Mörder

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„Ich...Ich kann das nicht", stotterte ich, als meine Basecap zu Boden fiel und ich mein Gesicht an Harrys Brust vergrub. Harry erwiderte nichts darauf. Stattdessen legte er beide Arme um meinen Rücken und gab mir den Halt, den ich so sehr brauchte. „Ich bin ihr Mörder", krächzte ich unter Tränen. „Ich habe sie umgebracht."

„Du bist nicht Schuld an ihrem Tod, Louis", sagte Harry leise. Ich spürte, wie er seinen Stirn auf meinen Kopf bettete und langsam mit einer Hand meinen Rücken auf und ab streichelte. „Du bist auch nicht ihr Mörder. Sie hat die Medikamente selbst eingenommen. Es war ganz allein ihre Entscheidung", sprach er weiter. Ich schüttelte leicht meinen Kopf, während mir unaufhörlich Tränen aus den Augen rannen.

„Ich bin Schuld. Genau wie Lottie gesagt hat. Ich ganz allein bin für ihren Tod verantwortlich", flüsterte ich leise, nicht wissend, ob Harry die Worte überhaupt verstehen konnte. Doch scheinbar hatte er sie gehört, denn er verstärkte seinen Griff und zog mich noch näher zu sich. „Lottie hat Unrecht, Louis. Fizzy hat ihrem Leben ganz alleine ein Ende gesetzt. Da hat niemand Schuld." Obwohl er mir diese Worte letzte Nacht immer wieder einzureden versucht hat, konnte ich ihnen keinen Glauben schenken. Ich war es schließlich, der die Medikamente von der Apotheke geholt und Fizzy gebracht hatte. Ich war der Grund, wieso sie überhaupt Medikamente nehmen musste. Nur wegen mir waren die Augen der Öffentlichkeit auf sie gerichtet. Nur wegen mir hatte sie Angstzustände und Panikattacken.

„Hör zu, Louis", sagte Harry und musterte mich eindringlich. Seine Hände legte er auf meinen Schultern ab, dann schenkte er mir ein aufmunterndes Lächeln. „Du hast ihr zwar die Medikamente gebracht, aber du hast ihr nur so viele gebracht, wie der Arzt ihr verschrieben hatte. Du warst nicht einmal da, als sie sie eingenommen hat. Ihr Tod ist nicht deine Schuld, Louis. Bitte versteh das doch endlich. Fizzy ist für ihren Tod selbst verantwortlich. Und Lottie versucht nur ihre Trauer zu verarbeiten. Tief in ihrem Inneren weiß auch sie, dass du nicht Schuld an Fizzys Tod hast."

Völlig verzweifelt kräuselte ich meine Stirn und schloss meine Augen in der Hoffnung, der Schmerz würde dadurch einfach so verschwinden. Doch natürlich tat er das nicht. Erst als Harry nach meinen Händen griff und beruhigend über meine Handrücken streichelte, konnte ich wieder ruhiger atmen. „Wollen wir weitergehen?", erkundigte er sich leise, woraufhin ich wieder meine Augen öffnete. Langsam nickte ich und nahm noch einen tiefen Atemzug. Harry verzog seine Lippen zu einem sanften Lächeln, bevor er meine Kappe vom Boden aufhob und sie mir wieder aufsetzte. 

Dann legte er eine Hand auf meinen Rücken und führte mich weiter an unzähligen Gräbern vorbei. Meine Schritte waren fast schon mechanisch, ich konzentrierte mich nur darauf, einen Schritt vor den anderen zu setzen und mich von Harry leiten zu lassen, während ich mir Mühe gab, meinen Blick starr auf den Pfad zu richten und nicht zu den Grabsteinen abseits des Weges schweifen zu lassen.

„Félicité Grace Tomlinson", murmelte Harry plötzlich und blieb stehen. Ich spürte, wie ein panisches Gefühl jede Zelle meines Körpers heimsuchte und mein Atem stockte. Meinen Blick wandte ich jedoch nicht gleich dem Grab zu. Ich blinzelte etwas und sah in den Himmel hinauf, um mir ein paar Sekunden in Frieden zu gönnen, bevor ich all meinen Mut zusammenraufen und Harry die wenigen Schritte zum Grab folgen konnte.

Als ich den Stein mit ihrem Namen erblickte, fühlte ich mich, als würde ich von einem Tsunami überrollt werden. All die Gefühle, die ich die letzten Monate zu verdrängen versucht hatte, brachen jetzt über mich herein und schienen mich innerlich zu zerreißen. Nach Halt suchend, tastete ich mit einer Hand nach Harry, während sich mein Blick nicht eine Sekunde von dem Grabstein löste. Dann spürte ich, wie Harry sich neben mich stellte und einen Arm um meinen Rücken legte.

Minuten um Minuten zogen dahin, in denen ich einfach nur wie erstarrt dastehen und den Grabstein betrachten konnte. Fassungslosigkeit paarte sich mit Schuld. Trauer paarte sich mit Unglaube. Fizzy war tot. Ein Satz, den ich bereits häufig gesagt und noch häufiger gehört hatte. Aber es war nur ein Satz. Eine wahllose Aneinanderreihung von Worten. Hier aber die Stätte zu sehen, an der meine kleine Schwester begraben worden war, machte diesen Satz plötzlich real. Fizzy würde nie mehr wiederkommen. Und ich war Schuld.

Schnell schloss ich meine Augen und atmete tief durch. „Ich wollte nie, dass du wegen mir stirbst, Fizzy", flüsterte ich und schluckte schwer. Ich konnte hören, wie Harry scharf die Luft einzog, bevor er behutsam eine Hand an meine Wange legte. „Sie ist nicht wegen dir gestorben", erklärte er mir leise und zog mich fest in seine Arme. Ich blieb stumm, denn ich hatte keine Kraft mehr, ihm zu widersprechen. Mein Gesicht hatte ich schmerzvoll verzerrt, während ich gegen die Tränen ankämpfte, die mittlerweile meine Wangen fluteten und Harrys Oberteil durchnässten.

Schluchzend rang ich um Fassung und versuchte mich auf meinen wackeligen Beinen zu halten, dann blickte ich erneut zu Fizzys Grab. „Louis", sagte Harry mit beruhigender Stimme. „Wollen wir gehen und morgen wiederkommen? Ich will nicht, dass es dir zu viel wird." Ich hob meinen Kopf an und sah in seine Augen, in denen man nichts als Zuneigung zu sehen war. Trotz der Trauer um meine Schwester spürte ich, wie das Pochen meines Herzens immer schneller wurde und sich gleichzeitig eine Ruhe in mir ausbreitete, die all die lauten Schuldgefühle verstummen ließ.

„Gut, gehen wir", stimmte ich ihm zu, woraufhin Harry mir ein Lächeln schenkte und dann den Blumenstrauß vor dem Grabstein ablegte. Ich verharrte einen Moment, in welchem ich mir dieses Bild fest einprägte, dann drehte ich mich um und lief los. Der Schmerz und die Trauer waren noch immer präsent, dennoch hatte ich das Gefühl, dass sie mich nicht mehr so gefangen nahmen wie vor dem Besuch des Grabes. 

Schweigend liefen Harry und ich mit etwas Abstand nebeneinander her, bis wir wieder den Parkplatz erreichten. „In welchem Hotel wollen wir übernachten?", erkundigte sich Harry, als wir schließlich im Auto saßen. Ich ließ meinen Blick durch die Windschutzscheibe hinaus wandern und sah einem Baum dabei zu, wie eine leichte Brise seine Blätter wehen ließ. 

„Ich will nach Hause."

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[1029 Wörter, 31.07.2020]

Louis beginnt wohl damit, sich endlich dem zu stellen, wovor er lange Zeit davongelaufen ist. Zum Glück hat er Harry dabei. Wie das Treffen mit seiner Familie wohl ablaufen wird?

(Samstag + Sonntag kommt wahrscheinlich kein Update, bin Arbeiten und Feiern und muss mich anschließend von letzterem erholen. Wenn Sonntag ein Update kommt, dann wisst ihr, dass die Party nicht gut war )

Only The Brave || Larry AUWo Geschichten leben. Entdecke jetzt