„Drück sie weg. Oder geh du ran. Das hier ist gerade wichtiger", antwortete ich und wandte mich sofort wieder Harrys Mutter zu. Diese ließ ihren Blick aufmerksam von mir zu ihrem Sohn schweifen, bevor sie ihre Schultern straffte und ihr Kinn in die Höhe reckte. „Schatz, geh du ran. Du kannst ja im Schlafzimmer telefonieren", trug sie ihm auf und machte somit mehr als deutlich, dass sie unter vier Augen mit mir reden wollte.
Harry griff nach meinem Telefon und verschwand, wie befohlen, im Schlafzimmer. Ich dagegen ließ mich auf seinem Platz nieder, denn der war näher bei Anne. Kaum war die Schlafzimmertür ins Schloss gefallen, musterte Harrys Mutter mich mit stechendem Blick. „Wir können gerne von vorne anfangen, Louis. Aber sei dir gesagt, dass ich diese Szene im Treppenhaus nicht vergessen werde", erklärte sie mir mit strenger Stimme, weshalb ich einmal tief durchatmen und schwer schlucken musste. „Damit muss ich wohl leben", seufzte ich und setzte mich aufrecht hin. Dann streckte ich auffordernd meine Hand aus.
„Hallo, ich bin Louis Tomlinson. Ich komme aus Doncaster und bin Profifußballer. Und ich bin der Freund Ihres Sohnes", gab ich etwas unbehaglich von mir, doch Anne schenkte mir daraufhin ein warmes Lächeln. „Freut mich, Louis. Ich bin Anne", erwiderte sie, ließ meine Hand danach aber nicht los. Stattdessen erhöhte sie den Druck auf meine Hand und lehnte sich mir etwas entgegen. „Sollte es aber auch nur ein Anzeichen dafür geben, dass du meinen Sohn betrügst, oder anderweitig verletzt, werde ich dir das Leben zur Hölle machen. Dann wird deine Erektionsstörung dein kleinstes Problem sein", zischte sie leise und sah mich dabei eindringlich an.
Ein kalter Schauer zog meinen Rücken hinab, denn ich glaubte Anne jedes einzelne Wort. Eingeschüchtert nickte ich, dann löste ich meine Hand aus ihrem Griff und wischte meine schwitzende Handfläche an meiner Hose ab. „Das wird nicht nötig sein. Ich liebe und begehre einzig und allein Harry. Und ich glaube nicht, dass es je wieder eine Person geben wird, die mich so in ihren Bann zieht. Mein größter Wunsch ist es, Harry glücklich zu sehen. Jetzt halten wir das Ganze zwar noch geheim, aber irgendwann werde ich ihm die Welt zu Füßen legen", erklärte ich und rutschte auf meinem Sitzplatz auf dem Sofa etwas zurück.
Kaum hatte ich den Satz beendet, wandelte sich etwas in Annes Mimik. Ihr verbissener Gesichtsausdruck wich erneut einem strahlenden Lächeln. Ich wusste nicht, wie sie das machte, aber auf eine gewisse Art und Weise strahlte sie eine mütterliche Geborgenheit aus. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie sehr ich das eigentlich vermisst hatte. „Weißt du, Louis. Ich bin froh, dass ihr das vorerst geheim haltet. So weiß ich meinen Sohn wenigstens in Sicherheit", erklärte sie mir leise. „Er hat schon genug durchgemacht, ich will nicht, dass er jemals wieder so leiden muss", ergänzte sie und sah mich dabei mit traurigem Blick an.
Verwirrt kramte ich in meinen Erinnerungen, auf was Harrys Mutter da anspielen konnte, doch mir fiel nichts ein. Dabei hatte Harry mir doch absolute Ehrlichkeit versprochen. „Was meinst du?", erkundigte ich mich nervös. Allein der Gedanke an einen leidenden Harry löste in mir einen Beschützerinstinkt aus, der sofort all meine Muskeln anspannen ließ. „Hat er es dir denn nicht erzählt?", wollte Anne nun mit hochgezogenen Augenbrauen wissen. Unsicher zuckte ich mit den Schultern. „Was erzählt?", hakte ich nach.
Ich beobachtete, wie Anne schwer atmete, bevor sie ihre Hände knetete und sich mir weiter entgegen lehnte. „Harry wusste ja schon sehr früh, dass er, sagen wir, eher weniger für Frauen übrig hatte. Er war gerade vierzehn und der festen Überzeugung, dass man zu sich selbst stehen sollte. Ich war wirklich stolz auf ihn. Aber die Kinder an seiner Schule waren da anderer Ansicht. Es verging kaum ein Tag, an dem er nicht mit blauen Flecken nach Hause kam. Harry ist doch so sensibel, es war für ihn eine furchtbare Zeit. Deshalb ist er gleich nach seinem Abschluss nach London gezogen. Gemma hat ihn damals begleitet, um ein Auge auf ihn zu haben und ihn in gewisser Weise auch zu beschützen. Erst seit er hier wohnt, blüht er richtig auf", klärte sie mich auf, kräuselte aber nach ihrer kurzen Rede die Stirn, als wolle sie noch etwas sagen.
Schweigend musterte ich Harrys Mutter, die scheinbar noch nach Worten suchte. „Selbst zu Hause hatte Harry es nicht einfach. Mein erster Mann, Desmond, kam nicht damit klar, einen schwulen Sohn zu haben. Am Anfang hat er noch versucht, Harry einzureden, er wäre gar nicht schwul. Ich habe mich deshalb ständig mit ihm gestritten. Und irgendwann hat er es nicht mehr ausgehalten und die Familie verlassen. Ich schätze, Harry hat noch immer Schuldgefühle deshalb. Aber ehrlich gesagt bin ich froh, dass ich Desmond los bin. Seit ich meinen jetzigen Mann kennengelernt habe, bin ich viel glücklicher", vollendete sie ihre Erzählung.
Ich atmete lautstark ein und aus, dann ließ ich mich überfordert zurückfallen. „Warum hat Harry mir nie davon erzählt? Ich habe ihm jedes noch so kleine Detail aus meinem Leben erzählt und er verschweigt mir so etwas?", wollte ich verzweifelt wissen. Anne schwieg einen Moment, dann lächelte sie traurig. „Du hast dich noch nicht geoutet, oder?", fragte sie neugierig. Ich schüttelte den Kopf, dann zuckte ich mit den Schultern. „Nur vor meinen Freunden. Denen habe ich Harry bereits vorgestellt", antwortete ich verwirrt. Anne seufzte und schloss für einen Moment ihre Augen.
„Vielleicht wollte er es dir erst erzählen, wenn du dich bereits geoutet hast. So wie ich Harry kenne, wollte er nicht, dass du Angst vor einem Outing hast", gab sie mir leise zu verstehen. Verzweifelt lehnte ich mich vor, stütze meine Ellbogen auf meinen Knien ab und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. „Ich will nicht, dass er meint, mich beschützen zu müssen. Ich will, dass er mit mir über alles reden kann", brachte ich zum Ausdruck, als ich wieder aufblickte.
Anne schenkte mir einen mitfühlenden Blick, dann räusperte sie sich und warf dabei einen kurzen Blick in Richtung Schlafzimmer. „Haben du und deine Ex-Freundin eigentlich über das Sorgerecht gesprochen? Teilt ihr es euch?", fragte sie leise. Irritiert durch den plötzlichen Themenwechsel, blinzelte ich ein paar Mal, bevor ich zu einer Antwort ansetzte. „Ja, wir teilen es uns. Unser Sohn wird wohl Montag bis Mittwoch immer bei mir sein", erklärte ich Anne. Diese nickte einige Male mit aufgesetztem Lächeln, dann knetete sie erneut ihre Hände.
„Dann will ich, dass du diese Tage bei dir zu Hause verbringst. Ohne Harry", trug sie mir auf.
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[1073 Wörter, 07.10.2020]
Was haltet ihr von dem Gespräch zwischen Anne und Louis? Und was wird sie wohl sagen, wenn sie erfährt, dass Louis und Harry zusammen wohnen? Warum will sie eigentlich, dass Louis die Tage woanders verbringt? Und was haltet ihr davon, dass Harry einen so schwerwiegenden Teil seines Lebens einfach verschwiegen hat?

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Only The Brave || Larry AU
FanfictionLouis ist Profi-Fußballer, dessen Leben zur Zeit nicht besser laufen könnte. Wäre da nicht eine Begegnung, die ihn nicht loslassen wollte. [ziemlich lange Larry Au] ACHTUNG TRIGGERWARNUNG: Diese Geschichte thematisiert Suizid und Missbrauch. Diese K...