9 - Unter Schmerzen und Schockstarre

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* Andreas *

Im städtischen Krankenhaus angekommen, rannten wir los und mussten uns mit unseren Englischkenntnissen durchkämpfen. Als  wir nach Emilia fragten, bekamen wir keine Auskunft, lediglich die Anweisung uns zu setzen. Und so saßen wir wieder unnütz herum ohne zu wissen, wie es ihr ging. Mir war dieser Ablauf bereits bekannt, trotzdem tippte ich ungeduldig mit meiner Fußspitze auf den Boden während Leon auf und ab lief. Er sprach jeden Arzt an, doch keiner wollte ihm etwas sagen. Und dann brach er vor meinen Augen zusammen. Er sackte auf den Boden und weinte, weshalb ich mich sofort zu ihm setzte und versuchte ihn zu beruhigen. Als er sich die Ohren zuhielt, wusste ich, dass er nichts außer ihren Sturz wahrnahm und ihre verlorenen Töne hörte. Markus hatte sofort eine Schwester gerufen, die sich nun zu Leonard kniete. Ich war unfähig zu sprechen, während Eisei alles schilderte.
"Ein Schockzustand vermutlich.", sprach sie aus und half mir Leonard hochzuhieven. Wir brachten ihn in ein leeres Zimmer, in dem die Schwester ihm ein Beruhigungsmittel verpasste und mich bat den Raum zu verlassen. Dieses Szenario war uns allen bekannt, wir kannten es aus unserer Familie. Und vorallem von Richard, wenn Selina stürzte. Ich schüttelte den Kopf, denn ich wollte diese Bilder nicht sehen.
Immer und immer wieder hörte ich ihren Schrei und jedes Mal durchfuhr mich eine Gänsehaut.

Emilia war in kurzer Zeit sowas wie meine beste Freundin geworden. Eine Sportfreundin quasi. Es war seltsam, da wir uns erst seit einigen Tagen kannten, doch die Symphatie stimmte vom ersten Moment an. Die Grundbausteine für eine Freundschaft schienen gelegt. Sie war mir wichtig.  Und nun saß ich hier und wartete darauf, dass uns endlich jemand Auskunft gab. Alle Anwesenden wussten, dass es ein schwerer Sturz gewesen war. Wir alle hatten es gesehen, hatten ihr schmerzverzerrtes Gesicht gesehen. Und in einigen Momenten kehrten Bilder eigener Stürze zurück. Keiner spielte ihren Sturz hinunter, denn es lag auf der Hand, dass es sich um schlimmere Verletzungen handeln musste. Die Zeit verging elend langsam. Alles war benebelt und meine Sicht wie von einem Schleier bedeckt. Keine Worte kamen bei mir an, ich saß einfach da und wartete. Mein Vater hatte mir oft beschrieben, wie es ihm und meiner Mutter gegangen war als ich in Kuusamo gestürzt war und nun wurde mir klar, wie sie sich gefühlt hatten. Wir warteten und warteten und warteten.

Nach und nach kam ihr gesamtes Team an, doch keiner traute sich etwas zu sagen. Mein ganzer Körper zitterte und ich hielt es nicht mehr aus. Dennoch blieb ich ruhig, ich wollte keine unnötige Unruhe in das Krankenhaus bringen, aber in mir schrie alles. Markus brachte mir irgendwann einen Kafee und ich versuchte mich zu erinnern, wie lange wir schon hier saßen, doch ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Bis endlich ein Arzt zu uns kam.
"Leonard Schulze?", fragte er und Markus erfasste wieder als erster das Wort und erklärte auf Englisch, wer wir waren und wo Leonard war.

"Emilia wurde erfolgreich operiert. Zum Glück konnten wir keine inneren Blutungen feststellen, sodass sie soweit stabil und über den Berg ist.", informierte er uns und wir atmeten erleichtert aus. Wenn der Arzt sagt, dass sie über den Berg war, war das vorerst eine der besten Nachrichten. "
Ihr rechter Fuß erlitt einen Bruch, ihre Rippen wurden leicht geprellt. Der Brustkorb drückte ihr während des Sturzes auf die Lungen, doch wir konnten keinerlei Fehlsetzungen feststellen. " sagte er ruhig und es war schwer, seiner englischen Fachsprache zu folgen und gleichzeitig im Kopf zu übersetzen. "Desweiteren ist ihr rechter Arm gestaucht und ihre ganze rechte Seite erlitt leichte bis mittlere Verletzungen. Ebenfalls erlitt sie durch den Ski eine mittlere Gehirnerschütterung, sodass sie ihr Bewusstsein verloren hatte. Alles in allem ist sie bezüglich des Sturzes glimpflich davon gekommen.", fuhr er fort. Ich wusste, dass er recht hatte. Dennoch nannte er so viele Verletzungen, dass es schwer fiel das zu glauben, obwohl wir uns damit ein wenig auskannten. Die Worte prallten auf mich ein wie ein Starkregen auf den trockenen Boden, sodass es war als würde ich darin zerlaufen.  "Ist sie bei Bewusstsein?", fragte Markus weiter und der Arzt nickte.
"Kann ich zu ihr?", fragte ich dieses Mal und erschrak selbst vor dem Klang meiner Stimme. Der ältere Arzt überlegte und nickte letzendlich "Aber bitte verhalten Sie sich ruhig.", fügte er hinzu und verwies auf ein Krankenzimmer.

Markus nickte mir zu und ich betrat das Zimmer, da Leonard noch immer nebenan lag. Emilia hatte ein dickes Pflaster unter dem linken Auge, wo sie den Ski ins Gesicht bekommen hatte. Die Stelle war gerötet und man konnte den Abdruck des Skis im ganzen Gesicht durch blaue und gerötete Stellen erkennen. Ihre blonden Haare lagen überall verteilt und erinnerten ein wenig an Dornröschen. Auch am Kopf trug sie einen Verband und überall erkannte man Schürfwunden. Ihren rechten Arm schmückte ein Verband, welcher durch eine Kanüle mit dem Tropf verbunden war. Ihr Bein lag im Gips.

"Hey", sagte ich als ich mich zu ihr setzte. Sie sah so schrecklich geschwächt aus, aber nun wusste ich, was der Arzt gemeint hatte. Es hätte deutlich schlimmer kommen können. Trotzdem bereitete mir ihr Anblick Sorge, denn es sah wirklich katastrophal aus. Sie scheiterte am Versuch zu Lächeln und ich konnte nur erahnen wie sie litt. "Ist nicht so... schlimm, wie es aussieht.", kämpfte sie um etwas zu sagen. Ihre Stimme klang heiser und unglaublich müde. Trotzdem war ich erleichtert, dass sie schon wieder Witze machte.
"Da bin ich ja beruhigt.", schmunzelte ich. Sie hielt ihre grünen Augen offen, doch es war kein Rätsel zu erkennen, dass sie unter den Schmerzen und zahlreichen Medikamenten litt.
Sie sah sich suchend um.
"Leonard liegt nebenan. Er hatte einen Schock.", informierte ich sie und war erstaunt, wie leicht mir die Worte über die Lippen kamen. "Kannst...du mir einen..", sie rang nach Luft "Gefallen tun?", fragte sie und ich nickte.
Sie deutete mit ihrer linken Hand langsam auf ihre Tasche und ich setzte mich sofort in Bewegung.
"Rufst du bitte...meine Eltern an und...sagst...dass es mir...gut geht?", fragte sie so leise, dass man es kaum noch hören konnte, da es sie so viel Kraft kostete. Natürlich suchte ich sofort nach ihrem Smartphone, welches mit einem Fingerabdruck gesperrt war. Sie wedelte langsam mit ihrem linken Finger, sodass ich diesen vorsichtig auf die Taste legte und der Bildschirm sich entsperrte. Völlig aufgelöst nahm ihre Mutter ab. "Emilia? Emilia wie geht es dir?", fragte sie aufgeregt und Mila deutete ein Augenverdrehen an.
"Frau Schulze? Hier ist Andreas Wellinger, ich bi...", begann ich und Mila schien leise zu lachen "Die wissen....wer du bist."
"Emilia ist soweit wohlauf." Ich nannte ihnen die Verletzungen und sie schienen bestens Bescheid zu wissen. Vorallem was den Humor ihrer Tochter betraf. Es kam mir nicht einmal seltsam vor mit einer wildfremden Frau zu telefonieren, da sie genauso offen zu sein schien wie Mila.

"Wie geht es dir denn?", fragte ich dann endlich. Sie schien zu überlegen "Hätte schlimmer sein können, stimmt's?", lächelte sie schmerzverzerrt.
"Du musst nicht eine auf stark machen, Mila.", sagte ich deshalb und sah wie ihr die Tränen, mit denen sie kämpfte, auf ihre Wangen fließen, weshalb ich ihr ein Taschentuch gab.
"Tut ziemlich weh.", gab sie dann zu.
"Könntest du...mir ein Glas Wasser bringen?", fragte sie und ich wusste genau, dass sie kurz meine Abwesenheit wünschte um ihre Schwäche, die garkeine war zu überspielen.

Fliege zu den Sternen.  • {Andreas Wellinger}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt