14 - Das kriegen wir schon hin

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* Emilia *

Meine Eltern ließen mich kaum aus den Augen und ich war froh, dass sie mich nicht zurück in das Krankenhaus geschickt hatten. Leider waren meine Bewegungen noch immer ziemlich eingeschränkt, doch die Stauchung bemerkte ich zum Glück kaum noch. Mein Bruder kümmerte sich rührend um mich, genau wie meine Eltern. Sie waren zwar noch immer besorgt, aber sie hatten aufgehört wie ein Helikopter um mich herum zu schwirren. Zum heutigen Tag hatten sie sich sogar bereit erklärt, wieder arbeiten zu gehen. Aus diesem Grund wunderte es mich als es an der Haustür klingelte. Momentan wohnten Leonard und ich bei unseren Eltern, ansonsten hatten wir eine gemeinsame Wohnung in der Nähe von München und nicht hier in Oberstdorf.
Leon grinste als er sich nach mir umdrehte und zur Tür eilte, während ich mich weiter auf die Fachbücher der Kriminalogie konzentrierte. Eigentlich wollte ich studieren, doch das mit dem Sport zu vereinbaren war eine Nummer zu groß für mich.

Ich hatte es mir also auf dem Sofa mit einer Tasse Tee und zahlreichen Büchern gemütlich gemacht, während der Laptop auf meinen Beinen neben meinem Smartphone lag. Ein Räuspern ließ mich hochschrecken und als ich meinen Kopf ruckartig hob, dauerte es einen Moment bis ich klar sehen konnte. Andreas stand im Flur und lächelte mir entgehen "Na, du Sturzfliegerin? Wie geht's?", fragte er schmunzelnd und Leon trat neben ihn.
"Ich muss auf Lotte aufpassen.", informierte er mich und verabschiedete sich um unsere alleinerziehende Tante zu unterstützen. Tante Thea war tatsächlich überfordert und es kam nicht selten vor, dass wir ihr unter die Arme griffen. Ich widmete mich wieder Andreas' Worten und stellte den Laptop beiseite um mich aufzurichten.
"Ganz gut und dir, Olympiasieger?", fragte ich scherzend und Andreas verdrehte die Augen.
"Wegen dir musste ich ja die restlichen Interviews alleine führen. ", seufzte er dramatisierend und ließ sich neben mir fallen. "Sind wir etwa fleißig am Lernen?", fragte er und blätterte durch einige Bücher.
"Da könntest du dir glatt ein Beispiel dran nehmen.", witzelte ich und Andreas zog die Augenbraue hoch.
"Da ist aber jemand abgehoben.", stellte er fest.
"Und auf allen Vieren gelandet. Wissen wir nun alle.", feixte ich erneut und Andreas schloss sich an
"Was machst du eigentlich hier?", fragte ich dann und er zuckte mit den Schultern. "Stephan wollte Unterstützung bei seinem Empfang und da wollte ich die Gelegenheit nutzen um nach dir zu schauen.", sagte er und ich grinste.
"Wie nett, ich fühle mich geehrt. ", lachte ich und er nickte übetrieben.
"Das solltest du auch.", lächelte er und atmete aus. "Ja hier lässt es sich aushalten. Keine Paparazzi, keine Mikrophone, keine Fans und kein Olympiagerede. Zumindest nicht in dem Sinne.", er seufzte und ich ahnte, dass es für ihn in letzter Zeit ziemlich viel gewesen sein musste. Währenddessen hatte ich mich von den sozialen Medien zurückgezogen und erntete deshalb ab und an eine Erinnerung von Katja, damit ich wenigstens ein Lebenszeichen von mir gab. Heute hatte ich meinen Anteil dafür schon geliefert und ich wusste, dass ich wohl oder übel meine Fans auf die Reise der Regenerierung und Genseung nehmen musste. Katja und ich hatten abgemacht, dass ich ab nächster Woche wieder aktiver sein würde um meine Fans nicht zu verlieren.

"So schlimm?", fragte ich deshalb und er zuckte mit den Schultern. "Eigentlich stört es mich nicht, aber die letzten Tage waren extrem. An jeder Ecke wollte irgendjemand etwas von mir und mein Terminkalender platzt fast vor Terminen. ", lachte er und ich nickte verständnisvoll.
"Du hast es mit deinem Sturz bestimmt auch nicht viel besser.", vermutete er, doch ich schüttelte den Kopf.
"Du stiehlst mir da Gott sei Dank die Show. " Auch Andreas begann zu lachen. Und erneut fühlte es sich an wie ein Treffen mit einem alten Bekannten. Als hätten wir schon viele Male auf dem Sofa gesessen und Gespräche geführt. Während er erzählte, beschrieb er das was ich fühlte, denn den Sieg von Olympia hatten wir beide noch nicht ganz verarbeitet.

Danach war es kurz still, aber nicht so, dass es mich erdrückte. Eher angenehm. Und dann kam mein Entschluss.
"Bist du mit dem Auto hier?", fragte ich und Andi nickte.
"Ja, bis morgen Mittag. Warum?", stellte er nachdenklich die Gegenfrage.
"Hast du Lust mir als Taxi nach München zu dienen?", fragte ich erneut und er salutierte "stets und ständig zu Ihren Diensten, Emilia."
Ich verdrehte lachend die Augen und bedankte mich.
"Magst du eigentlich was essen oder trinken?", fragte ich weiter und bekam ein schlechtes Gewissen, da ich erst jetzt danach fragte.
"Wir könnten Pizza bestellen oder so.", schlug ich vor und Andreas nickte.
"Du bestellst und ich hole uns etwas zu trinken.", sagte ich deshalb. Er sah auf meine Krücken, welche am Schrank lehnten und schüttelte den Kopf.
"Du bestellst, ich hole trinken.", lachte er und stand auf.
"Ganz links hinter der Tür. Wie Tee oder Kaffe funktioniert weißt du ja.", lachte ich und widmete mich meinem Handy, nachdem ich seinen Pizzawunsch erfuhr. Eine Pizza konnte ich mir ja wohl leisten, auch wenn es mit Training momentan nicht so gut aussah. Kurz darauf kam Andreas mit  zwei Tassen Tee zurück in das Wohnzimmer.
"Du machst dir ziemlich viele Sorgen oder?", fragte er geradewegs heraus und ich zuckte mit den Schultern. Schneller als gedacht stiegen die Tränen in meinen Augen auf und der Versuch diese weg zu blinzeln scheiterte kläglich.

"Mir würde es nicht anders gehen, Mila. Es ist eine große Sache und über große Sachen darf man sich Sorgen machen.", sagte er und zog mich in eine warme Umarmung. "Was ist, wenn ich nie wieder ordentlich springe?", fragte ich gegen seinen Pullover.
"Das kriegen wir schon hin."

Fliege zu den Sternen.  • {Andreas Wellinger}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt