Unfall

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Leises, stetiges Piepen hallte durch den Raum und dröhnte in meinem Kopf. Angst vor dem was auf mich zukommen würde, presste ich meine Augenlider so fest zusammen, dass kein Funke Tageslicht durch sie hindurch kam. Alles, was ich sah, war Dunkelheit. Dunkelheit, von der ich geglaubt hatte, sie hätte mich bereits mitgerissen. Und doch fühlte ich mein Herz in meiner Brust kräftig pochen. Als hätte es wieder gelernt, wie das gehen würde. Als wäre mein Herz erst jetzt wieder so richtig aufgewacht.

Ich verzerrte mein Gesicht zu einer schmerzerfüllten Grimasse, als ich daran dachte, was passiert war. Ich sah Licht. Einen Lichtstrahl in dem schimmernden Wasser des Pools. Ich sah Harry, wie er in seinem Blumenauto davonfuhr. Ich sah Harry, wie er mir ein liebevolles Lächeln schenkte und mir sagte, dass er bleiben wollte. Aber nicht konnte.

Vorsichtig versuchte ich mich auf meine Atmung zu konzentrieren, da bemerkte ich etwas in meinem Gesicht. Als ich mich gerade mit einer Hand zu dem Plastikteil vortastete, das Mund und Nase bedeckte, hörte ich, wie ein Stuhl zur Seite geschoben wurde und schnelle Schritte durch den Raum eilten. „Louis, du bist wach!"

Ich rümpfte meine Nase und gab ein genervtes Brummen von mir. „Kannst du mich hören?", erkundigte sich mein bester Freund. Blinzelnd öffnete ich meine Augen und nahm endlich dieses Teil von meinem Mund. Ich versuchte, seine Frage zu bejahen, doch alles was über meine Lippen kam, war ein erbärmliches Krächzen.

„Oh Louis, du weiß gar nicht, was du mir für eine scheiß Angst eingejagt hast", redete Liam auf mich ein und legte seine Hand an meinen Unterarm. „Ich habe mir Sorgen um dich gemacht, als du nicht ans Telefon gegangen bist. Also habe ich bei Eleanor den Hausschlüssel geholt. Sie hat mir erzählt, dass ihr zwei euch getrennt habt. Warum hast du denn nicht mit mir darüber geredet, Louis?", machte er mir Vorwürfe. Doch seine Mimik zeigte mir, dass die eigentlich pure Besorgnis bedeuteten. Er schien selbst zu bemerken, dass er von mir keine Antwort erwarten konnte, also plauderte er weiter. „Ich hab dich dann im Pool gefunden und den Rettungsdienst alarmiert. Scheiße, die letzten Stunden hatte ich keine Ahnung, ob du überhaupt wieder aufwachen würdest."

Erst durch seine Worte wurde mir bewusst, wie ernst die Lage war. Ich hatte mich beinahe umgebracht. Ich wäre beinahe bitterlich in diesem Pool ertrunken. Und das nur, weil ich keine Kraft mehr hatte, um mein Leben zu kämpfen. Dabei hatte ich doch etwas, wofür es sich zu kämpfen lohnte. „H-Harry", krächzte ich unter Schmerzen. Liam legte seine Stirn in Falten und zog den Stuhl näher an mein Bett. „Ich habe ihn angerufen, er ist auf dem Weg hier her", erklärte er mir. Ich machte große Augen und schüttelte panisch meinen Kopf. Harry sollte mich nicht so sehen. Und vor allem sollte er sich nicht verpflichtet fühlen, sich um mich zu kümmern, sollte er erfahren, was ich mir angetan hatte. 

„Ich dachte, zwischen euch läuft etwas, Louis. Ich dachte, du würdest ihn vielleicht sehen wollen." Ich versuchte den Schmerz hinunterzuschlucken und Liam zu erklären, dass er Harry wegschicken sollte, da ging auch schon die Tür auf und ein aschfahler Kopf blickte in das Zimmer. „Louis", flüsterte er leise, als könne er nicht glauben, mich so zu sehen. Aber ich konnte ja selbst kaum glauben, wie tief ich gesunken war. 

Harry zögerte nicht mehr länger, sondern kam schleunigst auf mich zu gerannt. Er drängte sich an Liam vorbei, legte beide Hände an meine Wangen und legte seine Lippen sehnsuchtsvoll auf meine. Ich konnte gar nichts tun, außer meine Augen zu schließen und den Kuss zu genießen, der wie ein Sonnenstrahl meinen ganzen Körper zu erleuchten schien. Als Harry sich viel zu schnell wieder von mir löste, lehnte er seine Stirn gegen meine und sah mir tief in die Augen. „Ich bin so froh, dass du noch lebst. Liam hat mir am Telefon erzählt, dass du einen Unfall hattest und fast ertrunken wärst."

Ich spürte, wie er sanft mit seinen Daumen über meine Wange streichelte. Doch antworten konnte ich ihm nicht. Sein Blick hatte mich gefesselt und nahm all mein Denken in Beschlag. „Harry", krächzte ich. Der Florist ließ etwas von mir ab und schüttelte seinen Kopf. Dabei hatte er ein sanftes Lächeln im Gesicht, das mir zeigte, dass er nicht über den Vorfall von neulich reden wollte.

„Seid ihr zusammen?", unterbrach mein bester Freund unseren intimen Moment. Ich sah dabei zu, wie Harrys Lächeln wieder fiel und er sich traurig neben mich auf die Bettkante setzte. Trotzdem griff er nach meiner Hand und hielt sich daran fest. „Nein, sind wir nicht", antwortete er Liam wahrheitsgetreu. Und doch wünschte ich, diese Worte wären nicht mehr richtig. 

„Ich frage nur, weil er und Eleanor sich ja jetzt endgültig getrennt haben", redete mein bester Freund weiter. Er schien mich mit Harry verkuppeln zu wollen, was ich ganz und gar nicht wollte. Ich wollte um Harry kämpfen, wie er es verdient hatte. Denn Harry hatte die Welt verdient. 

„Endgültig?", klang Harrys erstaunte Stimme durch mein Krankenhauszimmer. Langsam nickte ich. Ich wollte nicht, dass er sich zu sehr darüber freute, schließlich war die Trennung ganz alleine von Eleanor ausgegangen. Und doch fühlte es sich an, als wäre seitdem eine unendlich schwere Last von mir abgefallen. 

„Harry, würdest du bei Louis bleiben? Die Ärzte haben gesagt, dass er noch nicht über den Berg ist. Er steht die nächsten vierundzwanzig Stunden noch unter Beobachtung." Liam hatte sich von seinem Stuhl erhoben und stellte sich nun an den Rand des Bettes. Harrys Nicken hatte ihm wohl als Antwort gereicht. „Es tut mir leid, dass ich gehen muss, aber ich muss auf Bear aufpassen. Vielleicht komme ich nachher noch einmal mit ihm zusammen vorbei. Aber du hast ja Harry, der auf dich aufpasst."

Liam verzog seine Lippen zu einem verschmitzten Grinsen, dann drehte er sich um und verschwand. Ich sah ihm noch einen Moment hinterher, dann blickte ich zu Harry, der mich unsicher ansah. So gut es ging rutschte ich etwas zur Seite und deutete auf den Platz neben mir. Harry verstand die stumme Aufforderung, denn er zog schnell seine Schuhe aus und legte sich neben mich. Als er sich vorsichtig von der Seite an mich kuschelte, spürte ich, was mir die letzten zehn Tage gefehlt hatte. Mein Sonnenschein. 

Völlig orientierungslos war ich durch die Welt geirrt, doch jetzt war mir klar, dass ich ihn brauchte. Ich spürte, wie der Kampfgeist wieder in mir aufloderte. Es fühlte sich an, als könnte ich wirklich alles schaffen. Vielleicht könnte ich es jetzt sogar schaffen, ich selbst zu sein. Vielleicht hielt die Zukunft ja doch noch Glück für Harry und mich bereit.

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[1101 Wörter, 17.07.2020]

Louis lebt:)

Und Harry ist auch wieder da. Was haltet ihr von Louis Sinneswandel?

Only The Brave || Larry AUWo Geschichten leben. Entdecke jetzt