Diktiergerät

2.1K 207 26
                                    

„Nochmals vielen Dank für alles, Louis", sagte Gemma eine Stunde später, als wir alle gemeinsam an dem großen Esstisch im geräumigen Wohnbereich saßen. „Gerne", erwiderte ich und ließ dabei meinen Blick zu Harry schweifen. Trotz all der Geschehnisse der letzten Tage sah er im Moment unheimlich zufrieden aus. Innerlich klopfte ich mir auf die Schulter, da Harrys Gesichtsausdruck es vollkommen wert war, seine Schwester und ihren Freund einfliegen zu lassen.

„Ich hätte nie gedacht, einmal in einem Privatjet zu fliegen", meinte Michal, als er sein Besteck im Teller ablegte und sich entspannt im Stuhl zurücklehnte. „Ich hätte niemals gedacht, dass ich einmal Sex mit einem Mann haben würde. Aber es gibt wohl für alles ein erstes Mal", entgegnete ich und lehnte ich ebenso im Stuhl zurück. Augenblicklich spürte ich, wie Harry seine Hand auf meinen Oberschenkel legte und einmal kurz zudrückte, als würde er mir mitteilen wollen, dass auch seine Gedanken noch im Fitnessraum waren.

„Wie darf ich das verstehen, Louis? Hat mein Bruder dich etwa... bekehrt?", fragte Gemma erstaunt und bettete dabei ihr Kinn neugierig auf die Rückseite ihrer verschränkten Hände. „Nein, Gemma. Louis weiß schon ziemlich lange, dass er bi ist", erwiderte Harry an meiner Stelle. Er kannte mich besser als jede andere Person auf diesem Planeten. Manchmal hatte ich sogar das Gefühl, dass er mich besser kannte als ich mich selbst. „Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie es ist, als pubertierender Teenager in der Mannschaftsdusche seine Sexualität zu verbergen", ergänzte ich leise, während ich meine Hand auf Harrys legte.

„Aber dann sollte die Vorstellung, mit einem Mann zu schlafen, doch niemals abwegig für dich gewesen sein, oder?", erkundigte sich Harrys Schwester, wobei sie ihren Kopf schief legte und mich abwartend musterte. Ich seufzte, dann schüttelte ich träge den Kopf. „Ich konnte es mir immer vorstellen, aber ich wusste ebenso, dass ich mich niemals auf einen Mann einlassen dürfte. Selbst ein One-Night-Stand, ich wusste, ich dürfte mich niemals auf diese Weise einem Mann nähern. Denn der wäre dann ein Mitwisser. Das wiederum kam für mich immer einem Karriereende gleich", erläuterte ich meine Situation und umschloss dabei Harrys Hand mit meinen Fingern.

„Du hast mich geküsst", flüsterte mein Freund in die aufkommende Stille hinein. „Du hast mich geküsst, zu einem Zeitpunkt, als du gerade so meinen Namen kanntest. Du wusstest rein gar nichts über mich", redete er weiter, weshalb ich meinen Kopf in seine Richtung drehte und seinen überraschten und gleichzeitig stolzen Blick bemerkte.

„Das war das Riskanteste, das ich jemals in meinem Leben getan habe", antwortete ich auf seine Bemerkung hin. „Aber wenn ich ehrlich bin, war es auch gar keine aktive Entscheidung, das zu tun. Ich konnte gar nicht anders, als dich zu küssen. Ich schätze, du bist einfach besonders." Mein Freund strahlte mich regelrecht an, bevor er sich mir entgegen lehnte und seine Lippen sanft auf meine legte. „Du bist in meinen Augen auch ein besonderer Mensch", flüsterte er, dann küsste er mich erneut. 

„Louis", mischte sich Gemma ein und zwang mich somit dazu, meinen Blick von meinem Freund zu nehmen. Doch der grinste mich gerade so einnehmend an, dass mir das unheimlich schwer fiel. „Ja?", erwiderte ich, als ich schließlich meinen Blick von Harry lösen konnte. „Auf die Gefahr hin, dass ich deine Gastfreundschaft hiermit überstrapaziere, wollte ich dich um einen Gefallen bitten. Du weißt doch, von dem Artikel, den ich momentan schreibe... Ich würde dich dafür gerne interviewen", erklärte Gemma, was mich augenblicklich in Schockstarre verfallen ließ. 

Ich zog meine Augenbrauen in die Höhe und räusperte mich, bevor ich meine Schultern straffte und mich etwas aufrichtete. „Nein. Gemma, es tut mir leid, aber nein. Das ist mir zu gefährlich", erwiderte ich mit krächzender Stimme und wagte es nicht, wieder zu Harry zu sehen. Er hatte seiner Schwester noch nie einen Wunsch abgeschlagen, sicher würde er es auch nicht gutheißen, wenn ich das tat. 

„Das verstehe ich natürlich, Louis. Aber in dem Artikel werden keinerlei Fakten genannt. Es geht hauptsächlich um psychische Gesundheit und inwiefern die Homophobie in der Sportwelt eine emotionale Belastung für die Betroffenen darstellt. Ich werde auch nichts erwähnen, das irgendwie auf dich schließen könnte. Sowieso gehe ich mit allen Interviewdaten sensibel um. In deinem Fall ja besonders, schließlich würde ich es mir mit meinem Bruder verscherzen, sollte ich ungewollt Informationen über dich ausplaudern."

„Absolut nichts, das meine Karriere gefährden könnte?", hakte ich nach und musterte Harrys Schwester dabei skeptisch. Gemma schüttelte entschieden den Kopf, dann legte sie ihre verschränkten Hände vor sich auf dem Tisch ab und setzte sich ebenfalls etwas auf. „Ich werde nur erwähnen, dass du Fußballer bist. Kein Wort über deine Herkunft, deinen aktuellen Verein oder sogar deine Nationalität." Unsicher kratzte ich mir am Hinterkopf, dann atmete ich tief durch und schloss meine Augen. Nach einem Augenblick Bedenkzeit blickte ich wieder zu Gemma und deutete ein leichtes Nicken an. „Dann machen wir das aber sofort, wenn das geht", instruierte ich, um das Interview so schnell wie möglich hinter mich zu bringen.

„Gut, ich habe alles dabei. Ich hatte gehofft, du würdest ja sagen", strahlte Gemma, dann erhob sie sich sofort von ihrem Stuhl und begann, den Tisch abzuräumen. „Lass uns das machen", warf Michal ein und nahm sofort Gemma den Teller aus der Hand. „Und danach können wir ja noch etwas die Spielekonsole in Beschlag nehmen, bis ihr fertig seid", redete Michal weiter, woraufhin Gemma zustimmend nickte und den Raum verließ.

Ich hörte meinen Freund lautstark seufzen, weshalb ich mich wieder ihm zuwandte und ihn fragend ansah. „Auch wenn das meine Schwester ist, musst du das nicht tun, wenn du nicht willst", erklärte Harry und verschränkte unsere Hände, sodass sie zwischen unseren Stühlen baumelten. „Ich schätze, ich vertraue ihr", erwiderte ich schulterzuckend, auch wenn ich von der ganzen Sache noch nicht wirklich überzeugt war.

„Es geht nicht nur um den Sicherheitsaspekt, Liebster. Ich kenne die Fragen. Nach allem, was in den letzten Tagen passiert ist, solltest du dir das jetzt nicht antun", raunte mein Freund mir zu und sah mich dabei besorgt an. Bevor ich allerdings antworten konnte, kam Gemma wieder hereingeschneit, eine Mappe und ein Diktiergerät in der Hand haltend.

Ich musterte einen Augenblick ihre Mitbringsel, dann blickte ich wieder zu Harry. „Mir geht es gut, Harry. Wirklich", wisperte ich leise, dann vereinte ich unsere Lippen zu einem kurzen Kuss. „Du musst eine Frage nicht beantworten, wenn sie dir zu nahe geht", rief Harry mir hinterher, während ich Gemma auf die Terrasse hinaus lotste. Im Vorbeigehen schnappte ich mir noch Harrys grünen Parka, den er vorhin einfach über die Sofalehne geworfen hatte. 

Draußen gab es einen quadratischen, weißen Pavillon aus Holz, in welchem bequeme Sofas bereitstanden und so den idealen Ort für eine solche Unterredung boten. Während ich Harrys Jacke anzog ließ ich mich gegenüber von Gemma nieder und beobachtete sie dabei, wie sie das Diktiergerät vor sich ablegte und anschließend ein paar Zettel aus der Mappe zog. Als sie alles fein säuberlich vor sich abgelegt und ihren Kugelschreiber einige Male geklickt hatte, lächelte sie mich voller Tatendrang an.

„Bist du bereit?", fragte sie und schien direkt in ihre professionelle Journalistenmanier überzugehen. Noch immer skeptisch zog ich meine Augenbrauen in die Höhe, dann nickte ich langsam. „Gut", sagte sie, dann drückte sie eine Taste auf dem Diktiergerät. „Also Louis, du bist Fußballspieler und spielst aktuell in der obersten Liga. Bisher hast du nur in zwei verschiedenen Vereinen gespielt. Korrekt?", forderte sie eine Antwort und nahm dabei einen der Zettel in eine Hand, sodass sie bessere Sicht darauf hatte. „Korrekt", antwortete ich und machte mich innerlich bereit für all die Fragen, die nun auf mich zu kommen würden.

-------------------

[1260 Wörter, 10.12.2020]

Michal und Gemma sind nun auch mit dabei :) Was denkt ihr, wie der Urlaub noch wird?

Und was erwartet ihr von dem Interview? Welche Fragen wird Gemma wohl noch in petto haben? War es gut von Louis, zuzustimmen?

Only The Brave || Larry AUWo Geschichten leben. Entdecke jetzt