Als ich Sonntagmorgen die Augen aufschlug, wollte ich am liebsten für immer so liegen bleiben. Den gestrigen Tag hatte ich komplett auf dem Trainingsgelände verbracht, da heute ein wichtiges Spiel für die Blues anstand. Doch ich hatte den ganzen Tag den Schlafmangel gespürt, der mit der Party am Freitagabend einherging. So war ich am Ende des Tages ziemlich geschlaucht. Auch meinem Freund ging es da nicht besser. Er war am Morgen noch halb betrunken zur Arbeit gegangen. So war es keine Überraschung, dass wir beide am Abend schon früh ins Bett gegangen waren.
Ich atmete noch einmal entspannt durch, dann kletterte ich vorsichtig aus dem Bett. Mein Freund schlief noch immer tief und fest, sodass er gar nicht bemerkte, wie ich an unserem Kleiderschrank hantierte und meine Laufklamotten heraussuchte. Wenig später schlich ich mich auf leisen Sohlen aus der Wohnung hinaus. Doch kaum hatte ich die Tür hinter mir zugezogen, ertönte auch schon mein Name in dem leer geglaubten Flur. Überrascht schreckte ich herum und sah Michal, der ebenfalls gerade seine Wohnungstür abschloss. „Guten Morgen, Michal", grüßte ich ihn erleichtert.
„Was machst du schon so früh?", wollte er wissen und ließ dabei seinen Schlüssel in seine Hosentasche gleiten. „Ich gehe eine Runde laufen. Wir spielen heute gegen Liverpool, da muss ich fit sein", erklärte ich meinem Nachbarn. Michal nickte ein wenig, dann trottete er neben mir her in Richtung Treppenhaus. „Ist das wieder ein Auswärtsspiel?", erkundigte er sich mit fast schon überschlagender Stimme. Verwirrt blieb ich stehen, um ihn zu mustern. „Ein Heimspiel, warum?", entgegnete ich kühl. Aus Michal wurde ich nicht wirklich schlau. Das war eine Tatsache, die mich wirklich fuchste.
„Als ihr gegen Valencia gespielt habt, da hat Harry mich eingeladen, mit ihm das Spiel anzusehen", begann Michal seine Erklärung. „Lass mich raten, Gemma war auch da", riet ich amüsiert ins Blaue hinein. Michals verhaltenes Räuspern war mir daraufhin Antwort genug. „Harry und Gemma haben von mir Dauerkarten für Stamford Bridge bekommen. Wenn du möchtest, kannst du auch eine Karte haben, dann kannst du sie begleiten", bot ich an. Michal seufzte lautstark, dann raufte er sich die Haare. „Das ist wirklich nett von dir, Louis", sagte Michal und hielt einen Moment inne.
„Du musst mich wirklich für einen Versager halten, weil ich mich nicht traue, Gemma anzusprechen. Aber sie ist einfach der Wahnsinn und jedes Mal, wenn sie vor mir steht, vergesse ich, was ich eigentlich sagen wollte", erklärte er mir. Harry hatte mir erzählt, dass Michal Medizinstudent war und den Großteil seiner Zeit mit seiner Nase in irgendwelchen Anatomiebüchern hing. Deshalb waren seine sozialen Kompetenzen wohl etwas eingerostet. „Ich halte dich nicht für einen Versager, Michal", tröstete ich ihn und versuchte mich sogar an einem Lächeln. „Begleite die beiden heute doch einfach zum Spiel. Ich schätze in dieser lockeren Atmosphäre wirst du es auch schaffen, normal mit Gemma zu sprechen", motivierte ich ihn.
Als wir das untere Ende der Treppe erreicht hatten, stimmte Michal meinem Vorschlag schließlich zu und wünschte mir noch Glück fürs heutige Spiel. Doch gerade das vorher erwähnte Spiel gegen Valencia hatte gezeigt, dass ich Glück gar nicht nötig hatte. Alles, was ich für einen Erfolg auf dem Platz brauchte, war ein glücklicher Harry, der mir versprach, sich das Spiel anzusehen. Denn er war mein persönlicher Glücksbringer.
An der Haustür trennten sich dann die Wege von Michal und mir. Sogleich begann ich mit kleinen Aufwärmübungen, bevor ich mein Lauftempo erreichte und Block für Block durch London rannte. Anders als bei meinem ersten Versuch, die Gegend zu erkunden, hatte ich mir im Vorfeld überlegt, welche Straßen ich entlang gehen konnte, ohne groß Aufsehen zu erregen. So mied ich alle belebten Orte und joggte eher durch einsame Gassen und wenig besuchte Parks.
Den letzten Kilometer meines Laufs legte ich in Schritttempo zurück, um meinen Kreislauf wieder herunterzufahren und meine Herzfrequenz zu senken. Ich konzentrierte mich auf eine gleichmäßige Atmung und ein gleichbleibendes Lauftempo, während ich die letzten Meter nach Hause lief. Kurz bevor ich allerdings unser Wohnhaus erreichte, wurde meine Konzentration jäh durch den Nachrichtenton meines Telefons unterbrochen, der lautstark auf sich aufmerksam machte. Genervt zog ich mein Smartphone aus meiner Tasche und tippte die eingegangene Nachricht an. Schon als ich den Absender sah, war von meiner gereizten Stimmung nichts mehr übrig.
Stattdessen vertiefte ich mich lächelnd in die Worte, die mein Freund mir gesendet hatte. Daher bemerkte ich zu spät, dass jemand vor der Eingangstür zu unserem Haus stand. Geschockt drehte ich ihr schnell den Rücken zu, doch es war zu spät. Sie hatte mich wohl schon bemerkt. „Entschuldigung?", rief sie mir zu. Innerlich fluchend hielt ich einen Moment inne und überlegte, was ich tun sollte. Einfach wegrennen? Die Frau ignorieren und eiskalt an ihr vorbei gehen?
Ich atmete tief durch, dann entschloss ich mich dazu, mich der Sache zu stellen und mich wieder der Frau zuzuwenden. „Wohnen Sie hier?", fragte sie direkt, während sie mit ihrem Smartphone in der Luft herum fuchtelte und zum Eingang des Gebäudes deutete. Erneut gingen mir allerlei Flüche durch den Kopf, wobei ich mir fast schon krampfhaft die Ausgänge dieses Gesprächs ausmalte. Diese Frau war eindeutig eine Reporterin. Und offensichtlich wusste sie, wo ich in letzter Zeit immer ein und aus gegangen war.
„Ja", antwortete ich schließlich wahrheitsgetreu. Schon mit Harry hatte ich ausgemacht, nicht zu lügen, sollte jemand fragen, in welchem Stadtteil ich nun wohnte. Seiner Ansicht nach war es wenig verhängnisvoll, das zuzugeben. Es durfte nur niemand erfahren, mit wem ich zusammen wohnte.
„Oh gut, würden Sie mir bitte die Tür aufschließen?", bat die Frau mich und ließ erneut ihre Arme aufgeregt durch die Luft fliegen. „Warum?", entgegnete ich barsch. Die schwarzhaarige Frau stoppte die Bewegung ihrer Arme und deutete auf das Telefon in ihrer Hand. „Ich mache mir Sorgen um meinen Sohn, er hat sich schon seit Tagen nicht mehr bei mir gemeldet", erklärte sie mir mit besorgter Stimme. Ich zögerte einen Moment, da diese Aussage all meinen Vermutungen bezüglich ihrer Anwesenheit widersprach. Nach kurzer Zeit des Grübelns beschloss ich ihr Glauben zu schenken. Daher schloss ich die Tür auf und gewährte ihr Eintritt.
„Vielen, vielen Dank", sagte sie und betrat mit mir gemeinsam die Treppe. Ich hatte gehofft, sie würde den Fahrstuhl nehmen, dann wäre ich sie endlich los gewesen. Doch nein, Stufe für Stufe ging sie neben mir her und versuchte mich dabei angeregt in ein Gespräch zu verwickeln. „Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen zu nahe trete, aber sind Sie schwul?", fragte die Frau plötzlich und blieb neben mir auf einer Treppenstufe stehen.
Diese eine Frage, mehr brauchte es nicht, um mir den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Ein eiskalter Schauer wanderte meinen Rücken hinab, während ich die Frau vor mir musterte. Dachte ich eben noch, dass sie einfach nur eine besorgte Mutter war, so war ich mir nun sicher, dass es eine Reporterin sein musste. Eine Reporterin, die einen mit ihrem schauspielerischem Geschick leicht um den Finger wickeln konnte.
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[1142 Wörter, 01.10.2020]
Michal lässt sich mal wieder blicken:) Was haltet ihr von ihm?
Und ooh, was ist das nur für eine Frau, die Louis aufgelauert hat?!
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Only The Brave || Larry AU
FanfictionLouis ist Profi-Fußballer, dessen Leben zur Zeit nicht besser laufen könnte. Wäre da nicht eine Begegnung, die ihn nicht loslassen wollte. [ziemlich lange Larry Au] ACHTUNG TRIGGERWARNUNG: Diese Geschichte thematisiert Suizid und Missbrauch. Diese K...