Bitte weck mich nicht, wenn unser Kartenhaus zerbricht

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* Andreas *

Ich vermisste Mila schon als sie in den Flieger stieg. Jeder Abschied fiel mir schwerer, denn mit jedem Mal nahm sie einen größeren Teil von mir mit. Mit jeder Abreise wurde mir klar, dass sie mein Herz bei sich trug und, dass es ihr für immer gehörte. Noch nie hatte ich solche starken Gefühle für ein Mädchen empfunden und ich hatte fürchterliche Angst Emilia zu verlieren. Wir waren als Sportler oft unterwegs, sodass mir von Anfang an klar war, dass es schwer werden würde. Doch ich hatte nicht geahnt, wie schwer.

Von Beginn an wusste ich, dass Mila besonders ist, doch niemals hatte ich gedacht, dass sie so eine große Rolle in meinem Leben spielen würde. Ich liebte Mila von ganzen Herzen und mehr als alles andere auf dieser Welt. Vor ihr hatte ich vorhin stark gespielt, doch sobald sie im Flieger war, stiegen mir die Tränen hoch. Unsere Beziehung war schwierig und wir waren erst am Anfang. Und um ehrlich zu sein hatte ich Angst vor der Zukunft.

Im Auto brach alles zusammen wie ein Kartenhaus. Ich hatte alles behutsam zusammen gebaut, doch es würde bei jedem noch so kleinen Windstoß zusammenfallen. Und ich wusste, dass dies bald geschehen würde. Milas Gesundheit bereitete mir große Sorgen und es lag auf der Hand, dass es so nicht weitergehen konnte. Doch meine Freundin war ein fürchterlicher Sturkopf und ich musste ihre Entscheidung akzeptieren. So schwer es mir auch fiel.

Vermutlich zeriss sich die Presse gerade die Mäuler über uns und ich wusste, dass das Mila nicht kalt ließ. Wahrscheinlich las sie gerade die zahlreichen Schlagzeilen und Kommentare über unsere Beziehung. Wir verbrachten in den kommenden Wochen kaum Zeit miteinander und ich war froh, dass die Fans unsere Beziehung akzeptierten. An der Schanze wurden mir immer die Updates und Ergebnisse mitgeteilt, sodass ich immer auf dem neusten Stand war. Nach meinem Sprung wurde mir alles wissenswerte mitgeteilt und ich war jedes Mal erleichtert, wenn ich wusste, dass alles gut gegangen war.

Mila hatte in unserer gemeinsamen Zeit meine Sprünge analysiert und nach Gründen gesucht, weshalb es nicht funktionierte. Sie gab sich wirklich Mühe und kaufte sogar spezielle Tees, doch meine Sprünge wurden nicht besser. Ich hatte einfach nichts außer ihr im Kopf. In den nächsten Tagen würde meine Mutter mich besuchen kommen und ich würde mit Sicherheit über meine Sorgen reden.

Es war Ende November als ich mit Markus an der Schanze herumalberte und auf den Qualikationsstart wartete. Als ich nach meiner Landung hinter die Bande trat wurde ich allerdings nicht über die Ergebnisse meiner Freundin informiert, sodass ich nichts gutes ahnte.
"Wie ist sie gesprungen?" Fragte ich deshalb einen unserer Helfer, doch erhielt nur von einem Fan eine Antwort.
"Garnicht. Sie ist auf dem Balken hyperventiliert und der Notarzt musste kommen." Teilte sie mir mit und ich hasste es, dass ich noch einen Durchgang abwarten musste, ehe ich los konnte. Sofort hatte ich ein mulmiges Gefühl und verkackte meinen Sprung.

Als ich vor Milas Wohnung ankam, half Leon ihr gerade aus dem Auto und ich eilte zu ihnen um sie zu stützen. Da sie jetzt erst ankamen ahnte ich, dass sie im Krankenhaus untersucht wurde. Mila war unglaublich blass und wirkte unglaublich zerbrechlich.
"War ja klar." Seufzte sie lächelnd und ich grinste sie an, da sie ihren Humor wie immer nicht verloren hatte. Doch dann verlor sie das Gleichgewicht, während ich Leon begrüßte, sodass ich sie auf meine Arme nahm.

"Gut, dass du da bist. Ich muss gleich zur Teambesprechung." Seufzte er und ich nickte "Ich passe auf sie auf." Zwinkerte ich.
"Sie sollte eigentlich eine Nacht im Krankenhaus bleiben..."begann er und ich schmunzelte erneut über den Sturkopf meiner Freundin während ich ihr eine lose Strähne aus dem Gesicht strich. Ihre Stirn glühte und ich seufzte als Leon mir den Wohnungsschlüssel übergab.

Ich legte Mila auf ihrem Bett ab und suchte nach einem Fieberthermometer als ich eine Tür knallen hörte. Sofort setzte ich mich in Bewegung und fand Mila über der Kloschüssel, sodass ich ihr sofort die Haare hielt.
"Gott, wie peinlich." Seufzte Mila heiser und ich schüttelte den Kopf.
"Es ist alles in Ordnung." Erwiderte ich und half ihr hoch, damit sie ihre Zähne putzen konnte.

"Du musst nicht hier bleiben. " krächzte sie und ich drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel "Mache ich aber." Zwinkerte ich und hob sie wieder auf meine Arme und trug meine Freundin in ihr Bett.
"Was haben die Ärzte denn gesagt?" Fragte ich als ich sie in meine Arme zog. Mila hatte ihre Augen bereits geschlossen und ich wusste, dass dieser Tag ihr die Energie geraubt hatte.
"Nichts besonderes." Sie kuschelte sich an mich "Es wäre wohl der Stress." Fuhr sie fort und ich seufzte, denn ich hatte gehofft, dass sie endlich mit den Ärzten sprechen würde.

Ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Selten fand ich Schlaf, denn ich fand mich stets in Albträumen wieder, in welchen Mila von der Schanze stürzte. Ich fürchtete mich vor diesem Tag, so sehr ich es auch verdrängte, er würde kommen. Doch Mila hatte ihren eigenen Kopf und ich konnte sie verstehen, schließlich hatte sie schon einmal von vorne beginnen müssen. Aber mit diesem Verdrängen des Ernstes der Lage riskierte sie noch viel viel mehr. Ich ahnte, dass sie alles herunterspielte und aus ihrem Kopf schob, was ihr nicht gefiel. Sie hatte sich ein viel instabileres Kartenhaus aufgebaut als ich und mit jedem weiteren Verdrängen begann es zu wackeln. Ein kleiner Schritt daneben und alles wurde weggepustet wie eine Pusteblume. Ich wusste, dass es ihr schlecht ging, egal wie stark sie tat und es zerrte an meinem Herzen. Ich hasste es, wenn sie litt.

Ich wollte eine Zukunft mit Mila, aber keine wackelige. Es schien als müsse unser Kartenhaus erst einstürzen, damit nichts mehr zwischen uns stand. Und ich wusste, dass es passieren würde. Und genau das machte mir Angst.

Fliege zu den Sternen.  • {Andreas Wellinger}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt