10 - Alles außer der Ordnung

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* Emilia *

Als Andreas den Raum verließ, atmete ich erleichtert aus. Die Tränen stiegen mir plötzlich in die Augen und es war zwecklos diese noch zu unterdrücken. Die ganze Zeit, hatte ich es unterdrückt oder war nicht in der Lage irgendeine Emotion zu zeigen.  Ich wusste, dass es okay war. Mein Bruder hatte mir oft genug eingetrichtert, dass Menschen manchmal weinen mussten. Dennoch kam ich mir unglaublich lächerlich vor. Schließlich hätte es weitaus schlimmer ausgehen können und ich war gut davon gekommen. Ich weinte wohl eher vor Wut. Ich war so wütend auf mich selbst, denn ich hätte den Sturz verhindern konnen. Es war ein dummer kleiner Fehler meinerseits, welcher meine gute Saison runiert hatte. So eine Niederlage schmerzte auf einer Weise, die man kaum beschreiben konnte. Alles, was ich mir in den letzten Monaten und Jahren erarbeitet hatte, ging in einem Moment verloren. Keinesfalls wollte ich darüber nachdenken, wie viele Leute mir beim Versagen zugesehen hatten. Meine Freunde und Familie hatten es im Fernsehen gesehen, ebenso wie alle anderen Fans oder Springer. Außerdem wusste ich, was für ein langer Weg nach einem Sturz bevorstehen konnte.

Als ich die Augen schloss, tauchten alle Bilder vor ihnen auf. Durch die Anwesenheit von Andreas konnte ich die Gedanken steuern, hatte sie im Griff. Doch nun als ich alleine war, verlor ich die Kontrolle darüber. Ich spürte den Absprung fast, als wäre ich gerade dabei. Fast konnte ich den Wind hören. Währenddessen zuckte ich zusammen als könnte ich den Windstoß spüren, welcher mich so aus der Bahn geworfen hatte. Im wahrsten Sinne des Wortes. Alles, was ich versuchte zu retten, ging schief. Ich erschrak so sehr als mein Ski abflog, denn ab da war klar, dass ich nichts mehr ändern konnte und mich dem Fall hingeben musste. Ich hatte die Kontrolle über den Sprung und dadurch über mich selbst verloren. Alles was ich sah, schien so weit weg, als wäre es nicht gerade erst passiert. Der Schmerz beim Aufprall war so schmerzhaft gewesen, dass ich schrie. Danach rutschte ich den weiteren Auslauf hinunter, doch durch das Lösen des Skis verdrehte sich mein Bein so sehr, dass ich vor Schmerzen erneut aufschrie. Alles war still, ich konnte nur das Rutschen meinerselbst über die Anlage hören. Als dann auch noch mein Ski in meinem Gesicht landete, sah ich nur noch schwarz. Ab da konnte ich mich an nichts mehr einnern, wie ein schwarzes Loch in meinen Gedanken. So sehr ich versuchte mich zu erinnern, es kam einfach nicht in meinen Kopf. Bis ich im Krankenhausbett aufwachte. Trotzdem hatte ich es genau vor mir, wie ich mein Bewusstsein verlor. Denn ich hatte es spüren können, wie es endlich aufhörte und die starken Schmerzen zu vergehen schienen. Es schien
fast wie in einem Albtraum. Doch die Beweise, dass dieser Unfall tatsächlich geschehen ist, waren spürbar. Es würde Wochen dauern, bis die Verletzungen vollstens verheilt waren und ehe ich überhaupt wieder trainieren konnte. Wer weiß, wann ich überhaupt wieder in Form käme. Mein Kopf tat unfassbar weh, sodass mich ein Gefühl von Übelkeit überkam. Es klopfte und mein Bruder trat mit einem Glas Wasser hinein und ich atmete erleichtert aus, da es ihm wieder gut ging. Leon und ich standen uns unglaublich nahe und ich war froh, dass er da war. "Wie geht es dir?", fragte er sofort und ich zuckte mit den Schultern, was ich sofort bereute, da ein Schmerz mich zu durchzucken schien. Er sah mich an und ich wusste, dass er sah, dass ich geweint hatte.
"Alles in Ordnung?", fragte er trotzdem und ich krächzte ein unglaubwürdiges "Ja."
"Mila, du hattest einen ziemlich schweren Sturz, es ist okay wenn die Dinge nicht in Ordnung sind.", erklärte er, während er über meine Hand strich. Er hatte recht, das wussten wir beide. Ebenfalls wussten wir beide allerdings, dass ich die Dinge selten ernst nahm und jede Herausforderung annahm. Allerdings änderte sich das oftmals, wenn ich scheiterte.
"Es kann nicht immer alles in Ordnung sein. Auch nicht bei einer Emilia Schulze.", sprach er weiter.
"Tut ein bisschen weh.", sagte ich deshalb nur und mein Bruder verdrehte die Augen.
"Brauchst du irgendwas?", fragte er, da er bemerkte dass die Konversation erstmal beendet war.
Ich listete ihm also einige Dinge meines Kofferinhaltes auf, da ich nun die nächsten drei Tage hier liegen würde, ehe sie mich nach Deutschland verlegen würden. In dieser Zeit schickte er natürlich Andreas in das Zimmer. Eigentlich wollte ich meine Ruhe, aber ich brachte es nicht übers Herz jemanden rauszuschmeißen. Außerden wollte ich später mit meinem Trainer nicht ganz allein sein.

"Hey, Leonard meinte...", begann Andreas und ich winkte ab "Ist okay."
Vermutlich verstand Andreas mich momentan sowieso am Besten, schließlich musste er auch schon mit einigen Stürzen kämpfen. Er war eventuell der Einzige, der erahnen konnte was gerade in mir vorging.
"Möchtest du Schlafen?", fragte er bevor er eintrat, doch ich schüttelte den Kopf. Erneut durchfuhr mich ein Schmerz.
"Ungern.", fügte ich schlapp hinzu, denn ich wusste, dass sich die Bilder dann in Dauerschleife wiederholen würden. Dennoch kam ich mir so ausgeliefert und hilflos vor, es war mir so peinlich.

"Geht es dir soweit gut?", fragte er dennoch besorgt.
"Den Umständen entsprechend." , erwiderte ich muffelnd und meine Tonart tat mir leid.
"Entschuldigung, ich bin einfach so...", begann ich.
"Schockiert, traurig, wütend und entsetzt?" , vervollständigte er fragend meinen Satz. Und spätestens jetzt wusste ich, dass Andreas mich vermutlich besser verstand als alle anderen. Normalerweise würde ich meine Show mit einem falschen Lächeln abziehen, aber bei Andreas war das nicht nötig. Er schien meine Fassade, noch bevor ich sie selbst erkannte, zu durchschauen.
"Verdammt, das ist absolute Scheiße.", sagte ich schlussendlich genervt und Andreas lächelte leicht.
"Ich weiß, glaub mir ich weiß wirklich wie du dich fühlst. So ein Sturz ist wirklich erschütternd und wirft einen aus der Bahn. Aber du bist noch jung, Mila. Du bist gerade am Beginn deiner Karriere und da gehören Niederlagen dazu. Wenn du bereit bist zu kämpfen, kriegst du das alles wieder hin.", sprach er mir Mut zu.

"Man ehe diese Scheiße hier verheilt ist vergehen Wochen. Verdammt das hätte meine Saison werden können, ich war so gut un Form.", murmelte ich wütend und er sah mich verständnisvoll an.
"Ich weiß, aber du kriegst das wieder hin. Du bist unglaublich stark und ich bin mir sicher du wirst es noch weit bringen." Ich deutete ein müdes Lächeln an.
"Danke."

Das ewige Liegen nervte mich, sodass ich mich aufsetzen wollte. Natürlich hatte ich die Rechnung ohne meinen eingegipsten Fuß und den eingebundenen Arm gemacht.
"Kann ich dir helfen?", fragte Andreas vorsichtig und erneut kam ich mir vor wie eine hilflose Idiotin.
"Geht schon.", sagte ich gequält.

"Das muss dir nicht peinlich sein. Ich habe auch schon einige Stürze hinter mir. ", sagte er und reichte mir seine Hände an denen ich mich hochziehen konnte. Schüchtern nahm ich vorsichtig eine seiner Hände an und versuchte mich in Position zu bringen.
"Danke..", sagte ich leise und peinlich berührt.

"Nichts zu danken.", lächelte er
"Sowas tun Freunde füreinander."

Fliege zu den Sternen.  • {Andreas Wellinger}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt