Kapitel 24: In der Schwebe (5)

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Inga


„Wie geht es dir?"

„Ist das nicht eine Frage, die man typischerweise dir stellt im Moment?"

„Die stellt man mir so oft, dass es anstrengend wird."

„Ja, daran erinnere ich mich." Sina lächelte nicht, aber sie löste die Verschränkung ihrer Arme und schob ihre Sonnenbrille hoch in ihr Haar. „Also mal was anderes. Wie geht es deinen Eltern?"

Ich lachte unwillkürlich, bevor ich meinen Tee vom Tisch nahm und einen Schluck nahm. „Sie verarbeiten die Situation und das jeden Tag ein bisschen besser. Sie freuen sich."

„Frühes Großelternglück.", erwiderte Sina trocken und ich spürte, wie ich dann doch rot anlief, obwohl ich mir vorgenommen hatte, mich nicht beeindrucken oder verunsichern zu lassen. Als ich mittags spontan von Lukas angerufen worden war, ob wir uns spontan sehen könnten, wirklich sehen könnten, wenn er dafür nach Hause käme, hatte ich nicht lange gezögert. Die Gelegenheit war perfekt. Mark hatte ich am Morgen in den Zug zurück nach Berlin gesetzt, weil er am nächsten Tag wieder arbeiten musste. Er war also nicht da – und konnte allein deshalb schon nicht mitkommen. Und darauf hätte er bestanden- oder es zumindest versucht. Ihm wäre nicht recht gewesen, dass ich alleine mit Lukas sprach und obwohl ich ihn verstand, war es notwendig. Ich wollte alleine mit ihm reden und so, wie Lukas am Telefon geklungen hatte, legte er auch keinen Wert auf Marks' Anwesenheit. Wir hatten ausgemacht, uns abends, gegen sechs, bei seiner Familie zu treffen. Ich hatte mich gewundert, dass Lukas am Sonntag aus Berlin wegfuhr, es aber am Telefon nicht hinterfragt. Vielleicht hatte er Urlaub geplant. Vielleicht hatte er ihn auch spontan genommen. Vielleicht brauchte er, wie ich am Anfang, Zeit und Raum, um zu verarbeiten, was da vielleicht auf ihn zukam.

Weder ihm noch mir hatte der Sinn nach einem Treffen in der Öffentlichkeit gestanden. Außerdem, auch wenn ich ihm das nicht gesagt hatte, hatte ich das Gefühl, dass ich zerstörte Brücken zumindest teilweise wieder aufbauen musste. So deutlich Mark auch schon geäußert hatte, dass die wahren Großeltern sowieso seine Eltern werden würden, so klar war mir auch, dass ich, aller Wahrscheinlichkeit nach, auf lange, lange Zeit mit den Feldmanns verbunden war. Die Vorstellung war nicht furchtbar, das merkte ich, als ich mit Sina im Garten saß und auf Lukas wartete, der längst hatte ankommen wollen und vermutlich im Stau stand. Ich war Sina merkwürdig dankbar dafür war, dass sie keine Anstalten machte, mich nach Kindsbewegungen und Bauchumfang zu fragen. Sie war unterkühlt, anders als früher, anders als bevor ich Lukas den Boden unter den Füßen weggesprengt hatte, aber es war trotzdem erfrischend, eine Tasse Tee lang einfach nur ich zu sein.

„Für euch wäre es wirklich, wirklich früh.", sagte ich also schmunzelnd.

„Seitdem ich das da weiß,", sie machte eine vage Handbewegung in Richtung meines Bauchs, „seitdem bestehe ich explizit darauf, dass es kein biologisches Verwandtschaftsverhältnis zwischen Lukas und mir gibt. Sonst könnte ich das nicht aushalten."

Ich setzte zu einer Antwort an, schloss den Mund aber wieder und trank stattdessen weiter von meinem Tee. Ein Teil von mir wollte sich entschuldigen, auch, wenn sie nicht die Person war, der ich damals wehgetan hatte. Dann aber wollte ich nicht riskieren, eine Diskussion anzustoßen, in der es keine Gewinner geben konnte. Ich wollte nicht über ihre, über Lukas Familie und meine Einstellung dazu sprechen. Sinas stumme Vorwürfe lagen auch so spürbar in der Luft. Nicht giftig, aber trennend und ich konnte mir nichts vorstellen, was diese Kluft hätte schließen können. Also fragte ich, statt aufzugreifen, was zwischen uns stand, nach Felix und Kim. Sina antwortete, bereitwillig und gleichermaßen distanziert, und während sie sprach, während sie davon erzählte, dass Kim ab dem Sommer ihr Abitur machen wollte, fiel mir zum ersten Mal ins Auge, dass ihre Nase und ihr Kinn noch spitzer wirkten als sonst. War sie schmaler als sonst oder hatte sich mein Referenzrahmen mit meinem eigenen Gewicht verschoben? Ich war mir nicht sicher, egal, wie lange ich sie mit ihrer Kaffeetasse, in Reithose und T-Shirt musterte. Irgendetwas, aber ich konnte nicht greifen was, war anders.

„Die Sorgen werden also nicht weniger." Mit den Worten schloss sie ihren Bericht über Kim und zum ersten Mal zuckten ihre Mundwinkel. „Große Kinder, große Sorgen. Aus der Nummer kommt man nie mehr raus."

„Es lohnt sich bestimmt.", entgegnete ich und versuchte, Optimismus auszustrahlen.

„Bestimmt." Dieses Mal lächelte sie wirklich- mit mildem Spott.

„Ich bin nicht naiv, weißt du.", rutschte es mir dann doch heraus. „Ich weiß, wie die Situation aussieht, aber sie ist jetzt, wie sie ist. Das ich...ich meine... wenn es so ist, dann ist es Schicksal." Mir gingen die Worte, die ich im Kopf hatte, nicht über die Lippen. „Ich liebe sie jetzt schon, weißt du. Ob sie von Lukas ist oder nicht, das spielt für mich keine Rolle. Es ist meine Tochter und ich will für sie, was richtig ist. Ich will das Beste für sie."

„Du bist naiv, Inga.", sagte Sina, so unaufgeregt und klar, dass ich keinen Zweifel daran hatte, dass sie jedes Wort auch so meinte. „Du magst ja sehr edle Absichten haben, jetzt gerade, aber du hast keine Ahnung. Du hast noch keine Ahnung, wie sehr sich alles verändern wird und ich werde meine Lebenszeit nicht damit vergeuden, dir darüber einen Vortrag zu halten. Du wirst es sehen. Und ich werde sehen, ob ich irgendwann nochmal darauf vertraue, dass du auch Lukas Interessen im Blick hast. Denn so wie du für deine Tochter das Beste willst, will ich das Beste für ihn."

„Es tut mir Leid." Die Worte kamen dann doch über meine Lippen, als Sina sich zurücklehnte, ihre Arme wieder vor der Brust verschränkte und tief und kontrolliert einatmete. Sie war wütend- und ich sah die Gelegenheit, mich doch dafür zu entschuldigen, was ich ihr abgesprochen hatte.

„Was? Das ihr aneinandergekettet seid, obwohl er, ihr beide, eure eigenen Wege gehen solltet? Alleine? Zumindest nicht miteinander? Du mit Mark und Lukas mit..." Sie unterbrach sich, schüttelte den Kopf und ich nutzte die Gelegenheit.

„Nein. Mir tut Leid, dass ich in Frage gestellt habe, wie du zu ihm stehst. Zu Lukas. Das steht mir nicht zu. Mir tut Leid, was das mit ihm gemacht hat und jetzt, wo ich es ein bisschen besser verstehen kann, tut mir auch Leid, was ich über dich gesagt habe. Und über Julian. Ihr seid seine Familie. Wenn ihr nur im Ansatz fühlt, was ich..."

„Das ist Lukas' Auto.", sagte Sina barsch und unterbrach mich. Damit stand sie auf, bevor ich meine Entschuldigung zu Ende bringen konnte und rauschte an mir vorbei Richtung Parkplatz. Selbst wenn ich gewollt hätte, hätte ich mit ihrem Tempo nicht mithalten können.


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Haltet durch, ihr Lieben. Bald ist wieder Wochenende....

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