12 - Schnulze oder Horrorfilm

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* Emilia *

Das Krankenhaus engte mich so unendlich ein. Mir blieb quasi keine Wahl als anfangen zu heulen. Ich war deprimiert und wütend und das machte mich traurig. Die Ruhe hätte mir gut tun sollen, stattdessen erdrückte sie mich. Der Arzt hatte vor einigen Minuten seine Routineuntersuchungen durchgeführt und meine Werte überprüft. Laut ihm könnte ich in zwei Tagen zurück nach Deutschland zu meiner Familie. Vielleicht könnte ich dort ein wenig Ruhe genießen, was wohl schwierig sein würde, wenn man eigentlich bei Wettkämpfen verzichten musste.

"Du wirst erstmal gesund und dann schauen wir, wie wir weiter vorgehen. Vorerst wirst du definitiv eine Zeit lang  aussetzen müssen, Emilia. Du weißt, was ein Sturz für Auswirkungen haben kann."

Die Worte meines Trainer hingen in meinem Kopf und ich seufzte. Schließlich konnte ich mir keine lange Auszeit leisten, ich wollte meine Form nicht verlieren. Ich hatte so lange dafür gekämpft bei einem Weltcup dabei zu sein und dann runierte mir ein Sturz alles? Das würde ich definitiv nicht zulassen! Ich musste einfach alles schnellstmöglich wieder in den Griff bekommen, so schwer konnte das doch nicht sein. So ein Windstoß und der darauffolgende Unfall würden mir meine Karriere nicht nehmen. Es war einfach fürchterlich, dem ständigen Piepen der Geräte zu lauschen und die weißen Wände anzustarren. An einem Tag noch Olympiasiegerin und jetzt lag ich hier wie eine Idiotin. Nicht einmal selbst auf die Toilette gehen konnte ich, sodass ich eine Schwester rufen musste. Es war mir absolut peinlich und ich war froh, dass sie sich umgedreht hatte. Irgendwie hätte ich das doch verhindern können, doch stattdessen ließ ich mich die Schanze herunterzerren.

Ich griff nach meinem Handy, da unsere Pressesprecherin gebeten hatte ein Lebenszeichen von mir zu geben. Also postete ich eine Story auf Instagram, in der ich mein eingegipstes Bein fotografierte und dazu schrieb "Could be worse :)". Vorsichtig ging ich meine Benachrichtigungen durch und endete bei einem Video meines Sturzes. Immer und immer wieder beäugte ich diesen Fall. Ich sah, wie ich versuchte das Gleichgewicht zu halten. Sah wie ich zur Seite kippte und mein Ski sich löste. Wie dieser gegen mein Gesicht schlug. Unwillkürlich griff ich an den Verband um meinen Kopf und meine Sicht verschwamm, sodass ich garnicht bemerkte als das Mittagessen gebracht wurde. Hunger hatte ich allerdings sowieso nicht und bei der wenigen Bewegung konnte ich mir sowieso keine zusätzlichen und unnötigen Kalorien leisten. Keine Ahnung, wie oft ich mir das Video ansgesehen hatte, welches auf einer Fanpage gelandet war. Ich hatte mich vor unzähligen Menschen blamiert und am allermeisten vor mir selbst. Es war entwürdigend.

Stundenlang starrte ich auf den Bildschirm, als Andreas plötzlich eintrat. Er trug wie gewohnt ein breites Lächeln im Gesicht, doch sein Ausdruck änderte sich sofort.
"Alles okay?", fragte er besorgt und als ich auf die Uhr meines Handys blickte, war mir klar, dass ich sämtliche Stunden auf das Display gestarrt haben musste.
"Schnulzige Serie geschaut.",erwiderte ich schnell und er zog die Augenbrauen nach oben.
"Und welche?", fragte er interessiert und ich wusste, dass er mir kein Wort glaubte. "Tote Mädchen lügen nicht.", warf ich sofort ein und staunte über meine eigene Kreativität. Er schüttelte den Kopf und griff schneller als ich reagieren konnte nach meinem Handy.
"Dein Ernst?", fragte er und setzte sich auf meine Bettkante.
"Es ist ein Tag vergangen und du ziehst dir das rein?" Eine Schwester trat ein um mir das Abendessen und die Tabletten zu bringen. Sie schaute uns kurz an, ehe sie wieder verschwand.

Andreas sah mich auffordernd an.
"Es war nur Zufall.", rechtfertigte ich mich genervt und er schüttelte erneut den Kopf.
"Wie oft hast du dir das jetzt reingezogen?", fragte er.
"Nicht oft.", antwortete ich schnell und er schmunzelte.
"Du könntest es auch einfach mit der Wahrheit versuchen.", sprach er und ich verdrehte die Augen.
"Und wie geht es dir jetzt damit?", fragte er und ich seufzte "Wird das jetzt ein Verhör?"
Nun grinste er amüsiert "Naja, eher so ein Interview.", prustete er los und lachte über seinen eigenen Witz, welcher so unglaublich schlecht  gewesen war, dass ich auch in einem Lachflash endete.
"Der war richtig flach.", gab ich zu als wir uns halbwegs beruhigt hatten und er nickte während er drohte erneut loszulachen.
"Ich weiß", grinste er, doch wurde sofort wieder ernst.
"Also jetzt mal ehrlich, was nimmst du dir jetzt daraus mit?", fragte er und ich zuckte mit den Schultern.
"Ich bin mir einfach so sicher, dass ich es hätte verhindern können. ", seufzte ich letzendlich und er nickte.
"Rutsch mal.", bat er und setzte sich neben mich auf das Bett.
"Das habe ich mir auch ewig vorgehalten, aber es ist nun einmal einfach passiert. Woran es lag sei mal dahingestellt. Es ist passiert und man muss das verarbeiten. Ich weiß, wie verdammt beschissen das ist, aber man kann es nur akzeptieren. Sich die Schuld zu geben ist nicht unbedingt produktiv.", sagte er dann und atmete erleichtert aus.
"Ich hatte heute so viele Interviews, dagegen ist das Krankenhaus purer Luxus.", lachte er und zog sich meine Decke über die Beine "Mach's dir nicht zu gemütlich.", protestierte ich.
"Irgendein Pressevogel hat mich verfolgt, deshalb haben sie auch auf meinen Sturz angespielt.", stöhnte er genervt und schlug die Beine übereinander.

"Als hätten sie kein eigenes Leben oder andere Sportler die sie stalken können.", lachte er ironisch.
"Leonard kann übrigens nicht kommen, wegen seinem Wettkampf. Er hat mich gebeten zu kommen, weil sich bei ihm durch irgendwelche technische Defekte etwas verschoben hat." Ich nickte und startete die Liveübertragung auf meinem Handy um meinem Bruder wenigstens digital zuzusehen. Andreas warf ab und an einen blöden Kommentar ein, ehe er irgendwann einschlief. Das fotografierte ich natürlich um ihn damit aufziehen zu können. Da er morgen einen Wettkampf hatte, weckte ich ihn vorsichtig. Verschlafen streckte er sich und sah mich an "Oh shit, sorry. Das war einfach ein langer Tag.", lachte er und stand auf.
"Verständlich. Du musst dich dafür nicht entschuldigen."
Er lächelte kurz "bis morgen" und schloss die Tür hinter sich.

Fliege zu den Sternen.  • {Andreas Wellinger}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt