Träume

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Als schließlich auch Eleanor verschwunden war und ich alleine in dem großen, kalten Haus saß, wurde mir erst so richtig bewusst, was eigentlich geschehen war. Eleanor hatte mich verlassen. Endgültig. Und das nur, weil ich mich meinen Gefühlen hingegeben hatte. Nur weil ich mich in Harry verliebt hatte. Seit ich ihn kennengelernt hatte, waren all meine Träume und Wünsche komplett durcheinander geraten. Ich kannte mich selbst nicht mehr. Ich hätte Eleanor niemals so verletzt, wenn ich nicht so starke Gefühle für diesen Mann hätte. 

Wäre ich an jenem Tag nicht in seinen Blumenladen marschiert, dann würde ich heute glücklich mit Eleanor auf dem Sofa sitzen und vielleicht hin und wieder meine Hand zu ihrem Bauch wandern lassen. Freddie würde bei seinen Eltern aufwachsen können und ich hätte keine Probleme mit dem Management unseres Clubs. Ich würde noch immer auf dem Platz stehen. Und in einer perfekten Welt würde meine Mutter noch immer bei jedem Spiel im Stadion sitzen und stolz auf mich sein. Sie wäre eine unglaubliche Großmutter für unseren Freddie.

Schmerz durchzog meinen Körper, als ich daran dachte, wie glücklich sie über Eleanors Schwangerschaft wäre. Sie hatte Kinder immer geliebt und war selbst die beste Mutter, die man sich nur wünschen konnte. Mein Ziel war es früher immer, als Vater genauso gut zu werden. Aber mein Traum war es schließlich auch, Profifußballer zu werden. All meine Träume und Ziele, die ich schon mein Leben lang verfolgte, schienen momentan zu verpuffen. Ich war aus meinem Verein geschmissen worden, aufgrund dummer Gerüchte, die ja doch irgendwie wahr waren. Außerdem hatte ich meine Verlobte von mir gestoßen und so die einzige Chance auf eine richtige Familie aufgegeben.

Stumme Tränen verabschiedeten sich aus meinen Augenwinkeln, während ich mich auf dem Sofa zusammenrollte und an all das dachte, was ich in so kurzer Zeit verloren hatte. Eleanor und ich würden von nun an getrennte Wege gehen. Vielleicht würde ich meinen Jungen an den Wochenenden sehen können. Oder wenn Eleanor im Ausland unterwegs war. Ich war ja jetzt gewissermaßen arbeitslos. Schließlich würden sich die Gerüchte nicht so einfach aus der Welt schaffen lassen. Und solange die Gerüchte existierten hatte unser Management Angst um sein Geld. 

Ein wütender Schrei entfuhr mir. Alles nur, weil ein paar alte Säcke nicht einsehen wollten, dass es ihnen egal sein konnte, mit wem ihre Spieler sich das Bett teilten. Wie schön es doch wäre, wenn Harry mein Partner wäre. Wenn ich ihn auch in der Öffentlichkeit als meinen Partner vorstellen könnte. Wenn ich als Spieler nur für meine Leistung auf dem Platz und nicht für mein Privatleben bewertet werden würde.

Meine Wut auf das ganze System verflog auch in den nächsten Tagen nicht. Im Gegenteil. Mit jedem Tag der verging steigerten sich mein Wut und meine Verzweiflung. Auch Trauer machte sich in mir breit und fraß mich innerlich auf. Und doch war ich innerlich tot. Mir fehlte die Kraft, irgendetwas zu machen. Ich schaffte es ja kaum, etwas zu essen.

Ich saß den ganzen Tag auf dem Sofa. Eingewickelt in eine Decke, da es sich anfühlte, als wäre mein Haus eine riesengroße Tiefkühltruhe, die das Ziel hatte, langsam aber sicher alles Leben in sich einzufrieren. Wie erstarrt saß ich stundenlang im Wohnzimmer und sah mir alte Aufnahmen an, als ich noch für die Donny Rovers gekickt hatte. Als alles noch gut war. Als ich noch kämpfen wollte. Und konnte.

Kontakt zu anderen Menschen hatte ich keinen, ich war völlig isoliert in meinem Haus. Auch hatte ich seit der Trennung von Harry und von Eleanor keinen Blick mehr ins Internet geworfen. Denn mein Smartphone hatte ich nach dem zweiten Tag im Pool versenkt. Ich hatte genug von den ständigen Anrufen und Nachrichten. Ich hatte keine Kraft mehr dafür. Außerdem war auf dem Handy nichts Wichtiges abgespeichert. Ein paar Fotos mit Eleanor, die ich ohnehin gelöscht hätte und die Nummern von Freunden. Alles ohne Bedeutung für mich. Die Welt könnte um mich herum untergehen und mich würde es nicht interessieren. Ich würde es auch gar nicht bemerken.

Am zehnten Tag hielt ich es im Haus nicht mehr aus und trottete langsam in den Garten. Völlig in Gedanken versunken stellte ich mich an den Rand des Pools und streckte meine nackten Zehen hinein. Ich trug seit zehn Tagen dieselbe Jogginghose, doch mehr Klamotten zierten meinen Körper nicht. Ich hatte es schlichtweg nicht geschafft, mich anzuziehen. Ich war erschöpft und kraftlos. Meine Muskeln fühlten sich an wie Pudding. Nicht imstande zu arbeiten. 

Ich nahm einen tiefen Atemzug von der Luft, die so anders war als die in meinem miefigen Wohnzimmer. Sie war frisch und roch irgendwie nach Sommer. Meine Umgebung fühlte sich komplett wie Sommer an. Und das, obwohl in meinem Herzen eine Eiseskälte herrschte. 

Ohne wirklich darüber nachzudenken, was ich da tat, folgte ich dem Wunsch meines Körpers und drehte mich um. Dann streckte meine Arme aus und ließ mich rückwärts in das kalte Wasser fallen. Reflexartig hielt ich die Luft an, während ich regungslos immer tiefer sank. Ich presste instinktiv meine Augen zusammen, doch das war die einzige Reaktion, die ich meinen Muskeln abverlangen konnte.  Mein Körper fühlte sich an, als würde er nicht mehr auf mich hören. Nicht, dass ich es versucht hätte, doch ich war mir sicher, dass ich meine Glieder nicht hätte bewegen können, wenn ich es denn gewollt hätte. Auch mein Kopf war wie leergefegt. Ich wusste nicht einmal mehr, wie man seine Muskeln anspannen konnte, um sich zu bewegen. Alles war weg. Einfach aus meinem Kopf radiert. Nicht mehr vorhanden. 

Die leise Stimme in mir, die wie Steppenläufer durch einen Westernfilm rauschte, sagte mir, dass ich mich bald würde bewegen müssen, um zu überleben. Als würde meinem Körper da erst bewusst werden, dass ich noch immer unter Wasser war, schrie er plötzlich nach Sauerstoff. Ich hatte das Bedürfnis, an Sauerstoff zu gelangen. Ich wollte endlich wieder atmen.

Und doch wollte ich es nicht.

Was hielt mich denn schon oben? Ich hatte alles verloren. Alles was ich mir erträumt und erkämpft hatte. Wie eine Seifenblase waren diese Träume einfach geplatzt. Niemandes Leben würde schlechter werden, wenn ich nicht mehr auftauchen würde. Ich hatte ja nicht einmal mehr zu meiner eigenen Familie Kontakt. Eleanor hatte mich verlassen. Ich war vom Fußballfeld verbannt. Und mit Harry würde ich nie glücklich werden können.

Ich spürte, wie mein Körper sich immer mehr nach Sauerstoff verzehrte, doch ich konnte nichts tun. Meine Lungen fühlten sich an wie ein Vakuum, das langsam in sich zusammen fiel. Selbst wenn ich es wollte, ich konnte mich nicht mehr dagegen wehren. Dem Ende entgegen sehend öffnete ich vorsichtig meine Augen und betrachtete das Sonnenlicht, das durch das Poolwasser schimmerte. 

Ein Sonnenschein wäre das letzte, was ich in meinem Leben sehen würde.

Ein Sonnenschein wäre das einzige, wofür es sich zu leben lohnen würde.

Mein Sonnenschein. Mein persönlicher Sonnenschein. 

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[1128 Wörter, 16.07.2020]

Louis hat versucht, alle Veränderungen zu verkraften... und es doch nicht geschafft.


Only The Brave || Larry AUWo Geschichten leben. Entdecke jetzt