6 - Rostiger Duft

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* Emilia *

Es war nicht das erste Mal, dass wir den männlichen Skispringern beim Training zuschauten, aber es war das erste Mal, dass sie davon wussten und es relevant war. Es war erstaunlich, wie viel man doch vom Zuschauen lernen konnte. Zudem war es amüsant Werner Schuster bei seiner Mimik und Gestik zu beobachten.

Jedes Mal auf's Neue beeindruckte mich das Geschehen, sogar von unten. Unglaublich, dass ich ebenfalls von dieser atemberaubenden Schanze sprang. Trotzdem hatte ich ein minimales Kribbeln im Bauch als die Jungs hinuntersprangen.

Skispringen konnte man einfach nicht beschreiben, es war einfach magisch. Ich fühlte mit jedem der Springer mit, denn dort oben zu stehen war ein berauschendes Gefühl. Alles schien von einem abzufallen und die Konzentration lag nur noch bei einem selbst und dem eigenen Körper. Für diesen Moment zählte auch nichts anderes als zu spüren, wie der Wind alle Sorgen wegwehte. Man konnte ihm quasi dabei zu sehen, wie er alles für einen Augenblick pausierte. Und ich brauchte diese Pausetatste genauso wie Abenteuer. Es wurde durchgeatmet und das Adrenalin strömte durch den gesamten Körper. Es war schwer all den Ballast zu verlieren um sich zu konzentrieren. Während des Wartens auf das grüne Licht stellte sich das zur Herausforderung, aber schon alleine die Aussicht ließ ab und an den Fokus auf sich reißen.
Während des Runterfahrens war mein Kopf leer, alles ging so schnell. Die Konzentration lag ganz auf dem Absprung. Und dann flog man und versuchte die Kontrolle zu behalten.
Danach war alles vorbei und die Konzentration lag bei der Ladung.

Ich war so in Gedanken versunken, dass ich erschrak als ich von hinten an den Schultern gepackt wurde. Natürlich grinste mir niemand anderes als Andreas Wellinger in das Gesicht.

"Um Gottes Willen!" Seufzte ich und Andreas brach in  Gelächter aus.
"Sorry" sagte er dennoch halbwegs ehrlich.
"Haben dich meine Sprünge so sehr fasziniert?" Fragte er nun amüsiert und ich verdrehte die Augen.
"Ganz bestimmt. So wird es gewesen sein." Sprach ich ironisch. Gemeinsam begaben wir uns Richtung deutsches Haus, da alle anderen bereits außer Sichtweite waren.
"Aber mal im Ernst, alles okay?" Fragte er dann und durchbohrte mich mit seinem Seitenblick.
"Ja, klar." Grinste ich und er schien nachzudenken.
"Woran hast du so vertieft gedacht?" Fragte er weiter und ich zuckte mit den Schultern.
"Komm schon, ich will es wissen." Lachte er nun.
"Ich habe einfach nur daran gedacht, wie schön das Springen ist." Und er nickte, schließlich wusste er genau wovon ich sprach. Einen Moment war es still, bis wir gleichzeitig anfingen zu lachen.

"Gott, ich hasse Stille." Lachte er und ich stimmte mit ein.
"Gleichfalls. "Besiegelte ich mit einem High-Five. "Hast du Lust mit zu Leonards Wettkampf zu kommen?" Fragte ich "Selina geht mit Richie trainieren und ich will nicht alleine hingehen." Fügte ich hinzu.
"Klar, Eisei, Stephan und ich hatten sowieso vor hin zu gehen." Lächelte er mit seiner gewohnten Lockerheit.
"Wir gehen uns nur frisch machen und dann kommen wir. Hältst du uns Plätze frei?" Fragte er und ich nickte "Natürlich." Lächelte ich.
"Bis später. " verabschiedeten wir uns kurz. Schnell ging ich in mein Hotelzimmer um mein Parfüm aufzufrischen und meine Blase zu entleeren. Dann lief ich los um den Wettkampf meines Bruders zu verfolgen. Natürlich bemerkte dieser mich sofort, da ich mich ziemlich weit nach vorne stellte. Wir umarmten uns kurz und ich winkte seinem Team zu und wünschte ihnen viel Erfolg, ehe ich mich zurück an die Strecke stellte. Ich drückte meinem Bruder die Daumen, denn er hatte so stark dafür trainiert und war das letzte Jahr schon ohne Medaille Heim gekommen. Deshalb war ich froh, dass ich ihn heute hier begleiten konnte. Kurz vor seinem Start zwinkerte er mir nochmal zu und ich zeigte ihm ein Herz.

In der Hälfte der ersten Runde kamen die Skispringer zu mir.
"Und wie siehts aus?" Fragte Eisei und starrte auf den Bildschirm.
"Leon ist fünfter." Nannte ich seine Platzierung.  Gemeinsam feuerten wir meinen Bruder an, was das Zeug hielt. Wir machten Selfies, Instastorys und schrien lauter als alle anderen. Und dann wurde es spannend, denn die besten drei wechselten sich  untereinander ab, darunter auch mein Bruder.
"Oooh ich halt es nicht aus." Seufzte ich aufgeregt und Eisei lachte nur. Und dann war klar, dass mein Bruder den zweiten Platz belegte.
Ich schrie vor Begeisterung und umarmte die Jungs ehe ich zu Leonard rannte.

"Glückwunsch, Bruderherz." Quiekte ich. Leonard schien es ebenfalls nicht realisiert zu haben als weitere Glückwünsche erfolgten und ich zurück gehen musste.
"Endlich hat er es geschafft." Atmete ich erleichtert aus und erhielt ein Lächeln von Markus, Stephan und Andreas. Es endete in einer Gruppenumarmung. Natürlich kamen wir vor der Siegerehrung nicht mehr an Leonard heran. Danach ging es zurück in das deutsche Haus, wo alles vorbereitet war um Leonard in Empfang zu nehmen. Wir feierten so gut es ging. Allerdings hatte ich morgen Training an der Schanze und übermorgen einen Wettkampf. Die Jungs würden morgen im Teamwettkampf für eine olympische Medaille kämpfen.

"Du siehst genauso scheiße aus wie ich." Hörte ich plötzlich Andreas neben mir und verdrehte die Augen.
"Das sind definitiv die Worte, die eine Frau hören will." Stöhnte ich lachend und Andreas schüttelte den Kopf.
"Hey, ich habe ja auch gesagt, dass ich scheiße aussehe." Lachte er rausredend.
"Klar, Shrek hat gestern Abend angerufen und mich gefragt wann er sein Gesicht endlich wieder bekommt."
Entsetzt amüsiert sah er mich an und prustete los.
"Okay, das war richtig fies. Ich meinte erschöpft." Stellte er die überschaubare Information klar.
"Ich weiß." Gähnte ich.
"Soll ich dich hoch bringen?" Fragte er freundlich.
"Ne, das schaffe ich schon alleine. " lachte ich spitz. Insgeheim bereitete ich mich mentalisch auf die neue Herausforderung der nächsten Tage vor. In dem Moment spürte ich wie etwas in meiner Nase begann herunter zu laufen. Ich fuhr mit meinem Handrücken über die Nase und hatte sofort Blut daran.

"Ich glaube nicht." Erwiderte Andreas und reichte mir ein Taschentuch, welches ich mir sofort an die Nase hielt. Er lotste mich die Treppen herauf, während in mir die Übelkeit aufstieg.
"Alles okay?" fragte Andreas auf dem Weg in sein Zimmer. Der widerlige rostige Geruch stieg mir in dir Nase und ich blieb stehen. Er durchbohrte mich mit fragendem Blick.

"Verdammt ich finde Blut widerlich." Gab ich zu und Andreas brach in Gelächter aus. "Ey!"
"Sorry, aber damit hätte ich nicht gerechnet." Schmunzelte er während er mir ein kaltes Handtuch in den Nacken legte.
"Du musst dranhalten und dir das nicht dauernd angucken." Lachte er weiter und setzte sich vor mich auf den gefliesten Boden. Ich lachte die ganze Zeit, was nicht wirklich gegen Nasenbluten half.
"Danke übrigens." sagte ich als es langsam nachließ und ich aufstand.
"Ich bring' dich noch rüber." erwiderte er und ich verdrehte die Augen.
"Geht's wirklich wieder?" fragte er vor der Zimmertür und ich nickte.
"Ja, alles wieder okay. Danke nochmal." verabschiedete ich mich mit einer Umarmung. "Wird oft durch Stress ausgelöst. Bis morgen." Waren seine letzten Worte.

Fliege zu den Sternen.  • {Andreas Wellinger}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt