Old Love

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* Andreas *

Gegen zehn Uhr morgens kam Hans endlich aus dem Operationsraum auf uns zu. Die schlimmste Nacht meines Lebens würde nun also Gewissheit bekommen und ein Ende nehmen. Seinem Blick zu urteilen würde er uns nicht so rosige Nachrichten übermitteln würde. Ich bekam Panik. Panik und Angst. Was, wenn es schon zu spät für Mila war? Seit 17 Uhr saßen wir nun schon in den Krankenhäusern und mit jeder Sekunde schwand unsere Hoffnung. Eine so lange Zeit war immer ein furchtbares Zeichen.

"Die OP ist durch. Mila hat es den Umständen entsprechend aufgenommen." Sprach er und alle seufzten erleichtert aus, doch in seinem blick erkannte ich, dass das die einzige gute Nachricht war, die er mit sich brachte. Auch Johanna bemerkte es und griff nach seiner Hand "Was ist los, Hans?" Fragte sie besorgt um ihre Tochter und Hans konnte sie kaum ansehen. "Nach einer Reanimation mussten wir sie in ein künstliches Koma versetzen." Sprach er leise und ich sah ihn ungläubig an. Mila lag im Koma? Scheiße! Scheiße! Gottversammter Abfuck! Wenn sie aufwacht, falls sie aufwacht, könnte alles anders sein.
"Die Blutungen waren zu stark. Wir hatten großes Glück, dass die Operation gut ausging." Fügte er hinzu um die Stimmung zu heben- erfolglos.
"Wird sie wieder aufwachen?" Fragte Johanna erschöpft und Hans zuckte mit den Schultern.
"Das kommt ganz auf Mila an. Wir haben getan, was wir konnten." Seufzte er.
"Und sonst?" Fragte Leonard aufgewühlt und Hans fuhr sich angespannt durch die Haare.
"Sie hat eine starke Gehirnerschütterung. Wir mussten ihren Hinterkopf nähen. Ob es irgendwelche inneren Schäden gibt, kann ich euch noch nicht sagen. Mila hat einige Platzwunden am gesamten Kopf und ihre Nase ist geprellt genauso wie ihr Kiefer. Ihr gesamter Brustkorb war zertrümmert. Andi, die Probleme die Mila mit ihrer Lunge hatte, kamen bereits daher. Ihre Rippen haben zu sehr darauf gedrückt. Sie hat zahlreiche Brüche und Prellungen und wir mussten sie insgesamt zweimal reanimieren. Mila hat viel Blut verloren, viel zu viel." Sprach er weiter und ich wusste, was als nächstes kommen würde, ehe er es aussprach.
"Aber sie ist noch nicht über den Berg." Beendete er den Satz und Johanna nickte schockiert. Wir konnten sie noch immer verlieren. In jeder beschissenen Sekunde, die verstrich.ä

"Sie braucht Ruhe, aber einer von euch kann zu ihr." Entschlossen sah Johanna zu mir.
"Geh zu ihr." Lächelte sie wehmütig und wandte sich an ihren Mann. Wie ferngesteuert lief ich durch die Tür und erschrak beim Anblick meiner Freundin. Sie hing an so vielen Geräten, dass mir übel wurde. Mila sah unglaublich schwach aus und ich betrat zögernd das Zimmer. Das altbekannte Piepen umzog meine Ohren und ich setzte mich an ihr Bett.
Ihre Augen waren geschlossen und ich traute mich kaum sie zu berühren. Ihr Kopf bestand beinahe nur aus Verbänden : um ihre Stirn, ihr Kinn und ihre Nase. Auch ihr Hals wurde von einem gestützt und auch an ihren Armen und beiden sah ich nur Verbände. Vorsichtig strich ich über ihre Finger, welcge sich so zerbrechlich anfühlten.
Beinahe hörte ich ihre Stimme in meinen Gedanken
'Hey Wellinger, schau mich nicht so an als wär ich ein Krüppel"
Unwillkürlich musste ich kurz lächeln, ehe ich den Kopf schüttelte.

"Du kannst jetzt nichte einfach gehen, okay? Ich brauche dich mehr als mich selbst." Seufzte ich schluchzend und erschrak als die Tür sich hinter mir öffnete. Ich konnte Hans' Blick nicht deuten, weshalb ich sogleich ängstlich fragte "Wie schlimm steht es um sie wirklich?"
Verdutzt blickte er zu mir ehe er näher kam und seufzte.

"Wir haben alles getan. Jetzt liegt es an Mila, es ist ihr Kampf. Alles, was wir tun können ist ihr zu zeigen, dass wir für sie da sind." Ich nickte nur, zu mehr war ich nicht fähig.
"Sie hat schon einige Besuche hier durch und überstanden, aber sie hat so viel Blut verloren, dass wir ihr eine Blutspende verabreichen mussten. Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wie sie das aufnimmt. Aber sie schafft es, Mila ist eine Kämpferin." Lächelte er schwach und deutete auf die Tür. Wortlos folgte ich ihm mit einem letzten Blick auf Mila und ließ mich von Johanna ablösen. Zusammen mit Hans und Leon begab ich mich in die Cafeteria, wo bereits meine Mutter saß und mir aufmunternd zulächelte.

"Glaubst du sie schafft es?" Fragte Leon an Hans gewandt sobald wir uns setzten und Hans zuckte mit den Schultern.
"Milas letzten Stürze waren schlimm, aber der war..." er ließ den Satz offen.
"Ich habe getan, was ich konnte...erinnerst du dich noch an das erste Mal als wir im Krankenhaus saßen und Mila operiert wurde? Alle dachten die Welt geht unter und dann kam Mila lächelnd vor uns auf die Beine." Erinnerte sich Hans und Leon nickte während meine Mutter sich zu uns setzte. Wie lange arbeitete Hans bitte schon als ihr Teamarzt?
"Ich weiß noch, als sie dich das erste Mal nach Hause gebracht hat...ich habe dir das Leben so schwer gemacht." Lachte Leon während Hans Blick auf mir lag. Und erst dann begriff ich, warum jeder ihm so sehr vertraute. Er war mit Mila zusammen gewesen. Warum hatte nie jemand ein Wort darüber verloren?

"Es ist schon ewig her. Ich war noch mitten in meiner Ausbildung." Erklärte er sofort als hätte er meine Gedanken gelesen und ich nickte nur.
"Wie geht es Mila?" Mischte sich nun meine Mutter ein und ich zuckte mir den Schultern während sie mich in ihre Arme zog.

Ich erinnerte mich plötzlich an jene Morgen, an dem ich neben Mila aufgewacht war. Sie hatte sich gerade ihr Shirt übergezogen als ich die Frage aussprach, welche mir lange auf der Zunge lag.
"Wss bedeutet eigentlich dein Tatoo?" Hatte ich gefragt und Mila hatte sich lächelnd zu mir gesetzt und auf die Blümchen in einer Mondform gezeigt.
"Es soll mich daran erinnern, dass Blumen in den dunkelsten Ecken wachsen auch ohne bewässert zu werden. Und dass es in jeder Dunkelheit Licht gibt, sei es noch so klein."

Fliege zu den Sternen.  • {Andreas Wellinger}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt