr Zuhause ... ,,Expecto Patronum", murmelte ich. Der leuchtende Fuchs brach aus der Spitze meines Zauberstabs hervor. Sofort durchflutete mich eine Welle der Wärme, die ich schon eine ganze Weile lang nicht mehr gespürt hatte. Aber ich hatte keine Zeit, um mich darüber zu freuen. Jetzt hing alles von meiner Kontrolle ab. Ich steuerte den Patronus langsam in die Richtung des Dementors, so dass er zurückgedrängt wurde. Immer weiter. Genau in die Richtung von Crouch Jr's. Zelle.
,,Öffne die Tür", meinte ich gepresst zu Allana, die sofort gehorchte. Sie tippte mit dem Zauberstab das Schloss an. Die Tür schwang auf.
Barty Crouch Jr. halb lag, halb saß im hinterem Teil des Gefängnisses. Seine Hand- und Fußgelenke waren mit eisernen Ketten fixiert, die ihm nur einen geringen Bewegungsfreiraum ermöglichten. Die Ketten waren im Boden verankert, weswegen er sich in keine senkrechte Position bewegen konnte.
Als wir durch die Tür traten, schaute er auf. Sein Gesicht war sehr bleich und seine Haare schmutzig und verfilzt. Seine Augen hingegen schimmerten wach und hell. Sie weiteten sich, als er den Dementor erblickte, doch ansonsten blieb er ruhig. ,,So sieht man sich wieder." Seine Stimme klang kratzig.
Allana trat einen Schritt näher an ihn heran. ,,Offensichtlich."
,,Haben Sie Dumbledore etwas über uns erzählt?", wollte ich grob wissen.
Der Todesser warf mir einen kurzen Blick zu. ,,Nein." Er wandte sich wieder an Allana. ,,Was willst du hier, Mädchen? Die Sache geht nur Mr Gaunt und mich etwas an."
Er schien nicht zu wissen, dass wir verwandt waren ... Das war gut. Je weniger Gefolgsleute Voldemort über uns eingeweiht hatte, desto besser. Was wusste er überhaupt über uns? Wie viel hatte Voldemort ihm verraten?
Allanas Augen blitzten hasserfüllt. ,,Und ob mich das etwas angeht! Cedric ist dort gestorben, schon vergessen?!"
Der Todesser blinzelte nicht einmal. ,,Das Wohl der Zauberei erfordert nun einmal Opfer. Der dunkle Lord wird uns Zauberer endlich wieder vereinen! Wir werden keine Probleme mehr mit niederen Schlammblütern haben und uns den dreckigen Muggeln endlich zu erkennen geben!"
Dieser Mensch widerte mich an. Auf einmal hatte ich keine so große Bedenken mehr, den Dementor auf Crouch loszulassen. Er war ein verrückter, grausamer Fanatiker.
Ich sah Allana an. Sie nickte grimmig. Jetzt gab es kein Zurück mehr.
Ich hob den Zauberstab und lenkte den Dementor durch den Patronus vorsichtig in die Richtung des Todessers. Allana stellte sich neben mich.
Zum ersten Mal trat so etwas wie Angst in die Augen von Crouch Jr. Der Dementor schwebte näher. Die Augen des Todessers weiteten sich. Er versuchte so weit wie möglich weg von dem Dementor zu rutschen, aber die Ketten ließen es nicht zu. Er zerrte an ihnen. Sie hielten stand. Panik bildete sich plötzlich auf seinem Gesicht ab. ,,Verdammt, nehmt ihn weg von mir!", heulte Crouch. Er zerrte heftiger an den Ketten und krümmte sich dann zusammen. Der Dementor war jetzt nur noch einen knappen Meter von ihm entfernt ... er kam immer näher ... Crouch stieß ein leises Geräusch aus und versuchte seinen Mund mit den Händen zu bedecken. Der Dementor ließ sich davon nicht aufhalten. Er beugte sich zu ihm hinunter.
Barty Crouch Jr. schaute uns flehend an. Tränen rannen über seine Wangen hinab. ,,Bitte ... nehmt ihn weg von mir ... macht, dass es aufhört ... ich tue alles ..."
Mir wurde übel. Ich wusste genau, was er gerade fühlte. Seine schlimmsten Erinnerungen, seine Hoffnungslosigkeit, seine Angst, die alle klaren Gedanken auslöschte ... Ich schmeckte Galle in meinem Mund.
Der Schlund des Dementors war jetzt nur noch wenige Zentimeter von Crouch entfernt. Dieser fing an zu schreien. Es waren Schreie purer Angst, vollkommen schrill und hysterisch.
Und dann erstickte der Dementor den Schrei, indem er seinen Schlund auf den Mund von Barty Crouch Jr. drückte.
Die Schreie hörten aprupt auf. Der Todesser fiel schlaff zu Boden, seine Augen waren glasig. In seinen Gesichtszügen spiegelte sich unaussprechliches Grauen. Es war wie eine Fratze aus unmenschlicher Verzweiflung. Diese Fratze würde für immer das Abbild seiner Seele bleiben. Seiner Seele ... Ich sah den Dementor an und eine erneute Welle der Übelkeit durchzuckte mich.
Mit letzter Kraft schickte ich den Patronus zu ihm. Der Dementor versuchte auszuweichen, aber es ihm gelang nicht.
Ich ließ mich zu Boden sinken. Was haben wir nur getan ...?! Crouch Jr's seelenlose Hülle lag nur ein paar Meter vor mir. Ich bedeckte das Gesicht mit den Armen. Neben mir hörte ich, wie Allana sich übergab.
Das hier war schlimmer als der Tod. Schlimmer als das, was wir jemals erlebt hatten. Hundertmal schlimmer. Tausendmal.

Wir waren tausendmal schlimmer.

Seine Kinder (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt