Kapitel 13: Brüder (2)

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„Du kannst ja mögen, wen du willst." Ich fand den Satz harmlos, aber Felix richtete sich so ruckartig auf, dass ihm die Körnerkissen von den Schienbeinen rutschten.

„Ich mag auch, wen ich will. Und wenn ich Leni mögen will, dann mag ich sie. Hast du ein Problem damit?" Die Intensität, mit der er mich wütend und ohne einen einzigen Lidschlag anfunkelte, drückte nicht mich, sondern ihn mit dem Rücken gegen die Wand und ich war mir nicht sicher, ob er das überhaupt realisierte.

„Gar nicht." Abwehrend hob ich die Hände, um meine frieedlichen Absichten zu unterstreichen, während mein Kopf in Dauerschleife darüber stolperte, dass er mochte, wenn er mögen wollte. Wenn es so einfach wäre und wenn man das so einfach aussuchen könnte. Kurz dachte ich an Ink und an Marie und daran, wie gern ich einfach lieben würde, wen ich lieben wollte. „Man kann sich das ja vielleicht nicht immer aussuchen.", versuchte ich es nochmal, aber Felix schnaubte wütend.

„Das hat Kim auch schon behauptet."

„Vielleicht hat sie damit nicht Unrecht."

„Vielleicht seid ihr zwei auch einfach zu blöd dazu.", fuhr er mich grob an und ich schüttelte ungläubig den Kopf.

„Komm mal runter, Felix. Wenn du magst, wen du willst und deine Freundin super ist- dann cool. Wir müssen nicht über sie streiten."

Schweigend nahm Felix seine Beine wieder hoch, fischte die Körnerkissen vom Boden und legte sie wieder auf seine Unterschenkel. Er wich meinem fragenden Blick aus und erst, als ich mich räusperte, machte er eine unwirsche, nickende Kopfbewegung in Richtung seiner Schienbeine. „Sorry, aber das tut richtig weh. Manchmal...keine Ahnung. Manchmal kriege ich echt schlechte Laune davon. Denn egal, was ich mache: es geht einfach nicht weg. Wachsen ist scheiße." Ich hätte meine Hand dafür ins Feuer gelegt, dass er nicht von seinen Schienbeinen sprach und beobachtete ratlos, wie er sich in die Sofaecke drückte und meinem Blick weiterhin sorgfältig auswich. Er hätte nicht unglücklicher aussehen können in dem Augenblick und das Ausmaß seiner Wachstumsschmerzen spiegelte sich in seinen Augen, die trocken, aber stumpf in die Ferne starrten. Während ich noch darüber nachdachte, was ich sagen konnte, ohne Grenzen zu überschreiten, die er ziemlich deutlich in den Raum zwischen uns gezeichnet hatte, kam er mir zuvor. „Ich weiß immer noch nicht, warum du so fertig warst, als du hier aufgetaucht bist. Mama und Papa wissen Bescheid, aber du hast mir immer noch nicht gesagt, was mit dir und Inga ist. Ihr seid doch schon ewig nicht mehr zusammen. Warum jetzt das Drama?"

Warum jetzt das Drama. Ich unterdrückte ein weiteres Kopfschütteln und stellte stattdessen den Fernseher leise, bevor ich ihm antwortete und – so grob, wie er mich anfasste- auch auf die altersgerechte Färbung verzichtete, die ich meiner Erzählung normalerweise verpasst hätte. Entgegen meiner Erwartung hielt er sich zurück. Er blieb in seiner Sofaecke, in die er tiefer und tiefer hineinrutschte und hörte stumm zu, bis ich fertig war. Dann überraschte er mich einmal mehr an diesem Tag. Statt direkt über Inga herzufallen wegen der Dinge, die sie über uns als Familie gesagt hatte, fragte er, den Blick immer noch auf seine Beine gerichtet- ob ich denn mit Ink zusammengeblieben wäre, wenn das mit den Kindern nicht geklappt hätte. Er fragte mich- oder besser seine Fußspitzen- wie wichtig mir diese Familiensache war und raubte mir zum wiederholten Mal an diesem Tag die Sprache. Ich hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit, dass er diese Fragen auspacken und versuchen würde, mich zu verstehen.

„Ich finde, du solltest sie vergessen.", war sein Schlusswort, als ihm nichts mehr einfiel und er es endlich schaffte, mir wieder in die Augen zu sehen. „Wenn sie solche Dinge über dich und uns sagt, dann passt sie nicht zu dir, oder?" Er zuckte mit den Achseln und warf einen Blick auf die leergegessene Gummibärchenschale. „Vielleicht solltest du dich einfach gegen sie entscheiden."

„So wie du entscheidest, wen du magst?", fragte ich und hoffte, damit nicht gleich wieder eine Miene hochzujagen.

„So ungefähr."

„Ich bin darin nicht so gut wie du, weißt du. Ich probiere das schon eine Weile."

„Ist nur Übung." Er zog seinen Mundwinkel für einen Moment nach oben, warf mir einen Blick zu, der mich trösten sollte und schloss dann für einen Augenblick die Augen, bevor er sich schüttelte und dabei ganz so aussah, als wolle er einen lästigen Gedanken loswerden. Dann richtete er sich auf und trug wieder jenen lässigen Ausdruck auf seinem Gesicht, mit dem er sich wohl zu fühlen schien. „Ich habe Hunger. Was essen wir zu Abend?"



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Na? Was meint ihr? Können die zwei noch was voneinander lernen? ;)

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