13 - Lädierte Sternschnuppe

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* Emilia *

Am Tag von Andreas' Wettkampf trat ich meine Rückreise nach Deutschland an. Mein Team hatte sich bereits bei mir verabschiedet, sodass nur noch unser Assistenzarzt Hans und einer unserer technischen Assistenten bei mir geblieben waren. Hans und Frederik hatten die Aufgabe bekommen, mich heil zum Flughafen zu bringen. Hans bestand auf den Rollstuhl, während ich mich lieber mit Krücken schindete, was ja wohl schon erniedrigend genug war. Natürlich schmerzte dadurch jeder Schritt umso mehr, da mein Handgelenk noch immer gestaucht war und auf meinem Brustkorb ein seltsamer Druck lag. Hans musterte mich kopfschüttelnd während er auf meinen Bericht des behandelnden Arztes schaute. Freddy schleppte währenddessen meine Koffer und betätigte den Fahrstuhl.
"Emilia!", hörte ich da die altbekannte Stimme der Pressesprecherin unseres Teams. Linda gehörte nicht gerade zu den Menschen, die ich nun unbedingt sehen wollte. Mir entging der genervte Blick des assistierenden Arztes nicht, welcher dennoch stehen blieb. Ich biss mir auf die Lippen, da das Stützen auf Dauer anstrengte und meine Schultern zu schmerzen begannen.
"Ich hole den Rollstuhl, Mila. Das ist mir ein zu hohes Risiko.", wandte er sich an mich und ehe ich ihn aufhalten konnte, machte er sich auf den Weg. Freddy half mir währenddessen mich auf einem Stuhl nieder zu lassen. Deprimiert seufzte ich über die Situation.
"Emilia.", atmete Linda erschöpft aus.
"Die Presse tummelt sich vor dem Krankenhaus. Leonard hat sich versprochen und wir haben Glück, dass die meisten an der Schanze stehen um dem deutschen Sprungteam aufzulauern.", fuhr sie fort. Ich hatte den deutschen Adlern noch allen eine WhatsApp-Nachricht geschrieben um ihnen viel Erfolg zu wünschen. In zwei Tagen würden sie dann auch wieder in Deutschland landen.

Hans kam mit einem Rollstuhl wieder und ich verdrehte die Augen.
"Ich möchte so keinesfalls in irgendeinem Online-Artikel auftauchen.", protestierte ich als Hans und Freddy mich in das blöde Ding setzten.
"Emilia! Du hattest einen ziemlich schweren Sturz und kannst momentan nicht auf eigenen Beinen stehen. Kannst du einfach mal deinen Stolz über Bord werfen?", fragte Hans nun in einem murrendem Ton. Mir war klar, dass ich es mit den Krücken nicht einmal zum Taxi geschafft hätte, aber trotzdem kam ich mir jetzt noch tausend mal jämmerlicher vor.
"Katja wollte auch noch mit dir reden, sie wird dich demnächst anrufen.", teilte mir Linda genervt mit und ging dabei ihre Handy Checkliste durch. Katja war zuständig für die Gesamtheit der sozialen Medien des Teams und im Gegensatz zu Linda hatte sie immer einen Spruch auf Lager.
"Linda, der Flieger geht bald. Was sollen wir jetzt tun?", fragte nun Freddy, welcher Linda scheinbar genauso lieb hatte wie ich. (Garnicht also).
"Wir bringen sie durch den Hintereingang, das Taxi wartet da. Am Flughafen müsst ihr alleine klarkommen, ich habe noch viel zu tun. Bringt sie am besten gleich zum richtigen Schalter. Leonard wird dort auf euch warten." Und damit verabschiedete sie sich endlich.
"Gott, da war der Sturz ja noch der leichte Teil.", seufzte ich genervt und entlockte den beiden jungen Männern ein Schmunzeln. Natürlich standen vor dem Hintereingang auch einige wenige Pressesprecher. So war also klar, dass ich in den nächsten Schlagzeilen als das behinderte Opfer gelten würde. Immerhin konnte ich jetzt die Menschen, die ich finanziell durch Spenden und durch meine Besuche unterstützte noch ein wenig besser verstehen. Also zeigte ich lediglich den Daumen nach oben ohne in die Kameras zu sehen, denn ich schämte mich wirklich. Andere Menschen saßen wegen Lähmungen in so einem Stuhl auf vier Rädern, während ich wegen einem lächerlichen Sturz darin saß. Kopfschüttelnd setzte ich mich in das Taxi, wobei ich natürlich erneute Hilfe benötigte und die Fragen der Pressesprecher weitesgehend ausblendete.

Am Flughafen dagegen schien niemand mit uns zu rechnen. Gott sei Dank war der Wettkampf an der Schanze interessanter als mein Erscheinungsbild. Freddy und Hans brachten mich sogar bis in das Flugzeug, wo Leon sie von ihren Pflichten ablöste. "Wie geht's dir?", fragte mein Bruder sofort und legte mir seine Hand auf die Schulter. Gott sei Dank war ich den Rollstuhl nun los und konnte meine Eltern hoffentlich von Krücken überzeugen, auch wenn mein Arm darunter leiden würde. Tasächlich ging es mir okay, zumindest glaubte ich das. Mein Fuß pochte zwar, aber der Gips würde in sechs Wochen abgenommen werden. Mein Brustkorb drückte bei Überanstrengung leicht gegen meine Lungen, aber die Ärzte meinten, das rege sich wieder ein. Mein Arm schmerzte bei jeder winzigen Bewegung, aber in wenigen Wochen würde die Stauchung Geschichte sein. Naja und mein Kopf pochte noch immer, was wohl noch etwas andauern würde, schließlich hatte der Ski mit voller Wucht mein Gesicht getroffen. Allem in allem ging es mir nicht schlecht.
"Will mich nicht beklagen.", lachte ich.
Am meisten schmerzte tatsächlich der Fakt, dass ich nicht die Chance hatte von mir zu überzeugen. Mein Trainer hatte mich zu Olympia mitgenommen, weil er mich in einer Topform gesehen hatte. Meine Sprünge waren stabil und konstant. Das war es, worauf ich so viele Jahre hingearbeitet hatte. Und jetzt hatte mir so ein blöder Sturz ausgerechnet bei Olympia alles ruiniert. So viele Menschen hatten meine Niederlage gesehen. Erst hieß es Emilia der aufsteigende Stern, nun war es wohl eher die erloschene Sternschnuppe. Es würde Ewigkeiten dauern ehe ich überhaupt wieder richtig trainieren konnte. Schon alleine wegen dem gebrochenen Bein. Und es würde noch länger dauern meine Form zurück zu erlangen, denn ein Sturz beeinträchtigte so ziemlich alles. Wie sollte ich mein Können wieder unter Beweis stellen, wenn ich es verloren hatte? Die Hoffnungen meines Teams lagen auf mir und ich wusste, dass sie auf mich zählten. Also musste ich schnellstmöglich wieder auf die Skier und hoffen, dass mein Oberstdorfer Trainer bereit war erneut mit mir bei Null anzufangen.

Fliege zu den Sternen.  • {Andreas Wellinger}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt