Nur eine Frage

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Jaime

Ich drehte meine Schreibfeder zwischen den Fingern hin und her. Die Worte meiner Schwester hatten mir zu denken gegeben. Wie sollte meine Tanzpartnerin sein? Intelligent, hübsch, humorvoll, schlagfertig. Eine gute Freundin, eine Klassenkameradin, eine, die aber auch mal Regeln brach und rebellisch war. Eine, die einfach die verrücktesten Ideen hatte. Eine, die einfach immer sie selbst war und ihre Emotionen nicht versteckte. Eine, die meinen Puls erhöhte, wie Allana es vermutlich an meiner Stelle ausdrücken würde.
Ich lächelte leicht, als das Bild einer vertrauten Person vor meinem inneren Auge. Kastanienbraune, lockige Haare. Große, warme Augen und leichte Hasenzähne im vorderen Teil des Mundes. Hermine.
Mein Lächeln verschwand ebenso schnell, wie es gekommen war. Ich raufte mir die Haare und schritt unruhig im Raum auf und ab. Ich würde jetzt einfach in den Gemeinschaftsraum der Gryffindors gehen und dort auf sie warten. Dann würde ich sie fragen. Was sollte ich denn überhaupt sagen? Was wenn ich stotterte oder mich verhaspelte? Oder wenn irgendwelche Schüler anfingen zu lachen? Was, wenn Hermine Nein sagen würde?
Aber sie hat doch noch gar keinen Partner, oder? Oder hatte sie etwa...?
Bestimmt würde sie mir zusagen, schließlich mochte sie mich. Die Frage war nur, ob sie mich in der Art und Weise mochte, wie ich.
Vielleicht hat sie ja nur freundschaftliche Gefühle für mich...
Ich knibbelte nervös an meinen Fingerkuppen. Es gab nur eine Möglichkeit, um das herauszufinden und sie gefiel mir ganz und gar nicht.
Ich setzte mich auf die grüne Couch. Wenn ich sie fragen würde, könnte es natürlich sein, dass sie Ja sagen könnte. Aber die Chance auf ein Nein wäre auch ziemlich hoch. Fünfzig zu Fünfzig also. Aber Hermine mochte mich doch, also war die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie mir zusagen würde, oder? Aber wenn sie mich nur als Freund sieht....? Und falls sie bereits eine Begleitung gefunden hatte? Ich suchte nach weiteren Pro- und Kontra-Argumenten.
Vielleicht war sie ja gar nicht da...
Ich überlegte kurz, wie groß die Wahrscheinlichkeit war, dass Hermine sich in ihrem Gemeinschaftsraum aufhielt, oder doch in der Bibliothek war.
Es wäre möglicherweise besser sie doch morgen zu fragen. Vielleicht nach dem Unterricht. Hatten wir morgen überhaupt Fächer zusammen?
Ich seufzte auf, denn ich merkte, dass ich mein Gespräch mit Hermine unter allen Umständen verschieben wollte.
Oder ich mache erst die Hausaufgaben für Verteidigung gegen die dunklen Künste und dann-
Ich schüttelte den Kopf. Hab dich nicht so! Beweg jetzt deinen Hintern zu ihrem Gemeinschaftsraum und frag sie!!
Meine Beine setzten sich in Bewegung.
Das wird böse enden.

Auf den Weg in den Turm versuchte ein unbewusster Teil meines Körpers immer die Richtung zu ändern, doch der rationale Teil meines Gehirns hielt dagegen. Die Chancen stehen über Fünfzig Prozent, dass sie zusagt!
Und Fünfzig Prozent, dass sie mir einen Korb geben würde....
Ich stiefelte die Treppen nach oben zum Turm der Gryffindors und verfluchte den langen Weg. Dadurch machte ich mir nur noch mehr Gedanken. Fast war ich erleichtert gewesen, als Peeves versucht hatte, mich unter einem Stapel Rüstungen zu begraben. Aber auch nur fast. Wenigstens bewirkte dieser Zwischenfall, dass ich Hermine kurzzeitig vergaß und den nervigen Poltergeist stattdessen mit einem gut platzierten Zauber in ein verrostetes Wasserrohr einsperrte.
In diesem Teil der Schule begegnete ich bis auf zwei Ausnahmen nur Gryffindors, die mich teils neugierig, teils feindselig musterten. Ich versuchte sie nicht zu beachten, aber ich konnte nicht verhindern, dass meine Nervosität wenn möglich noch stärker wurde.
Endlich hatte ich den endlos langen Weg durch feindliches Gebiet überstanden und fand mich nun vor dem Poträt der Fetten Dame wieder, welches auch gleichzeitig den Eingang zum Gemeinschaftsraum der Gryffindors darstellte. Diese starrte mich finster an. ,,Slytherins haben hier keinen Zutritt."
Ich sah sie nur an. ,,Dieses Gespräch kommt mir bekannt vor."
Sie schnaubte abfällig.
,,Könntest du mir sagen, ob Hermine Granger da ist?"
,,Warum?"
,,Weil ich sie zum Ball einladen will, deshalb!", platzte es aus mir heraus. Sie hob eine Braue. ,,Jaja, schon klar", murmelte die Fette Dame nur, die mir anscheinend kein Wort glaubte.
Ich holte einmal tief Luft. ,,Hol sie einfach, okay?"
Sie schenkte mir einen argwöhnischen Blick. ,,Wenn's denn sein muss."
Ihr Gesicht verschwand, weshalb ich davob ausging, dass sie nun im Raum der Gryffindors nach Hermine fragen würde.
Nach einigen endlos langen Minuten tauchte sie wieder auf. ,,Sie kommt jetzt."
Mein Herz rutschte mir in die Hose.
Ich kann immer noch flüchten.
Das Porträt schwang auf und gab den Blick auf Hermine frei, die mich aus einer Mischung aus Verwirrung und Interesse anschaute. ,,Jaime? Was machst du denn hier?"
Ich stotterte einen unzusammenhängenden, aus einzelnen Fragmenten bestehenden Satz, der sich damit befasste, dass es alles ein riesiger Zufall gewesen sei und ich einfach nur vorbeikommen wollte und wo denn Allana sei und ob Hermine die Hausaufgaben schon gemacht habe und dass sie heute sehr hübsch aussähe. Mein Herz stand für einen kurzen Moment still und mein Atem setzte aus. Habe ich das gerade wirklich gesagt?!
Diesen Kauderwelsch hatte Hermine scheinbar vernommen, genauso wie das unbeabsichtigte Kompliment am Ende des Satzes. Sie lief prompt rosa an. Ich hingegen fühlte mich, als ob meine Wangen die leuchtend rote Farbe einer Tomate besäßen.
Die Fette Dame beobachtete das alles aus kugelrunden Augen, schien die Szenarie aber durchaus unterhaltsam zu finden.
Hermine strich sich eine Strähne braunes Haares zurück.
,,Ähm", erklärte ich wenig geistreich.
Zur Hölle, Jaime, du bist der mit Abstand intelligenteste Junge deines Jahrgangs und bist unfähig einem Mädchen eine einfache Frage zu stellen!
Ich räusperte mich. ,,Hättest du vielleicht Lust - du weißt schon, bald ist da ja dieser Ball ... ähm ... Tanzabend ... also ... hättest du Lust mit mir ... also wir beide zusammen ... dahin zu gehen? Ich bezahl auch die Getränke", fügte ich etwas lahm hinzu und hätte mir im nächsten Moment am liebsten ein tiefes Loch gebuddelt. Wenigstens hatte der Satz eine halbwegs gute Struktur und Grammatik gehabt.
Hermine blinzelte einmal und ich bemühte mich, anstatt auf meine Schuhspitzen in ihr Gesicht zu sehen. Es drückte Verblüffung, aber auch Freude aus. Und ... war das Mitleid?
Jetzt sag doch endlich etwas!, bettelte die Stimme in mir Hermine an, diese peinliche Stille zehrt an meinem Selbstbewusstsein! ,,Also Ja oder Nein?", half ich ihr ein wenig auf die Sprünge. Meine Stimme zitterten etwas.
Hermine strich sich die Haare zurück und biss sich auf die Lippe. ,,Ich würde gerne mit dir zum Ball gehen, Jaime, wirklich..."
Aber?
,, ...aber ich habe bereits eine Begleitung gefunden." Sie sah mich aus ihren großen braunen Augen an und erwartete scheinbar eine Reaktion von mir.
Sie hat schon einen Partner? Aber wie... wer...? Die Emotionen schlugen wie eine gigantische Welle über mich zusammen und zogen mich unter die Wasseroberfläche.
Ich blinzelte. ,,Okay... Ja. Ich wollte einfach nur mal fragen, weißt du."
Sie nickte leicht. ,,Jaa." Sie schien noch etwas sagen zu wollen, entschied sich dann doch anders und stieg durch das Porträtloch.
Die Fette Dame sah mich mit verräterisch glänzenden Augen an und schniefte. ,,Junge", krächzte sie heißer, ,,du siehst echt schrecklich aus. Brauchst du eine Umarmung?"
Ich drehte mich um.

Seine Kinder (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt